Andy Sneap von Judas Priest im Interview: Mehr Produzent als Gitarrist?
von Matthias Mineur,
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(Bild: Matthias Mineur)
Nach unserem großen Interview mit Judas-Priest-Gitarrist Richie Faulkner in Ausgabe 10/22 wollen wir nun auch den zweiten Gunslinger der Gruppe, den Engländer Andy Sneap vorstellen. Sneap hat sich in den zurückliegenden zehn Jahren vor allem als herausragender Produzent und Studioengineer einen glänzenden Ruf erworben. Von ihm stammt unter anderem auch der brillante Sound des aktuellen Priest-Albums ‚Firepower‘ (2018). Wie er in die Band seiner Idole gekommen ist und wie er vor kurzem fast wieder geschasst worden wäre, erzählt er in einem offenen und ehrlichen Gespräch. Zuvor wollen wir aber vor allem etwas über den genialen Soundtüftler Sneap erfahren.
INTERVIEW
Andy, zunächst gefragt: Wie bist du zur Musik gekommen und wer waren die Helden deiner Jugend?
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Mein älterer Bruder Samuel war ein riesengroßer Fan von Status Quo. Er schenkte mir zu meinem elften Geburtstag eine Single der Band, mit den Songs ‚Lies‘ und ‚Don’t Drive My Car‘. Dadurch wurde mein Interesse an Musik geweckt und ich entdeckte AC/DC und Iron Maiden; Bands, die auch meine Schulfreunde hörten. Exakt am 10. März 1982, ich weiß das Datum ganz genau, sah ich in Derby zum ersten Mal Iron Maiden, auf ihrer ‚Number Of The Beast‘-Tour. Es haute mich förmlich um.
Mit zwölf bekam ich zu Weihnachten eine Starway-Gitarre aus den 1960ern. Die Gitarre hatte einen Stratocaster-ähnlichen Korpus und kostetet damals ungefähr 50 englische Pfund. Heutzutage findet man sie nur noch auf Ebay, oft zu einem deutlich höheren Kurs, wie man sich leicht vorstellen kann. Dann lernte ich Dave Halliday kennen, den Sänger der Band Hell. Dave brachte mir Songs von Judas Priest, AC/DC, Twisted Sister und so weiter bei. 1985 gründete ich meine erste Band Sabbat, wir unterschrieben einen Plattenvertrag und bereits mit 18 arbeitete ich an meinem ersten Album. Es ging damals wirklich Schlag auf Schlag. Ich ging voll darin auf und entwickelte mich Stück für Stück weiter. Seither liebe ich Rock und Metal, daran hat sich bis heute nichts geändert.
Gab es für deine beruflichen Perspektiven einen Plan B, eine Alternative, falls du vom Musikmachen nicht hättest leben können?
Nein, eigentlich nicht. Als sich Sabbat Anfang der Neunziger auflöste, zog ich nach Nottingham und suchte mir einen Job in einem Tonstudio. Die Anstellung als Toningenieur könnte man als Plan B bezeichnen, neben meiner Vorliebe fürs Gitarrespielen.
Bild: Matthias Mineur
Gibson Explorer, Baujahr 2005
Bild: Matthias Mineur
Jackson RR 1T mit schwarzem Schlagbrett, Made in USA
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Jackson RR 1T mit Chrom-Schlagbrett, Made in Japan
Bild: Matthias Mineur
Gibson Flying V 120th Anniversary
Bild: Matthias Mineur
Charvel Henrik Danhage
Signature
Bild: Matthias Mineur
Charvel So Cal
Wann hast du erstmals festgestellt, dass dich die Studioarbeit nicht nur interessiert, sondern du auch das entsprechende Talent mitbringst?
Ich könnte diesbezüglich kein konkretes Album nennen, aber was sehr schnell deutlich wurde: Ich kann Sounds gewissermaßen visualisieren. Bereits in Zeiten, als ich noch nicht über mein heutiges Wissen verfügte, sah ich quasi vor Augen, was klanglich gut zusammenpasst, wie man etwas arrangieren und aufnehmen muss, damit es gut klingt. Ich weiß, dass es ungewöhnlich ist, wenn man so etwas visualisieren kann, aber in meinem Fall funktioniert es. Ich habe schon sehr früh im Reel-To-Reel-Verfahren aufgenommen, Demoproduktionen auf 2-Track-Tascam-Recordern, später dann auf 24-Spur-Bandmaschinen, für kleinere Bands und so weiter.
