„Du kannst dir kaum vorstellen, wie oft ich […] unzählige Gitarrenspuren aufgenommen habe und wir am Ende feststellen mussten, dass die Demo-Gitarren besser klingen.“

Babylonisches Notengewitter: George Lynch im Interview

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(Bild: Frances Axsmith)

Mitte der 1980er gehörte George Lynch zu den renommiertesten Gitarrenhelden der Rock- und Metal-Szene: Seine exzellenten Darbietungen auf den Dokken-Alben ‚Under Lock And Key‘ von 1985 oder ‚Back For The Attack‘ (1987) katapultierten den Amerikaner damals auf eine Stufe mit Eddie Van Halen, Yngwie Malmsteen oder Randy Rhoads und machten ihn zugleich zu einem der wichtigsten Metal-Gitarristen für ein ESP-Endorsement. Ende der Achtziger verabschiedete sich der heute 69-Jährige im Streit von Dokken und formierte seine eigene Band Lynch Mob. Deren 1990er Debüt ‚Wicked Sensation‘ gilt für viele Kritiker als Blaupause eines perfekten, Blues-inspirierten US-Melodic-Metal.

Mittlerweile ist George Lynch stilistisch deutlich breiter aufgestellt, hat an zahlreichen Projekten mitgewirkt und sein Repertoire an kreativen Ausdrucksformen erweitert. Dennoch existieren Lynch Mob noch immer. Vor wenigen Wochen ist das elfte Album ‚Babylon‘ erschienen, eine weitere bravouröse Hardrock-Scheibe mit virtuoser Gitarrenarbeit und exzellentem Songwriting. Wir haben das neue Werk zum Anlass genommen, den Meister zur Aktualität zu befragen.

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INTERVIEW

George, hattest du nach unzähligen Alben mit Lynch Mob und Dokken, diversen Soloscheiben und zahlreichen Projektbeteiligungen wie The End Machine, KXM oder Dirty Shirley einen konkreten Plan, wie ‚Babylon‘ klingen soll?

Natürlich geht es bei Lynch Mob immer darum, unser erfolgreichstes Album ‚Wicked Sensation‘ weder zu kopieren noch nachzuahmen. Es gibt bei uns eine neue Besetzung, deshalb wollten wir mit unserem jetzigen Sänger Gabriel etwas Neues ausprobieren, einen neuen Stil etablieren, zumal die Band derzeit sowieso anders als gewohnt klingt. Gabriels Stimme war der Ausgangspunkt für alles, was wir komponiert haben, von seinem Gesang ausgehend haben wir geschaut, was sich aus unseren Ideen machen lässt. Natürlich klingen die neuen Songs immer noch nach Lynch Mob, darüber hinaus gibt es aber auch einige Neuerungen, die eher untypisch für uns sind. Insofern ist ‚Babylon‘ in gewisser Weise ein Neustart.

Welche Neuerungen sind das konkret? Findet man die auch in deinem Gitarrenspiel und deinem aktuellen Sound?

Natürlich ändert sich mein Stil permanent, ich bin ja kein Roboter. (lacht) Jeder Künstler hat zwar seine ganz eigene Ausdrucksweise, entwickelt sich aber permanent weiter. So etwas lässt sich nicht vermeiden. Mitunter höre ich von Fans den Wunsch: „George, es wäre toll, wenn du noch einmal so wie vor 30, 40 Jahren spielen würdest!“ Aber das ist unmöglich, selbst wenn ich es versuchen würde. Damals habe ich das gemacht, was auf natürliche Weise aus mir herauswollte, und nichts anderes mache ich heute, nur dass es halt unterschiedlich klingt, da es zu einer anderen Zeit passiert.

Röhren-Endstufe für live: Fryette Power Station PS-2A (Bild: George Lynch)

Kannst du bitte erklären, wie du heutzutage an neuem Material arbeitest? Besitzt du ein Demo-Studio? Nimmst du deine ersten Ideen immer inklusive Drums-Grooves auf?

Nun, ich hole einfach irgendeine Schallplatte aus dem Regal, wähle einen x-beliebigen Song und kopiere ihn … (macht eine lange Pause) … nein, das war natürlich ein Scherz. Ich glaube, dass sich meine Arbeitsweise nicht sonderlich von der meiner Kollegen unterscheidet: Ich sammle einfach Riffs und Hooks. Ich bin Gitarrist, wenn ich mich also mit meinem Instrument beschäftige und vor mich hin klimpere, entstehen automatisch neue Ideen. Manche davon haben Potential, andere nicht. Wenn ich ein neues Projekt in Angriff nehme, durchforste ich meine Sammlung und wähle die meiner Meinung nach passenden Ideen aus. Gleichzeitig lasse ich mich aber auch von brandneuen Riffs und Licks lenken.

