(Bild: Evan Bartleson)
Auch wenn Kritiker die amerikanische Band Blackberry Smoke mitunter als Country-Rock-Romantiker mit gelegentlichem Kitschfaktor bezeichnen, sind die meisten ihrer Songs handfeste Rocknummern mit hörenswerten Gitarrenparts, einprägsamen Gesangsmelodien und einem wunderbaren Mix aus Southern Rock, Blues und Gospel. Sänger und Hauptsongschreiber der Band ist Charlie Starr, der sich auf der Bühne mit seinem Kollegen Paul Jackson die Gitarrenparts teilt und für das letzte Album ‚Be Right Here‘ auch seinen Tourgitarristen Benji Shanks als dritten Saitenexperten ins Studio geholt hat.
Wir haben den 49-jährigen Starr zur aktuellen Scheibe und zu seinem verwendeten Equipment befragt, verbunden mit dem Hinweis: Im September 2024 kommen Blackberry Smoke auf Deutschlandtournee!
Charlie, würdest du ‚Be Right Here‘ eher als Variation oder als Weiterentwicklung des Vorgängers ‚You Hear Georgia‘ bezeichnen?
Schwer zu sagen, aber ich denke, dass es eher eine Variation ist. Wenn ein Album fertiggestellt ist, habe ich zunächst nur die kommende Tour im Kopf und wie man die neuen Songs gut umsetzen kann. Erst nach etwa sechs Monaten fange ich wieder an, mir Gedanken zu neuen Songs zu machen. Das beginnt immer bei null. Wenn mir ein Riff oder ein Lick besonders gut gefällt, prüfe ich die Idee etwas genauer, um zu vermeiden, dass ich mich wiederhole. Ich möchte nie zurückschauen, sondern suche stets nach etwas frischem Neuem. Das ist nicht immer ganz einfach, angesichts der abertausenden neuen Songs, die Jahr für Jahr veröffentlicht werden und zu denen die eigenen Ideen schnell Ähnlichkeiten aufweisen könnten.
Es wird für dich also zunehmend schwieriger, etwas Neues zu finden, obwohl du über deutlich mehr Erfahrung verfügst als zu Beginn deiner Karriere?
Ja, es wird tatsächlich jedes Jahr ein klein wenig mühsamer, weshalb ich mir jedes Mal noch mehr Gedanken mache als bei der vorherigen Produktion. Aber Hand aufs Herz: Es handelt sich nur um Musik. Daher gilt für mich das Motto: just write it and play it. Du hältst dich auch diesmal wieder mit politisch motivierten Aussagen stark zurück. Ich finde, dass politische Streitereien in der Musik keinen Sinn ergeben. Der Song ‚Dig A Hole‘ handelt davon, nämlich: Weshalb soll man sich darüber streiten, wer Recht hat und wer nicht? Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung. Man sollte lieber die Zeit, die man auf dieser Erde hat, für etwas Positives nutzen. Am Leben zu bleiben ist auch so schon anstrengend genug.
Du würdest demnach nicht wie Taylor Swift deine Meinung zur amerikanischen Politik äußern?
Nein. Für mich ist es okay, was sie tut, jeder hat das Recht dazu. Ich mag Musiker, die eine politische Meinung haben, auch wenn sie nicht meiner eigenen entspricht. Mich stört es nicht, wenn jemand öffentlich Stellung bezieht. Aber ich persönlich würde mich nicht wie Taylor Swift für den Super Bowl engagieren lassen. Mir fallen beim Texteschreiben keine politischen Themen ein, zumal ich auch nicht beurteilen könnte, wer politisch richtig oder falsch liegt.
Ich könnte auch nicht sagen, von welcher politischen Richtung ich stärker beeinflusst bin, in meinen Augen gibt es in allen aktuellen Wahlprogrammen erkennbare Schwächen. Und noch eins: Ich lasse mich nicht von irgendjemanden als angeblich links oder rechts einstufen, ich habe eigene Vorstellungen davon, was gut für mich ist und was nicht, und die lass ich mir auch von niemandem nehmen.
Konntest du von den Arbeiten an ‚You Hear Georgia‘ etwas lernen, was dir bei ‚Be Right Here‘ geholfen hat?
Ich lerne von jedem neuen Album. Bei ‚You Hear Georgia‘ und dem Nachfolger ‚Be Right Here‘ würde ich allerdings weniger von einem Lerneffekt sprechen, es war mehr, dass ich an etwas erinnert wurde. Nämlich an das Einverständnis zwischen uns und unserem Produzenten Dave Cobb, dass wir allesamt menschliche Wesen und daher nicht perfekt sind. Bei Dave geht es ausschließlich um das Feeling eines Songs, weniger darum, ob alles perfekt auf den Click-Track gespielt wurde. Ihm geht es nie um Perfektion oder um die strikte Einhaltung irgendwelcher Regeln.
