(Bild: Dieter Stork)
„Walrus or die“ – so steht es auf der Packung des neuesten Pedals aus der amerikanischen Pedalschmiede Walrus Audio. Ganz so drastisch muss es vielleicht nicht gleich werden, aber immerhin ins Reich der Träume möchte uns das neue Multi Texture Reverb entführen.
Klar, stinknormale Reverbs kann ja jeder, damit geben sich die Jungs aus Oklahoma City nicht ab. Aber ein Multi Texture Reverb vielleicht? Ja, das klingt doch schon spannender. Nur was ist das eigentlich? Kurzgesagt: Ein Boutique Pedal mit drei verschiedenen Modi die nicht ganz alltäglich sind. Das Reverb richtet sich damit eher an Ambient-, Post-, etc.-Player als an den durchschnittlichen Gitarristen. Äußerst spannend.
Äußere Eindrücke
Geliefert wird das Pedal in einem ansehnlichen Karton. In diesem befindet sich noch mal ein Stoffsäckchen, in dem nun endlich das Pedal zuhause ist. Dazu gibt es eine englische Bedienungsanleitung, ein Plektrum und einen Aufkleber. Das Pedal selber ist dann für Boutique-Reverb-Verhältnisse fast schon unspektakulär. Während die Konkurrenz immer mehr und verrücktere Funktionen einbindet, beschränkt man sich hier auf eine überschaubare Anzahl an Funktionen. Hier gibt es einen Anschluss fürs Netzteil, Input, Output, das war’s.
Aber klar, die Firmenphilosophie ist ja auch, genau die Funktionen und Sounds als Highlight darzustellen, die die Macher in den Effektkategorien am besten finden. Und eben nicht ein möglichst breites Feld abzudecken.
Äußerlich ist das Slö sehr geschmackvoll gestaltet. Die dunkelblaue, leicht schimmernde Farbgebung und das auf dem Mond sitzende Pärchen passt wunderbar zum Anspruch, „dreamy sounds“ zu erzeugen. Ansonsten handelt es sich um ein Standardgehäuse, welches auch im Inneren nur den Blick auf die Platine mit den Neutrik-Buchsen und den SCI Schaltern freigibt.
Auf der Innenseite lernen wir immerhin noch, dass wir hier das Pedal mit der Seriennummer 29 testen, welches erst vor gut zwei Wochen gebaut wurde.
Die Potis am Gerät wirken hochwertig und haben den perfekten Widerstand beim Drehen. Sie laufen satt und wertig. Auch die Fußschalter wissen zu gefallen und lassen sich ohne distinkten Schaltpunkt bedienen. Wieso das sinnvoll ist, werden wir uns gleich anschauen.
Funktionen
Gefühlt hatte ich lange kein Reverb mehr im Test, welches so einfach zu erklären war: Die Funktionen der Potis Decay, Filter, Mix und Depth sind immer gleich, X regelt je nach Modus unterschiedliche Dinge. Decay steuert die Abklingzeit des Hallsignals, Filter ist ein Low-Pass-Filter, dessen Cutoff-Frequenz man steuern kann, also quasi ein Tonregler. Mix regelt das Verhältnis zwischen cleanem und Effektsignal; der Strich in 14-Uhr-Position zeigt hierbei ein Verhältnis von 50:50 an.
Man hat also im cleanen Bereich eine feinere Regelmöglichkeit – ein sehr praktisches Detail. Depth schließlich fügt dem Hall eine Modulation hinzu. Das reicht von kaum wahrnehmbar bis hin zu deutlichen Pitch-Shift-Eskapaden.
Die Grundfunktion wählt man am Dreiwege-Schalter in der Mitte. Hier bestimmt man, welchen Reverb-Algorithmus man nutzen möchte. Zur Wahl stehen „Dark“, „Rise“ und „Dream“. Dark fügt eine tiefe Oktave zum Hallsignal hinzu. Per X-Poti kann man nun die Lautstärke der Oktave bestimmen. Rise bietet einen automatisch anschwellenden Hall. Mittels X wird eingestellt, wie lange es dauert, bis der Hall nach der gespielten Note hörbar wird. Dream wiederum ist zunächst der „normalste“ Reverb. Hier regelt X ein zusätzliches Vibrato auf dem Hallsignal.
