Klassische Jazz-Alben, vor allem Vinyl-LPs, auf deren Cover legendäre Herren mit dicken Gitarren posieren – auch umgekehrte Fälle sind bekannt – haben schon immer vor allem die Gitarristen unter den Fans zum Träumen angeregt. Jetzt ist ein Jazz-Album erschienen, dessen Musik und Artwork das Thema Archtop-Gitarre in den Mittelpunkt stellt: Es geht um Ratko Zjača (oder Zjaca) und ,Archtop Avenue‘.
DER GITARRIST
Über sein Album ,The Way We Talk‘ war im März 2011 in diesem Magazin zu lesen: „Ratko Zjaca spielt elektrische und akustische Gitarren, und er ist für mich eine wirklich überraschende Entdeckung: Der kroatische Musiker, Komponist und Lehrer hat als Instrumentalist nämlich genau das, was Wiedererkennungswert, Spannung und Originalität ausmacht. Gemeinsam mit dem Italiener Simone Zanchini am Akkordeon, Martin Gjakonovski (b) und dem großartigen Adam Nussbaum (dr) ist ein wirklich originelles, swingendes und eigenwilliges Jazz-Album entstanden. Ratko Zjacas Gitarrenlinien sind dabei die Krönung, sie perlen mit akustischem Anteil im Archtop-Ton seiner L-5 wunderbar spannend durch die elf Kompositionen der beiden Bandleader. Ein wirklich beachtlicher Jazz-Gitarrist!“
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Schon auf Ratko Zjacas Album ,Continental Talk‘ (2009) hatte ich großartige, teils boppende Soli, sensationell groovende Compings und eigenwillige musikalische Ideen entdeckt. Seit über zwei Dekaden veröffentlicht der in Kroatien geborene und in den Niederlanden lebende Künstler Alben, deren musikalische Substanz und hochkarätige Besetzungen immer wieder begeistern. Begonnen hat seine Karriere mit ,A Day In Manhattan‘ (2000), wo er mit Reggie Workman (b) und Al Foster (dr) zu hören ist. Es folgten zahlreiche Produktionen mit den Bassisten Miroslav Vitous und John Patitucci, mit den Schlagzeugern Steve Gadd und Adam Nussbaum und mit Trompeter Randy Brecker.
EIN GITARREN-ALBUM
Jetzt kann man Ratko Zjaca pur erleben, solo, unbegleitet: ,Archtop Avenue‘, sein 17. Album, ist schon vor dem ersten Hören der Musik ein gitarristisches Feuerwerk, ein Fest für Jazz-Gitarren-Fans. Denn im 20-seitigen CD-Booklet wie auch im Foldout-Cover der LP, sind alle von Zjaca eingesetzten Instrumente abgebildet und beschrieben.
„Archtop Avenue ist Teil meiner langjährigen Forschung zu Archtop-Gitarren und den berühmtesten Gitarrenbauern der Welt gewidmet: John D‘Angelico, Jimmy D‘Aquisto, Chris Mirabella, Bryant Trenier, Linda Manzer, Bob Benedetto und Jim Triggs gewidmet. Ich habe zwölf verschiedene Gitarren dieser berühmtesten Archtop-Gitarrenbauer ausgewählt und wollte deren Instrumente gemeinsam auf einem Album präsentieren. Dafür wählte ich für jede Gitarre eine andere Komposition, konzipierte die Grund-Arrangements und spielte und improvisierte spontan im Studio.“
Neben drei Originalkompositionen von Ratko Zjaca sind Klassiker wie ,Body And Soul‘, ,Prelude To A Kiss‘, ,Alone Together‘ und ,Polka Dots And Moonbeams‘ zu hören. Aber auch John Coltranes ,Lonnie‘s Lament‘, das Zjaca sehr herausfordernd angeht und eigenwillig umsetzt. Da merkt man schnell, dass dieser Gitarrist lieber mal ins Risiko spielt, als auf Nummer Sicher zu gehen. Ihm scheinen Ausdruck und Intensität wichtiger zu sein, als mit polierten Lines und Voicings einfach nur glänzen zu wollen. In ,Monk‘s Dream‘, einer Komposition des legendären Jazz-Pianisten Thelonious Monk, arbeitet er improvisierend genau dessen charakteristischen, faszinierend kantigen Ansatz heraus, was auf der Gitarre nicht gerade einfach ist.