Bei einem unserer neuen Songs sagte er plötzlich: „Ich finde, an dieser Stelle sollten alle Instrumente Pause machen und nur deine Stimme zu hören sein!“ Ich fragte: „Bist du dir sicher?“ Dave antwortete: „Ja, und nach zwei Schlägen steigen alle Instrumente wieder ein, du wirst sehen, welch wunderbare Dynamik das erzeugt!“ Ich fragte: „Nach nur zwei Schlägen? Wären nicht drei oder vier besser? Wäre das aus formalen Gründen nicht auch logischer?“ Aber Dave entgegnete: „Vergiss formale Regeln, trau einfach deinem Bauchgefühl! In der Musik existieren keine Regeln, sondern nur Emotionen!“
Es kommt immer wieder vor, dass wir bei einem Song den Click-Track komplett ignorieren und eine Passage einfach schneller oder langsamer spielen. In der Musik geht es um Ausdruck, und der unterliegt einer bestimmten Dynamik, die man nicht erklären, sondern nur fühlen kann. Ein Song darf mal schneller, mal langsamer gespielt werden, es gibt kein offiziell vorgeschriebenes Tempo.
(Bild: Andy Sapp)
Ihr habt ‚Be Right Here‘ also komplett ohne Click-Track aufgenommen? Auch nicht zum Einzählen, um sich am gewünschten Tempo zu orientieren?
Nein, kein Click-Track, alles live. So arbeiten wir immer. Wir spielen jeden Song mit der kompletten Band und fügen dann der Version mit dem besten Schlagzeug/Bass-Part weitere E- und Akustikgitarren, Chöre und so weiter hinzu. Diesmal wollten wir jedoch – so wie wir es bereits auf ‚You Hear Georgia‘ im Song ‚Old Enough To Know‘ gemacht haben – alles komplett live und ohne Overdubs aufnehmen. Wir sind sogar noch einen Schritt weitergegangen und haben auch das gesamte Equipment im gleichen Raum aufgebaut, lediglich mit Ausnahme der Akustikgitarren, die in einem Extraraum eingespielt wurden. Dadurch herrschte ein Gefühl wie bei einer Wohnzimmer-Jamsession.
Steigt dadurch nicht der Stresspegel, da sich niemand verspielen darf?
Stressig ist es sowieso. Ein guter Freund, der Orgel spielt, hat mir von einer Aufnahmesession mit Tom Petty erzählt, bei der er höllisch aufpassen musste, da sonst auch ihr Gitarrist Mike Campbell alles noch einmal hätte spielen müssen. Wenn man weiß, dass der Aufnahmeknopf gedrückt ist, steigt die Anspannung. In unserem Fall war eher das Problem, dass es gelegentlich Übersprechungen der einzelnen Mikrofone gab und Dave einschreiten musste: „Die Snare ist über dein Verstärkermikro zu hören, kannst du den Amp bitte etwas lauter drehen?“
Erkennst du aufgrund des noch lebendigeren Aufnahmeverfahren klangliche Unterschiede zwischen ‚You Hear Georgia‘ und ‚Be Right Here‘?
Ja, vor allem bei den Drums, aber auch beim Klang der Gitarren, denn wir haben unterschiedliche Amps gespielt. Man mag kaum glauben, dass beide Alben im gleichen Studio eingespielt wurden.
Welche Amps waren das konkret?
In meinem Fall ein 1965er Fender Champ, ein Magnatone Troubadour und ein Supro Super, beide aus den frühen 1960ern, sowie ein Vox Defiant, der Ende der Sechziger gebaut wurde, und ein Leslie-Cabinet.
Welche Gitarren hast du gespielt?
Hauptsächlich eine Gibson ES-335 und eine ES-330, beide von 1964, dazu eine 1958er Fender Telecaster, eine Fender Esquire von 1963 und eine 1962er Fender Esquire Custom. Hinzu kamen zwei Gibson LP Jr. von 1955 und 1958, eine 1967er Rickenbacker Rose Morris 330 sowie zwei Martin-Acoustics, nämlich eine D-28 von 1950 und eine D-18 von 1952, plus eine 1955er Gibson J-45.
Hast du auch Effekte eingesetzt?
Ja, allerdings nur ein paar wenige, hauptsächlich ein Menatone-Red-Snapper-Overdrive, ein Maestro Echoplex EP-3, ein Sun Face und ein King Of Tone von Analogman, und ein Klon KTR.
Welche Aufgabe und welche Befugnisse hatte euer Produzent Dave Cobb? Wer hat im Zweifelsfall das letzte Wort?