Der Bypass-Schalter ist selbsterklärend, erlaubt aber beim Gedrückthalten den Zugriff auf Sekundärfunktionen (daher war es auch sinnvoll, Schalter ohne Druckpunkt zu verbauen). Der Sustain-Schalter wiederum verhält sich je nach Modus unterschiedlich. Bei Dark und Rise wird, während man ihn hält, das Decay auf Volldampf gestellt. Befindet man sich im Dream-Modus, so wird er zu einem Latching-Schalter. Ein einmaliger Druck (ohne Halten) und das aktuelle Hallsignal wird quasi unendlich lange gehalten. Drückt man erneut, so fadet es langsam aus, je nach Stellung des Decay-Potis.
Eigentlich haben wir hier alles erklärt. Aber natürlich gibt es heutzutage noch Sekundärfunktionen. So stehen neben dem Algorithmus in der Mitte noch die Begriffe Sine, Warp und Sink. Hält man den Bypass Taster gedrückt, so kann man hier die Wellenform der Modulation einstellen. Sine ist eine sehr sanfte Sinuswelle, Warp emuliert eine gewölbte Platte und Sink ist ein Pitch Effekt nach unten, welcher an ein Bigsby erinnern soll. Ändert man die Einstellung, so merkt sich das Slö dies. Ruft man also das nächste Mal den entsprechenden Algorithmus auf, so ist noch die gewünschte Wellenform aktiv. Als Sekundärfunktion des Depth-Reglers finden wir noch die Modulations-Rate. Sehr praktisch, dass dies regelbar ist und auch gut merkbar, dass sie hinter diesem Poti liegt. Das war es nun aber und wir können endlich mit dem spannenden Teil loslegen. Dem Sound.
(Bild: Dieter Stork)
Sounds
Das Gute: Das Pedal führt zu keinen ungewollten Verfärbungen oder Kompression im Signal. Das Bessere: Der Effekt klingt toll! Der Einfachheit halber fangen wir mal mit der Dark-Einstellung an, immerhin ist sie die oberste. Wir lassen X und Depth aber erst mal auf null und hören auf die Grundqualitäten des Walrosses. Es ergibt sich ein sehr geschmeidiger, angenehmer Hallsound, der eher im Hintergrund agiert, als sich in den Vordergrund zu drängeln. Dies kann man schön mittels Filter-Poti regulieren.
Im Dark-Modus muss man es schon recht weit aufdrehen, bis der Hall präsent ins Signal kommt – durchaus angenehm und ein gut abgestimmter Regelweg. Gleiches gilt für das Mix-Poti. In der Praxis nutzt man ja öfter einen Mix-Anteil unter 50% und diesen kann man hier nun genauer als bei vielen anderen Pedalen regeln. Auch schön ist allerdings, dass bei voll aufgedrehtem Poti wirklich nur noch das Effektsignal zu hören ist. Praktisch für Special-Effects oder parallele Effektwege, beziehungsweise ein Wet-Dry-Wet Setup.
Die maximale Decay-Dauer ist mit ca. 10 Sekunden gut gewählt und bietet einen breiten Spielraum. Hier können ohne Probleme feine Einstellungen fixiert werden. Die Tails sind eher ausgewaschen und nicht so „klar digital“, wie man es vielleicht zunächst erwarten würde. Aber hier wurden einem ja auch opulente Soundscapes versprochen. Diese erzielt man am besten, wenn man nun doch etwas das X-Poti aufdreht. Im Dark-Modus mischt sich nun langsam die tiefe Oktave hinzu.
Es ergibt sich ein leichter Horror-Sound, oder, um beim Thema des Pedals zu bleiben, vielleicht eher ein Albtraum. Insbesondere auf den tiefen Saiten bettet sich die Oktave gekonnt in den Sound ein und das Ohr weiß zunächst gar nicht, wieso alles so viel voller klingt. Der Effekt ist in den unteren Poti-Einstellungen kaum distinkt wahrnehmbar und reichert den Ton einfach auf interessante Weise an.