Wenn mir etwas gefällt, programmiere ich mit Pro Tools einen Drum-Beat und feile an dieser Idee. Mein komplettes Gitarren-Rig steht bei mir zuhause, es ist also alles vorhanden, was ich für die ersten Schritte benötige. Die ersten Songs für ein Album zu schreiben ist zumeist recht einfach, da man noch keinerlei Vorgaben hat und somit alles verwenden kann, was gut klingt. Schwieriger wird es dann mit den Songs Nummer sechs, sieben oder acht, weil sich ja bereits eine grobe Richtung abzeichnet und man das vorhandene Material gezielt ergänzen muss, ohne dass man sich wiederholt oder das Gesamtergebnis wie die Kopie eines anderen Albums klingt. Ab dann geht es darum, welche Tonart wir vielleicht noch nicht haben, welches Tempo noch fehlt, welcher Stil eine passende Ergänzung wäre.

Spielst du auf den Demos auch den Bass? In welchem Zustand sind die Songs, wenn du sie deinem Sänger schickst?

Ja, ich spiele auch einen Bass dazu, aber – ebenso wie bei den Drums – sind dies nur Pilotspuren, die dann von unserem Bassisten Jaron (Gulino) und unserem Schlagzeuger Jimmy (Danda) ausgetauscht werden. Die Gitarren auf den Demos sind dagegen schon final. Möglicherweise fehlt noch das eine oder andere Solo, aber die Rhythmusgitarren sind komplett fertig. Deshalb sind die Stücke auch schon nahezu vollständig arrangiert, lediglich ein paar Nuancen werden anschließend nochmal diskutiert und gegebenenfalls verändert. Als erstes werden die echten Drums aufgenommen, anschließend arbeiten Jaron und Gabriel parallel am Material. Bass und Gesang orientieren sich also bereits an den finalen Gitarren und am finalen Schlagzeug.

Üppig bestücktes Studio-Rack (Bild: George Lynch)

Einige der Soli stammen also auch immer noch aus der Demo-Phase!

Ja, denn es ist der gleiche Prozess, das gleiche Studio, die gleichen Instrumente. Für mich ist es ein- und derselbe Arbeitsschritt, wenn ich die Rhythmus- und die Sologitarren einspiele. Wenn ich die Zeit habe und die entsprechende Muße finde, nehme ich alles auf, was für den Song benötigt wird. Du kannst dir kaum vorstellen, wie oft ich in meiner Karriere in teuren Tonstudios unzählige Gitarrenspuren aufgenommen habe und wir am Ende feststellen mussten, dass die Demo-Gitarren besser klingen, besser gespielt sind und einfach eine größere Magie besitzen, so dass wir die „offiziellen“ Spuren nicht mehr verwendet haben. Die Studioversionen waren vielleicht technisch besser gespielt, aber oft fehlte ihnen die Lebendigkeit, die man nur dann bekommt, wenn man etwas spontan aufnimmt.

Man braucht immer eine gewisse Begeisterung für das, was man da gerade spielt. Und die fehlt oftmals, wenn man anschließend versucht, ein Riff oder ein Solo perfekt auszuarbeiten und zu optimieren. Ich mag es, wenn man bei einem Gitarrenpart spürt, dass er frisch ist und spontan aufgenommen wurde.

Mit welchen Gitarren hast du ‚Babylon‘ eingespielt?

Die beiden Hauptrhythmusgitarren, die man auf dem Album hört, sind meine ESP Kamikaze auf der einen Seite und meine 1960er Gibson Les Paul auf der anderen. Als dritte Gitarre, entweder zusätzlich oder anstatt einer der beiden anderen, habe ich meine Telecaster gespielt, die einen ziemlich peitschenden Klang hat, vor allem in Verbindung mit einem High-Gain-Amp. Mit dieser Gitarre bekommt die Rhythmusgruppe mehr Charakter, wie ich finde. Die Soli stammen nahezu ausnahmslos von der Kamikaze und der Les Paul. Ich hatte eine ganze Reihe weiterer Gitarren im Studio, so dass ich wahlweise immer mal die eine oder andere hinzufügen konnte, wie etwa mein LTD-Viper-Bariton, die auf nahezu jedem Album, das ich in letzter Zeit aufgenommen habe, irgendwo zu hören ist, vor allem in den härteren Tracks, in denen der Sound etwas böser klingen soll. Es gibt auch eine Gitarre mit einem Sustainiac-Pickup, die ich für einen E-Bow-Part verwendet habe.

