Über die Magie alter Studios, seine Liebe zu Collings-Gitarren und mehr …

Ästhet mit reinem Gewissen: Lyle Lovett im Interview

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(Bild: Michael Wilson)

Zehn Jahre hat sich der Texaner für sein aktuelles Album ‚12th Of June‘ Zeit gelassen. Inaktiv war er in dieser Phase jedoch ganz und gar nicht. Wir sprachen mit ihm über die Magie alter Studios, seine Liebe zu Collings-Gitarren und über Dinge, die er einer Akustikgitarre auf keinen Fall antun möchte.

INTERVIEW

Lyle, man hat hierzulande länger nichts von dir gehört. Vor deinem aktuellen Album ‚12th Of June‘ hast du zuletzt 2012 ein Studiowerk veröffentlicht – insgesamt waren es bis dahin elf Studioalben in rund 25 Jahren. War die Zeit reif für eine längere Auszeit?

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Nein, überhaupt nicht. Meine letzte Platte von 2012 war die finale Aufnahme im Rahmen meines ursprünglichen Plattenvertrags. Mit ihr habe ich meine Verpflichtungen erfüllt. Aber inaktiv war ich seitdem wahrlich nicht: Zwischen 2012 und der Isolation der Covid-Pandemie 2020 habe ich jährlich mehr als 100 Konzerte gespielt. Hinsichtlich neuer Musik hatte ich zum ersten Mal in meiner Karriere die Freiheit, mir zu überlegen, welche Optionen ich wahrnehmen könnte und wie und für wen ich die nächste Platte mache. Ich habe verschiedene Möglichkeiten durchgespielt und mir dabei Zeit gelassen. Ungefähr in der Mitte dieser Periode haben meine Frau und ich beschlossen, Eltern zu werden. Als die Zwillinge im Juni 2017 auf die Welt kamen, nahm das sehr viel und schöne Zeit in Anspruch. In den ersten Jahren nach ihrer Geburt habe ich nicht an Aufnahmen gedacht.

Du lebst mit deiner Familie auf einer Farm in der Nähe von Houston, hast also reichlich Platz. Gibt es dort ein Studio?

Nein, das hatte ich nie. Ich habe meine Musikecken, wo ich üben und arbeiten kann, das reicht mir. Die Idee eines Studios ist ansprechend, aber ich wollte nie in diesem Business sein. Allerdings bewundere ich Leute, die das technische Knowhow haben, ein Studio einzurichten und zu bedienen. Ich habe in einigen großen und renommierten Studios der Welt aufnehmen dürfen und das genossen. Einige der Overdubs dieser Platte, etwa Gesangslinien und Streicher-Arrangements, haben wir in den Capitol Studios in Los Angeles aufgenommen. Das war aufregend. Du kommst durch die Tür und fühlst die Geschichte von all den Künstlern, die dort in der Vergangenheit aufgenommen haben. Es ist ein sehr spezieller Ort. Die Basic Tracks haben wir ziemlich live eingespielt, mit nur wenigen Overdubs, in einem Studio in Nashville, in dem ich zuletzt 1988 gearbeitet hatte. Dort habe ich 1987 mein zweites Album ‚Pontiac‘ und ein Jahr später dessen Nachfolger ‚And His Large Band‘ aufgenommen. Das war eine schöne Verbindung – nach 35 Jahren hat sich damit ein Kreis geschlossen.

Du vertraust seit Jahren auf Collings-Gitarren und warst mit Bill Collings befreundet.

Wir haben uns 1977 kennengelernt. Ich war damals an einem Sonntagabend in einem kleinen Club in Houston, um mir einen Singer-Songwriter namens Rick Gordon anzuhören. Er spielte eine Gitarre in der Form einer Martin 000, aber sie hatte ein Cutaway. Ich sah sie mir näher an und bemerkte, dass das Binding aus Holz gefertigt war und nahtlos in die Decke der Gitarre überging. Ich dachte: Was zum Teufel ist das? Ich schaute mir die Kopfplatte an: abgerundete Ecken, ohne Markierungen und Logo. Man konnte also nicht sehen, was für eine Gitarre es war. Ich sprach Rick zwischen zwei Sets an und fragte ihn, ob er mir etwas über diese Gitarre sagen könnte. Er antwortete: „Ein Freund von mir namens Bill Collings hat sie gebaut.“ Ich sagte: „Die ist wunderschön und klingt toll. Macht er auch Reparaturen? Kann ich ihm meine Martin D-35 bringen? Sie braucht neue Bünde.“ Rick Gordon gab mir eine seiner Karten und schrieb Bill Collings‘ Telefonnummer auf die Rückseite.

Lyle Lovett mit Collings-Akustik (Bild: Mark Reinstein/Shutterstock)

Wie lief euer erstes Treffen ab?

