Bebop Sketches & Turnaround: Axel Fischbacher im Interview
von Redaktion,
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(Bild: Claudia Fischbacher)
Im Februar 2020 stand die Veröffentlichung und Konzertpremiere des Axel Fischbacher Quintetts ‚Five Birds And Strings‘ kurz bevor, einem Projekt mit Axels Kompositionen für seine Band und die Kammerphilharmonie Wuppertal. Um sich abzulenken und etwas Dampf aus dem Kessel zu nehmen, vergrub sich Axels Trio damals zwei Tage im Studio und spielte einige Jazz-Standards ein, frei von der Leber weg, ohne Arrangements oder Absprachen.
Das Ergebnis war so gut, dass Axel die ‚Bebop Sketches‘ vor kurzem als Limited-Edition-Vinyl herausbrachte. Wir sprachen mit ihm über das Album.
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INTERVIEW
Axel, du hast in deinem musikalischen Leben ja schon viele Stile gespielt, hast Fusion-Platten gemacht und kommst trotzdem immer wieder auf den Bebop zurück. Was fasziniert dich so an dieser Spielart des Jazz?
Mir geht es um diesen Walking-Bass-Swing-Groove in der offenen Form, der mir wichtiger ist als der traditionelle Bebop selbst. Aber die Tonalität, also wie Charlie Parker und Dizzy Gillespie spielten, mochte ich schon von Anfang an. Diese Musik ist ja erst einmal nicht per se gitarristisch. Ich höre sie unheimlich gerne, aber ich mag sie nicht so lehrbuchmäßig und sehe mich nicht als Museumspfleger. Ich spiele gerne mit der Bebop-Tonalität, die ich ja auch schon in die Fusion-Musik übertragen konnte. Ich finde es reizvoller, über Bebop-Changes zu improvisieren als über modalen Funk.
Du hast ja mit deinem Quintett schon verschiedene projekte in dieser Richtung gemacht, so z.B. ‚Five Birds‘ oder ‚Five Birds and Strings‘, wo ihr Musik von Charlie Parker interpretiert. ‚Bebop Sketches‘ wirkt ja fast schon wie ein programmatisch konzentriertes Resümee deines bisherigen musikalischen Lebens.
Ja, genau das ist es. Die Standards dieses Albums spiele ich schon seit 40 Jahren, ‚Autumn Leaves‘, ‚Doxy‘ und ‚There Will Never Be Another You‘. Dadurch bin ich den Stücken sehr nahe und kenne sie einfach gut. Du kannst mich nachts wecken, und ich spiele die ohne nachzudenken. Deswegen kann ich mich natürlich sehr frei in ihnen bewegen. Ich drücke mich improvisatorisch gerne auf einem Terrain aus, das harmonisch etwas anbietet. Und wir spielen ja aufgeklärten Bebop, der offen ist, in den auch mein modaler Ansatz und vor allem meine Blues-Roots mit einfließen.
Klar, Bebop ist ja um 1940 durch Leute wie Thelonius Monk, Charlie Christian und Dizzy Gillespie entstanden, und heutzutage kann man schlecht ignorieren, was seither in acht Dekaden musikalisch passiert ist.
Ja, ‚Bebop Sketches‘ ist eine Momentaufnahme, und diese gelingt ja nicht immer. Wir haben in den zwei Tagen der Aufnahme einen „Magic Moment“ erwischt, in dem es besonders gut gefunkt hat. Deshalb habe ich die Platte auch veröffentlicht. Es bildet sich da gut ab, dass ich gerne ins musikalische Risiko gehe, an Grenzen, wo ich nicht genau weiß, was passiert. Sozusagen die Grenzen des Kontrollverlusts. Und wenn mir das dann gelingt, in diesem Grenzbereich, von dem ich sagen würde, dass ich das eigentlich gar nicht kann, dann sind das die Momente, die mich am meisten interessieren. Was ich dabei erlebe, ist mir viel lieber, als mich auf der sicheren Seite zu bewegen und etwas zu spielen, von dem ich weiß, dass ich es kann.
Kommen wir zur Produktion selbst. Du spielst ja mit deiner Rhythm-Section, bestehend aus dem Bassisten Nico Brandenburg und dem Drummer Tim Dudek, schon sehr lange zusammen. Da besteht sicher ein Urvertrauen zwischen euch. Dann seid ihr zu Tim Dudek ins Studio gegangen?
Ja, Tim teilt sich mit zwei anderen Kölner Musikern ein Studio, das sehr klein, aber technisch sehr gut ausgestattet ist. Er hat die Sessions auch aufgenommen.
