Happy accidents – glückliche Zufälle: Auf zwei Worte reduziert Bandleader Charlie Starr ganz bescheiden die Erfolgsformel von Blackberry Smoke, den Shooting Stars des Southern-Rock. Und schiebt dann doch nach, dass es natürlich auch das Ergebnis harter Arbeit sei, bis man vom Support Act zum Headliner reift.
Gegründet im Jahr 2000 spielte die fünfköpfige Band aus Atlanta anfangs nur in verrauchten Kaschemmen im Süden der USA, später immer öfter im Vorprogramm von Rock-Größen: Mit Billy Gibbons standen sie schon auf der Bühne, er ist ein alter Fan der Band. Mit Bob Weir von Grateful Dead nahmen sie eine Session-DVD auf, und der 2017 verstorbene Gregg Allman hat sich als Gast auf ihrem Album ,Like An Arrow‘ verewigt.
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Acht Jahre lang schipperten sie auf Lynyrd Skynyrds Simpleman Cruise mit und derzeit touren sie mit den legendären Southern-Rockern auf deren Abschiedsrunde. Es gibt nicht wenige Musikkritiker, die Blackberry Smoke sogar als legitime Erben der genreprägenden Allmans oder Skynyrd sehen. Blackberry Smoke ist jedenfalls schwer angesagt und längst selbst zum Headliner aufgestiegen. Innerhalb der letzten vier Jahre hat die Band gleich drei Studioalben veröffentlicht, eines davon mit Hilfe von Top-Produzent Brendan O‘Brien.
Starr ist ein absoluter Musik-Maniac. Die ersten Interviews, die ich 2014 mit ihm führte, uferten in puren Fan-Talk aus. Wie viele andere Musiker aus den Südstaaten ist er schwer von der britischen Rockmusik der 70er-Jahre beeinflusst. Außerdem ist Charlie, ganz Südstaaten-Gentleman, einer der nettesten Typen im Business.
interview
Unser letztes Interview war zur Veröffentlichung des Albums, das Brendan O‘Brien produziert hat. Inzwischen habt ihr noch zwei weitere Platten in Eigenregie gemacht. Wieso eigentlich?
Nun, ,Like An Arrow‘, das erste Album nach ,Holding All The Roses’ mit Brendan, war einfach ein happy accident – ein glücklicher Zufall. Wir hatten ein bisschen freie Zeit und ich dachte mir, jetzt fangen wir einfach mal selbst an mit den Aufnahmen. Wenn‘s gut wird, wird‘s eine neue Platte. Klingt es schlecht, dann stoppen wir das Ganze und holen uns einen Produzenten. Aber es klang nicht übel. Wir fanden einige Freunde, die mit uns arbeiten wollten, einen Sound-Engineer und ein wirklich gutes Studio in Atlanta.
Dieses Mal, bei der neuen Scheibe ,Find A Light‘, war es anders: Das Studio, in dem wir die beiden letzten Alben aufgenommen hatten, musste schließen. Doch wir hatten ein ganzes Bündel neuer Songs und wollten es einfach nochmal so probieren! Wieder mit der Prämisse: Wenn‘s nicht hinhaut, dann hören wir einfach auf. Aber es fühlte sich alles sehr natürlich an. Unsere Arrangements sind ja ziemlich ökonomisch, wir haben keine außergewöhnlich langen Songs. Ich bin mir nicht sicher, ob wir das immer so machen werden, wahrscheinlich holen wir uns auch irgendwann mal wieder einen Produzenten dazu.
Wie hast du in den letzten Jahren überhaupt die Zeit gefunden, so viele neue Songs zu schreiben, bei 200 oder mehr Gigs im Jahr?
Nun, wir haben das ein bisschen runtergeschraubt, von 200 auf vielleicht 150, aber die Inspiration packt dich, wann sie will und ich gebe ihr dann nach. Ich schreibe nicht die ganze Zeit und nehme mir keine Gitarre und zwinge mich, Songs zu schreiben. Auf Tour sammle ich Riffs oder Melodien, die mir einfallen und singe sie in mein Handy. Außerdem führe ich ein Textbuch.
