(Bild: Franz Holtmann)
1957 – ein magischer Jahrgang. Für viele Sammler und Fender-Kenner ist dieses Jahr eines der Besten in der langen Produktionsgeschichte der Modelle Stratocaster und Telecaster. Dafür gibt es durchaus Gründe!
Einige von ihnen gibt es noch heute, aber in den 90er-Jahren wurden in US-Metropolen zahlreiche Vintage-Guitar-Shows organisiert, und auf denen fand man damals traumhafte Instrumente aller Art zu erträglichen Preisen. Vintage-Händler aus Europa und Japan waren mit ihren prall gefüllten Taschen gern gesehene Gäste und kauften vor allem die besonders begehrten Modelle aus den 50er- und 60er-Jahren von Gibson, Epiphone, Fender, Gretsch etc. auf. Die Amerikaner blieben locker, machten ihr Business, und das Arsenal mit den noch in den 70er-Jahren kaum begehrten alten Instrumenten war gut gefüllt.
Ken Parker (Fly Guitars) arbeitete damals in einem der Guitar Shops an der berühmten 48th Street in New York, dem Mekka für Gitarristen schlechthin, mit Läden wie Manny’s, Sam Ash u.v.m.: „In den 70er-Jahren hingen jede Menge alte Strats bei uns im Laden an der Wand. Die waren natürlich abgerockt, hatten runtergespielte Bünde, Spielspuren und Lackschäden. Das wollte damals keiner. Die Dinger fasste niemand an, das waren schlicht Ladenhüter.“
Die Händler in den Läden und auf den Shows gingen auf amerikanische Weise höchst kooperativ miteinander um. Hatten sie ein begehrtes Instrument nicht zur Hand, empfahlen sie den Laden auf der anderen Straßenseite oder einen Kollegen, der so etwas besaß oder besorgen konnte. Alle profitierten von dieser „helf ich dir, so hilfst du mir“-Einstellung. Die Stimmung kippte dann irgendwann Ende der 90er-Jahre, vor allem, wie man hörte, gegen die Japaner, von denen jegliche Kooperation verweigert wurde, wenn es mal um eine Anfrage in Gegenrichtung ging. Was einmal weg war, wurde nie wieder herausgegeben.
In dieser goldenen Zeit war ich selbst als Begleiter eines Händlers auch einmal in New York auf einer Vintage Show. Die wurde im Saal einer Kirchengemeinde abgehalten und war gestopft mit Preziosen – ein Traum! Eine frühe Epi Sheraton für $ 3500, alte Strats für sieben-, acht-, Vintage-Teles ab viertausend Dollar etc. Fündig wurde ich für meinen Begleiter. Schlecht refinished stand eine schwarze Strat irgendwo im Hintergrund. Mir fiel der schöne Hals ins Auge und ich nahm die Gitarre in die Hand. Oha, die war was Besonderes, fühlte sich mit dem V-Neck richtig gut an. Das wollte ich jetzt auch gern mal elektrisch hören. Kein Problem, meinte der Typ hinter dem Tisch, geh mal da hinten um die Ecke und sag Joe du kämst von mir, der hat einen Amp laufen.
Long story short: Großartig, wie toll kehlig und rough das hässliche Entlein klang, ich wollte gar nicht wieder aufhören zu spielen – es handelte sich um eine 1957er-Stratocaster! Ah, endlich beim Thema. Die Gitarre kam dann für recht wenig Geld mit nach Germany. Aber wie cool war das denn: geh mal damit dahinten um die Ecke … der Mann sagte nicht mal „Wiedersehen macht Freude“ oder so was. Vertrauen auf Sicht – eine liebenswerte Familie von Nerds damals.
INFLUENCER CLAPTON
Was ist denn nun so Besonderes an dem 1957er-Jahrgang? 1957 wechselte Fender beim Korpusholz von Esche auf Erle, kein unerheblicher Schritt. Auch war es das letzte Jahr, in dem Fender die Stratocaster in 2-Tone-Sunburst anbot. Ab 1958 kam sie in 3-ToneSunburst. Im Produktionsjahr 1957 gab es aber auch noch ein ganz besonderes Merkmal, das bei Fender-Gitarren nur für einen kurzen Zeitraum zu finden ist: Dieses Halsprofil in Form eines V, das nicht nur, aber offenbar besonders Eric Clapton gefiel.
Im Jahre 1970 kaufte Clapton im Sho-Bud Guitar Shop in Nashville/Tennessee für wenig Geld – die Angaben schwanken zwischen $100 und $300 pro Stück – gleich sechs alte Stratocaster-Modelle. Daheim in England verschenkte er jeweils eine davon an Steve Winwood, George Harrison und Pete Townshend, aus den besten Parts der restlichen drei Gitarren – allesamt Exemplare der 50er-Jahre – schraubte er sich seine berühmte „Blackie“ zusammen. Als Hals wählte er den eines 1957er-Modells. Der lag ihm einfach am besten in der Hand. Diese Gitarre begleitete Clapton für die nächsten ca. 15 Jahre. Am 24. Juni 2004 kam Blackie dann für satte $ 959.500 unter den Hammer, der Erlös der Gitarre ging an das Crossroads Centre in Antigua zur Behandlung Suchtkranker.
Das an dieser Stelle vorgestellte „all original“-Objekt der Begierde von 5-57 (penciled neck/trem cavity date) – nur die Bünde wurden erneuert und ein 5-Way-Toggle ist installiert – erfüllt tatsächlich alle Träume, die sich auf dieses Baujahr nur richten können. Der Look dieses fein patinierten Originals mit zweiteiligem Erlen-Korpus ist perfekt, der softe V-Hals von ungemein geschmeidiger Griffigkeit. Aber das alles wäre doch nur Rauch ohne Schall, wenn sich zu Patina und Haptik nicht auch noch der Ton gesellen würde!
Die Pickups mit kOhm-Werten von 6,2 N / 5,6 M / 5,6 B wandeln die schon akustisch glockigen Toneigenschaften der Gitarre in absolut grundlegende Sounds – nicht nur einfach elektrisch, sondern elektrisierend! Kehlig, nicht zu tiefgreifend im Bass und ungemein griffig im Akkord tönt es über den Hals-Pickup, der im Overdrive dann mit wunderbar sanft röchelnder Singstimme auftritt.
Erstaunlich auch klingt der oftmals wenig beachtete Mittel-Pickup. Hier kommt er mit trocken und holzig knurrendem Ton. Der Singlecoil am Steg klingt scharf und staubtrocken. Mit aufgedrehtem Amp ist es aber erstaunlich, wie herrlich ihm japsende Töne mit viel Obertongeschrei abzuquetschen sind. Kaum zu glauben, wieviel Charme das versprüht. Ein tolles Instrument!
Natürlich klingen einige dieser frühen Gitarren wirklich sensationell. Wenn sie denn überhaupt noch öffentlich gespielt werden. Bei $ 35.000 und mehr, die heute für eine gut erhaltene 57er-Strat aufgerufen werden, wird sie kaum mehr jemand unbefangen mit auf die Bühne nehmen. Nun, Fender revolutionierte den Gitarren – bau seinerzeit durch eine wenig kunstvolle, aber besonders einfach umzusetzende modulare Bauweise – nun sitzt Leo wohl auf seiner Wolke (in sonic blue) und krümmt sich vor Lachen!
(erschienen in Gitarre & Bass 05/2021)