Yngwie ist ein Phänomen. Nicht nur wegen seiner überaus virtuosen Fähigkeiten. Nein, da ist noch etwas anderes, eine einzigartige Kontinuität, was sein Equipment angeht. Das alt gediente schwedische Spielwunder blieb stets bei denselben Leisten: Die Strat und klassische Marshalls. Von Letzteren am liebsten ganz viele. Und endlich, im Jahr 2011, ehrte Dr. Jim diese Hingabe mit einem Signature-Modell.
Als endlich ein Exemplar für den Test eintraf, fanden wir im Karton außer dem Amp allerlei Lieblichkeiten. Neben Netz- und Lautsprecherkabel ein weiteres kurzes, rotes, „edles“ Klinken-Patchkabel zum klassischen Parallelschalten der Inputs; ferner eine Produktions-Urkunde, ein Signature-Zertifikat, das umfangreiche mehrsprachige (auch Deutsch) Owners-Manual und, last but not least, besonders hübsch, eine schicke Schutzhülle in grellem Rot mit YJM100- Emblem.
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Schon das Handbuch hat im Übrigen einigen Erlebniswert. U. a. weil Yngwie in einem kurzen Interview einige ergötzliche Statements abgibt. Ich will ja nicht zu viel verraten, aber eine Kostprobe darf es schon sein: Auf die Frage, wie viele Marshall-Amps er bei Live-Shows benutze, antwortet er: „So viele wie möglich. Auf meiner letzten Tour habe ich 34 Heads und 28 Cabinets benutzt“. Noch Fragen?
Konstruktion
Die Basis dieses Signature-Modells ist das legendäre Modell 1959. Das magische Wörtchen Plexi dazu und wir sind mitten im Röhrenwunderland, dem Heiligen Gral des britischen Rock-Tons. Die Formulierung mag der eine oder andere als hochtrabend empfinden, Fakt ist aber, dass dieser Marshall, wie auch sein kleiner Bruder, Modell 1987, unleugbar einen sehr eigenen Charme entwickelt und insofern nicht ohne Grund bei den Vintage-Dealern hoch gehandelt wird. Sind halt nicht viele davon im Umlauf. Was wir vielleicht auch Yngwie vorwerfen müssen; wer weiß, wie viele davon alleine er irgendwo gebunkert hat. Er sagt allerdings, dass er eigentlich ein besonderes Faible für die Modelle der beginnenden 1970er hat, also die nächste Generation der noch frei verdrahteten Post-Plexi-Exemplare. Und so basiert der YJM100 offiziell auch auf dem 1959 aus dieser Phase.
Über dessen Technik brauchen wir uns sicher nicht lange unterhalten. Das Konzept ist hinlänglich bekannt, nicht zuletzt wegen der unzähligen Plagiate auf dem Markt: Vier EL34, 100 Watt, ein Bright-Kanal, ein Normal-Kanal, Dreibandklangregelung plus Presence-Regelung in der Endstufe, zwei Speaker-Outs mit umschaltbarer Impedanz (4/8/16 Ohm), that’s it. Yngwies 1959 wurde mit einigen speziellen Zutaten aufgerüstet, deren Bedienungselemente sämtlich an der Rückseite platziert sind (wodurch der traditionelle Look erhalten bleibt). Ganz wichtig und unverzichtbar für das Spiel und den Ton des Herrn Malmsteen ist der Overdrive-Booster vor dem eigentlichen Amp-Input.
Hier stehen ein Gain-Regler für die Intensität der Overdrive-Verzerrungen und ein Volume-Poti, das den Signalpegel bestimmt, zur Verfügung. Beim Aktivieren des Boosters wird automatisch ein Noise-Gate aktiviert, dessen Ansatzschwelle mit Threshold-Poti variiert werden kann. Dritter im Bunde ist eine digitale Reverb-Einheit mit Level-Regler. Externe Effektgeräte können über den seriellen, Ein/Aus-schaltbaren Einschleifweg in die Signalbearbeitung eingebunden werden.
Nicht nur seitens der Wiedergabe hat der YJM100 Besonderheiten zu bieten. Auch die Betriebssicherheit betreffend wartet er mit Extras auf. Wir kennen es auch vom AFD100, den Marshall für Slash entwickelte: Automatische Bias-Einmessung der Endröhren kombiniert mit einer Schutzschaltung, die Fehler im Betrieb jeder einzelnen EL34 erkennt und (sofern noch möglich) automatisch auf die halbe Leistung herunterfährt bzw. das betroffene Röhrenpaar deaktiviert. Das ist natürlich ein unschätzbarer Vorteil (nicht nur) für die Live-Anwendung. Das System funktioniert letztlich so elegant, dass man im Prinzip innerhalb weniger Minuten mit einem frischen EL34-Quartett den Amp wieder voll funktionsbereit haben kann, und dabei noch Einfluss darauf hat, ob die Endstufe heiß oder kalt abgeglichen wird (Bias-Trimmpoti).