Und dann hast du offensichtlich auch noch ein paar gute Co-Schreiber, so wie dieses mal wieder Travis Meadows und Keith Nelson.
Ja, mit Travis schreibe ich schon seit Jahren Songs, sogar schon vor ,The Whippoorwill‘. Und Keith Nelson ist ein alter Freund. Ich habe ihn auf der ersten Tour von Buckcherry getroffen, in Atlanta, vor fast 25 Jahren. Wir blieben Freunde, Gitarren-Buddies sozusagen. Und dann hat er mich eines Tages angerufen und gesagt: Hey, Mann, ich bin gerade bei Buckcherry ausgestiegen. Willst du nicht ein paar Songs zusammen mit mir schreiben? Ich mochte seine Ex-Band schon immer und ich mag Keith, er ist einer meiner besten Freunde. Aber wir hatten noch nie zusammen gearbeitet. Keiner von uns beiden wusste, wie das funktioniert – aber es klappte bestens. Wir schrieben acht oder zehn Nummern, und vier davon habe ich für Blackberry Smoke ausgesucht.
Eine davon ist wohl ,Run Away From It All‘, mit dem charakteristischen Gitarren-Intro, das durch den ganzen Song führt, sehr cool.
Ja, danke, den Song mag ich auch sehr. Und was mir an unserer Zusammenarbeit besonders gefällt: Das war nicht geplant, und die Songs selbst sind total unterschiedlich. Viele Leute haben sich gewundert: Buckcherry – die machen doch nur Heavy Music. Aber Keith ist Gitarrist und Songwriter, das bedeutet ja nicht, dass er nur eine bestimmte Sache drauf hat. Die vier gemeinsamen Songs, die wir nun auf der Platte haben sind alle eigen und besonders. Und das ist gut so.
Ist das die Philosophie von Blackberry Smoke, ganz unterschiedliche Sachen zu machen?
Ja. Bands wie die Stones haben uns dazu inspiriert, abwechslungsreiche Musik zu machen und nicht einem Schema zu folgen. Einfach musikalisch da hin zu gehen, wo die Songs hinwollen. Nicht umsonst ist ,Exile On Main Street‘ eines meiner absoluten Lieblingsalben.
Ihr habt lange Jahre getourt bis ihr Erfolg mit euren Alben hattet, das waren sicher harte Jahre. Wann hast du gemerkt: Jetzt haben wir‘s geschafft?
Ich glaube, das war als wir anfingen, erste Konzerte unter eigenem Namen auszuverkaufen. Da haben wir alle gesehen, dass es funktioniert. Denn viele Jahre spielst du nur für ein paar Leute, bis du dir ganz langsam ein Publikum aufbaust und plötzlich die Ticketverkäufe nach oben gehen. Das war der Moment.
Was magst du eigentlich am meisten als Musiker: live zu spielen, zu komponieren oder aufzunehmen?
Ganz klar: alles davon! Ich mag auch das Reisen, einfach alles. Das einzige was ich wirklich hasse an dem Job ist die Warterei. Aber wer mag das schon?
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Früher habt ihr in Europa hauptsächlich Orange-Amps gespielt. Ist das immer noch so oder unterscheidet sich das zwischen US- und Europa-Tourneen?
Ja, das ist durchaus unterschiedlich. Mein Gitarren-Kollege Paul Jackson und unser Bassist Richard Turner spielen immer noch viel von Orange. Aber es gibt ein paar Hersteller von Boutique-Amps hier in den Staaten, auf die ich absolut stehe. Germino-Amps vor allem, ich spiele häufig einen 68er-Plexi-Typ, einen 50-Watt-Head von Greg Germino. Aber ich mag auch die Verstärker von Echopark. Der Macher, Gabriel Currie, ist für mich ebenso ein Genie wie Germino. Natürlich habe ich auch ein paar alte Marshalls, vor allem JCM 800, und einige Tweed-Amps.
Deine Hauptgitarre ist immer noch die schwarze Les Paul Junior?