Über tiefe Tunings, Modeling-Amps und Plug-ins auf Seite 2

George Lynch auf der Bühne mit Lynch Mob (Bild: Frank Lopez Photography)

Habe ich es richtig vernommen: Die Gitarren auf ‚Babylon‘ sind einen Halbton tiefer gestimmt?

Ja, das ist richtig. Es gibt aber auch diesbezüglich ein paar Ausnahmen, beispielsweise Drop-D-Tunings und auch zwei Nummern mit Open-E- beziehungsweise Open-G-Tuning. Bei den Overdubs habe ich die Gitarre der jeweiligen Grundlage entsprechend nach Gefühl gestimmt, ich könnte dir allerdings nicht einmal sagen, um welches Tuning es sich konkret handelt.

Gibt es neben traditionellen Röhren-Verstärkern auch Plug-ins oder Modelling-Amps auf ‚Babylon‘?

Es gibt drei Hauptverstärker: Der eine ist mein 1968er Marshall JMP Plexi, der modifiziert ist, über eine 4x12er Marshall-Box läuft und mit einem Royer R-121 und einem Shure SM57 mikrofoniert wurde. Der zweite Amp ist ein von Reinhold Bogner modifizierter Vintage Marshall JCM 2000, der jede Menge High Gain abwirft. Und der dritte Amp ist mein alter Soldano SLO 100, den ich bereits auf ‚Wicked Sensation‘ gespielt habe.

Neben einem Soldano SLO 100 hat Lynch auf dem neuen Album Marshall JMP und JCM 2000 eingesetzt (Bild: George Lynch)

Und wie ist deine Meinung zu Plug-ins und Modelling-Amps?

Ehrlich gesagt habe ich mich noch nicht so intensiv damit beschäftigt, um beurteilen zu können, wie gut sie sind. Meine Erfahrungen begrenzen sich daher auf einige wenige Gelegenheiten für ganz spezielle Einsätze, beispielsweise für ultra-cleane Effekt-Sounds im Stile von David Gilmour. Um einen solchen Sound mit analogem Equipment herzustellen, müsste man sehr viel mehr Zeit und Geduld investieren.

Heißt aber, dass du auf der Bühne ausschließlich Röhren-Amps vertraust.

So ist es! Mein Live-Amp ist der 68er Plexi, die Effektpedale sind fast ausschließlich Vintage-Gear, ein Cry Baby Wah, ein alter Octavider, der noch aus den 1970ern stammt, ein Klon-Overdrive, ein Tube Screamer, ein MXR Phase 90. Das einzige zeitgemäße Effektgerät ist ein digitales Boss-Delay.

Lynchs Pedalboard: Boss FS-5L Foot Switch, MXR Phase 90, Keeley Framptone Amp Switcher, Radial Bones Vienna Chorus, Ibanez TS-808 Tube Screamer & Klon Centaur (Bild: George Lynch)

Und auch traditionelle Boxen?

Ja, die werden allerdings zumeist angemietet. Meistens sind es 4x12er Marshall-Cabinets. Nur wenn wir in der Nähe unserer kalifornischen Heimat spielen, nehme ich meine eigenen EVH-Boxen mit, was ich immer sehr genieße.

Ich hörte, dass du auf der 2024er NAMM-Show deine neueste ESP-Signature-Gitarre vorstellen wirst. Sie heißt Desert Eagle, richtig?

Ja, das stimmt. Ich habe den Prototypen bereits seit einem Jahr mit auf Tour, so dass wir noch an kleinen Feinheiten schleifen konnten. Die Tonabnehmer wurden noch einmal getauscht, auch Teile der Brücke wurden verbessert, so dass die Bridge jetzt noch besser schwebt. Vorher war sie in ihrer Bewegung etwas zu stark eingeschränkt, aber dieses Problem ist mittlerweile behoben. Außerdem haben wir noch einige kosmetische Verbesserungen vorgenommen. Das Holz und auch die Korpusform sind an meine Kamikaze angelehnt. Wir haben so lange an der Desert Eagle geschraubt, bis wir vom Resultat 100%ig überzeugt waren. Es hat sich wirklich gelohnt, die Gitarre ein Jahr lang unter den härtesten Bedingungen zu testen.

Und was gibt es als nächstes Musikprojekt von dir zu hören?

Im Herbst ist mein Instrumentalalbum ‚Guitars At The End Of The World‘ erschienen, danach kam die neue Lynch-Mob-Scheibe auf den Markt, außerdem wird demnächst das dritte Album von The End Machine veröffentlicht, auf das ich sehr stolz bin. Übrigens auch mit einem neuen Sänger.


