Jimbos Traum

Biffy Clyro: Bassist James Johnston im Interview

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Mit ihren letzten drei Alben haben die Schotten die Welt der Stadien, der Mehrzweckhallen und der Gold- und Platin-Auszeichnungen erreicht. Doch diese Parameter interessieren sie kein bisschen. Im Gegenteil: Im Grunde ist ihnen der eigene Erfolg zu viel, zu unheimlich und vor allem zu stressig. Weshalb das Trio bewusst zurückrudert. ,Ellipsis‘, Album Nummer 7, ist eine Besinnung auf den rauen, ruppigen und spontanen Sound der Anfangstage – einer Zeit, als sie noch Träume hatten. Im Falle von Bassist James Johnston muten die ebenso naiv wie idealistisch an.

Von links: Ben Johnston, Simon Neil, James Johnston (Bild: Warner)

Berlin, das Mandala Hotel am Potsdamer Platz. Die Band nutzt einen kurzen Promo- Break für Fastfood der Marke Currywurst und Club-Sandwiches. Dazu gibt es literweise Kaffee – die einzige Droge der Truppe aus Kilmarnock, die zwar schon mal ein kühles Bier trinkt, aber sich ansonsten sehr bewusst ernährt. Muss sie auch bei dem Tour-Pensum, das sie zwischen den Album-Veröffentlichungen abreißt. Auch beim aktuellen Werk ,Ellipsis‘ sind sie gleich wieder zwei Jahre am Stück unterwegs. Und das in wesentlich kleineren Hallen als zuletzt bei ,Opposites‘ (2013/14). Einfach, weil man den Bogen nicht überspannen will, weil man sich dem Genre-üblichen Wahnsinn von wegen immer größer, populärer und umsatzstärker verweigert, und – im Gegenteil – auf Vernunft und Bescheidenheit setzt. Ein Ansatz, der im krassen Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen steht und den James Robert Johnston, 36-jähriger Rotschopf mit zahlreichen Tattoos und einem heftigen Akzent, auf ebenso charmante wie einleuchtende Weise erklärt.

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James, Jim oder Jimbo – wie wirst du am liebsten angesprochen?

James Johnston: (lacht) Das wechselt von Tag zu Tag. Je nachdem, wie ich mich fühle und wo ich gerade bin. Aber ich habe nichts gegen Jim und Jimbo – ich bin damit genauso glücklich wie mit James. Den meisten Amerikanern fällt es halt leichter, Jim zu sagen. Keine Ahnung, warum.

Zum Aufnehmen verschlägt es euch jedes Mal über den großen Teich. Hast du eine Erklärung dafür?

James Johnston: Das ist wirklich merkwürdig, weshalb ich auch keine Antwort darauf habe. Es passierte einfach jedes Mal so.

Welches Ziel habt ihr bei diesem neuen Album verfolgt, das ganz anders klingt als seine Vorgänger?

James Johnston: Wir wollten mit allem brechen, was wir auf den letzten drei Alben gemacht haben. Und uns war klar, dass wir dazu alles auf den Kopf stellen und radikal verändern mussten. Nur: Die letzten Alben mit Garth Richardson waren genau so, wie wir sie wollten – cineastisch und groß. Mit verspielten Ideen und aufgenommen auf eine sehr klassische, traditionelle Weise, von der wir uns diesmal entfernen mussten. Wir mussten alles verlernen, was wir uns zuvor angeeignet hatten. Was auch bedeutet, dass wir uns wieder wie eine Band fühlen wollten, die zum ersten Mal im Studio steht und ihr erstes Album einspielt.

Also zurück zu den Anfängen?

James Johnston: Ganz genau.

Was für Instrumente verwendest du auf dem Album?

James Johnston: Vorwiegend Fender – weil ich auf Teile wie den Jazz Bass und den Precision Bass stehe. Deshalb spiele ich den Fender Jazz Bass schon seit Jahren. Diesmal waren da einige Songs, bei denen wir alles auf Dropped-C gestimmt haben, dafür habe ich einen fünfsaitigen Bass verwendet, einen Music Man Stingray.

Den du mit einem Ampeg oder Ashdown verstärkt hast?

James Johnston: Im Großen und Ganzen nur Ashdown-Amps. Normalerweise mikrofoniere ich die Lautsprecher, aber das DI-Signal aus dem Ashdown-Head klang so warm, dass wir nichts anderes brauchten. Ab und zu haben wir auch noch diesen neuen Fender-Bassman-Verstärker hinzugefügt, der unglaublich ist. Und ich habe noch einen alten Trainer-Amp aus den 60ern, der die ganze Zeit vor sich hinbrummt und ebenfalls sehr cool für einige Stücke war.

 

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Habt ihr das alles aus Schottland eingeflogen oder euch vor Ort mit Equipment eingedeckt?

