Werdegang & Guitar-Talk

Andy Sneap von Judas Priest im Interview: Mehr Produzent als Gitarrist?

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Sneaps englischer Gitarrentechniker Robb Philpotts (Bild: Matthias Mineur)

Kommen wir zu deinem Engagement bei Judas Priest. Angefangen hat alles mit der Produktion von ‚Firepower‘, oder?

Alles fing mit Mille von Kreator an. Er war auf der Frankfurter Musikmesse zu einem Dinner mit den Leuten von ESP eingeladen. Dort traf er Glenn Tipton. Die beiden sprachen über das kommende Priest-Album und Glenn erzählte, dass sie wohl wieder Tom Allom, der auch schon ihre Klassiker produziert hatte, damit beauftragen werden. Mille schlug dann mich vor, sagte wohl so etwas wie: „Ihr solltet unbedingt auch Andy Sneap fragen, er ist ein toller Produzent, Engländer und riesiger Judas-Priest-Fan.“

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Noch am gleichen Abend rief Mille mich an, war ganz aufgeregt und erzählte: „Andy, ich habe gerade auf der Musikmesse Glenn getroffen und mit ihm über dich gesprochen. Du sollst dich mal bei ihrem Management melden.“ Das tat ich, bekam irgendwann einen Rückruf und wurde gebeten, mich mit der Band zu treffen. Glenn lebt etwa zweieinhalb Stunden von mir entfernt, also fuhr ich hin. Rob Halford und Richie waren auch da, weil die Band gerade an neuen Songs arbeitete. Wir unterhielten uns, merkten, dass wir auf der gleichen Wellenlänge funken. Auch Tom Allom stieß irgendwann dazu.

Wir verabredeten ein Teamwork und fingen 2017 mit den ersten Demos an. Die Band hatte für ‚Firepower‘ 25 Songideen, die wir nach und nach bearbeiteten, es war eine wirklich tolle Zusammenarbeit, auch wenn Tom und mich knapp 20 Jahre Erfahrung trennen. Aber alle spürten, dass ich seit ‚British Steel‘ riesiger Priest-Fan bin, und die Band und ihre Musik von Grund auf verstehe.

Das Rig mit Marshall JCM 800, EVH 5150 III S, Kemper Profiler, Radial JX 44, Cry Baby DCR-2SR und Fractal Audio Axe-Fx II (Bild: Matthias Mineur)

Warst du überrascht, als Priest dich anschließend auch als ihren Live-Gitarristen haben wollten?

Oh ja, natürlich. Obwohl man bereits während der Arbeiten an ‚Firepower‘ merkte, dass sich Glenns gesundheitliche Situation verschärfte. Deshalb wurde über unterschiedliche Alternativen nachgedacht, mit der Prämisse, dass es unbedingt ein Engländer sein sollte. Letztendlich war es Ian (Hill, Judas Priest-Bassist, Anm. d. Verf.), der die Sache ins Rollen brachte. Drei Wochen vor der 2018er-Tour begannen die Proben und man merkte, dass Glenn nicht voll einsatzfähig war. Ich war sowieso vor Ort, um für die Live-Shows ein paar Intros und Sound-Samples zu basteln. Ich bot an, ein paar von Glenns Gitarren als Samples in die Shows einfliegen zu lassen, aber das wollte die Band nicht, weil sie es für unehrlich hielt.

Glenn kam zu mir und fragte: „Glaubst du, dass du meine Parts spielen könntest?“ Ich antwortete: „Was?“ (lacht) Er darauf: „Ich meine: Könntest du den Gig spielen?“ Ich: „Oh shit, ja, natürlich, das könnte ich!“ (lacht noch einmal) Also musste ich in drei Wochen 25 Priest-Songs lernen und hatte dann nur drei Tage Proben mit der Band, bevor die erste Show vor 6000 Zuschauern startete. Die Leute sahen mich und fragten sich natürlich: „Wer ist denn der unbekannte Typ da, der relativ steif auf der rechten Bühnenseite steht?“ (lacht) Es war wirklich harte Arbeit, den Songs und auch dem Publikum gerecht zu werden. Ich hatte vorher monatelang nur sehr wenig Gitarre gespielt, sondern mich überwiegend auf Studioproduktionen konzentriert. Es dauerte also, bis ich mich wirklich fit fühlte. Aber in dieser Situation ging es für mich nur darum, als Freund der Band zu helfen und in dem Moment das Beste für alle Beteiligten herauszuholen.