(erschienen in Gitarre & Bass 01/2024)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. George Lynch hatte ja schon immer sehr bizarre E.-Gitarren (die allerdings nicht jedem gefielen) in seinem Repertoire. Ich erinnere mich noch gut an seine Tigerstripes und Skull-Snake-Swords Designs,die sehr bizarr aussahen.

    Daß er nun mal wieder nach relativ langer Zeit ein neues Album herausbringt,ist ja schon ganz nett. Ich finde es aber immer irgendwie recht belustigend,wie ernsthaft die Gitarren,die Verstärker und Batterien an Pedalen vorgestellt werden,die ohnehin jeder bekannte Gitarrist individuell für seine Belange zusammenstellt. Welche Ernsthaftigkeit,bzw. enorme Wichtigkeit hierbei immer vorherrscht,kommt stets recht peinlich herüber.

    Mir ist doch wirklich völlig egal,was der Gitarrist XY derzeit oder auch zukünftig an Heeresschaaren von speziellen Amps,Pedaltretern oder sonst dergleichen mehr bei seinen Live-Events auffährt. Die Finger machen den Großteil der Sounds aus,die Bodenpedale und Amps sind insofern nicht vorrangig Hauptbestandteil der besonderen Klangeigenschaften.

    Bestes Beispiel war damals der irische Ausnahmegitarrist Rory Gallagher (R.I.P.) der mit seiner uralten abgerockten 61er-Fender Stratocaster,die er fast ausnahmslos bis zu seinem tragischen Tod immer live on Stage spielte.
    Seine sehr spezielle Spielweise ist bis heute unerreicht. Er benutzte damalig nur sehr wenige Effektpedale,weil er es absolut nicht nötig hatte mit einer Armarda an Effekten aufzutreten,die seinen wuchtigen Sound eh nur verwässert hätten.

    Wem also nützt dieser ständige Gebrauch an „Spezial Effekten“ überhaupt?
    Die unterschiedlichsten Hersteller bringen in regelmäßigen Abständen ihre „neuesten“ Geräte mit immer ausgefalleneren Namensbezeichnungen auf den Markt,und preisen ihr aktuelles XY-Effektpedal lobhudelnd erneut an,das es lustigerweise bereits seit Jahren in ähnlicher Art lediglich mit einem anderen Phantasievollen Modellnamen gibt. Dieser ganze Zirkus um das nun angeblich zur Zeit „beste“ Effektpedal,scheint einen einzigen Sinn zu haben,nämlich der werbestrategisch clever inszenierte Verkauf diverser Produkte,die so manchen Gitarristen aufgrund der fummeligen Einstellung schon zur Weißglut brachten.

    George Lynch ist nun nicht unbedingt der absolute Überflieger,-da existieren heutzutage ganz andere,teils noch relativ unbekannte Gitarren-Virtuosen,die mit überraschend wenigen Effektgeräten ihren sehr speziellen Sound kreieren.

    Aber,es ist schön,daß George Lynch seine Gitarre ein Jahr lang unter „härtesten“ Bedingungen testen konnte,um zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu gelangen. Experimentieren scheint manchmal recht nützlich zu sein.

    Mich würde es sehr interessieren,wie die G&B-Leser/-innen zu diesem Überangebot an Tretminen und Amps stehen,und ob die stete Verwendung von Effektpedalen schlussendlich dauerhaft wirklich besondere Vorteile bietet.

    In diesem Sinne…

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    1. Effektgeräte wurden schon immer verwendet und liefern Inspiration für neue Sounds und damit für neue Ideen. Auch Hendrix hat ein Fuzz Pedal benutzt, aber damals gab es auch keine große Auswahl. Auch alte Gitarristen-Ikonen wie Peter Frampton oder Knopfler nutzen gerne diverse Effektgeräte, um mehr Soundvielfalt zu bekommen. Oder nehmen wir David Gilmore! Mit Overdrive, Compressor, Reverb, Delay, Wah oder Chorus sind viele legendäre Songs entstanden . Wer nur mit einer Gitarre und einem Amp spielt, begrenzt halt auch sein Spektrum.
      Ich lasse mich gerne von neuen Pedalen inspirieren (oder langweilen). Auch die Feinarbeit an Gitarren kann ich bestens nachvollziehen. Da gibt es auch an Gitarren, die einem ein Top-Spielgefühl geben, noch Potential für Verbesserungen, so habe ich gerade eine Suhr Vintage HSS Limited als Livegitarre für Coversachen entdeckt, aber rüste sie noch mit Vintage-Locking-Tunern und einem Noiseless- Pickup am Hals nach.
      Ich spiele sowohl Modeler als auch gerne mal puristisch mit Klampfe direkt in einen alten Princeton oder Marshall.
      Bleibt neugierig und vielsaitig;-)))

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