Vintage Guitar Stories: 1961 National Westwood 77

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(Bild: Franz Holtmann)

In den Map-Guitars von National manifestieren sich zeittypische Design-Vorstellungen der frühen 60er-Jahre. Die sollten den amerikanischen Electrics damals einen coolen Status irgendwo zwischen Straßenkreuzer, Bubblegum und Art Deco verschaffen.

In den 50er- und 60er-Jahren fertigte der Hersteller Valco in Chicago neben verschiedenen Modelllinien an Electrics unter Namen wie Airline, Supro und Oahu auch die berühmten Map-Guitars für National. Mit etwas gutem Willen konnte man im Korpuszuschnitt die Silhouette der USA darin erkennen. Der markante Wiedererkennungswert verfehlte seine Wirkung nicht, und ab 1961 kam National mit den aufsehenerregenden Modellen Glenwood, Val-Pro, Newport und Westwood heraus.

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In der Reihe der „Landkarten-Gitarren“ waren die Westwood-Versionen die eher konservativen – da aus Holz gefertigten – Schwestern der damals als sensationell innovativ gefeierten, mit dem neuen Wundermaterial Fiberglas hergestellten Map-Modelle Glenwood und Val-Pro. Für den Verbundstoff dieser augenfällig gestalteten Hollowbody-Modelle erfand man den schönen Begriff Res-O-Glas, eingesetzt zuvor schon ab ca. 1958 bei Airline-Modellen aus Valco-Produktion.

Durch das Pressen von Glasfasermatten in eine Form mit Zwei-Komponenten-Epoxidharz konnte ein Korpus jede beliebige Form, also auch den einer Landkarte annehmen. Das nach der Aushärtung leichte, aber sehr stabile Material – bestens geeignet etwa für den Bau von Kanus – war für die Gitarre nun nicht unbedingt der definitive Baustoff, und so hatten die billigeren, nicht ganz so coolen Westwoods aus Ahorn letztlich in Sachen Stabilität und Sound die Nase vorn.

Die Westwood kam in den Versionen 77, 75 und 72 auf den Markt – die Nummern standen für Farben und Pickup-Layouts. Die schicke Westwood 77 mit drei Pickups gab es in der knalligen Farbe Cherry, die 75 in einem schwarz-kirschfarbenen Sunburst und die 72 in Blond. Schlichter im Erscheinungsbild als die Fiberglas-Modelle, hatten die aus Holz gefertigten Versionen aber immer noch gebundene Griffbretter aus Rio-Palisander mit Blockeinlagen auf einem aufgeschraubten Hals aus Ahorn. Der an den German Carve erinnernde umlaufende Konturschnitt an den Korpusrändern half, den profanen Slab-Look zu vermeiden.

Die auf der großen, sogenannten „Gumby“-Kopfplatte mit Silver-Finish-National-Logo montierten Kluson-Deluxe-Mechaniken waren mit speziell für Valco gefertigten weißen Köpfen in stilvoller Flossenform ausgestattet. Kultig auch das Plexiglas-Pickguard mit aufgeprägtem „National Val Pro“-Wappen. Die Plastikabdeckung am Korpusboden verdeckt im Übrigen großzügige Lochbohrungen, die das Gewicht der Gitarre reduzieren, erlaubt aber natürlich auch Zugang zu den elektrischen Komponenten.

Bleiben noch die Adjustable Rosewood Bridge und das an der Zarge hinten befestigte, trapezförmige Tailpiece zu erwähnen. Die Gitarren verfügen über eine 628mm-Mensur.

DEKORATIV ABER MIT FUNKTION

Die Top-Modelle der Map-Linien hatten alle drei Tonabnehmer, darunter zwei großformatige, in Metallkappen gesetzte „Vista-Power“-Singlecoil-Pickups und als weitere Innovation den „Silver-Sound“ Undersaddle-Transducer, wohl mit der früheste Tonabnehmer dieser Art. Jeder Pickup hatte einen eigenen Lautstärke- und Tonregler mit weißen Plastikknöpfen, dazu kam noch ein Master Volume.

Wie bei den frühen Strats war über den Dreiweg-Schalter immer nur ein Tonabnehmer anwählbar. Die Map-Gitarren von National sind allesamt großartige Beispiele für das vom Aufbruch zu neuen Ufern geprägte Gitarren-Design der frühen 60er-Jahre. Es gab sie nur bis 1965, obwohl Fiberglas dann auch nach dem Verkauf an die Firma Kay noch eine zeitlang Verwendung fand. Aber auch Kay strich dann bereits 1968 die Segel. Einige Landkartengitarren wurden am Ende wohl noch aus übriggebliebenen Teilen zusammengebaut.

Die lange Zeit als profane Kaufhausinstrumente verspotteten Gitarren von Valco erlebten ihrer coolen Optik, aber auch der etwas anderen Sounds wegen späte Anerkennung durch Spieler und Acts wie Jack White, The Cure, David Bowie, PJ Harvey oder Calexico. Als heißer Liebhaber von Plastikgitarren und anderer saitentragender Obskuritäten gilt auch der kalifornische „Prince Of Polyester“ David Lindley. Der langjährige Gitarrist und Bandleader von Jackson Browne wurde bei uns unter eigenem Namen mit seiner Band El Rayo-X durch seine Rockpalast-Konzerte Anfang der 80er-Jahre bekannt. Natürlich trug der Slide-Spezialist immer wieder auch National Map Guitars passend zum bunten Hawaii-Hemd.

(Bild: Franz Holtmann)

Das vorliegende Westwood-Modell bietet mit den noch originalen Bünden im Palisandergriffbrett – flach abgerichtet, aber noch gut spielbar – auf einem nicht zu kraftvoll gestalteten Hals etwas rustikal eigene, aber dennoch prinzipiell recht komfortable Spielbedingungen. Die von den großen Singlecoils vermittelten Sounds sind von durchaus origineller Farbgebung, klingen sogar überraschend gut und weniger scharf als etwa Fender-Pickups. Der Undersaddle-Bridge-Pickup dagegen tönt schon recht harsch und eckig. Wenn man so will, hat das einen gewissen Trash-Charme. Zu loben bleiben aber die revolutionäre Idee und der frühe Versuch.

Nach Europa gelangten offenbar nur wenige der National Electric Guitars. Am Vintage-Markt werden Res-O-Glas-Modelle vor allem wegen ihres Coolness-Faktors höher gehandelt als die etwas einfacheren Westwoods. Erstere sind mit etwas Geduld – denn sie werden höchst selten angeboten – zur Zeit etwa für 4000 bis 6000 Dollar aufzuspüren; für Map Guitars aus Holz sind 2500 bis 3500 Dollar zu latzen.

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2021)

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