YJM100 und AFD100 haben noch etwas anderes gemein: Den Power-Attenuation-Schaltkreis. Mit ihm lässt sich die Endstufenleistung bis auf 0,05 Watt reduzieren, wobei nicht einfach irgendwelche schnöden Lastwiderstände in Aktion treten, sondern wirklich die internen Spannungen entsprechend rauf- und runterfahren. Ein Master-Volume der intelligenten Art. Zusätzlich kann die Maximalleistung halbiert werden, wobei technisch gesehen zwei der vier EL34 deaktiviert werden (nur möglich, weil Endröhrenquartette im Class-AB-Betrieb paarweise im Duett arbeiten).
Damit man die Fähigkeiten des YJM100 live optimal unter Kontrolle hat, gehört ein Fuß- schaltpedal zum Lieferumfang. Die spezielle Bauart, bei der die nicht allzu hellen LED-Anzeigen rechts oben in einem eigenen kleinen Feld platziert sind, kennt man z. B. auch von der JVM-Serie. Vier Schalter kontrollieren den Booster, das Gate, den Reverb und den Einschleifweg. Zum Anschluss an den Verstärker genügt ein simples MonoKlinkenkabel. Das mitgelieferte Exemplar ist mit seinen angeschweißten Steckern von schlichter Qualität, misst knapp fünf Meter und dürfte so für kleinere Bühnen vollkommen ausreichen.
Das Thema Verarbeitung ist schnell abgehandelt. Marshall fertigt nach höchsten Industrie-Standards. Entsprechend aufgeräumt und makellos präsentiert sich der ob der aufwendigen Konzeption natürlich in Platinenbauweise gehaltene elektrische Aufbau – alles bestens.
Praxis
Einen 1959 zum Zerren zu bringen, erfordert eine gewisse Leidensfähigkeit. Den muss man dafür ganz schön kitzeln und dann wird es halt schon ziemlich laut in seiner Umgebung. Richtig sämig wird die Distortion auch bei Volllast nicht. Wer das will, kommt am Vorschalten eines Boosters nicht vorbei – wie das eben so ist bei den Vintage-Schaltungen/Amps. Yngwie steht in dem Ruf, dafür Tube Screamer von Ibanez zu benutzen bzw. benutzt zu haben. Wie und was er wirklich jeweils macht um seine zum Teil ja ziemlich abgefahrenen Sounds zu erzeugen, ist aber schwer zu sagen. Er benutzt auf jeden Fall ein recht großes Arsenal an Effektgeräten, inklusive einiger 19″-Module.
Davon abgesehen funktioniert die „Tube Screamer“-Methode allerdings prächtig. Mit einem, nein zwei unangenehmen Nebeneffekten: 1. Der Rauschpegel steigt eklatant an, und 2. wird das Monster noch lauter. Ich vergeb’ einen Orden plus Luxus-Pizza-Essen und Vino für zwei Personen an den unerschrockenen Desperado, der einen auf diese Weise voll ausgefahrenen 1959 eine Viertelstunde non-stop Schall emmitierend in einem 20-qm-Raum aushält. Quatsch, das kann man niemandem zumuten, der-/diejenige müsste danach ja erst einmal in professionelle Behandlung, damit die aufgerissenen Augen wieder zugehen.
Die Randbemerkung sollte natürlich eine freudige Mitteilung einleiten: Alle drei Problemstellungen, mehr Gain, ohne Nebengeräusche, das Ganze in variabler Lautstärke, hat der YJM100 locker im Griff. Der Booster ist in der Lage, den Amp massiv zu übersteuern, soweit, dass er wirklich komprimierend weich singt. Er hat parallel dadurch Einfluss auf die Klangfarben, dass sein Gain-Regler bereits Overdrive-Verzerrungen zumischt. Weil es schnell öffnet und schließt, nimmt sich das Noise-Gate elegant der ansteigenden Nebengeräusche an; Power ohne Ende und in Pausen absolute Stille, herrlich. Und wie praktisch ist es, dass das Gate immer automatisch aktiv wird, wenn man den Booster aktiviert!? Es lässt sich hinterher ausschalten, kein Problem, der heiße Boost-Overdrive ist aber zunächst immer erst einmal quasi im Noise-Protect-Modus.