In der folgenden Woche rief ich ihn an und fragte, ob er an meiner D-35 arbeiten würde. Er sagte: „Klar, komm rüber.“ Er wohnte in Houston in einem Zweizimmer-Apartment. In einem Zimmer wohnte er, das andere war seine Werkstatt. Ich kam gegen 14 Uhr bei ihm an und ging erst um 22 Uhr abends wieder raus. Bill zeigte mir jedes Stück Holz, das er hatte, jede Gitarre, an der er arbeitete, dazu Instrumente, die er gebaut hatte und die zum Service da waren. Er war derart enthusiastisch und bewandert in seinem Metier – ich war sehr beeindruckt. Bei meiner D-35 hat er dann einen wunderbaren Job gemacht.

Von diesem Tag an sagte ich mir: „Ich muss eine dieser Gitarren haben, muss ihn dazu bringen, mir eine zu bauen.“ Das hat er im darauffolgenden Jahr getan. Ich besitze sie noch heute: eine Dreadnought-Form mit einer Decke aus Deutscher Fichte und Boden und Zargen aus Indischem Palisander. Es ist die 29. Gitarre, die er gebaut hat. Bei Collings heißt sie daher 29. Darauf bin ich sehr stolz. Wie Bill es war, bin ich ein Fan von tollen Martins und Gibsons. Bills Ziel war es, beständig gute Versionen dieser Klassiker-Designs zu bauen. Ich liebe seine Arbeit und spiele seine Gitarren schon seit vielen Jahren auch auf der Bühne. Es gibt keine geschäftliche Vereinbarung, ich bin einfach nur Fan. Die Gitarre, die ich für die aktuellen Aufnahmen verwendet habe, ist eine Dreadnought, die er mir 1996 gebaut hat.

Du scheinst generell ein Faible für hochwertige Instrumente zu haben.

Es ist für mich sehr schwer, dem Reiz einer großartigen Gitarre zu widerstehen. Ich liebe ihren Klang und ihre Ästhetik, in meinen Augen sind das Kunstwerke. Ich hatte die Gelegenheit, einige sehr berühmte Gitarren zu spielen. Wenn du eine solche in der Hand hältst, fühlt sich das ganz besonders an. Neben Collings-, Martin- und Gibson-Acoustics stehe ich übrigens auch auf E-Gitarren – auch wenn ich auf der Bühne keine solchen Instrumente spielen.

Gear-Talk und Akustik-Ratschläge auf Seite 2

(Bild: Michael Wilson)

Deine Akustikgitarren nimmst du mit Pickups der Firma Sunrise ab. Wie kam es dazu?

Es ist vielleicht nur eine persönliche Einstellung, aber ich fühle Schmerzen, wenn ich ein Loch in eine hochwertige Gitarre bohren muss. Bill Collings war da sehr viel weniger zimperlich als ich, in meiner erste Gitarre von ihm ist auch eine Pickup-Buchse drin, aber seitdem habe ich mir gesagt: „Ich kann das nicht mehr machen.“ Das kann ich einem so perfekten Stück Holz nicht antun. Zu Sunrise kam ich wie folgt: Ich war 1989 drei Monate auf Tour mit Leo Kottke. Wir wurden Freunde, und ich liebte es, ihm jeden Abend zuzuhören. Mir fiel schnell sein Setup ins Auge, auch wenn der Mann natürlich einen Besen spielen kann und damit fantastisch klingen würde. Aber sein Ton war so wunderbar, so gleichmäßig und rein. Ich bin einfach hingegangen und habe genau das gleiche Setup gekauft – einen Sunrise-Pickup und eine Demeter-Tube-Direct-Box.

Seit dieser Zeit vertraue ich darauf. Was ich daran außerdem schätze, ist, dass der Pickup nicht dauerhaft in der Gitarre installiert ist. Man muss nichts an der Gitarre verändern, nicht bohren, nicht fräsen. Du brauchst keine Batterie innendrin, was die Gitarre schwerer macht und den Sound dämpft. Du schraubt den Tonabnehmer einfach in das Schallloch und führst das Kabel raus. Wenn eine Tour vorbei ist, und auch zwischen Konzerten, kann ich den Pickup sehr einfach aus der Gitarre rausnehmen und habe dann meine absolut im Urzustand verbliebene Gitarre, mit lediglich ein paar Klebeband-Spuren am Korpus. Ein weiterer Vorteil: Ich kann auf diese Art jede Gitarre verwenden, die ich besitze. Sie muss nicht speziell zur Verstärkung vorbereitet sein. Und: Ich habe ein reineres Gewissen, wenn ich meine Gitarre nicht mit einem dauerhaften Abnahme-System verunstalte.

