Nichts für Menschen mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne

Wurstfinger-Training: Poly Effects Josh Smith Flat V im Test

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(Bild: Dieter Stork)

Seit einiger Zeit kommen Pedale in Mode, mit denen sich nicht nur ein Overdrive-Sound abbilden lässt, sondern „alle“. Und das nicht als digitale Nachbildung, sondern analog. Nun legt Poly Effects mit dem Flat V einen Vertreter dieser Zunft vor, der noch dazu mit einem revolutionären Interface aufwartet.

Josh Smith ist, obgleich ein virtuoser Spieler, nicht der berühmteste Gitarrero der Welt, aber in gut informierten Kreisen als Meister des Blues bekannt – nicht zuletzt wegen seiner musikalischen Partnerschaft mit einem gewissen Joe Bonamassa. Nun hat er sich mit der australischen Pedalschmiede Poly Effects zusammengetan und das für ihn ultimative Drive-Pedal bauen lassen. Das Flat V soll nichts weniger tun, als so gut wie jedes Overdrive- und Distortion-Bedürfnis zu befriedigen – und noch dazu liefert es Tremolo- und Envelope-Filter-Sounds gleich mit. Klar, dass es bei so viel Varietät MIDI-fähig sein muss und auch ist.

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Mit dem Chase Bliss Preamp MKII Automatone und dem kürzlich viel beachteten Kernom Ridge tummeln sich bereits sehr starke Konkurrenten auf dem Markt der analogen (digital gesteuerten) Alleskönner. Wir legen uns das Flat V mal unter den Fuß, oder besser gesagt, unter die Finger, denn zur Bedienung muss man auf Tuchfühlung gehen …

KONSTRUKTION

Gleich beim Auspacken fällt auf, dass da irgendwas fehlt. Richtig: Potis. Das Flat V hat keinerlei Drehregler, sondern lediglich zwei Fußtaster. Darüber befindet sich eine grafische Fläche. Am Strom angeschlossen, entpuppt diese sich als „Touch-Interface“ mit berührungsempfindlicher Steuerung. Reihen von kleinen Lämpchen zeigen an, wo die „Regler“ stehen. Leider sind die bei heller Umgebung – zum Beispiel einer sonnendurchfluteten Wohnung – nur schwer ablesbar.

Darunter befinden sich Druckflächen, auf denen angezeigt wird, was man mit der jeweiligen „Fader“-Säule anstellt. Von links nach rechts HPF (High-Pass-Filter, doppelt belegt mit Höhen-Resonanz), VOL (Lautstärke, doppelt belegt mit Sensitivity des Envelope-Filters), A→B (Reihenfolge der Kanäle, Doppelbelegung kehrt sie um), GAIN (Verzerrungsintensität, doppelt belegt mit der Geschwindigkeit des LFOs oder Envelope-Filters) und LPF (Low-Pass-Filter, doppelt belegt mit Tiefen-Resonanz).

Die Nummern oberhalb des Fader-Feldes zeigen an, in welcher Preset-Bank man sich befindet und leuchten farblich unterschiedlich. Zugriff hat man auf 36 Presets, die jeweils zwei Unter-Presets haben (man schaltet diese mit einem Druck auf das Josh-Smith-Symbol um). Die beiden Fußtaster sind ebenfalls doppelt belegt – zunächst schalten sie ganz einfach die Kanäle an und aus. Hält man sie gedrückt, schaltet das Pedal mit kurzer Verzögerung zum nächsten beziehungsweise vorherigen Preset. Das ist Live also nur bedingt nutzbar. Die beiden Kanäle sind sehr unterschiedlich konzipiert. Bei A handelt sich um einen relativ simplen Overdrive-Schaltkreis. Hier kann man aus vier Clipping-Dioden-Optionen wählen, die man mit einem Fingerdruck auf die Symbole in der Mitte links anwählt: Schottky, Germanium, Silizium und LED-Clipping stehen zu Auswahl.

(Bild: Dieter Stork)

Ansonsten lässt sich in Kanal A nichts einstellen. Kanal B ist wie ein Verstärker aufgebaut, die Rolle der Röhren übernehmen im Pedal aber JFETs. Die Schmankerl des Geräts sind der außerordentlich umfangreich einstellbare Equalizer, sowie der LFO/Envelope-Filter. Das 332 Gramm leichte Pedal ist solide gebaut, die Langzeit-Überlebensfähigkeit des Touch-Displays kann natürlich nicht abschließend beurteilt werden. Das Gerät braucht 9V DC, ein Batteriebetrieb ist nicht möglich, und saugt 250 mA Strom. Alle Anschlüsse – In/Out sowie zweimal Mini-TRS-MIDI – sind stirnseitig, wodurch man dem Flat V auch ob seiner geringen Größe eine enorme Pedalboardfreundlichkeit bescheinigen kann.

Praxis-Test und Resümee auf Seite 2

(Bild: Dieter Stork)

PRAXIS

Ich sage es gleich vorneweg: Das Flat V ist nichts für Leute, die an Knöpfen drehen wollen und Doppelbelegungen hassen. Und auch nichts für ungeschickte Wurstfinger. Während Kanal A denkbar simpel zu bedienen ist, fordert Kanal B schon etwas Einarbeitungszeit, wenn man die Sache wirklich durchdringen will. Einen Live-Modus gibt es nicht, das Pedal sieht also die Verwendung von Presets zwingend vor.

