(Bild: Dieter Stork)
Vor gut drei Jahren hatten wir den ersten Combo-Verstärker der US-Firma Vintage Sound Amps auf dem Prüfstand. Damals beschränkte sich das hierzulande verfügbare Programm auf umfassend optimierte Klones der Fender-Blackface-Ära. Mittlerweile hat die Firma ProGuitar, u. a. spezialisiert auf Boutique-Amps diverser Hersteller, nahezu das gesamte Vintage-Sound-Portfolio an Land gezogen.
In Zusammenarbeit mit dem vielfach ausgezeichneten Gitarristen und Songwriter Brent Mason, einem der angesagtesten Session-Gitarristen Nashvilles und Country-Picker par excellence, entstand der Brent Mason 45 Combo, der auf einem Fender Vibrolux Reverb Amp der 60er-Jahre basiert und zugleich der erste Signature Amp von Vintage Sound ist. Ein Blackface also, in kompromissloser Röhrenbauweise, unter (hinsichtlich des Preises) rücksichtsloser Verwendung von High-End-Komponenten und mit penibler Hand-made Punkt-zu-Punkt-Verdrahtung wohin man schaut. Zudem kommen auffallend viele Tube-Amp-Doctor-Bauteile (TAD) zum Einsatz.
Von Punkt zu Punkt
Das Amp-Chassis, verschweißt aus 1,66 mm Alublech, hängt an sogenannten Straps und vier langen Gewindeschrauben unter der Gehäusedecke, bei der man auf Abschirmung in Form von Alufolie verzichtet hat. Anstelle von eingesetzten Käfigmuttern verwendet Vintage Sound Sicherheitsmuttern und UScheiben. Demzufolge ist der Ausbau, vor allem aber der spätere Einbau des Chassis nur mit viel Geduld und schlimmstenfalls verrenkten Fingern machbar. Ich bin jedoch sicher, dass das Teil so gut wie nie demontiert werden muss, da alle Röhren und die Bias-Messpunkte von außen zugänglich sind. Allerdings muss ich feststellen, dass der Chassisboden, möglicherweise durch einen Sturz während des Transports, aufgrund der schweren Ausgangstrafos verbogen ist. Ein Stahlchassis hätte diesem sicherlich standgehalten, würde den Combo jedoch zusätzlich schwerer machen.
Mit zwei 6L6GWC-STR Röhren liefert die Endstufe 45 Watt. Es gibt zwei – bei Bedarf per externer A/B-Box schaltbare – Kanäle jeweils mit Hi/Lo Inputs. Die Funktion der obligatorischen Bright-Schalter übernehmen die jeweiligen Volume-Potis durch Herausziehen. Kanal 1 kommt mit einer 2-Band-(Treble, Bass), Kanal 2 mit 3-Band-Klangreglung (Treble, Middle, Bass). Federhall und Vibrato-Effekt, regelbar per Reverb bzw. Speed und Intensitiy, stehen beiden Channels zur Verfügung. Apropos Vibrato: De facto haben wir es mit Tremolo (Lautstärkenmodulation) zu tun, aber das ist ein von Leo Fender in die Welt gesetztes Dauerthema.
Standesgemäß sind beide Effekte röhrenbetrieben und lassen sich mit dem zugehörigen Doppelfußschalter aktivieren. Eine blau leuchtende Betriebsanzeige (Pilot Lamp) schließt die Bedienfront ab. Nicht weniger üppig hat man die Rückseite ausgestattet. Neben dem Netzkabelanschluss finden wir ein Master-Volume-Poti, das per modifizierter „Trainwreck“ Post-Phase-Inverter-Schaltung die Endlautstärke des Amps variabel macht. Es folgen drei Bias-Messpunkte, ein 2/4-Ohm-Schalter für externen Lautsprecherbetrieb, Sicherungshalter, Power- und Standby-Schalter sowie zwei Speaker-Anschlüsse – der linke ist durch die Bordlautsprecher belegt. Ein Dwell-Regler fungiert quasi als Effects Send Level, wodurch sich der Hall feinfühliger einstellen lässt, vor allem bei hohen Volume-Settings.
(Bild: Dieter Stork)
Die Cinch-Anschlüsse des Fußschalters lassen sich wegen der offenen Stecker nur schwer herausziehen. Dagegen komplettieren griffige Cinch-Winkelstecker der Reverb-In/Out-Anschlüsse die Rückseite. Es wäre sicherlich praktischer gewesen, dem Fußschalter griffigere Cinch-Stecker zu spendieren, da man ihn möglicherweise abnabeln möchte, anstatt ihn während des Transports im Gehäuse herumfliegen zu lassen. Während die Bias-Messpunkte (Ground, Röhre 1, Röhre 2) auf der Rückseite direkt zugänglich sind, findet man den Bias-Regler zum Ruhestromabgleich der Endröhren auf der Chassis-Unterseite in der Nähe von Schallwand und Reverb-Poti zwischen den großzügig bemessenen Trafos. Äußerst unpraktisch, jedoch alles vintagekonform wie beim Vorbild!