„Dieses Solo-Gitarren-Album habe ich schon lange im Kopf, weil ich von Anfang an viel an meinem Solospiel gearbeitet habe“, erzählt Ratko. „Unbegleitete Solo-Gitarre zu spielen ist die anspruchsvollste Ausdrucksform auf diesem Instrument, da man musikalisch völlig nackt ist und es niemanden gibt, hinter dem man sich verstecken kann oder der einem hilft. Auf der anderen Seite gibt diese Spielsituation enorme Freiheit für individuelle Ausdrucksmöglichkeiten. Man braucht aber große Disziplin und viel Konzentration für so ein Projekt. Deshalb gibt es nicht so viele Solo-Alben von Jazz-Gitarristen, vermute ich mal“, meint er grinsend. „Ich habe ,Archtop Avenue‘ auch meinen Lehrern gewidmet, die meinen musikalischen Horizont erweitert haben: Joe Pass, Jim Hall, Joe Diorio, Mick Goodrick und Vic Juris.“
Vorbilder und mehr zum neuen Album auf Seite 2 …
IDOLE & LEHRER
„Meine erste Jazz-Platte, die ich als Teenager hörte, war das Solo-Album ,Virtuoso‘ (1973) von Joe Pass. Ich konnte es nicht glauben, dass ein Mann allein so Jazz-Gitarre spielen konnte, und das auf einem unglaublichen Niveau. Am Anfang war ich von Joe besessen und verbrachte die Zeit damit, tagelang zu üben, um sein Spiel zu studieren, und als ich hörte, dass er am Rotterdamer Konservatorium unterrichtete, beschloss ich, für die Aufnahmeprüfung von Zagreb in Kroatien nach Rotterdam zu fahren. Dort hatte ich während der nächsten fünf Jahre die Gelegenheit, bei Joe zu studieren, der alle paar Monate ans Konservatorium kam und dort Unterricht gab.“
Der im ehemaligen Jugoslawien aufgewachsene Musiker schrieb sich nach seinem Abschluss am Rotterdamer Konservatorium, wo er neben Jazz-Gitarre und Komposition auch klassische indische Musik studiert hatte, an der University School of Music in New York ein. In dieser Zeit besuchte Ratko weitere Workshops und Meisterkurse von Jim Hall, Pat Metheny, Mike Stern, John Abercrombie und Mick Goodrick. Solide Ausbildung! Seine Erfahrungen hat er in einem eigenen Lehrbuch verarbeitet: ‚30 Jazz Standards Arranged for Chord Melody Guitar‘ kann man momentan nur direkt beim Künstler über www.ratkozjaca.com bekommen.
„Ich habe von Joe Pass und all diesen Musikern viel über Chord-Melody-Playing, über Kontrapunkt, Jazz-Repertoire und viele andere Dinge gelernt. Aber mir wurde bald klar, dass ich an meinem eigenen Stil arbeiten musste.“
ARCHTOP AVENUE
Dieses Album ist besonders. Als erstes fällt der warme Instrumental-Sound auf, trocken, ohne Hall aufgenommen.
Der Recording-Prozess dieses Albums ist so unpuristisch wie der Künstler selbst: „Ich habe über einen Avalon-Preamp mit sanfter Vorkomprimierung gespielt, das Signal ging zum Universal-Audio-Interface Apollo 8 UAD-2 Quad und dann direkt in den Rechner zu Steinbergs Cubase 12. Diese Art der Aufnahme führte zu einem klaren und transparenten Klang, aber eine natürliche Stereo-Abbildung wurde so noch nicht erreicht. Daher habe ich anschließend die Aufnahme genommen und per Mono-Ausgang durch meinen 1965er Fender-Pro-Reverb-Combo geführt – klassisches Re-Amping also. Danach nahm ich zwei kleine Neumann-Mikrofone KM184 mit Nierencharakteristik und experimentierte mit mehreren Stereo-Mikrofon-Kombinationen und -Anordnungen. Letztendlich wählte ich ein nahezu identisches Stereo-Paar, das ich im 90-Grad-Winkel und einem Membran-Abstand von 25 Zentimetern einsetzte. So bekam ich ein breiteres Stereobild.“
Und so klingt das Ganze dann auch im Wohnzimmer sehr vertraut, denn die Aufnahme hört sich an, als würde der Künstler mit Gitarre und kleinem Verstärker mit im Raum sitzen und als ersten Track mal ,Body And Soul‘ interpretieren. Dabei zeigt sich schnell Zjacas sehr eigener Ansatz, Akkorde und Melodien zu kombinieren, Basslines einzuarbeiten, sparsame Voicings, Arpeggio-Ansätze und lineare Passagen zu integrieren und so anscheinend alle Möglichkeiten die sich zwischen maximal sechsstimmigen Harmonien und Single-Note-Linien ergeben auszuschöpfen.
Jim Hall hätte dieser freie Ansatz gefallen, und auch den etwas rougher agierenden Attila Zoller, dessen Solo-Alben ,Conjunction‘ und ,Lasting Love‘ Ratko kennt, höre ich hier manchmal raus. Ratko Zjaca ist mehr als nur ein Jazz-Gitarrist. Er ist ein begeisterter Musiker und ein Mensch aus dem Leben. Entdecken!
” ‚30 Jazz Standards Arranged for Chord Melody Guitar‘ kann man momentan nur direkt beim Künstler über http://www.ratkozjaca.com bekommen.”
Wie denn? Der Mann scheint nur in eine Richtung zu existieren…