Billy Howerdel (A Perfect Circle): Ich habe mit 18 angefangen, mit Rockbands zu touren
von Marcel Anders, Artikel aus dem Archiv
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Sag niemals nie. Eine Weisheit, die genauso alt ist wie die Rockmusik selbst – und sich immer wieder bewahrheitet. Aktuelles Beispiel: A Perfect Circle, die Supergroup des Alternative-Rock. Die legt nach 14 Jahren Pause ein neues Album vor – und was für eins! ‚Eat The Elephant‘ ist schon jetzt eines der besten, weil anspruchsvollsten Rock-Epen 2018. Nicht nur wegen der facettenreichen Texte von Sänger Maynard James Keenan, sondern auch wegen der Musik von Multiinstrumentalist Billy Howerdel. Gitarre & Bass hat den 48-Jährigen in Berlin getroffen.
Er ist ein Ritter von trauriger Gestalt: Groß, bleich, hager, kahlköpfig, mit traurigen Augen, leicht abstehenden Ohren und einer sanften, sonoren Stimme. Billy Howerdel sitzt in einer mondänen Suite im Berliner Soho House, wirkt dabei leicht verloren, aber erweist sich als bemühter, charmanter und witziger Gesprächspartner. Schließlich ist Howerdel kein unnahbarer Rockstar, sondern eher der nette Musiker von nebenan, der allein durch seine langjährige Roadie-Tätigkeit nachhaltig geerdet ist.
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Nachdem er sich selbstständig gemacht hatte, um seine eigene Vision von atmosphärischer, mystischer Rockmusik auszuleben, brachte er drei Alben heraus, die zu den wichtigsten Veröffentlichungen der frühen 2000er zählen – und (bis auf Sänger Keenan) ständig wechselnde Mitstreiter aufwiesen, die sich aus Mitgliedern befreundeter Bands (Smashing Pumpkins, Marilyn Manson, Queens Of The Stone Age) rekrutierten.
2005 entschlossen sich APC, eine unbestimmte Auszeit einzulegen. Howerdel versuchte sich als Solist (unter dem Namen Ashes Divide), blieb aber hinter den kommerziellen Erwartungen zurück. Weshalb es bei einem Alleingang blieb – und sich APC 2011/2012 zu neuerlichen Live-Aktivitäten zusammenfanden. Jetzt, eine halbe Dekade später, präsentieren sie ihr erstes gemeinsames Album seit 2004. Grund genug für ein ausführliches Gespräch.
interview
Billy, wie kommt es, dass ihr A Perfect Circle nach 14 Jahren fortsetzt?
Wenn ich ehrlich bin, wusste ich eigentlich schon immer, dass das irgendwann passieren würde. Also ich habe die Hoffnung nie aufgegeben, dass wir noch ein Album machen – ich wusste halt nur noch nicht, wann. Denn 2004 haben Maynard und ich entschieden, uns erst einmal auf andere Sachen zu konzentrieren – er sich auf Tool und ich mich auf mein Solo-Projekt. Weiter haben wir lange Zeit gar nicht gedacht, weil wir danach viel zu beschäftigt waren. Doch jetzt, da dieses Album fertig ist, haben wir bereits genug neue Stücke für ein weiteres im Kasten.
Weil du über die letzten Jahre mehr geschrieben hast, als sich auf einem Tonträger veröffentlichen ließe?
Ganz genau. Ich habe ein riesiges Archiv voller Songs, aus dem ich mich bedienen kann. Und ich habe eine ganze Menge Material für die Zukunft zur Seite gelegt. Da sind zum Beispiel einige Stücke, die es nicht auf ‚Eat The Elephant‘ geschafft haben, aber auf die ich sehr, sehr stolz bin. Und das gibt mir ein gutes Gefühl für die Zukunft. Eben, dass es nicht noch einmal 14 Jahre dauern wird, ehe wir einen Nachfolger präsentieren.
Inwieweit ist das, was APC auf ‚Eat The Elephant‘ abliefern, ein Mittel zur Realitätsflucht – eben Songs, in die man abtauchen und in denen man sich regelrecht verlieren kann, weil sie so intensiv sind?
Da hat jeder, den man fragt, seine eigene Interpretation. Es hängt einfach davon ab, wann und wo man sie hört – also unter welchen Umständen und in welchem Gemütszustand. Wobei die übelsten Rahmenbedingungen sicherlich an einem Strand und unter direkter Sonneneinstrahlung wären. Ansonsten gilt die alte Weisheit: Musik kann alles Mögliche sein – je nachdem, wo sie dich gerade findet. Und es gibt bestimmt ein paar Platten, die ich verpasst habe oder die an mir vorbei gegangen sind, weil sie mir nicht zur rechten Zeit und in der richtigen Stimmung begegnet sind. Aber ‚Eat The Elephant‘ – denke und hoffe ich – bietet viele Interpretationsansätze und viel, in das es sich einzutauchen lohnt.
Dann lass uns über Gitarren und Gear reden. Hast du für das neue Album wieder dieselbe Gibson Les Paul Classic verwendet, wie auf den bisherigen drei Alben – nämlich die, die dir Trent Reznor von Nine Inch Nails geschenkt hat?
Oh ja, die spiele ich immer noch – und daran wird sich hoffentlich auch nichts ändern.
Wieso? Was ist so besonders daran?