Kommen wir zum Gehäuse: Massives Kiefernholz, 19 mm dick, die verrundeten Kanten mittels Schwalbenschwanzpassungen verzahnt. Stabilisiert wird der Rahmen von der Schallwand aus 19 mm und zwei Rückwänden aus jeweils 9 mm Birkensperrholz. Letztere sogar per Gewindeschrauben und eingelassenen Gewindehülsen montiert. Vier metallene Schoner an den unteren Ecken, dicke Gummifüße, ein dicker robuster Ledergriff oben drauf, silber-beige Fender-style Frontbespannung und rundherum sorgfältig verklebtes schwarzes Tolex bilden das Exterieur. Die beiden 10″-Warehouse-Green-Baret-Lautsprecher hat man über Einschlaggewinde vierfach von hinten verschraubt, das große MOD-Federhallsystem ruht in einem auf dem Gehäuseboden verschraubten gepolsterten Etui.
Let‘s get loud
Angesichts der hochwertigen Bauteile und der vorbildlichen Handarbeit sind meine Klangerwartungen groß. Erster Eindruck: Cleansounds zum Niederknien mit beachtlichen Lautstärkereserven! Die WGS-Speaker liefern in dem soliden Kieferngehäuse ein beeindruckend warmes, druckvolles aber dennoch straffes Low End, gleichzeitig aber auch wunderbar klare und crispe Höhen und gesunden durchsetzungsfreudigen Push in den Mitten.
(Bild: Dieter Stork)
Das Klangbild ist lebendig, transparent, perfekt ausgewogen und harmonisch und besitzt enorme räumliche Tiefe. Wer braucht da noch 12-Zöller?! Beide Kanäle zeigen leichte Klangunterschiede. Während nämlich bei identischen Einstellungen der Volume-, Treble- und Bass-Potis Channel 1 etwas klarer und mit einem leichten Plus an oberen Mitten daherkommt, tönt Channel 2 insgesamt wärmer. Dreht man dessen Middle etwa auf 9, lassen sich die Sounds nahezu angleichen. Beide Bright-Schalter (Pull Volume) öffnen das Spektrum nach oben hin, liefern glasklare, brillante, stets harmonische und niemals aufdringliche oder gar nervige Klänge. Die Treble- und Bass-Regler agieren höchst wirkungsvoll und erlauben umfassende Bearbeitung. Dagegen gibt sich Middle schon fast nuanciert.
(Bild: Dieter Stork)
Je nach Pickup-Output, Gitarren-Volume und/oder Anschlagsintensität ist erste Röhrensättigung etwa bei Volume 5-6 festzustellen, was bei voll aufgedrehtem rückseitigem Master-Volume mit beeindruckender Lautstärke verbunden ist. Apropos: Dank der hinter der Phasenumkehrstufe angeordneten und modifizierten „Trainwreck“ Master-Volume-Schaltung arbeitet die Absenkung des Ausgangspegels völlig stufenlos und selbst bei stark reduzierten Pegeln nahezu ohne Klangverluste. Dieses Feature steht allerdings erst seit den 2019er Brent-Mason-Modellen zur Verfügung.
Um dem Amp heftigere Zerre zu entlocken, müssen die jeweiligen Volume-Regler in die oberen Bereiche oder gar bis zur Vollaussteuerung gefahren werden. Auch dies macht der Combo bei dezenter Kompression bereitwillig mit und blüht dabei mit Dichte und gleichermaßen harmonischem wie musikalischem Zerrcharakter förmlich auf. Klar, dass bei hohen Volume-Settings dem ansonsten warm, dicht und wunderbar räumlich tönenden Federhall Grenzen gesetzt sind. Dies lässt sich jedoch durch Reduzieren von Dwell (Rückseite) leicht in den Griff bekommen.
(Bild: Dieter Stork)
In die Klangqualitäten des Federhalls reihen sich die des röhrenbetriebenen Vibratos – äh, Tremolos – nahtlos ein. Warm und weich pulsiert die Lautstärkenmodulation mit praxisorientiert wählbarer Intensität und Geschwindigkeit. Dass beide Effekte in beiden Kanälen aktiv sind, sehe ich je nach Einsatzvorhaben als Fluch und Segen zugleich. Daher würde ich mir zwei Schalter wünschen, die es gestatten, die Effekte unabhängig voneinander auf beide Kanäle oder nur auf Channel 2 zu legen.
Resümee
Seitdem ein Original des Fender Vibrolux Reverb Amps der Blackface-Ära kaum noch zu bekommen, und wenn, dann in akzeptablem Zustand nur schwer bezahlbar ist, lassen immer öfter kleine Hersteller mit Repliken bzw. Plagiaten aufhorchen.
Rick Hayes, Mastermind von Vintage Sound Amps, hat sich ganz gezielt diesem Thema gewidmet und das, wie der Test des Brent Mason Signature 45 bestätigt, mit Erfolg. Erstklassige Bauteile, kompromisslose penible Handarbeit, sinnvolle zusätzliche Features und Modifikationen machen dem praktizierenden Gitarristen die Wahl leicht. Original oder Plagiat? Das ist hier keine Frage, denn der 45 Combo punktet nicht nur mit beeindruckendem Vintage-Ton, sondern auch mit enormer Dynamik und exzellent klingenden Effekten. Auch in puncto Zerrverhalten läuft er dem Original locker den Rang ab. Klar, handmade in the U.S.A., da könnte der Preis durchaus abschrecken, dennoch steht er hier in einem ausgewogenen Verhältnis zum Gebotenen.
Plus
- exzellente Klangqualitäten
- harmonische Verzerrung
- Ansprache & Dynamik
- sehr gut klingende Effekte
- nahezu klangverlustfreies Master-Volume
- nebengeräuscharm
- Qualität der Bauteile
- Verarbeitung
Minus
- wenig servicefreundliche Montage des Amp-Chassis
(erschienen in Gitarre & Bass 09/2019)