Später wird er dann sehr deutlich und man kann auch gut das Tracking testen. Auf Singlenotes funktioniert dieses in allen Lagen sehr gut, bei Akkorden wirft das Walross aber das Handtuch. Glücklicherweise wird hier dann nicht wild zwischen Tönen gesprungen oder Ähnliches, vielmehr ergibt sich ein Klang, der entfernt an ein Overdrive im Signal erinnert. Irgendwie spannend verwaschen und durchaus nutzbar. Man kann also zwischen Singlenote-Licks auch kurze Akkorde spielen ohne das Pedal ausschalten zu müssen – als Hauptanwendungsgebiet sehe ich dies allerdings nicht.
Mischt man nun noch per Depth etwas Modulation hinzu, so wird wiederum alles gruseliger. Die verbogene Platte beim Warp-Modus kann man gut heraushören, das Bigsby bei Sink ist dann schon ein wenig mehr eine Frage der guten Vorstellungskraft. Wie bereits erwähnt, hält der Sustain-Switch die Töne nur im Dream-Modus unendlich lange. Im Dark-Modus wird einfach die maximale Decay Einstellung angefahren. Super, um bestimmte Passagen mit dem Grusel-Sound zu betonen.
Noch passender finde ich den Sustain-Switch im Rise-Modus. Hier ergeben sich wirklich tolle Ambient-Sounds, die über den X-Regler feingetunt werden können. Auch die Einstellung des Filters ist hier minimal anders, generell ist der Modus heller ausgelegt. Meine persönliche Einstellung wäre: Filter etwas über 12 Uhr und den Warp Modus mit langsamer Modulation dazu.
Kommen wir nun zum Dream-Modus. Hier wird einem eine Vielzahl an Träumen geboten. Da das X-Poti hier ein zusätzliches Vibrato auf das Effektsignal legt, wirkt alles noch mehr wie ein Albtraum. Die Latching Funktion des Sustain-Switches passt perfekt dazu, kann sie einen doch in die unendliche Walross-Hölle schicken. Einfach kurz vorm neuen Akkord erneut drücken, schon folgt die Erlösung. Der einzige Wermutstropfen ist hier, dass Töne, die gespielt werden während das Sustain aktiviert ist, nicht mit einem Hall versehen werden – klar, dafür müssten hier ja auch zwei Prozessoren verbaut sein.
Was man jedoch machen kann, ist, die Einstellungen des Halls zu verändern, während dieser gehalten wird. Toll für Live- und Studioeffekte, bei denen dann auf einmal ein Vibrato oder eine Modulation auf dem Signal auftaucht und wieder verschwindet. Zu diesem Modus passen alle Wellenformen sehr gut. Sine ist wie ein Flug durch eine Traumwelt. Bei Warp kommt es zu deutlichen Turbulenzen und bei Sink geht man langsam aber sicher in den Sinkflug über.
Resümee
Zusammenfassend lässt sich das Slö als Ambient-Pedal beschreiben, welches seine Stärken deutlich im Bereich der Texturen und bei unüblichen Effekt-Sounds hat. Es will gar nicht dein einziges Haupt- Reverb für all die langweiligen Federhall-Sounds sein. Es will viel mehr seine Stoßzähne in die Gehörgänge der Zuhörer vertiefen, sodass diese sich später fragen: Was war das denn jetzt?
Das Pedal ist gut verarbeitet, gut zu bedienen und belegt gekonnt seine Nische. Mich freut es jedenfalls sehr, dass immer mehr „Special Interest“-Pedale auf den Markt kommen und so jeder genau den Sound umsetzen kann, den er im Kopf hat. Das Slö der netten Walrosse aus Amerika kann jedenfalls sicher gut dabei helfen.
Preis: ca. € 209
PLUS
- vielseitige Sounds auch durch Wellenformen
- einfache Bedienung
- Sustain-Funktion
www.walrusaudio.com
(erschienen in Gitarre & Bass 06/2019)