Aber ursprünglich war noch nicht konkret geplant, dass das eine platte werden sollte, oder? Trotzdem hattet ihr schon eine Vorauswahl getroffen und habt acht Stücke aufgenommen, von denen dann sieben auf die Platte kamen.
Ich kann auch sagen, welches es nicht geschafft hat. Das war ‚Peace‘, eine Ballade von Horace Silver, das Ergebnis hat uns nicht gut genug gefallen. Die sieben Stücke auf der Platte gehören zu den ersten 15 Standards, die ich in meinem Leben gelernt habe. Wir hatten ein paar Monate vorher schon eine Aufnahme-Session im Trio gemacht, bei der wir Stücke von mir einspielten, aber wir waren mit dem Ergebnis nicht voll zufrieden. Dann kam die Idee, Songs auszuwählen, bei denen wir ganz unbekümmert drauflos spielen können und nicht an den Noten kleben. Wir waren in der Zeit gerade mächtig unter Druck, weil die Premiere der Band mit dem Streichorchester kurz bevorstand. Ich war mit den Nerven völlig am Ende und dachte, ich muss etwas machen, was meinem Gehirn guttut. Etwas, das meinem musikalischen Wohlbefinden dient, damit ich mich befreit mit Band und Streichorchester auf die Bühne stellen kann.
Für das Gelingen eines riskanten Projekts wie den ‚Bebop Sketches‘ mit komplett improvisierter Musik ist es natürlich extrem wichtig, dass du mit den richtigen Leuten spielst. Du hast ja früher auch sehr prominente Schlagzeuger wie Danny Gottlieb oder Adam Nussbaum für deine Bands gebucht. Aber jetzt hast du deine Traumbesetzung gefunden. Erzähl doch mal etwas über die Chemie des Trios!
Wir sind zweieinhalb Generationen auseinander. Ich bin mit Abstand der Älteste. Die beiden Jungs haben eben einen Ansatz, den nur jüngere Musiker haben. Wenn ich mit gleichaltrigen Musikern spiele, werde ich auf eine bestimmte Schiene zurückgeholt, auf die ich nicht mehr will. Das machen Nico und Tim nicht, was mich sehr frei beim Spielen macht. Die beiden haben ein anderes Repertoire und eine andere musikalische Hörerfahrung. In der Praxis denke ich aber gar nicht groß darüber nach. Vor zehn Jahren, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, habe ich einfach gemerkt, dass alles, was wir machen, super gut klingt. Das hat etwas mit einem gemeinsamen Time-Feel zu tun, und wir haben eine ähnliche Herangehensweise an Musik. Es fühlt sich bereits beim Spielen gut an, und wenn ich mir anschließend die Aufnahmen anhöre, war es auch gut. Und, was bei Jazz-Bands gar nicht so häufig vorkommt: Wir sind auch befreundet! Wenn wir zusammensitzen, beschäftigen wir uns auch mit Themen, die mit Musik gar nichts zu tun haben. Nicht unbedingt philosophisch oder hochpolitisch, und wir reden auch nicht nur über Sex (lacht), aber wir haben Themen, die gar nichts mit Skalen zu tun haben.
Reden wir über dein Besteck. Auf dem Album ist nur deine Ibanez AS-200 zu hören, oder?
Genau, meine AS-200 ist Baujahr 1981. Ich bin extra nach London geflogen, um mir die zu kaufen. Ich habe verschiedene ausprobiert, denn die fallen alle sehr unterschiedlich aus. Das Modell war das zweite, das ich mir gekauft habe, und ist seither meine Lieblingsgitarre. Es war sogar mal die Kopfplatte angebrochen, was aber super repariert worden war, bevor ich sie bekam. Der Unterschied zur ersten, die ich gekauft hatte, eine 1983er, war sehr groß.
Ich habe mir jetzt auch noch zwei AS-100 gekauft, die ich auch sehr gerne spiele. Die sind anders, klingen etwas jazziger und haben nicht den kleinen Toggle-Switch, mit dem man den Tonabnehmer splitten kann. Ich habe 11er-Saiten drauf, und alle meine Gitarren sind geplekt. Das Pleken hat Vor- und Nachteile. Eine frisch geplekte Gitarre ist einfach sensationell gut. Alle Töne sind gleich laut. Aber falls du keine Edelstahlbünde drauf hast, musst du nach vier Wochen schon wieder pleken lassen, wenn du viel spielst, oder eben die Saitenlage höher stellen.