Das letzte Wort hat immer die Band, denn wir sind die Künstler, die das Ergebnis mit ihren Namen vertreten müssen. Aber zwischen uns und Dave existieren eh kaum Meinungsverschiedenheiten, wir kommen aus der gleichen Ecke. Natürlich gibt es auch Produzenten, die den Künstlern Vorschriften machen und die für sich die letzte Entscheidung in Anspruch nehmen.
Stichwort: John Kalodner!
Ja, ich kenne die Geschichten über ihn, aber wir sind für so etwas zu alt. Vielleicht hätten wir es als junge Musiker akzeptiert, heutzutage dagegen wäre es undenkbar.
Wie hast du selbst mit euren Gästen kommuniziert, beispielsweise mit den Black Bettys? Hast du irgendwelche Vorgaben gemacht?
Ich habe Sherie und Sherita Murphy während der Produktion zu unserem 2018er Album ‚Find A Light‘ kennengelernt. Ich fragte den Toningenieur Tom Tapley, der übrigens auch an ‚Be Right Here‘ beteiligt ist, ob er für den Song ‚I‘ll Keep Ramblin‘ gute Gospelsängerinnen kenne. Er sagte: „Ich kenne Zwillinge, sie sind die besten im ganzen Land!“ Also luden wir sie ein und sie waren in der Tat fantastisch. Man musste Sherie und Sherita nichts erklären, sie fühlten intuitiv, was der Song braucht. Also ließen wir sie zwei oder drei weitere Stücke einsingen und holten sie erneut für ‚You Hear Georgia‘ ins Studio. Dabei lernte sie auch unser Produzent Dave Cobb kennen.
Die Produktion fand während des Lockdowns statt und Dave hatte eigentlich zwei andere Gospelsängerinnen im Kopf. Ich erklärte ihm, dass es keine besseren als Sherie und Sherita gibt. Wir kontaktierten die beiden via Facetime, Dave stellte ihnen einen Song vor, und Sherie und Sherita sangen dazu. Dave war restlos begeistert und sagte sofort: „Okay, okay, die beiden sind engagiert!“
Durch die Black Bettys bekommen eure Songs plötzlich auch einen Soul-Einschlag, oder?
Ja, absolut, sehr gut beobachtet! Ich habe mich mit ihnen darüber im Studio unterhalten. Ich sagte ihnen: „Ich schwöre, dass ich dieses eine Wort oder diese eine Phrase niemals so singen könnte wie ihr!“ Es ist einfach genial, etwas, das man nicht lernen kann und was mit Phonetik und der Art, wie man spricht, zusammenhängt. Auf ‚Find A Light‘ gibt es einen Song namens ‚Lord Strike Me Dead‘, bei dem ich den Black Bettys die Gesangslinie vorstellte und sagte: „Der Akkord ist ein Major 7, irgendwie passt die Melodie, die ich singe, nicht dazu.“ Als dann Sherie und Sherita die gleiche Melodie sangen, passte es plötzlich. Man kann so etwas nicht erklären.
Wie verteilt ihr die Gitarrenparts untereinander? Mit dir, Paul und Benji seid ihr diesmal immerhin zu dritt.
Natürlich müssen wir uns absprechen, denn niemand will dem jeweils anderen in die Quere kommen. Aber wir haben uns durch unsere jahrelange Zusammenarbeit eingegroovt und achten nur darauf, dass wir nicht immer dasselbe spielen und es dadurch langweilig wird. Bei den zweistimmigen Soli müssen wir die Parts natürlich exakt aufeinander abstimmen. Ein tolles Beispiel ist ‚Like It Was Yesterday‘ bei dem Benji das Slide-Solo am Anfang und Paul und ich das anschließende zweistimmige Solo spielen. Es macht sehr viel Spaß, einen Song auf drei Gitarristen aufzuteilen. Wir huldigen damit ein wenig Lynyrd Skynyrd, die wohl großartigste Dreigitarrenband der Welt.
Worin unterscheiden sich eure Stile voneinander?
Vermutlich wärst du viel besser geeignet, dies zu beurteilen, denn ich bin zu nahe dran am Geschehen. Aus meiner Sicht hat Benji vor allem unfassbar viel Ruhe in seinem Spiel, er ist unser Mr. Slowhand und steht in der Tradition von David Gilmour. Natürlich könnte er auch schnell spielen, wenn er wollte, aber die Ruhe ist sein Markenzeichen. Paul spielt vermutlich etwas melodischer als Benji und ich. Und ich selbst? Ich hacke einfach nur in die Saiten. (lacht)
(erschienen in Gitarre & Bass 08/2024)