September 2015, Ortstermin in Rellingen/Hamburg, Yamaha hat zur großen Produktpräsentation gerufen. Auf der steht Agenda die Vorstellung der neuen THR-Modelle. Ein Event, das wohl kaum einen der geladenen Gäste unbeeindruckt ließ. Modeling ganz nahe an der wahren Röhrenwelt. Setzt Yamaha damit neue Zeichen?
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Die Vorstellung konnte natürlich auch deshalb so schick gelingen, weil drei virtuose Meister ihres Faches die Amps vorführten. Michael Sagmeister vertrat den Jazz, Dennis Hormes brachte die Verstärker mit Blues und Rock zu Gehör, Viktor Smolski lieferte virtuos im Metal-Genre ab. Hernach durfte auch das Fußvolk den brandneuen Produkten auf den Zahn fühlen. Meinereiner fuhr am Ende mit einigen sehr positiven Ausrufezeichen im Kopf nach Hause, tja, und freute sich schon auf diesen Moment hier! Das Material in der eigenen Hütte, den Kisten selbst die Hölle heiß machen, die Fingerknochen knacken vorfreudig, auf geht‘s! Allerdings ist nicht alles aus der neuen THR100-Serie eingetroffen. Neben unseren Testkandiaten gibt es nämlich noch ein einkanaliges, weniger aufwendiges Amp-Modell und ein kompakteres Cabinet, bestückt mit einem statt zwei Zwölfzöllern.
Konstruktion
Die THR-Modellreihe hat Yamaha schon länger im Programm. Darunter fielen bislang portable „Lunchbox“-Amps mit geringer Leistung für unterschiedliche Einsatzzwecke. Die technische Basis bildet Yamahas exklusive VCM Technologie (Virtual Circuitry Modeling). Diese wurde weiterentwickelt und gipfelt nun in den neuen THR100-Amps. Das Funktionsprinzip an sich ist nicht neu: In der Vorstufe sind unterschiedliche Grund-Sounds anwählbar, Solid (State), Clean, Crunch, Lead, Modern, in der Endstufe sechs Röhrentypen-Emulationen, EL34 6L6GC, KT88, EL84, 6V6. Außerdem kann zwischen Class-A- und Class-AB-Betrieb gewählt werden. Wichtig festzuhalten ist, dass hier statische Betriebszustände eingestellt werden, die THR-Amps sind nicht programmierbar.
Man hat also in unserem Falle im Grunde erst mal einen zweikanaligen Verstärker vor sich. Der eben dank des Modeling ein breites Sound-Spektrum verspricht. Interessant ist bei dieser zweikanaligen Version, dass der FX-Weg (Stereoklinken) die Möglichkeit bietet, separat in den Kanälen Effektgeräte einzuschleifen. Über die zugehörige Software (s. u.) lässt sich der ab Werk parallel arbeitende FX-Weg auf seriellen Betrieb umschalten. Was der THR100H Dual seinem kleinen Bruder voraus hat, ist die Option, die beiden Ausgänge der Endstufe separat den Vorstufenkanäle zuordnen zu können, sodass sie mit der Kanalumschaltung wechselweise aktiviert werden! Wir bleiben bei den Anschlüssen.
Es gibt einen Phones-Out und 2XLR-Line-Outs, die ein Speaker-simuliertes Signal abgeben. Der USB-Anschluss ist für den Datenaustausch vorgesehen (kein Audio), an der DIN-Buchse wird der mitgelieferte Fußschalter angeschlossen. An der Rückseite sind ansonsten noch Schiebeschalter vorgesehen, über die die Ausgangsimpedanz (4, 8, 16 Ohm) und die Max.-Leistung (100, 50, 25 Watt) geändert werden können. Für die Tonformung bietet der THR100H Dual die üblichen Bedienungselemente: Gain, Master, Bass, Middle, Treble, Presence. Dazu gesellt sich zuschaltbar ein Booster, Reverb (liegt hinter dem FX-Weg) und ein Volume-Poti, das als Master für den Vorstufenkanal fungiert. Übrigens besteht dank der zwei Inputs (I, II) die Möglichkeit, die Kanäle unabhängig voneinander z. B. für zwei Instrumente gleichzeitig zu benutzen. Genauso ist das Gegenteil möglich, sie können gleichzeitig aktiv sein (I+II).