Sneaps Marshall-Boxen zieren das Logo seiner eigenen Band Hell (Bild: Matthias Mineur)

Welches waren die für dich schwierigsten Stücke?

Glenn hat bei seinen Soli ein ziemlich unorthodoxes Timing. Im Studio neigt er dazu, vor dem Beat zu spielen, was die Sache dann später auf der Bühne ziemlich schwierig macht. Das war auch für mich eines der größten Probleme. Zudem musste ich in kürzester Zeit eine Menge Material lernen, deren Arrangements oftmals sehr ähnlich sind. Mittlerweile kenne ich die Stücke in- und auswendig, aber anfangs hatte ich mitunter Mühe, einzelne Parts von ‚The Ripper‘ oder ‚Lightning Strike‘ auseinanderzuhalten und immer genau zu wissen, welche Passage als nächstes folgt.

Die Leute sagen natürlich: „Du bist doch Fan, du musst doch die Stücke wie deine Westentasche kennen!“ Ja, das stimmt einerseits natürlich, aber andererseits hatte ich die meisten von ihnen noch nie gespielt. Und so etwas ist immer eine völlig andere Angelegenheit. Zumal man auf der Bühne selbstverständlich total aufgeregt ist, denn direkt vor dir stehen tausende Fans, das grelle Scheinwerferlicht blendet im Gesicht, das In-Ear-Monitoring klingt nicht immer so, wie man es gewohnt ist.

Außerdem setzt man sich natürlich auch selbst gehörig unter Druck, weil man weiß, dass jeder Fehler, den man macht, schon am nächsten Tag irgendwo im Internet auf YouTube oder so zu sehen sein wird. Es bedarf immer einer gewissen Zeit, bis man sich an die verschiedenen Aspekte dieser Situation gewöhnt und genügend Selbstbewusstsein aufgebaut hat. Für so etwas brauchen Bands normalerweise viele Jahre, ich dagegen hatte nur diese drei Wochen, um mich daran zu gewöhnen. Aber natürlich wollte ich diese einmalige Chance nutzen, um mich in ein paar Jahren nicht zu ärgern, dass ich es nicht einmal versucht hätte.

Alles lief gut, die Fans waren zufrieden, und dennoch entschied das Priest-Management vor dieser Tour, ohne dich und stattdessen mit Richie Faulkner als einzigen Gitarristen weiterzumachen. Kennst du die Gründe?

Sie riefen mich an und sagten, dass sie zu viert weitermachen wollen. Ich war überrascht, denn wir hatten bis zu dem dramatischen Vorfall mit Richie in Kentucky immerhin 180 Shows gemeinsam gespielt, und alles war hervorragend verlaufen. Ich sagte: „Ihr seid die Band, ihr entscheidet, wie es weitergehen soll. Ich unterstütze euch, wo immer ich kann und wo immer ihr es möchtet!“

Weshalb wollten sie ohne dich weitermachen?

Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Aus irgendeinem Grund schlug Rob es wohl vor, weshalb auch immer. Sie wollten es ausprobieren. Und ich denke, dass es funktioniert hätte, aber es wäre für alle Beteiligten, also auch für die Fans, eine andere Band gewesen, auch in optischer Hinsicht. Ich bin mir nicht sicher, ob es den Fans wirklich gefallen hätte. Und ich glaube, dass auch nicht alle in der Band mit dieser Entscheidung glücklich gewesen wären. Und da die Fans im Internet mächtig Alarm schlugen, als diese Nachricht durchsickerte, hat das Management zurückgerudert und mich gebeten, doch weiterzumachen.

Musstest du darüber nachdenken? Warst du beleidigt, oder zumindest enttäuscht, dass diese Lösung in Erwägung gezogen wurde?

Nein, ich war nicht beleidigt, aber ich fand von Beginn an, dass es die falsche Entscheidung gewesen wäre. Noch einmal: Es ist ihre Band, ihr künstlerisches Erbe, sie entscheiden, was sie damit machen. Ich hatte ihnen schon zuvor gesagt: „Wenn ihr eure Meinung ändert, ruft mich an, ich stehe in den Startlöchern, wann immer ihr mich braucht.“ Ich bin nicht der Typ Mensch, der sich dann beleidigt zurückzieht. Aber natürlich war ich enttäuscht, das ist doch klar.


(erschienen in Gitarre & Bass 02/2023)

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