Mario Gebhardt, Inhaber der Firma Tube WorkShop und Gitarrist und Sänger der Pink-Floyd-Tribute-Band Planet Floyd, sammelt seit Jahren Röhrenverstärker aus den 40er-, 50er- und 60er-Jahren. Erstaunlicherweise keine Gitarrenverstärker, sondern solche aus dem HiFi-Bereich, Verstärker für Bahnhofsdurchsagen oder ähnliches.
Als studierter Elektronik-Ingenieur erweckt er die oftmals heruntergekommen Teile wieder zum Leben. Mitunter muss er jedoch dazu lange nach seltenen Röhrenexoten Ausschau halten. Oft eignen sich die alten Geräte hervorragend als Basis für Gitarrenamps, und so diente z. B. der HiFi-Verstärker Philips 2864 aus dem Jahr 1947 als Vorbild für alle Tube-WorkShop-Amps und somit auch für das 2864-S Top. Allerdings kam Mario Gebhardt nicht umhin, die Vorstufe völlig neu aufzubauen und sie mit eigenen interessanten Schaltungskonzepten gitarrenkompatibel zu machen. Angeliefert wurde das 2864-S Top mit einer 1x12er-Box aus eigenem Hause, beides handgebaut aus erlesenen Materialien und High-End-Komponenten.
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DAS TOP
Spätestens nach der Demontage des mit jeweils vier Edelstahl-Inbusschrauben befestigten und 3 mm dicken, eloxierten Frontblechs oder des rückseitigen Lochblechs wird die gleichermaßen solide wie makellose Verarbeitung des Tube-WorkShop-Tops deutlich. Das sorgfältig gefertigte, stabile, mit genarbtem Tolex bezogene Birken-Multiplexgehäuse steht sicher auf dicken Gummifüßen. Design-bedingt hat man auf stählerne Eckenschoner verzichtet.
Der große Tragegriff gestattet komfortablen Transport des knapp 10 kg wiegenden 2864-S. Das aus 2 mm Alublech gebogene Ampchassis hat man vorne und hinten mit beschrifteten Kunststoffplatten versehen und mit vier M6-Gewindeschrauben und Rack-Käfigmuttern auf dem mittels Alufolie abgeschirmten Gehäuseboden montiert. Der Ausbau benötigt nicht einmal eine Minute. Trafos und Röhrensockel wurden auf der Oberseite verschraubt, innen herrscht die Sterilität eines OP-Saals: speziell für Tube WorkShop (TWS) gefertigte Kondensatoren, ein kleines Turret Board, Premium-Bauteile, penible Punkt-zu-Punkt-Verdrahtung und auffallend kurze Kabelwege.
Beeindruckend ist auch der Aufwand für die LED-Leuchtleiste mit Stromversorgung und Controller. Auf Steckverbindungen wurde komplett verzichtet. Um etwaige gebrochene Lötstellen, Wackelkontakte oder Übergangswiderstände dauerhaft zu verhindern, legt Mario Gebhardt Wert darauf, dass die Installation sämtlicher mechanischer Bauteile vollständig von den elektrischen Verbindungen entkoppelt ist. Volle Punktzahl für die Verarbeitung!
Während die Front mit Input, den Reglern Preamp (Input Gain), Treble und Master (WonderVol) sowie den Schaltern Bass (1/2/3), Hot/Standby/Warm und Power sowie einer großen blauen Betriebsanzeige bestückt ist, findet man hinten den Netzanschluss mit Sicherungsfach, HT-Sicherungshalterung, Impedanzwahlschalter (4/8/16 Ohm) und zwei Lautsprecherausgänge.
(Bild: Dieter Stork)
Laut Mario Gebhardt ist eine der besten Positionen für eine Bass-Klangreglung direkt am Eingang des Amps, nämlich der Kathoden-Elko an der ersten Röhrenvorstufe, weil man damit die Verstärkung der Röhre auf einen bestimmten, hier wählbaren Bassbereich beschränkt. Denn „alles was vorher schon matscht, bekommt man mit einer herkömmlichen Klangreglung nicht mehr in den Griff“. Die Treble-Reglung ist in der Endstufe angeordnet, damit man bei zerrendem Amp effizientere Kontrolle über den Höhenbereich hat. Das ist in etwa zu vergleichen mit der Cut-Reglung eines Vox AC30, funktioniert hier allerdings umgekehrt, also nach rechts mehr Höhen, nach links weniger.
Master-Volume arbeitet mit der eigens entwickelten WonderVol-Schaltung, die ähnlich dem Loudness-Schalter eines HiFi-Verstärkers Bässe- und Höhenverluste bei niedrigen (Bedroom-)Einstellungen kompensiert, um dabei einen ausgewogeneren und weniger mittendominanten Klang zu erzielen.
Über den Standby-Schalter lassen sich die Betriebsarten Warm und Hot aktivieren, wovon Erstere de facto eine Leistungsreduzierung darstellt, die mein Ohr allerdings kaum als eine solche wahrnimmt. Zugegeben, Hot erscheint durch etwas mehr Höhen, Offenheit und Vitalität nur unwesentlich lauter, wogegen Warm klanglich einen Hauch wärmer und fülliger daherkommt.