Das Umschalten kann manuell an der Frontplatte erfolgen, oder über das eben schon erwähnte, zum Lieferumfang gehörende Schaltpedal. Geschickt, Yamaha hat das Konzept zu Ende gedacht, an dem Pedal gibt es zwei Fußschalter, einen für den Kanalwechsel und einen, der den Parallelbetrieb aktiviert, die drei Modi sind somit stets direkt abrufbereit. Außerdem ist der Status des Boosters, des Reverbs und des FX-Weges fernbedienbar. Auch praktisch (nicht nur) beim Live-Einsatz: Das Bedienfeld wird von „Flutlicht“ beleuchtet. Die Elektronik ist in einem stabilen Metallgehäuse untergebracht. Für den Transport sollte man sich trotzdem ein Gigbag oder Ähnliches beschaffen, denn die Potis und Schalter stehen über das Gehäuse über, können leicht etwas abkriegen. Innen regiert modernste Elektronik. Wie bei Yamaha üblich, in erstklassiger Fertigungsqualität.
Software
Für die THR 100-Verstärker gibt es eine kleine kostenlose Editor-Software (ab Windows 7 bzw. ab Mac OS 10.7), die zusätzliche Leckereien an den Start bringt. Das voreingestellte Noise Gate kann anders eingestellt werden (OFF u. 3 Typen), wie auch der Booster (3 Typen) und der Reverb (Spring, Plate, Room, Hall). Der FX-Weg lässt sich wahlweise seriell oder parallel anordnen. Das heißeste Eisen in diesem Programm ist eine große Auswahl an unterschiedlichen Speaker-Simulationen, die sich sogar mit IR-Daten (Impulse Response von Cabinet- und Mikrofon-Typen) von Drittanbietern weiter aufrüsten lässt.
Praxis
Wer mit programmierbaren Geräten und oder Modeling-Amps schon einige Erfahrungen gesammelt hat, weiß, dass eine Vielzahl von Regelmöglichkeiten noch längst nicht eine große Bandbreite in der Funktion garantiert. Klar, ein Haufen Parameter suggeriert das, aber oft tritt letztlich nur wenig erhebliches Finetuning zutage. Warum ich das erzähle? Nun, ich möchte, dass der Anwender mit realistischen Erwartungen an das jeweilige Objekt herangeht. Und der THR100H Dual besitzt eben auch Bedienungselemente, die in diese Kategorie fallen. Das betrifft in erster Linie die Röhrentypen in der Endstufe bzw. die ClassA/ClassAB-Umschaltung. Die Auswirkungen sind hörbar und auch durchaus charakterformend, jedoch alles andere als drastisch. Hallo? Wir wollen doch eine Röhrenbestückung nicht mit kompletten Schaltungskonzepten verwechseln, nicht!?
Praktisch ausgedrückt: Beim Umschalten von EL84 auf 6V6 kann man selbstverständlich nicht solche Unterschiede erleben, wie sie sich zwischen entsprechenden Protagonisten wie zum Beispiel dem Marshall 2061 und einem Fender Deluxe Reverb auftun. Wer solchermaßen realistisch an den THR100H Dual herantritt, wird seine Freude haben. Denn Yamahas neues Flaggschiff hört und fühlt sich weitgehend wie ein wertiger Amp aus der analogen Röhrenwelt an. Leichte Abstriche muss man in der Transparenz der Höhen hinnehmen. Und in ihrer Struktur kritische Akkorde könnten bei Distortion harmonischer klingen. Aber wovon reden wir hier?