James Johnston: Das meiste haben wir mitgebracht – und uns mit dem US-Zoll rumgeschlagen, was immer extrem nervig ist. Aber der einzige von uns, der etwas Neues gekauft hat, war Simon. Er hat da diese umwerfende Gibson gefunden, eine 1977er Les Paul, die wunderbar ist. Ich war wahnsinnig eifersüchtig, habe aber nichts Vergleichbares entdeckt. Zum Glück …

Spielt er sonst nicht auch Fender-Gitarren?

James Johnston: In der Tat. Aber ich denke, es ging ihm darum, das Yin zum Yang zu haben und auch mal einen anderen Ton zu erzielen. Wobei das Teil eine reine Studio-Gitarre bleiben dürfte. Denn diese Les Paul ist fast zu schwer, um sie live zu spielen. (lacht) Ich für meinen Teil habe jedenfalls nichts an Gear gekauft, während wir dort waren. Das nicht zuletzt, weil Rich alles im Studio hatte. Zum Beispiel diese umwerfende Kollektion an Pedalen, Preamps, Synthesizern und solchen Sachen. Er hat den Bass einfach mal durch einen Modular-Synthesizer laufen lassen – was mir die Augen geöffnet hat. So etwas hatte ich noch nie zuvor probiert, und es ist fantastisch, sofern du nicht vorhast, denselben Sound zwei Mal exakt identisch hinzukriegen. Denn das ist unmöglich.


Equipment

 

  • Bässe: vier verschiedene Fender Jazz Bässe (u.a. einen American Standard und einen American Deluxe), Fender Precision Bass (in Olympic White), Gibson Grabber, Music Man Stingray, Squier Jazz Signature
  • Effekte: Tech 21 Sans Amps Bass Driver DI Pre- Amp, Boss LS-2 Line Selector, Boss ODB-3 Overdrive, Boss TU-2 Chromatic Tuner
  • Verstärkung: Ashdown CTM-300 Head, Ashdown ABM 900 Head, Ashdown Classic Cabinets, Eden World Tour WT550 Amplifier Head, Eden WTDI Pre-Amp DI-Box

Wie handhabst du das auf der Bühne?

James Johnston: Gar nicht. (lacht) Das ist eine einmalige Sache und du kannst so viele Fotos von den Einstellungen machen, wie du willst – also von jedem Knopf, jedem Control-Effekt und von allem anderen. Das noch einmal genauso hinzukriegen, wie bei dem einen Mal im Studio, ist unmöglich. Die Entscheidung, die du da getroffen hast, lässt sich nicht reproduzieren.

Du kannst also nur versuchen, der Studioversion so nahe wie möglich zu kommen?

James Johnston: Das ist alles.

Wie viele Bässe besitzt du mittlerweile?

James Johnston: Da hat sich einiges angehäuft. Wobei ich meine Bässe nie gezählt habe. Aber allein dadurch, dass wir inzwischen zwei oder drei komplette Live-Setups auf unterschiedlichen Kontinenten geparkt haben, um etwas flexibler in unserer Reiseplanung und auch mal ohne Gear unterwegs zu sein, sind da natürlich eine Menge Replika-Bässe. Ich habe zum Beispiel zwei Gibson-Grabbers, die komplett identisch sind. Genau wie zwei Gibson-Thunderbirds und einen Schwung wirklich toller Fender-Bässe, darunter der neue Precision Elite, der sowohl Jazz- wie Precision- Pickups aufweist.

Ein echtes Hybrid-Modell.

James Johnston: Genau – aber mit Precision-Korpus und – Hals. Das ist der Bass, den ich momentan am aufregendsten finde. Also die tonalen Veränderungen, die man dadurch erzielt, dass man die Pickups wechselt, sind der Wahnsinn. Natürlich gibt es auch passive und aktive – wie man gerade will. Das ist momentan mein absoluter Lieblings-Bass.

Hast du deinen Rickenbacker noch?

James Johnston: Ich habe eigentlich nie einen Rickenbacker besessen, sondern mir nur mal einen für einen Videodreh und ein bis zwei Tracks auf einem Album geliehen.

Das Lemmy-Modell?

James Johnston: Richtig! Der 4001 … Und um ehrlich zu sein: Ich war in etlichen Läden, um nach einer coolen Ausführung davon zu suchen. Aber ich habe nie eine gefunden, die den Ton hat, nach dem ich suche. Und wenn ich so viel Geld ausgebe, will ich keine Kompromisse eingehen – dann muss es wirklich der Richtige sein. Aber eines Tages werde ich bestimmt einen netten Rickenbacker finden …

War Lemmy einer deiner Helden?

James Johnston: Das ist der Background, aus dem Simon, Ben und ich stammen – nämlich Hardrock und Punk. Was wahrscheinlich allein daran liegt, dass du dir mit 14, 15 einen Sound rauspickst, den deine Eltern so gar nicht mögen, mit dem sie nichts anzufangen wissen und der sie regelrecht schockiert. (lacht) So kamen wir auf Guns N’- Roses, die wir geliebt haben. Oder Nirvana, die einen riesigen Einfluss auf uns hatten – wie auf die meisten Kids unserer Generation. Was nicht zuletzt daran lag, dass sie wie ganz normale Menschen aussahen. Sie waren nicht künstlich, nicht overstylt, sondern im Grunde genau wie wir: Jungs, die in einer Garagen-Band spielten und sich keine großen Gedanken über ihr Image machten.