Dabei habe ich eigentlich nie etwas Ungewöhnliches gemacht, sondern einfach nur meine Sichtweise der jeweiligen Musik umgesetzt. Ich werde oft gefragt, woher ich die Ideen für einen bestimmten Sound bekomme. Ich kann diese Frage nie beantworten. Ich höre einfach die Demoversion eines Songs, und sofort entsteht in meinem Kopf ein klares Bild, wie dieser Song klingen sollte. Ab dann ist es nur noch ein ganz natürlicher Prozess, wie man diesen Sound erzeugt. Auf diese Weise ist mein gesamtes Wissen über Studiotechnik entstanden.
Was ist deine Sound-Maxime?
Ich mag klare, transparente Produktionen, für die es natürlich notwendig ist, dass die Musiker so gut und so enthusiastisch wie möglich spielen. Dadurch, dass ich als Gitarrist drei Alben mit Sabbat aufgenommen habe, konnte ich mir die ersten Grundkenntnisse in meiner eigenen Band aneignen. Diese haben sich dann sehr schnell auch auf alle anderen Instrumente ausgeweitet.
Hast du eigentlich einen ultimativen Lieblingsgitarristen?
Ich liebe Randy Rhoads. Ich stehe auf die großen Gitarristen der Achtziger, und als ich mich für Musik ernsthaft zu interessieren begann, war Randy der Größte. Denn er spielte völlig anders als alle anderen.
Bist du lieber Produzent einer Scheibe oder nur derjenige, der die Aufnahmen mischt?
Zunächst: Der Anteil an reinen Mixerjobs hat sich in den zurückliegenden zehn Jahren deutlich vergrößert, umso mehr in den zurückliegenden zwei Pandemiejahren. Viele Bands nehmen selbstständig bei sich im Proberaum oder in einem günstigen Studio auf – oft mit Pro Tools und mit D.I.-Sounds – und schicken mir dann die Spuren zum Mischen. Diese Arbeitsweise ist für Bands natürlich deutlich risikoloser als früher mit den großen Bandmaschinen, bei denen man an den Aufnahmen anschließend nur noch wenig ändern konnte. Bei D.I.-Aufnahmen kann man danach so ziemlich alles noch verändern.
Wenn mir eine Band die Aufnahmen zum Mischen schickt, spielt es für mich keine Rolle, wie sie entstanden sind, ich konzentriere mich rein aufs Mischen. Wenn ich dagegen eine Band auch produziere, muss ich aufpassen, dass ich nichts von dem vergesse, was wir da aufgenommen haben. Aber ich mag beides, ich bin ebenso gerne vom ersten Moment an in eine Produktion involviert, kümmere mich um den möglichst perfekten Drum-Sound, um die Gitarren, den Gesang etc.
Als Produzent hilfst du sicherlich auch beim Songwriting, oder?
Ja, natürlich. Ich kümmere mich um die Arrangements, die Texte. Ich bin dann nicht nur der Engineer, sondern fühle mich für alles zuständig. Wenn es die Band denn auch wirklich braucht und wünscht. Und immer mit dem vollen Respekt vor dem Wunsch der Musiker. Denn es geht ja nicht darum, welches Resultat ich haben möchte, sondern was sich die Band wünscht. Ich sehe das so: Jede Band hat eine eigene Persönlichkeit, eine Vision, und ich bin derjenige, der ihnen hilft, dieses herauszuarbeiten.
Was sind aus deiner Sicht die zwei größten Fehler, die ein Musiker in diesem Zusammenhang machen kann?
Na ja, es fängt damit an, dass natürlich jeder seinen Part geprobt und fehlerfrei spielen können muss. In den Achtzigern, als man die heutigen Produktionsmöglichkeiten noch nicht hatte, musste man seine Songs viel intensiver proben als heutzutage. Man traf sich im Proberaum und spielte das Material so lange, bis es wirklich rund klang. Heute kommen Bands ins Studio und haben Songs auf dem Laptop, die einer ihrer Mitglieder geschrieben hat, aber die noch niemals geprobt wurden. Ich denke, dass es aus Sicht der Band ein Fehler ist, Songs nicht mit allen Musikern geprobt zu haben, bevor man ins Studio geht. Man beraubt die Stücke um die Ideen aller Bandmitglieder, es fehlt dann am Ende die Tiefe, die Vielschichtigkeit, die Lebendigkeit. Es fehlt genau das, was letztlich einen richtig guten Song ausmacht.
