Süßes oder Saures

Test: TWA Octoverdrive

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(Bild: Dieter Stork)

 

„Oh weh, schon wieder ein Overdrive-Pedal“ – könnte man meinen, doch halt! Was uns TWA hier mit einem schaurigen Halloween-Lachen um die Ohren haut, rüttelt selbst den müdesten Dirtbox-Tester wach. Totally Wycked Audio (TWA) aus Clifton, New Jersey, USA bereichert die Szene nun schon seit vielen Jahren mit ausgefuchsten, ungewöhnlichen Kreationen – vor allem im Bereich der Synth- und Filterpedals.

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Nun ergab es sich, dass Chef-Techniker Robert Derby nach der Reparatur einer alten Ampex- Tonbandmaschine zwei Selen-Gleichrichter übrig hatte und mit ihnen zu experimentieren begann. Lange Rede, kurzer Sinn: Mit der Verwendung von Selen-Dioden entstand der Octoverdrive, ein sehr eigenständiges Fuzz-Design mit zuschaltbarer Oktave. Den schauen wir uns nun mal genauer an.

KONSTRUKTION

Der Octoverdrive kommt im mittelgroßen 9×11,6cm-Gehäuse, das mittlerweile für viele Pedale mit Doppelschalter verwendet wird. Leider liegen alle Anschlüsse, inklusive 9V-DC-Stromanschluss, an den Seiten. Das ist nicht besonders pedalboardfreundlich, da auf beiden Seiten mehrere Zentimeter Platz nur für die Kabelverbindungen verloren gehen.

Sofort ins Auge springt der lachende Kürbiskopf in der Mitte der Frontseite, welcher die Funktion der Betriebsanzeige übernimmt. Befindet sich das Pedal im (True) Bypass, leuchtet „Jack O’Lantern“ giftig grün, und zwar so intensiv, dass der Octoverdrive auch als Nachtlicht im Kinderzimmer dienen könnte!

Betätigt man nun den rechten der beiden Fußschalter, erstrahlt der Kürbis in grellem Rot und zeigt damit an, dass sich das Pedal im Betriebsmodus befindet.Mit dem linken Fußschalter wechselt man zwischen den beiden Sound-Modi des Pedals hin- und her, was von zwei kleinen LEDs neben dem Taster angezeigt wird: Trick/Treat – Süßes oder Saures.

„Trick“ ist dabei der reine „Overdrive“-Modus, bei „Treat“ kommt ein Octave-Effekt hinzu, der es in sich hat! Im oberen Bereich der Pedal-Vorderseite befinden sich die Regler: Drive, Blend und Level werden mit goldenen Knöpfen eingestellt, der Equalizer darunter (Bass, Mid, Treble) mit kleinen schwarzen Potis.

Mit dem Blend-Regler lässt sich das Clean-Signal mit hinzumischen, was das Pedal auch für Bassistinnen und Bassisten interessant machen sollte. Bei Rechtsanschlag hört man vom Overdrive nur noch ein leises Zischeln im Hintergrund – wer auch immer das braucht.

Mit den EQ-Potis lässt sich jeder Frequenzbereich um 12 Dezibel beschneiden oder boosten. Der Octoverdrive ist tadellos verarbeitet; im Betrieb saugt er 65mA und sollte damit keinen Powerbrick-Anschluss überfordern. Ein ausführliches englisches Handbuch liegt bei, in dem man auch seine Lieblingssettings festhalten kann.

GIB IHM SAURES!

(Bild: Dieter Stork)

Jetzt kicken wir den Kürbis mal ordentlich. Ersteindruck: Die Ohren wackeln, Hosenbeine flattern, der Putz bröckelt von den Wänden! Au weia, hat das Teil Headroom (Unity Gain liegt bei ca. 8 (!) bis 11 Uhr am Level-Poti, je nach Gitarre), und legt mit mehr Drive und der Oktave sogar noch eine Schippe drauf.