Universellen Gebrauchswert erlangen die beiden Features aber erst durch die innovative Power-Level-Regelung. Dieses moderne Master-Volume arbeitet vorzüglich, sodass auch in völlig moderaten Lautstärken die kräftige Dynamik des Amps erhalten bleibt und zur Geltung kommt. Überlegene Performance, da kommen die konventionellen Lösungen, egal ob Power-Soak oder Master-Volume vor/hinter der Phasentreiberstufe nicht heran.
Mit dem Booster ist man im Übrigen in der Lage, das Vintage-Konzept des Amps dahingehend zu überlisten, dass zwei Kanäle bzw. Sound-Ebenen verfügbar sind: Crunch-Distortion für die reine Begleitung und mit Boost-On, um ein gutes Stück lauter, highgainigen Brit-Lead. Idealerweise setzt man das um, indem man die Kanäle des YJM100 koppelt, was mehr Gain erzeugt, vor allem aber die Klangabstimmung optimiert. Wie man es von einem 1959 erwartet, ist der Channel-II im Ton superkräftig und eher zurückhaltend in den Höhen, während Channel-I die Höhenbrillanz nachhaltig betont.
Die beiden zu mischen, optimiert die klangliche Bandbreite. Wegen der unterschiedlichen Empfindlichkeit der vier Inputs ergeben sich weitere Klangaspekte durch die wechselweise Nutzung der Eingänge. Booster und Noise-Gate werden aber nur aktiv wenn eine der oberen beiden Klinkenbuchsen belegt ist. Natürlich lauert im Hintergrund schon die ganze Zeit die Frage, inwieweit denn der YJM100 in der Tonformung seinen Vorfahren gleichkommt. Nun, ich drücke es einmal so aus: Es sind schon einige von den Plexis und den Nachfolgern durch meine Hände gegangen, und nach den Erfahrungen müsste sich der YJM100 vor keinem von denen verstecken.
Er macht seinen Job in der Hinsicht also sehr gut, und wirkt z. B. sogar kultivierter als mancher der früheren 1959-SLP-Reissues, die zum Teil doch ziemlich bitter und ungnädig zulangen. Yngwies Signature-Amp punktet insofern insgesamt fett im Plus. Zumal sich auch der Reverb als nützliches, weil wohlklingendes Extra erweist und der FX-Weg am 0-dB-Pegel klangneutral arbeitet. Als einziges Manko bleibt letztlich, dass beim On-/Off-Schalten des Einschleifwegs ziemlich laute Geräusche entstehen. Geschaltet wird im Übrigen nur der Return, der Send gibt permanent Signal ab.
Resümee
Wer immer eine Affinität zum guten alten Superlead verspürt(e), wird Yngwie und Marshalls R&D-Abteilung dankbar sein, sorgt die Zusammenarbeit doch dafür, dass eine Legende in der Gegenwart angekommen ist. Grundsätzliche Probleme im Umgang mit dem schlichten Vintage-Konzept sind mithilfe der Extras Booster, Noise-Gate und Power-Volume überaus geschickt gelöst, was einen ungeahnten Sprung nach vorne im Gebrauchswert bewirkt. Da die Tonformung gediegen die alten Tugenden pflegt, kann man sagen, dass der Amp in der Summe seiner Fähigkeiten den Vintage-Vettern eindeutig überlegen ist. Unter anderem eben, weil sich das Wilde in dem Berserker nun besser am Zügel führen lässt. Insofern gilt: Nie war er so wertvoll wie heute! Nüchterner auf den Punkt gebracht: Preis und Leistung stehen in einem gut vertretbaren Verhältnis. Wer sich für den Amp interessiert, muss sich inzwischen aber auf dem Gebrauchtmarkt umsehen: Er war nur als limitierte Auflage geplant und wird nicht mehr produziert.
Hach, schöne Review, besten Dank! Ich bin froh, damals einen neu erstanden zu haben! Kleine Ergänzung zum Boost/Overdrive: Dieser basiert wohl auf dem DOD 250, den es ja nun auch wieder als Reissue zu kaufen gibt.
Hach, schöne Review, besten Dank! Ich bin froh, damals einen neu erstanden zu haben! Kleine Ergänzung zum Boost/Overdrive: Dieser basiert wohl auf dem DOD 250, den es ja nun auch wieder als Reissue zu kaufen gibt.