Wie der Job bei Judas Priest zustande kam? Auf Seite 2 …
Kommen wir zu deinem Engagement bei Judas Priest. Angefangen hat alles mit der Produktion von ‚Firepower‘, oder?
Alles fing mit Mille von Kreator an. Er war auf der Frankfurter Musikmesse zu einem Dinner mit den Leuten von ESP eingeladen. Dort traf er Glenn Tipton. Die beiden sprachen über das kommende Priest-Album und Glenn erzählte, dass sie wohl wieder Tom Allom, der auch schon ihre Klassiker produziert hatte, damit beauftragen werden. Mille schlug dann mich vor, sagte wohl so etwas wie: „Ihr solltet unbedingt auch Andy Sneap fragen, er ist ein toller Produzent, Engländer und riesiger Judas-Priest-Fan.“
Noch am gleichen Abend rief Mille mich an, war ganz aufgeregt und erzählte: „Andy, ich habe gerade auf der Musikmesse Glenn getroffen und mit ihm über dich gesprochen. Du sollst dich mal bei ihrem Management melden.“ Das tat ich, bekam irgendwann einen Rückruf und wurde gebeten, mich mit der Band zu treffen. Glenn lebt etwa zweieinhalb Stunden von mir entfernt, also fuhr ich hin. Rob Halford und Richie waren auch da, weil die Band gerade an neuen Songs arbeitete. Wir unterhielten uns, merkten, dass wir auf der gleichen Wellenlänge funken. Auch Tom Allom stieß irgendwann dazu.
Wir verabredeten ein Teamwork und fingen 2017 mit den ersten Demos an. Die Band hatte für ‚Firepower‘ 25 Songideen, die wir nach und nach bearbeiteten, es war eine wirklich tolle Zusammenarbeit, auch wenn Tom und mich knapp 20 Jahre Erfahrung trennen. Aber alle spürten, dass ich seit ‚British Steel‘ riesiger Priest-Fan bin, und die Band und ihre Musik von Grund auf verstehe.
Warst du überrascht, als Priest dich anschließend auch als ihren Live-Gitarristen haben wollten?
Oh ja, natürlich. Obwohl man bereits während der Arbeiten an ‚Firepower‘ merkte, dass sich Glenns gesundheitliche Situation verschärfte. Deshalb wurde über unterschiedliche Alternativen nachgedacht, mit der Prämisse, dass es unbedingt ein Engländer sein sollte. Letztendlich war es Ian (Hill, Judas Priest-Bassist, Anm. d. Verf.), der die Sache ins Rollen brachte. Drei Wochen vor der 2018er-Tour begannen die Proben und man merkte, dass Glenn nicht voll einsatzfähig war. Ich war sowieso vor Ort, um für die Live-Shows ein paar Intros und Sound-Samples zu basteln. Ich bot an, ein paar von Glenns Gitarren als Samples in die Shows einfliegen zu lassen, aber das wollte die Band nicht, weil sie es für unehrlich hielt.
Glenn kam zu mir und fragte: „Glaubst du, dass du meine Parts spielen könntest?“ Ich antwortete: „Was?“ (lacht) Er darauf: „Ich meine: Könntest du den Gig spielen?“ Ich: „Oh shit, ja, natürlich, das könnte ich!“ (lacht noch einmal) Also musste ich in drei Wochen 25 Priest-Songs lernen und hatte dann nur drei Tage Proben mit der Band, bevor die erste Show vor 6000 Zuschauern startete. Die Leute sahen mich und fragten sich natürlich: „Wer ist denn der unbekannte Typ da, der relativ steif auf der rechten Bühnenseite steht?“ (lacht) Es war wirklich harte Arbeit, den Songs und auch dem Publikum gerecht zu werden. Ich hatte vorher monatelang nur sehr wenig Gitarre gespielt, sondern mich überwiegend auf Studioproduktionen konzentriert. Es dauerte also, bis ich mich wirklich fit fühlte. Aber in dieser Situation ging es für mich nur darum, als Freund der Band zu helfen und in dem Moment das Beste für alle Beteiligten herauszuholen.
