(Bild: Franz Holtmann)
Hast du dich immer schon gefragt, wie eine ES-335 wohl mit P-90 Pickups klingen würde? Die seltene Gelegenheit zur Beantwortung dieser Frage gibt eine von lediglich zwei bekannten Custom-Built-Ausführungen der ES-330 mit langem Hals und Center Block.
Nachdem Gibson 1958 mit der ES-335 ein bahnbrechend neues Thinline-Modell mit doppeltem Cutaway erfolgreich vorgestellt hatte, ergänzten 1959 die mit Gold-Hardware ausgestatteten Top-Of-The-Line-Modelle ES-345 und ES-355, sowie die im Preis darunter angesiedelten Modelle ES-330T, ES-330TD, ES-125TC und ES-125TCD die Electric-Spanish-Reihe. Die ES-330 hatte zwar die gleichen Korpusabmessungen wie die ES-335, ES-345 und ES-355, wartete aber mit einer differierenden Innenkonstruktion auf. Anstelle der semiakustischen Bauweise mit durchgehendem Block aus Ahorn in der Korpusmitte war die ES-330 vollständig hohl, den ursprünglichen Thinlines von 1955 ES-350T oder ES-225 also noch durchaus ähnlich.
Im Gegensatz zur mit Humbuckern ausgestatteten ES-335 verschaffte man der ES-330 zwei P-90-Singlecoil-Pickups. Ab 1962 wurden die schwarzen Plastik-Cover dieser Dog Ear-Pickups gegen welche aus Nickel getauscht, ab 1965 wechselte man dann für die gesamte Hardware zu Chrome. Der Hals der ES-330 ging ursprünglich am 16. und nicht am 19. Bund wie bei der ES-335 in den Korpus über. Der verkürzte Hals der ES-330 hielt viele Spieler wegen der etwas schwerer zu bespielenden hohen Bünde vom Kauf ab.
Ende 1967 änderte Gibson den Übergang dann auch bei der 330 auf den 19. Bund. Die ES-330 war zunächst nur in den Lackierungen Sunburst, Natural oder optional auch Cherry erhältlich, später wurde sie auch in Walnut oder von 1967 bis 1969 ebenfalls in Sparkling Burgundy angeboten. In der Regel findet man eine Tune-o-matic Bridge mit Trapez-Saitenhalter oder das optional angebotene Bigsby-Vibrato verbaut.
Aufgrund ihrer mangelnden Popularität im Vergleich zu anderen Thinline-Gitarren – die späte Versetzung des Hals-Korpusübergangs vermochte daran auch nichts mehr zu ändern – wurde die Produktion der ES-330 von Gibson 1972 eingestellt. Sie brachte es 1971 gerade mal noch auf 147 ausgelieferte Exemplare, 1972 waren es nur noch 90. Die 335 in ihren drei Farbvarianten Sunburst, Cherry und Walnut kam 1971 dagegen insgesamt noch auf 2267 Einheiten.
Protagonisten: Der sonore, holzgetränkte Klang machte die Hollowbody ES-330 bei Jazzgitarristen beliebt. Gespielt wurde sie u.a. von Grant Green. Unter den berühmten ES-330-Spielern finden sich auch Namen wie B.B. King, John Lee Hooker, Emily Remler, Brian Jones, Johnny Marr, Paul Weller oder Tom Petty, aktuell auch Gary Clark Jr., The Edge, Noel Gallagher oder Jeff Tweedy.
Obwohl die Gibson ES-330 an Prominenz seinerzeit bald schon überholt wurde durch das damals fast identisch gebaute Modell Casino von Gibsons Tochterfirma Epiphone – John Lennon, George Harrison und Paul McCartney, aber auch Keith Richards waren deren prominente User – spielte die ES-330 trotz ihrer Einschränkungen doch immer ihre zwar etwas hintergründige, dafür aber beständige Rolle.
GIBSON CUSTOM-BUILT ELECTRICS
Das vorliegende Custom-Order-Modell gehört zu den letzten seiner Art, denn 1972 wurde, wie schon erwähnt, die Produktion der ES-330 ein – gestellt. Bei Gibson gab es nun über die Jahre immer wieder einmal Modelle, die aus dem üblichen Rahmen fallen. Es finden sich Custom-Built-Electrics wie u.a. eine Johnny Smith mit Shortscale-Byrdland-Hals, eine ES-350 mit dem Hals einer L-5 oder eine 7-saitige Super 400. Wenn ein Kunde genaue Vorstellungen hatte, konnte er sich von Gibson eine Gitarre maßschneidern lassen, was aber offenbar nicht oft in Anspruch genommen wurde. Immer aber blieben auch diese Spezialitäten unverkennbar Gibsons.
Der Auftraggeber der vorliegenden Custom-Built ES-330 wollte in Anlehnung an die frühen Ausführungen dieses Modells schwarze Pickup-Kappen, vor allem aber neben zusätzlich goldener Hardware auch noch einen Center Block im Korpus wie bei einer ES-335. Der Center Block ist in diesem Fall allerdings nicht komplett durchgeführt, wie man das auch bei einer Reihe von 345- oder 355- Modellen findet. Wie bei diesen unterstützt er aber den Bereich zwischen Steg-Pickup und Gurtpin, sowie den Part vorn bis unter den Hals-Pickup.
In der ca. 10 cm breiten Lücke dazwischen ist oben und unten das übliche Futter für den Block zu sehen. Auch wenn er nicht ganz durchgezogen ist, so vermittelt dieser partielle Center Block der Gitarre doch ein ziemlich massives, also Feedback-resistentes Tonverhalten, das sich kaum von dem eines komplett durchgezogenen Blocks unterscheidet. Das Phänomen dieser auch bei den ES-335-Modellen (ab 1962) gar nicht so seltenen Cutouts bei Center Blocks geht auf die ES-345 zurück. Man benötigte Platz im Korpus für die in Boxen untergebrachten Drosseln der Varitone-Schaltung, aber damit ließen sich natürlich auch die Kabelbäume einer 335 leichter verlegen.
Unser Custom Built-Modell liegt also mit seinem Cutout Block durch – aus im Rahmen der üblichen Fertigungspraxis bei Gibson, nur dass der Center Block bei der ES-330 eine absolute Ausnahme darstellt. Es handelt sich um eines von nur zwei belegten Exemplaren, die jemals mit Center Block gebaut wurden. Nicht ganz unerwartet wartet diese ES-330 denn auch mit höchst interessanten Klangfarben auf, die einerseits von den überaus präsenten, gleichsam nach Holz riechenden P-90-Sounds geprägt sind, andererseits aber auch von einem langen Sustain getragen werden und das alles bei bester Feedback-Resistenz.
Der markant herausgestellte Anschlag tut ein Übriges, um dieses fabelhaft dynamisch und in Gain-Positionen mit tollem Aufriss agierende Instrument als etwas ganz Besonderes aus der Masse hervorzuheben. Eine ES-330 in gutem Zustand aus den frühen 70er-Jahren mag ab ca. € 6000 aufwärts zu finden sein, was aber wird dann wohl für eine Ringeltaube wie dieses Custom Built-Modell aufgerufen? Eine ganz besondere Gibson ist diese Center-Block-ES-330 aber ohne Frage auf jeden Fall.
(erschienen in Gitarre & Bass 04/2023)