Ein (Mani)Fest des guten Tons

Test: Twangtone Manifesto

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(Bild: Dieter Stork)

Angesichts der Flut von Overdrive- und Distortion-Pedalen, die in den letzten zehn Jahren auf den Markt gekommen sind, verspürt man mitunter Zeichen der Müdigkeit, wenn ein weiteres zur Tür hereinkommt. Mal sehen, ob das Manifesto von Twangtone dem „Establishment“ die geballte Faust ins Gesicht schlägt und mich wieder wach macht!

Twangtone, das Instrumenten-Label des musikalischen Tausendsassas und Gitarre & Bass-Autors Heinz Rebellius, belebt die hiesige Pedalszene alle Jahre wieder mit Kreationen, die in gut informierten Kreisen längst Kultstatus genießen – genannt seien das Morricone Fuzz (in Zusammenarbeit mit Bremerklang) und das Dakota Red (in Zusammenarbeit mit Orion Effekte).

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Rebellius hatte sich noch einmal mit dem kürzlich verstorbenen Pedal-Guru Bernd C. Meiser zusammengetan (Nachruf auf S. 26). Bernd war bekannt für seine Marke BSM, als Gitarre & Bass-Autor, für seine Treble-Booster-Expertise und vieles mehr. Gemeinsam wollten sie etwas völlig Neues erschaffen: Das Manifesto – ein Doppel-Overdrive-Bodentreter, der keinem bisher bekannten Pedal-Bauplan folgt.

Das erklärte Ziel: Nicht der Sound der allseits bekannten Overdrives und Distortions, den man seit den späten 1970ern kennt, soll hier repliziert werden, sondern eher die kurze, aber stilprägende Ära der Rockmusik, in der vor allem Transistor-Booster vor Röhren-Amps eine entscheidende Rolle für die Formung des Sounds spielten – also die frühen 1970er Jahre. Ob das gelungen ist, hören wir gleich.

KONSTRUKTION

Wer angesichts des Namens sozialistische Kargheit erwartet, wird schon beim Auspacken des Manifesto eines Besseren belehrt: Das Gerät kommt in einer edlen, ovalen Blechbüchse, die Helden der Arbeit als Pausenbrot-Box wiederverwenden könnten.

Darin steckt das Pedal in einem roten Samtsäckchen, das mich an die Inneneinrichtung des Hotel Sovietsky (inklusive dem… äh „Klub“ im Keller) in Moskau erinnert. Auf dem Pedal selbst prangt eine geballte Faust, die zusammen mit den stilisierten Sonnenstrahlen und dem Namen als augenzwinkernde Anspielung auf die Propaganda-Poster alter Zeiten verstanden werden kann.

Das in Deutschland handgebaute Pedal ist recht klein (in etwa doppelte MXR-Standardgröße). Alle Anschlüsse befinden sich lobenswerterweise an der Stirnseite. Gespeist wird es entweder mit einer Batterie oder per 9V-DC-Netzteil und sollte mit nur 15mA Stromaufnahme keinen Powerbrick überfordern.

Während die als PreDrive bezeichnete rechte Seite mit einer mehrstufigen Silizium-Eingangsstufe aufwartet, sorgt in der linken Drive-Seite eine Germanium-Ausgangsstufe für den guten Ton. Operationsverstärker-Technik, wie man sie aus den berühmten Overdrives Tube Screamer oder Klon etc. kennt, findet hier keine Anwendung.

Zurück zur Oberfläche: Dort finden wir rechts den PreDrive-Kanal, der mit den Level- und Gain-Potis (Lautstärke und Verzerrungsgrad) auskommt. Von dort fließt das Signal in den mit einem NOS (New Old Stock) Germanium-Ausgangstransistor ausgestatteten Drive-Kanal, der neben Level und Drive einen zweistufigen Presence-Regler sowie ein Tone-Control-Poti aufweist.

Die beiden Kanäle werden mit jeweils einem Fußschalter an- und ausgeschaltet, der Betriebsmodus wird mit separaten LEDs angezeigt. Freilich sind beide Kanäle unabhängig voneinander schaltbar – oder eben auch zusammen. Im ausgeschalteten Zustand sind beide Kanäle „true bypass“.

(Bild: Dieter Stork)

EIN (MANI)FEST

Nun legen wir uns das Manifesto mal unter den Fuß. Alle Regler auf zwölf gedreht, ich kneife ob des erwarteten Faustschlags die Augen zusammen und schalte PreDrive ein – doch siehe da, die Watsche bleibt aus. Und das durchaus im positiven Sinne. Denn was da aus dem Lautsprecher kommt, ist erstmal ein sehr subtiler, gepflegter Boost des Signals, in den sich (je nach Output des Gitarrenpickups) ab zehn bis zwölf Uhr am Gain-Poti gar herrliche Verzerrungen einschleichen.

Viel Gain liefert dieser Kanal dabei nicht, und soll er auch nicht – es handelt sich ja um den „Pre“-Drive. Ich begreife ihn als Boost, den man komplementär mit der anderen Seite des Pedals oder dem Amp sehr vielseitig einsetzen kann. Die Soundkultur ist dabei eher warm. Das ist auch gut so, denn gerade bei „Gain-Stacking“ muss man sich vor plötzlich recht giftigen Höhen in Acht nehmen.