Welches waren die für dich schwierigsten Stücke?
Glenn hat bei seinen Soli ein ziemlich unorthodoxes Timing. Im Studio neigt er dazu, vor dem Beat zu spielen, was die Sache dann später auf der Bühne ziemlich schwierig macht. Das war auch für mich eines der größten Probleme. Zudem musste ich in kürzester Zeit eine Menge Material lernen, deren Arrangements oftmals sehr ähnlich sind. Mittlerweile kenne ich die Stücke in- und auswendig, aber anfangs hatte ich mitunter Mühe, einzelne Parts von ‚The Ripper‘ oder ‚Lightning Strike‘ auseinanderzuhalten und immer genau zu wissen, welche Passage als nächstes folgt.
Die Leute sagen natürlich: „Du bist doch Fan, du musst doch die Stücke wie deine Westentasche kennen!“ Ja, das stimmt einerseits natürlich, aber andererseits hatte ich die meisten von ihnen noch nie gespielt. Und so etwas ist immer eine völlig andere Angelegenheit. Zumal man auf der Bühne selbstverständlich total aufgeregt ist, denn direkt vor dir stehen tausende Fans, das grelle Scheinwerferlicht blendet im Gesicht, das In-Ear-Monitoring klingt nicht immer so, wie man es gewohnt ist.
Außerdem setzt man sich natürlich auch selbst gehörig unter Druck, weil man weiß, dass jeder Fehler, den man macht, schon am nächsten Tag irgendwo im Internet auf YouTube oder so zu sehen sein wird. Es bedarf immer einer gewissen Zeit, bis man sich an die verschiedenen Aspekte dieser Situation gewöhnt und genügend Selbstbewusstsein aufgebaut hat. Für so etwas brauchen Bands normalerweise viele Jahre, ich dagegen hatte nur diese drei Wochen, um mich daran zu gewöhnen. Aber natürlich wollte ich diese einmalige Chance nutzen, um mich in ein paar Jahren nicht zu ärgern, dass ich es nicht einmal versucht hätte.
Alles lief gut, die Fans waren zufrieden, und dennoch entschied das Priest-Management vor dieser Tour, ohne dich und stattdessen mit Richie Faulkner als einzigen Gitarristen weiterzumachen. Kennst du die Gründe?
Sie riefen mich an und sagten, dass sie zu viert weitermachen wollen. Ich war überrascht, denn wir hatten bis zu dem dramatischen Vorfall mit Richie in Kentucky immerhin 180 Shows gemeinsam gespielt, und alles war hervorragend verlaufen. Ich sagte: „Ihr seid die Band, ihr entscheidet, wie es weitergehen soll. Ich unterstütze euch, wo immer ich kann und wo immer ihr es möchtet!“
Weshalb wollten sie ohne dich weitermachen?
Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Aus irgendeinem Grund schlug Rob es wohl vor, weshalb auch immer. Sie wollten es ausprobieren. Und ich denke, dass es funktioniert hätte, aber es wäre für alle Beteiligten, also auch für die Fans, eine andere Band gewesen, auch in optischer Hinsicht. Ich bin mir nicht sicher, ob es den Fans wirklich gefallen hätte. Und ich glaube, dass auch nicht alle in der Band mit dieser Entscheidung glücklich gewesen wären. Und da die Fans im Internet mächtig Alarm schlugen, als diese Nachricht durchsickerte, hat das Management zurückgerudert und mich gebeten, doch weiterzumachen.
Musstest du darüber nachdenken? Warst du beleidigt, oder zumindest enttäuscht, dass diese Lösung in Erwägung gezogen wurde?
Nein, ich war nicht beleidigt, aber ich fand von Beginn an, dass es die falsche Entscheidung gewesen wäre. Noch einmal: Es ist ihre Band, ihr künstlerisches Erbe, sie entscheiden, was sie damit machen. Ich hatte ihnen schon zuvor gesagt: „Wenn ihr eure Meinung ändert, ruft mich an, ich stehe in den Startlöchern, wann immer ihr mich braucht.“ Ich bin nicht der Typ Mensch, der sich dann beleidigt zurückzieht. Aber natürlich war ich enttäuscht, das ist doch klar.