Eine Wand aus herrlichem Dreck rollt da aus den Boxen auf den unvorbereiteten Spieler zu – denn genau so klingt der Octoverdrive im „normalen“ Drive-Modus. Sofort muss ich an die Band Conan und ihren urwüchsigen, brüllenden Gitarrensound denken. Das, liebe Kinder, ist nichts für Zartbesaitete, nichts für schöngeistige gepflegte Blueser und auch nichts für Techniker des modernen Metal, für die der Anschlag-Knack gar nicht präzise genug sein kann.

Nein, was uns hier um die Ohren fliegt, ist eine eher breiige, schmutzige Melasse, lautmalerisch als „wütender Grizzly“ zu bezeichnen. Stakkato-Riffs mit dem Ziel „präziser Chug“ kann man zwar versuchen, es klingt aber so, als dresche man unvernünftigerweise mit einem Stock auf das besagte pelzige Tier ein.

Mit der Stratocaster lässt sich der Bär etwas zähmen, und ein zwar schmutziger, aber noch salonfähiger leichter Overdrive ist bei 7-8 Uhr am Drive-Regler abrufbar. Herrlich. Dreht man nun Drive weiter auf, wird es erst mal lauter, vor allem aber verlässt man die klassische Definition von „Overdrive“ selbst mit outputschwachen Singlecoils recht schnell.

Ich will hier nicht von „Säge“ sprechen, denn dazu ist das Klanggeschehen viel zu fett, aber der sehr effektiv zupackende EQ ließe einen Kettensägensound problemlos zu. Wechseln wir zur Les Paul, befinden wir uns bereits bei Linksanschlag des Drive-Potis im Distortion-Bereich. Mit guten Volume-Potis an der Gitarre lässt sich alles wieder aufklaren, es bleibt aber bei einem schmutzigen Timbre.

Was mich begeistert: Das schöne Sustain des Pedals im Zusammenspiel mit Humbuckern, das bereits so ab 9 Uhr am Drive-Regler dicke, runde Leadsounds zulässt. So, nun schalten wir mal um auf „Treat“ und nehmen die hohe Oktave mit dazu. Sofort wird das Geschehen nochmal lauter, und es kommt auch mehr Sustain hinzu.

Der Klang der beigemischten Oktave ist dabei sehr stabil und dementsprechend gut brauchbar. Der Effekt bleibt gleich stark, egal wo man auf der Gitarre spielt – und egal, mit welchem Pickup! Bei vielen Octavias ist die Anwendung nur um den 12. Bund mit dem (Singlecoil-)Halstonabnehmer befriedigend – nicht so hier.

Freilich wird das Klanggeschehen bei mehr als zwei Saiten gleichzeitig auch bei diesem Octave-Fuzz etwas chaotisch, aber besonders mit der Les Paul und ihren Humbuckern lässt sich ein herrlich singender, eigenständiger Leadsound (Richtung „wütende Hornisse“) kreieren.

(Bild: Dieter Stork)

RESÜMEE

Tatsächlich fällt es mir auf Anhieb gar nicht so leicht, den  Octoverdrive in die Welt der Overdrives oder Fuzz-Treter einzuordnen – ansiedeln würde ich ihn am ehesten neben einem Big Muff, wobei er aber bratzeliger und schmutziger (geht das?) als dieser klingt. Zusammen mit der Oktave ergibt sich ein sehr eigenständiges Gesamtpaket.

Mich hat diese Wand aus röhrendem, brüllenden Dreck total begeistert, ebenso wie das tolle Sustain, gerade im Octave-Modus. Der Octoverdrive allein könnte als komplette Soundgrundlage (Rhythm/Lead) dienen, würde ich – ja, würde ich in einer Doom-Kapelle spielen.

Tue ich aber nicht … was eigentlich schade ist, denn dann könnte ich den Kauf (und damit auch den nicht ganz geringen Preis) des Octoverdrive als notwendiges Arbeitsgerät guten Gewissens vor mir selbst verantworten. Aber manchmal darf man sich ja auch einfach etwas gönnen, vor allem, wenn es so viel Spaß macht wie der lachende Kürbiskopf von TWA.

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