(Bild: Franz Holtmann)
Lediglich Billigausführungen, Cheap Little Sisters der Gibson-Gitarren? Von wegen – das kam erst später! Die Epiphone-Electrics der 60er-Jahre bewegen sich auf Augenhöhe mit den Gibson-Modellen jener Zeit.
Rückblick: Gitarrenbau-Pionier Les Paul fühlte sich der frühen Epiphone Company stark verbunden. Kein Wunder, durfte er doch in deren New Yorker Fabrik nächtens an seinen Ideen und Erfindungen herumbasteln. Dort entstand 1941 denn auch „The Log“, ein wegweisendes Experiment in Richtung Solidbody oder Semi-Solidbody, für das Lester Polfuß eine Epiphone-Archtop mittig durchsägte, in die Mitte einen mit selbstgebauten Pickups bestückten Massivholzbalken schraubte, die Flügel dann links und rechts mit Metallklammern wieder anbrachte und einen Gitarrenhals von Gibson montierte. Der Rest ist Geschichte!
Aber Les war es auch, der Gibson Chef Ted McCarty nahelegte, sich der dahinsiechenden Epiphone-Company anzunehmen, was dann letztlich zur Übernahme führte.
Im Jahr 1957 ging die Firma des alten Erzrivalen mitsamt Inventar an Gibson. Ted McCarty hatte anfangs lediglich Epiphones Kontrabassproduktion im Auge, ein Fertigungsssegment, das Gibson nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgenommen hatte. Aber bereits im Übernahmejahr bekundete McCarty in einem Memo seinen Plan, das renommierte Epiphone-Label mit neuen Modellreihen wiederaufleben zu lassen. Nicht zuletzt, um mit einer zweiten Linie an Qualitätsinstrumenten endlich auch jene Händler bedienen zu können, die nicht zum Vertragskundenstamm zählten.
McCarty siedelte die Firma kurzerhand nach Kalamazoo, Michigan um, wo die Modelle der neu konzipierten Epiphone-Reihen von bewährten Gibson-Arbeitern fortan quasi Seite an Seite mit den Gitarren der Gibson-Linien aus identischen Hölzern und anderen Komponenten wie die Gibson-Modelle auch gefertigt wurden. Bereits 1958 kam ein Katalog mit Epiphone Electrics und Acoustics heraus. Bei den Designs handelte es sich zum Teil, aber durchaus nicht ausschließlich, um Anlehnungen an Gibsons (weniger) Solidbody- und (mehr) Thinline-Modelle.
Garant für beste Fertigungsqualität war im Übrigen ein gewisser Les Propp, den die Gibson-Mutter CMI zum Verkaufsleiter für Epiphone bestellt hatte. Das Top-Modell Sheraton z. B. übertraf an luxuriöser Ausstattung sogar das Gibson-Pendant ES-355. Propp tat alles dafür, Epiphone so erfolgreich wie Gibson zu machen, was immerhin zu einem Anteil an der Kalamazoo-Produktion von 20% im Jahre 1965 führte.
ROCKSTAR INKOGNITO
Einen ordentlichen Schub in der öffentlichen Wahrnehmung verschafften damals natürlich die Beatles der reanimierten Firma. Ab 1964 traten Paul, John und auch George mit Casino-Modellen auf, und Paul schrieb ‚Yesterday‘ auf seiner Texan-Flattop. Obwohl sich durchaus prominente Namen wie Hendrix, Springsteen, Marriott, Townshend oder Winter mit Epi-Solidbodys verbinden lassen und sie auch heute noch bei Wilco, Pete Doherty, den Hellacopters u.v.a. durchaus eine Rolle spielen, blieben diese Modelle doch eher Geheimtipps und sind, verglichen mit Gibsons, auch immer noch erschwinglich.
1958 erschien mit dem Modell Crestwood das erste Epiphone-Solidbody-Design, 1959 gefolgt vom 1-Pickup-Modell Coronet und der Wilshire als recht eigenständige Mahagoni-Konstruktionen. Der anfänglich noch symmetrisch und leicht eckig gestaltete Double-Cutaway-Body erhielt bald schon gerundetere Korpuskonturen.
Das zunächst mit großer 3+3-Kopfplatte und zwei P-90-Soapbar-Pickups herausgebrachte Wilshire-Modell (vorgestellt in der G&B-Ausgabe 10/2020) bekam dann 1963 eine leicht asymmetrische Korpusform mit vorspringendem Horn oben verpasst, einen Hals mit langem, abgewinkeltem „Batwing“-Headstock und dazu noch zwei Mini-Humbucker. Wegen dieser Merkmale wird die bis zu ihrem Produktionsende 1969 dann kaum noch veränderte Wilshire gerne auch schon mal als „Workingman’s Firebird“ beschrieben. Aber genauso gut könnte man von einer Annäherung an die SG Standard sprechen. Loben wir lieber die Eigenständigkeit dieses Designs.
KOMPETENT & BISSIG
Die Konstruktiondetails der Wilshire: Korpus aus Honduras-Mahagoni, eingeleimter einteiliger Mahagonihals, Rio-Palisandergriffbrett mit Pearloid Dot Inlays, Batwing-Headstock mit „six-on-a-side“-Single-Line-Kluson-Tuners. ABR-1 Tune-O-Matic Bridge, Stop-Tailpiece oder Vibrato-Tailpiece (optional bis 1966). Zwei Alnico-Mini-Humbucker, individuelle Volume- und Tone-Regler mit „Cheap Amp“-Style-Knöpfen. Das asymmetrische Pickguard umfasst den Hals-Pickup.
Die Hardware ist durchgehend Nickel, die Standardfarbe Cherry Red. Abgesehen von den Griffbretteinlagen – Ovale hier/Dots da – und einem Griffbrett-Binding bei der Crestwood, sind die zwischen 1963 und 1969 gefertigten Wilshire- und Crestwood-Modelle prinzipiell identisch. Allerdings ist kaum eine Epiphone Crestwood ohne Vibrato-Tailpiece zu finden, während bei der Wilshire das Stop-Tail üblicher Standard ist.
Die Schwingungseigenschaften des vorliegenden Modells, ausgestattet mit dem exklusiven Tremo-Tone-Vibrato mit E-Logo-Palisandereinlage, sind einfach famos. Bemerkenswert ist vor allem das harmonisch aufgelöste Klangbild, eine Kombination aus offener Transparenz und trockener Mahagoni-Wärme. Elektrisch entpuppt sich diese Gitarre dann als wendig und klanglich souverän im konventionellen Betrieb, in High-Gain-Positionen aber auch als überraschend angrifflustig. Die durchsetzungsfähige kleine Rock’n’Roll-Queen wartet mit enormer Präsenz und sattem Biss auf – alle Achtung.
Dazu spielt sich diese Wilshire mit ihrem schlanken, sehr schön verrundeten Halsprofil noch großartig. Ein starkes Stück Gitarre! Die Epis aus den 60er-Jahren sind mit den legendären Gibson-Modellen also in jeder Hinsicht vergleichbar, ihre Preise am Vintage-Markt aber immer noch moderat. Eine alte Epiphone Batwing-Wilshire ist ab etwa € 3.500 zu haben. Erstaunliche Preise von bis zu 20.000 US-Dollar werden indes für seltene Custom-Color-Ausführungen in Inverness Green, Golden Mist, Sunset Yellow oder California Coral aufgerufen.
(erschienen in Gitarre & Bass 08/2021)