Ich habe bei deiner Gitarre gesehen, dass du eher auf eine flache Saitenlage stehst.
Sehr flach, ja! Sonst funktioniert das nicht mit meiner linken Hand, mit den Hammer-Ons und Pull-Offs, dann wird mir das zu träge. Als ich Unterricht bei John Scofield hatte, zu einer Zeit, als ich noch gar nicht so viel legato spielte, spielte er meine Gitarre und sagte mir, meine Saitenlage sei für ihn zu hoch eingestellt. Er sagte dann zu mir: „Only John Abercrombie uses even lower action. He can only play on butter.“ (lacht laut) Abercrombie habe ich dann später kennengelernt, und es stimmte wirklich. Da waren die Saiten unterm Bundstäbchen. Das war hammerhart. Gar kein Widerstand ist für mich selbst auch nicht gut, aber ich bin schon eher auf der flachen Seite.
Und deine Signalkette war recht rudimentär?
Ja, die Gitarre ging durch ein Volume-Pedal in meinen Tonehunter-JB-Special-Combo. In den habe ich mir noch einen Schalter einbauen lassen, um die Leistung auf 7/15 Watt zu reduzieren. Aber ehrlich gesagt, klingt der Amp dann nicht mehr ganz so gut. Bei den Aufnahmen konnte ich aber so laut spielen, dass das kein Problem war. In manchen Clubs ist es allerdings schon zu viel, die Dinger sind richtig laut. Ich habe mir die Höhen noch absenken lassen, in normaler Ausführung klang es für mich zu sehr nach Eierschneider. Live spiele ich noch ein Mad Professor Little Green Wonder Overdrive, das aber bei diesen Aufnahmen nicht zum Einsatz kam. Ich werde immer mehr zum Puristen und verkaufe gerade alle meine Effektgeräte auf Ebay.
(Bild: Claudia Fischbacher)
Wie habt ihr die Gitarre mikrofoniert?
Als erstes haben wir ein ganz normales Shure SM57 vor den Lautsprecher gestellt. Dazu war ein Bändchen-Mikrofon im Einsatz. Dann haben wir auch noch ein Mikro da positioniert, wo ich sitze und höre. Aber das Signal dieses Mikrofons, das zweieinhalb Meter entfernt vom Amp stand, hat sich beim Mischen als unbrauchbar herausgestellt. Zusätzlich nehme ich immer noch das DI-Signal mit auf. Ich habe es zwar bis jetzt noch nicht verwendet, aber man weiß ja nie!
(Bild: Claudia Fischbacher)
TRANSKRIPTION
Für den Workshop-Teil dieser Story stellen wir Axels komplettes Solo über ‚Turnaround‘ vor, ein Stück, das der Saxofonist Ornette Coleman 1959 auf seinem Album ‚Tomorrow Is The Question‘ veröffentlicht hat. Axel sagt über seine Beziehung zu diesem Blues in C:
„Ich bin geboren mit dem Twelve-Bar-Blues. Du kannst mich nachts wecken und sagen, spiel irgendwas, und ich werde einen Blues spielen. Bei mir fing das an mit den gitarrentypischen Tonarten E und A, aber eine Tonart, deren Grundton keine Leersaite ist, wie hier C, bietet auch ihre spezifischen Vorteile, die nicht so auf der Hand liegen. Meine Basis ist die C-Moll-Pentatonik in der fünften Lage, mit dem kleinen Finger auf Grundton am achten Bund der E-Saite. Und auch wenn da die Moll-Terz drin ist, die über einen Dur-Akkord strenggenommen falsch ist, passt das immer, weil sich unsere Ohren daran gewöhnt haben. Das macht Eric Clapton auch.“
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Axel spielt aber außerdem gerne die C-Dur-Pentatonik über C7 und die C-Moll-Pentatonik über die anderen Akkorde. Die sieben Chorusse bieten aber noch viel mehr: Halbton/Ganzton-Skalen in verschiedenen Umgebungen, bei schnelleren Passagen konsequent in Legato-Technik gespielt. Chord-Melody am Anfang des vierten Chorus, die im Notenbild erschreckend komplex aussieht, aber eigentlich ganz einfach zu spielen ist. Exakt der gleiche Griff erzeugt auf den Saitengruppen A/D/G, D/G/H und G/H/E drei unterschiedliche Akkord-Typen. In der Transkription sind Axels originale Fingerings exakt dokumentiert. In denen sieht man, dass er gitarrenfreundliche Fingersätze bevorzugt, die gut auf dem Griffbrett liegen.