Ja, das ist meine absolute Nummer 1, eine 56er Gibson. Wie du weißt, gehörte sie ursprünglich Rick Richards, dem Gitarristen der Georgia Satellites. Ich besitze sie seit 1992, sie hat mich 850 Dollar gekostet. Es ist noch der originale P-90-Pickup drin, nur mit einer neuen Abdeckung. Und einmal sind die Bünde erneuert worden, seit ich sie habe. Ich mag den P-90 generell, das ergibt einen tollen Kontrast zu den Les Pauls mit Humbuckern, die unser zweiter Gitarrist Paul Jackson spielt. Aber diese Gitarre hat auch eine unglaubliche Resonanz, das ist auf jeden Fall das Teil, das ich als erstes retten werde, wenn mein Haus mal brennen sollte.
Ich habe dich zuletzt auch mit einer ES-335 gesehen …
Tatsächlich ist es eine Gibson ES-345, eine rote. Ich habe einige alte Gibsons und Sixties-Fender.
Und dann spielst du sehr oft eine geschnitzte Telecaster.
Ja, die Tele mit dem Carved Body. Die ist etwas ganz Besonderes, und sie gibt es nur einmal. Ich nutze sie hauptsächlich im Open-G-Tuning. Gebaut hat sie der Gitarrist der Four Horsemen, Stephen Harris, Spitzname „Haggis“. Anschließend ließ er sich für 100 Dollar von einem Typen in Los Angeles die Schnitzereien machen. Später hat er sie einem meiner Freunde verkauft. Als ich die Gitarre zum ersten Mal sah, dachte ich: „Die muss ich haben, die sieht unglaublich cool aus“. Es hat lange gedauert, bis ich an sie herankam. Sie hat ebenfalls einen P-90 und zusätzlich einen Lipstick-Pickup, der später dazukam.
Wie sieht’s mit Effekten aus?
Ich verwende immer noch relativ wenige Pedale. Schon lange auf dem Board habe ich ein Crybaby-Wah-Pedal, den Booster Bad Bob von Analog Man, ein Supa-Trem von Fulltone und einen Boss-Tuner TU-3. Nicht so lang dabei sind ein Greer Amps Lightspeed Overdrive, ein MXR Phase 45 und ein Wampler Faux Tape Echo. Seit vielen Jahren nutze ich dann noch ein Hughes & Kettner Tube Rotosphere für Leslie-Effekte.
Wie wichtig ist für euch das Internet? Immerhin findet sich eine ganze Reihe kompletter Live-Shows von euch auf YouTube.
Das Web ist sehr wichtig, denn du erreichst damit so viele Leute, einfach jeden, der einen Computer hat. Es ist die Informationsquelle schlechthin. Aber nur weil du jemanden auf Facebook kontaktest, heißt das ja noch lange nicht, dass er deine Band mag.
Oder deine Platten kauft.
Genau. Wir müssen unsere Musik trotzdem erst an die Leute bringen und für sie spielen.
Und wie sichert man sich in diesen Zeiten seinen Lebensunterhalt als Rock’n‘Roll-Musiker?
Fang früh an (lacht). Nun, du musst dem Ganzen wirklich dein Leben widmen, sonst wirst du nie die Früchte deiner Arbeit ernten. Ganz oder gar nicht! Du musst dir dein Publikum erspielen. Wir freuen uns über die steigenden Ticketverkäufe, denn wir wissen: Wir haben es uns verdient.
Das heißt: Die Touren bezahlen deine Rechnungen, nicht die Plattenverkäufe?
Die schon lang nicht mehr. Heutzutage müssen die Leute keine Platten mehr kaufen, um deine Musik zu hören, die können sie auch umsonst kriegen, fast überall. Das ist also ein zweischneidiges Schwert mit dem Internet.
discografie
Bad Luck Ain’t No Crime, 2004
New Honky Tonk Bootlegs (EP), 2008
Little Piece Of Dixie, 2009
Live At The Georgia Theatre (DVD), 2012
The Whippoorwill, 2012
Leave A Scar – Live In North Carolina (Live-DVD+2CD), 2014
Holding All The Roses, 2015
Wood, Wire & Roses (EP), 2015
Like An Arrow, 2016
An Evening At TRI (Live-DVD mit Bob Weir), 2017
Find A Light, 2018