Löst man sich mal von denen und stellt einfach nur einen Sound ein, muss man sich mit der Bedienung der Touch-Slider vertraut machen. Leider geht das nicht so haptisch befriedigend von der Hand, wie man es sich wünscht: Ein ums andere Mal reagiert das Bedienfeld zunächst nicht unmittelbar so, wie man es gedacht hat. Nach einiger Eingewöhnungszeit kommt man aber klar. Ob man die Bedienung des Flat V mag oder nicht, muss man selbst ausprobieren – es ist Geschmackssache, aber meiner Meinung nach für das hektische Live-Gefecht nicht geeignet. Es sei denn, man hat „janz viel Jefühl“ in den Fingerspitzen und eine ruhige Hand, wie ein Sprengmeister oder Bombenentschärfer.

Klanglich begeistert Kanal A mit unglaublich schönen Overdrive-Sounds. Einstöpseln, Clipping anwählen, fertig. Je nach Pickups der Gitarre schwelgt man in „fast-cleanen“ Sounds bis hin zu kräftigem Overdrive. Schottky und LED klingen sehr offen, transparent und kräftig. Germanium klingt weicher, dafür mit weniger Bumms. Silizium hat am meisten Gain und klingt am ehesten nach Fuzz. Kanal A begeistert mich klanglich so sehr, dass er mir allein schon reichen würde. Aber warum kann man nicht wenigstens die Lautstärke einstellen in diesem Kanal?

Gehen wir mal in Kanal B. Das Grundtimbre des Overdrives ist in meinen Ohren rau, am ehesten mit einer ProCo Rat vergleichbar. Die Gain-Range reicht von „leicht haarig“ bis „ordentlich Dampf“. Wer das Flat V wirklich in seiner Vielseitigkeit nutzen will, muss sich auf das Tweaken des Sounds mit dem EQ einlassen. Und ja, wenn man da einsteigt, lassen sich allerlei bekannte Pedals „nachbauen“: Marshall Bluesbreaker, weiter zur Rat bis hin zum Big Muff – ungefähr so könnte man sich die Soundkultur vorstellen. Das Zuschalten des Kanals A erweitert das noch. Gut, ultramoderne Metal-Chugs, oder spezielle Fuzz-Sounds à la Maestro kann es dann doch nicht. Der EQ erlaubt aber durchaus extreme Settings wie „durchs Telefon gespielt“ oder „ich spiele Bass auf den Melodiesaiten!“

Und da haben wir den LFO noch gar nicht ausprobiert. In der Mitte rechts sieht man Schaltflächen für Wellenformen – Sinus, Dreieck, Rechteck und einen den Envelope-Filter symbolisierenden Umschlag. Man wechselt nun in die zweite Ebene der Druckflächen unter den Fadern und mischt nach Herzenslust ein Tremolo oder einen anschlagssensiblen Filter hinzu. Das klingt super und macht das Flat V zu einem einzigarten Vertreter seiner Zunft.

Bedient das Flat V nun wirklich alle Distortion- und Overdrive-Gelüste? Jein. Der doch recht raue Grundcharakter des Kanals B bestimmt ein gewisses Timbre. Das lässt sich zwar sehr, sehr abwechslungsreich mit dem EQ formen, aber wer die Flöhe husten hört – und viele auf Overdrives fixierte Pedaleros zählen zu dieser Sorte Mensch – wird seinen 5000-Dollar-Klon nach dem Kauf des Flat V dann doch nicht sofort verscherbeln.

RESÜMEE

Zunächst mal hat mich das Flat V überfordert: Die berühungsempfindlichen Slider reagierten nicht so, wie meine ungeduldigen Wurstfinger es wollten; die Lämpchen waren am sehr sonnigen Testtag schwer ablesbar, das Pedal musste künstlich abgedunkelt werden. Die Bedienung der EQ-Möglichkeiten war nicht sofort einleuchtend für mich, ein Handbuch liegt nicht bei, und ein ums andere Mal „slidete“ ich das Pedal ungewollt stumm. Dem gegenüber allerdings steht der Sound: Vor allem Kanal A hat mich restlos begeistert, und Kanal B ist sehr vielseitig einstellbar. Das Manövrieren der Presets fand ich etwas umständlich, auch hier fordert das Flat V Einarbeitungszeit und ist nichts für Menschen mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne. Wie schon beim Chase Bliss MKII empfiehlt es sich damit entweder als Studio-Tool oder, wenn man es live nutzen will, es sollte in ein MIDI-System wie GigRig o.ä. eingebunden werden, mit dem man die enorme Vielseitigkeit per Knopfdruck abrufbar machen kann. Das Flat V kann dabei als alleiniger Overdrive/Fuzz fast, aber nicht ganz alle anderen Dirt-Boxes ersetzen (Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass auch das Chase Bliss MKII das nicht kann). Mit einem im Vergleich moderaten Preis und seiner unschlagbar kompakten Größe kann das Flat V ebenfalls gut punkten gegen die Konkurrenz – am Pedalboardfreundlichsten ist es auf jeden Fall.

PLUS

  • tadellose Verarbeitung
  • innovatives Design
  • hervorragende Sounds
  • Vielseitigkeit

MINUS

  • live und ohne Midi-Einbindung nur mit Geschick bedienbar
  • kein Handbuch beiliegend (nur online)
  • Kanal A nicht einstellbar
  • Einarbeitungszeit
  • zu schwache LEDs bei heller Umgebung
  • Touch-Feld reagiert nicht immer befriedigend


(erschienen in Gitarre & Bass 01/2024)

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