Unity Gain, also gleiche Lautstärke wie vom Amp, herrscht am Level-Poti bei ca. zehn Uhr – der Kanal hat reichlich Boost-Reserven und kann einen Röhrenamp sehr schön „ankitzeln“, ohne den Klang stark einzufärben. Zudem kann dieser Kanal, je nach Genre, als leicht knurriger Rhythm-Sound dienen. Oder sogar für Leads, bei denen man nicht viel Sustain braucht? Die Anwendungsmöglichkeiten allein dieser Seite des Manifesto sind zahlreich.

Nun mal auf die andere Seite gewechselt, zu Drive. Hier wird man mit deutlich mehr Verzerrung empfangen, obgleich auch dieser Kanal Low-Gain und „lowest Gain“ sehr gut abbilden kann, und nicht in Gefilde moderner Metal-Sounds vordringt, sondern selbst bei Rechtsanschlag des Gain-Potis in den frühen 1970er Jahren bleibt.

Wie beim PreDrive fällt nun noch deutlicher auf, dass das Klanggeschehen tatsächlich wenig mit Tube Screamer, RAT, DS-1 etc. zu tun hat. Der Sound ist eher weich, knurrend, leicht wollig – selbst dann, wenn man den Tone-Regler ganz nach rechts dreht.

Hierbei spielen die verwendeten Pickups auf der Gitarre eine große Rolle, und beim Wechsel zwischen einer mit Humbuckern bestückten Duesenberg zu einer Fender Stratocaster greift die Hand zum Presence-Regler und dreht ihn nach links – denn dort ist der Sound etwas gedämpfter als im rechten der zwei Modi und harmoniert geschmeidig mit dem gerne mal Ohrenschmalz-zersetzenden Bridge-Pickup der Strat.

Genau das ist die Ratio hinter dem Presence-Regler. Ein wundervoller, kerniger Overdrive entfaltet sich, fern von modernen, mitunter etwas sägenden Distortion-Klängen späterer Jahrzehnte. Die frühen 1970er mit Sounds wie von The Free, The Who, Mountain etc. lassen schön grüßen.

Auch in einer AC/DC-Revival-Band käme man zumindest in der Rolle von Malcolm Young gut klar, Angus vielleicht nicht so sehr – dafür fehlt es dem Pedal dann, geballte Faust hin oder her, an Aggression. Es kann aber sehr wohl einem bereits knurrenden Marshall-Amp den Angus „einhauchen“. Mit der Strat kann das Klanggeschehen durchaus etwas giftiger werden, es bleibt aber geschmeidig (es sei denn, man hilft mit der Klangregelung des Amps nach).

Bei Rechtsanschlag des Gain-Potis offenbart das Manifesto eine gewisse Fuzz-Note, die eher brummelig als sägend daherkommt. Was passiert denn nun, wenn man beide Kanäle zusammen einschaltet? Tja, da wurde ich auf meine alten Tage dann doch nochmal überrascht. Denn statt des oft schwer kontrollierbaren, fisselig-giftigen „stacked“ Tons zweier Overdrives erklingt da plötzlich ein sehr geschmeidiger Fuzz-Leadsound. Wie David Gilmour in den 1970ern, vielleicht mit noch ein bisschen mehr typischem Fuzz- „Schmatzen“ im Ton, also nicht so seidenglatt wie mancher Big Muff. Ein wahres (Mani)Fest.

(Bild: Dieter Stork)

RESÜMEE

Name und Print lassen vermuten, dass das Manifesto ein wütender, aggressiver Geselle ist – weit gefehlt. Statt Kasalla und Bambule liefert das Pedal außerordentlich schöne, ja salonfähige Sounds. Ein Faustschlag ins Gesicht des Establishments ist das Manifesto dennoch (ein bisschen), wartet es doch mit einem erfrischend anderen Konzept auf als der mittlerweile unüberschaubare Brei an TS-, Klon-, RAT- und BB-Klonen.

Eine eigene, raue Note, fernab von oft gehörtem Overdrive oder Distortion, zieht sich hier programmatisch durch die Kanäle. Wer mehr harten Attack im Anschlag (zum Beispiel bei Riffs) oder mehr Aggression (bei Soli) braucht, wird vielleicht eher zu einem anderen Pedal greifen. Doch im Zusammenspiel mit einem entsprechenden Verstärker kann das Manifesto auch dafür als „Partner in Crime“ exzellente Dienste leisten.

Angesichts der enormen Vielseitigkeit, der edlen Verarbeitung, der liebevollen und einzigartigen Konzeption geht der stolze Preis schon in Ordnung. Das sehen auch andere so, denn die erste Auflage des Manifesto ist bereits ausverkauft, Vorbestellungen werden auf www.gitarrenmensch.de entgegengenommen. Ich wollte es nach dem Test jedenfalls nicht mehr hergeben.

PLUS

● Klangqualität
● Verarbeitung
● Konzept
● pedalboardfreundlich
● Vielseitigkeit
● Individuelle Sounds

(erschienen in Gitarre & Bass 09/2024)

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