Abgesehen von den Pickups – hast du sonst irgendwelche Akustik-Ratschläge für unsere Leser?

Beim Gitarre spielen geht es die meiste Zeit um persönliche Präferenzen, es hat also vor allem mit dem Stil des Spielers zu tun. Ich spiele immer mit einem Daumen- und drei metallenen Finger-Picks. Das passt zu meinem Spielstil. Außerdem spiele ich seit Jahren D’Addario-Medium-Gauge-Saiten der Stärke .013 – .056. Ich gehe hart mit meinen Saiten um, daher wechsle ich sie nach jedem Gig. Nach meiner Erfahrung zählen diese D‘Addarios zu den langlebigsten Saiten, sie klingen am Ende eines Abends besser als andere Typen.

Wie würdest du dich als Gitarristen beschreiben?

Ich habe mein Spiel auf der Gitarre immer als Songbegleitung gesehen, ob ich nun mit einer Band spiele oder alleine. In meiner Band bin ich stets der schlechteste Musiker, daher bin ich immer fasziniert und dankbar, von diesen wunderbaren Musikern umgeben zu sein und ihnen zuhören zu dürfen. Wenn wir live spielen, halten wir uns zwar überwiegend an die Arrangements der Aufnahmen, aber in der Gestaltung ihrer Soloparts haben die Mitglieder meiner Band jede Menge Freiheit im Ausdruck – was ich selbst jeden Abend genieße. Meiner Meinung nach wird das meiste, was du auf deinem Instrument spielst, dadurch bestimmt, mit wem du musizierst. Häufig ist es eine Reaktion. Ein Auftritt ist nichts anderes als eine musikalische Unterhaltung. Wenn du umgeben bist von Leuten, die diese Art von Kommunikation beherrschen, dann ist das erhebend – auf diese Weise fühlt sich die Musik jeden Abend lebendig an.

Man kennt dich mit einer Akustik in der Hand, aber du hast eben gesagt, dass du auch auf E-Gitarren stehst.

Ich spiele sie zu Hause, trete damit aber nicht auf. Ich arbeite mit Leuten, die damit viel besser sind, als ich es bin.

Was ist dabei deine bevorzugte Wahl?

Ich habe ein paar Collings-Modelle, darunter eins namens City Limits. Wie heißt das andere noch? Sie haben so spezielle Namen. Eine ist wie eine Gibson ES-335 (meint wohl ein I-35-Modell, Anm. d. Verf.), die andere eine Solidbody und geht in Richtung Les Paul. Daneben liebe ich auch Strats und Teles. Ich bin ein ziemlicher Traditionalist. Mein Gitarrenlehrer spielte eine ES-335, und auch eine 355, also die Stereo-Version. Sie war Cherry Red und hatte diesen großen goldenen Knopf. Einfach wunderschön. Seitdem betrachte ich sie als eine der ultimativen Gitarren – und eine sehr vielseitige dazu.

Du hast deine Musiker erwähnt. Viele von ihnen spielen schon sehr lange mit dir, darunter die Gitarristen Dean Parks und Ray Herndon.

Ich will kein Album ohne sie machen. Die Menschen, mit denen ich arbeite, ob im Studio oder auf der Bühne, sind Teil meiner Geschichte. Bei dieser Platte habe ich versucht, so viele Musiker wie möglich von meiner erweiterten Band-Familie aus all den Jahren unterzubringen, wie ich konnte. Die Rhythmustracks will ich nicht aufnehmen, wenn Dean oder Ray nicht die Gitarre spielen. Es wäre nicht dasselbe. Ich vertraue ihnen so sehr, dass sie meine Musik toll interpretieren. Alleine der Umstand in einem Raum mit ihnen zu sein, gibt mir Selbstvertrauen und Sicherheit – schon bevor wir anfangen zu spielen.

Am Ende noch mal zurück zum Anfang: Was war deine erste richtige Akustikgitarre?

Als ich in der vierten Klasse war, kauften mir meine Eltern eine einfache Gibson-Klassikgitarre. Ich glaube, sie hieß C-2 und muss aus den frühen bis mittleren 1960ern gewesen sein. Die habe ich viele Jahre lang gespielt – bis 1975, als meine Eltern mir die erwähnte Martin D-35 als Geschenk zum Highschool-Abschluss gekauft haben. Das war meine erste Flattop-Steelstring-Akustik. Ich erinnere mich bis heute, wie wir sie bei H&H Music in Houston gekauft haben. Sie hat damals 750 Dollar gekostet. Die 1970er waren zwar nicht die beste Zeit für Martin-Gitarren, aber diese D-35 ist bis heute etwas ganz Besonderes für mich geblieben. Auch wenn sie nicht wirklich gut klingt.


(erschienen in Gitarre & Bass 02/2023)

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