Das ist kein hochgezüchteter Boutique-Verstärker! Freuen wir uns lieber an der Wärme und Verbindlichkeit der Wiedergabe. Die beiden Cleansound-Presets ergänzen sich mit ihren leicht unterschiedlichen Klangfarben. Schon hier zeigt sich der aus Yamahas Studiomischpulten übernommene Reverb als geschmackvolles Extra. Das Preset Clean überrascht im Übrigen mit unerwarteten Fähigkeiten: Bei viel Gain und Boost entlockt man ihm markige, dynamische Blues-Overdrive-Klänge, unbedingt ausprobieren (Bass und Middle 15 Uhr, Treble und Presence ca. 11 Uhr). Ja, man staunt wie wandelbar das Preset ist. Dieses Stichwort gilt auch für die drei weiteren Sound-Ebenen, die natürlich parallel zum Ansteigen der Verzerrungsreserven im Klangcharakter variieren. Crunch voluminös und bissig in den Höhen, Lead schon singend am Rande des High-Gain, und Modern nicht etwa mit einem Mid-Scoop, sondern eher im Gegenteil noch prägnanter in den Hochmitten als Lead und Sustain-reich.
Die Grundfarben alleine erzeugen allerdings noch nicht unmittelbar Prägnanz. Dafür muss man die äußerst intensiv arbeitende Klangregelung bemühen, was spielend gelingt. Gerne auch mit dem Booster, der viel Gain produziert und im Ton quasi den letzten Schliff liefert. Wer reichlich Verzerrungen möchte, braucht den auch. Ohne ist harmlos. Der Amp fühlt sich für den Spieler im Attack recht stramm an, und er reagiert präzise. Sehr lobenswert ist an der Modeling-Sound-Formung, dass die Distortion-Sounds Obertöne flockig herausstellen, ohne dass man sich dafür anstrengen muss und – noch besser – im Ausklang bleiben die Töne homogen, die Verzerrung bröselt nicht abrupt weg. In seinen Eigenschaften ist der THR100H Dual also ziemlich austrainiert. Woran man umso mehr Spaß haben kann, als die Speaker-Simulation(en) überzeugend funktionieren – da braucht man wirklich nicht mehr zu Mikrofonen zu greifen.
Klasse, denn das heißt, dass man mit dem Amp unproblematisch Recording-Aufgaben umsetzen kann. In dem Bereich hat er mit seiner Variabilität einen dicken Trumpf im Ärmel. Für diesen Test wurde der Amp primär im Betrieb mit dem für ihn empfohlenen Cabinet THRC212 (ca. 23 kg) betrieben und bewertet. Wie die obigen Beschreibungen zeigen, harmoniert die einwandfrei verarbeitete SchichtholzBox günstig mit dem Verstärker. Als praktisch und reizvoll erwies sich insbesondere die Mischbestückung mit zwei unterschiedlichen Eminence-Chassis, dem Legend und dem Tonker. Sie grenzen sich in etwa so voneinander ab wie ein Greenback und ein Vintage 30 von Celestion. Das Klangspektrum des THR100H Dual kann so noch weiter ausgereizt werden. Die Wiedergabe der hinten geschlossenen Box ist ausgewogen und recht satt im Bassbereich. Man sollte sie aber in den tiefen Frequenzen nicht übertrieben fordern, denn dann kommt sie an ihre Grenzen.
Resümee
Mit dem THR100H Dual untermauert Yamaha seine Kompetenz in Sachen digitaler Technik. Das Modeling dieses Amps bewegt sich qualitativ sehr nah an der analogen Welt und erreicht mit seiner luxuriösen Konzeption eine große Bandbreite im Sound wie in der Anwendung. Das Cabinet ist ihm mit seiner Mischbestückung ein kongenialer Partner. Wenn einem so viel Gutes widerfährt, ist es natürlich ein entsprechendes Fazit wert: Preis und Nutzen stehen zweifelsfrei in einem gesunden Verhältnis.
Plus
Sound, hohe Variabilität
Dynamik, Ansprache
exzellenter Reverb
luxuriöses Konzept
THRC212 Cabinet: ausgewogen im Ton, vorteilhafte Mischbestückung