Sie ist einfach meine Lieblingsgitarre. Und das nicht so sehr, weil sie ein Geschenk von Trent ist, sondern wegen der Art, wie sie sich spielt und wie sie klingt. Ich habe schon viele andere Marken und Modelle probiert, aber keine gefällt mir so gut, wie diese. Weshalb auch meine Back-up-Gitarren absolut identisch mit dieser einen sind. Also, sie kommen ihr nahe, aber sie sind doch alle ein bisschen anders. Ich weiß nicht genau, wie ich das erklären soll, aber diese eine Gitarre ist wirklich etwas Besonderes. Und deswegen spiele ich sie, so oft ich kann – auch auf diesem Album. Also zu etwa 90 Prozent. Ich habe höchstens hier und da noch eine Gretsch Duo Jet oder eine Gibson 175 eingesetzt. Das war‘s.
Und in puncto Verstärker und Effekte?
Ebenfalls genau dasselbe wie auf ‚Emotive‘ und den Platten davor: Ein Gibson GA-15PV Goldtone und eine Marshall 1960AV. Es hat sich nicht viel verändert. Außer, dass ich einen Fractal Axe Effect-Processor in mein Effekt-Rack eingebaut habe – für Live-Konzerte. Ich habe mich also von einer Menge Gear getrennt, weil es mir auf Tour schlichtweg zu viel wurde. Aber im Studio habe ich wieder alles aufgefahren, was ich in der Garage habe. Und eine Menge Sounds, die darauf auftauchen, sind der Atmosphäre des Raums geschuldet, in dem wir aufgenommen haben. Also mit dem eingebauten Hall der Verstärker.
Demnach bist du kein Gear-Head und kein Technik-Junkie?
Nicht wirklich. Ich suche nicht ständig nach neuem Kram. So verrückt bin ich nicht. Ich versuche in erster Linie interessante Klänge mit dem zu erzeugen, was ich habe. Und das, was ich habe, ist sehr flexibel. Von daher bieten sich mir da eigentlich genug Möglichkeiten. Und was ich an der Gitarre liebe, die ich von Trent bekommen habe, sind allein die Pickups. Durch sie bekommt man viele spannende Farben hin, indem man lediglich die Lautstärke variiert. Also ein ähnlicher Effekt, wie er sich mit einem guten Röhrenverstärker erzielen lässt. Und ich benutze die Tone- und Volume-Regler wirklich sehr oft.
Für mich steht ganz klar die Konversation zwischen dem Pickup und dem Verstärker im Mittelpunkt. Eben wie viel Feedback dabei entsteht, wo die Obertöne sind, wo man sich positionieren muss, um den Sound zu erzielen, der einem vorschwebt usw. Im Studio könnte man seine Gitarre ja einfach ins Mischpult einspielen und durch die Lautsprecher hören, aber ich ziehe es vor, einen Raum und einen Verstärker zu nutzen, es lebendig klingen zu lassen und ein gewisses Überraschungsmoment zu haben.
Ich will einen Sound kreieren, der nicht exakt vorhersehbar ist, und wo ein gewisses Element von Gefahr, von Unberechenbarkeit und Lebendigkeit herrscht. Denn es existiert einfach eine besondere Beziehung zwischen einem lauten Verstärker und einer Gitarre. Das ist etwas, das nicht verloren gehen darf.
Du selbst warst jahrelang Roadie von Nine Inch Nails, Smashing Pumpkins, Tool, Fishbone und anderen Bands. Was hast du dabei gelernt?
Das wäre ein separates Interview für sich – eine Sache, über die wir stundenlang reden könnten. Aber um es kurz zu machen: Ich habe in den Jahren wirklich erkannt, was man beachten sollte, also was in dieser Branche wichtig ist. Und auch, was man unbedingt – unter allen Umständen – vermeiden sollte. Natürlich habe ich auch wahnsinnig viel in Bezug auf Equipment und Technik gelernt. Oder was es heißt, sich ungesunde Sachen anzugewöhnen oder den Versuchungen auf Tour zu erliegen. Ganz zu schweigen davon, wie es ist, auf allerengstem Raum mit anderen Menschen zu leben.
Sprich: Du hast alles gelernt, was du für dein späteres Rockstar-Leben gebraucht hast?
Keine Frage! Ich meine, ich habe mit 18 angefangen, mit Rockbands zu touren. Eben direkt nach Ende der High School. Bei meiner ersten Europa-Tournee war ich 20, und als es mit A Perfect Circle losging, also als das erste Album erschienen ist, bereits 29. Von daher habe ich zwischenzeitlich viel erlebt und viel mitgemacht. Ich habe eine Menge Sachen gesehen, die mir sprichwörtlich die Augen geöffnet haben. Die dafür sorgten, dass ich meine Naivität und meine Gutgläubigkeit verloren habe, aber es trotzdem noch mochte, unterwegs zu sein, auf der Bühne zu stehen und die Welt zu sehen. Ich habe dieses Dasein genossen – und das tue ich immer noch, auch wenn es Phasen gibt, in denen es nicht ganz so toll läuft. Das ist nicht weiter tragisch, wenn man damit umzugehen weiß.
Danke für das Gespräch!
Discographie:
mit A Perfect Circle:
Mer des Nomes (Virgin, 2000)
Thirteenth Step (Virgin, 2003)
Emotive (Virgin, 2004)
Eat The Elephant (BMG, 2018)
mit Ashes Divide:
Keep Telling Myself It‘s Alright (Polydor, 2008)
mit Guns N‘ Roses:
Chinese Democracy (Universal, 2008)