(Bild: Warner)

Obwohl das vielleicht ihr Image war: nämlich keins zu haben …

James Johnston: Das kann natürlich sein. Und das ist ein guter Punkt, über den noch nicht viele Leute nachgedacht haben. Aber egal, sie haben zumindest keine Versace-Anzüge oder etwas in der Art getragen. Und für uns waren sie so wichtig, dass wir nie groß darüber nachgedacht haben. Eine interessante Theorie…

Gab es einen bestimmten Moment, der dich zum Bassisten gemacht hat – eine Art Initialzündung?

James Johnston: Das war, als sich mein Bruder ein Schlagzeug zugelegt hat – und ich fast vor Neid geplatzt bin. Also wollte ich einen Bass, um mit ihm jammen zu können. Und dazu ist es dann auch gekommen – wobei wir ewig geprobt haben und meinen Eltern wahrscheinlich tierisch auf die Nerven gegangen sind. Mein Vater hat übrigens selbst Gitarre gespielt, von daher waren immer Gitarren im Haus, und irgendwann wuchsen dann die Idee und der Wunsch, nie einen richtigen Job ergreifen zu müssen, sondern von der Musik leben zu können. Nur: Es war wirklich nur ein Wunsch. Wir hätten nie gedacht, dass es mal so weit kommen könnte. Unser größtes Glücksgefühl war, zusammen in die Garage zu gehen und ordentlich Krach zu machen. Das war alles, woran wir interessiert waren. Es ging nicht darum, in Wembley oder sonst einem berühmten Ort aufzutreten.

Genau das ist 20 Jahre später passiert.

James Johnston: Ja, wobei wir aber noch genauso denken und fühlen wie damals. Wir haben noch dieselbe Naivität und sind immer noch drei Typen, die einfach zusammen Musik machen. Zudem kümmern wir uns umeinander und wollen auch weiter die Welt erobern. Von daher hat sich gar nicht so viel verändert…

Was ist mit Effekten? Was kommt auf dem neuen Album zum Einsatz?

James Johnston: Einfach ein bisschen Verzerrung. Bei einem Part verwende ich ein Auto-Wah, weil wir da so viel Krach wie eben möglich haben wollten. (lacht) Aber eben statischer Krach – damit keiner weiß, was da genau passiert. Nur: Es ist längst nicht so viel, wie in der Vergangenheit.

Gerade zum letzten Album, zu ,Opposites‘, hattet ihr eine beachtliche Gear-Liste …

James Johnston: Es war geradezu verrückt – wir haben da wirklich am Rad gedreht. Wir waren kurz davor, auszurasten, weil schlichtweg alles möglich war. Alles, von dem wir je geträumt hatten. Aber diesmal ist der Bass auf den meisten Songs extrem sauber – nämlich von einem sauberen DI-Signal. Vielleicht ist hier und da noch ein bisschen EQ im Spiel, aber das war es dann auch. Rich hat allerdings keine Angst davor, die Plug-ins auf seinem Computer zu verwenden und den Sound nachträglich zu manipulieren.

Stimmt es, dass du ein abgeschlossenes Studium als Ton-Ingenieur besitzt?

James Johnston: Oh ja, das habe ich damals in den 90ern beendet.

Könntest du dir vorstellen, irgendwann auf die reine Studioarbeit umzuschwenken, und vor allem hinter den Reglern zu sitzen?

James Johnston: Wer weiß? Ich meine, das ist schon etwas, für das ich mich interessiere. Aber momentan bin ich noch so engagiert was die Band betrifft, dass es schwer ist, an etwas anderes zu denken. Wobei allerdings klar sein dürfte, dass wir nicht ewig so viel touren werden wie im Moment. Also, dass wir nicht jedes Mal zwei Jahre unterwegs sind. Das kann man nicht durchhalten. Und von daher werden da bestimmt mal Zeiten kommen, wo ich Zeit dafür habe. Etwa, wenn wir eine längere Pause einlegen oder nicht mehr so lange am Stück unterwegs sind. Das könnte dann der passende Zeitpunkt für andere Projekte sein. Und nachdem wir mit großartigen Leuten wie Gart, Rich und Andy Wallace gearbeitet haben, haben wir uns auch etwas davon abgeschaut. Ich meine, es ist ein schwieriger Job, absolut tough. Insofern muss man das wirklich wollen. Und so weit bin ich noch nicht.

Aber an Begeisterung und Leidenschaft scheint es dir nicht zu mangeln …

James Johnston: Nein, ganz bestimmt nicht.

Vielen Dank für das Gespräch!

James Johnston: Es war mir ein Vergnügen!


Aus Gitarre & Bass 12/2016

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