DIE BOX
Mit gerade mal 12 kg gibt sich das kompakte Tube WorkShop 1×12 Cab äußerst transportfreundlich. Der Gehäuserahmen besteht aus 18 mm, die beiden verschraubten Rückteile, die auf der gesamten Breite eine Öffnung von 12,5 cm lassen, aus 15 mm Kiefern-Multiplex. Aus klanglichen Gründen findet für die Schallwand 12 mm Birken-Multiplex Verwendung. Dickes, sauber verklebtes schwarzes Tolex, vier Metallecken bieten unten herum Schutz, und große Gummifüße garantieren sicheren Stand.
Eine straffe Frontbespannung schützt den rückseitig montierten Celestion G12M Greenback. Die dicken Kabel wurden selbstverständlich verlötet. Ein verschraubtes rundes Blech trägt die stramm packende Klinkenbuchse. Kurz: Wie beim Topteil auch hier rundum vorbildliche Verarbeitung.
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HÖREN WIR MAL
Mit einem satten Klack wechseln die Military-Grade-Schalter ihre Positionen. Kurz warten bis die Röhren ihre Wohlfühltemperatur erreicht haben, dann bringe ich Standby erstmal in den Hot Mode. Zunächst gibt es allerdings was für die Augen, denn die LED-Leiste, die auf der hinteren Oberkante des Ampchassis ruht, erzeugt angenehme Indirektbeleuchtung. Per mitgelieferter Fernbedienung stimme ich mich mit langsamen Farbwechseln à la Biosauna ein.
Etwa bei Preamp-Reglerposition 1,5 sind erste Töne zu hören, deren Pegel bis 7 völlig kontinuierlich zulegen. Zwischen 7 und 10 nimmt das Gain dann nochmal Fahrt auf. PAF-Style-PUs lassen den Amp etwa bei Preamp 3-4, vintage Strat-Einspuler bei 5 „aufbrechen“, was nicht nur vom Output der Pickups sondern mehr noch vom Volume-Poti der Gitarre und der Anschlagsintensität abhängt. Schon jetzt wird die tolle Dynamik des 2864-S deutlich, die feinfühlig und ehrlich sowohl spielerische Fähigkeiten als auch Defizite des/der User:in umsetzt. Der Tube-WorkShop-Amp ist also alles andere als ein Schönfärber.
Da die halboffene 1×12“-Box den Sound sehr luftig und lebendig überträgt, aber trotz ihrer Kompaktmaße ein erstaunliches Bassfundament und gesunde Klangfülle liefert, stelle ich den dreistufigen Bass-Schalter bei meiner Les Paul zunächst auf 1, bei der Strat darf es gerne auch Position 2 sein, für mehr Wumms (bei konstanter Definition) auch die höchste Stellung. Die Bassanhebungen sind nicht nur musikalisch, sondern auch geschmackvoll und praxisorientiert gewählt.
Die in der Endstufe agierende Treble-Reglung zeigt hohe Effizienz. Klanglich erinnert sie eher an einen Presence-Regler, technisch haben wir es indes quasi mit einer umgekehrten Cut-Kontrolle zu tun, die dem Sound einerseits Wärme, andererseits aber auch enorme Brillanz verleiht. Beim Steg-HB meiner Les Paul präferiere ich die Treble-Position 5, bei der Strat darf es sogar etwas weniger sein.
Obgleich die Stärken des 2864-S eindeutig im Clean- bis gemäßigten Crunch-Bereich liegen, wo er seine exzellente Dynamik ausspielen kann, liefert er auch Zerrsounds der Marke Classic Rock, bei dem es allerdings pegelmäßig ordentlich was auf die Ohren gibt.
Zu meiner Überraschung versteht sich der Amp jedoch auch auf Bedroom-Level, wenn man nämlich Master auf 2 oder 3 stellt. Jetzt zeigt WonderVol seine Qualitäten, da es ja im unteren Regelbereich zunehmend aber dezent Bässe und Höhen à la HiFi-Loudness-Effekt unterstützt. Damit es jedoch nicht allzu brillant oder bissig wird, muss/kann Treble auf 2 oder niedriger abgesenkt werden. Auf diese Weise sind bei voll aufgedrehtem Preamp-Poti sahnig, homogen und natürlich zerrende, sustain-reiche Leadsounds mit echtem Wohnzimmerpegel möglich. In diesem Fall wird der Unterschied zwischen Hot- oder Warm-Betrieb deutlicher.
Neben den klanglichen und dynamischen Qualitäten des Tube-WorkShop-Tops würde ich dessen geringe Nebengeräuschentwicklung als sensationell bezeichnen, sogar bei Vollaussteuerung aller Regler. Mitnichten bezüglich des Sounds, sondern hinsichtlich der Fernsteuerung der indirekten LED-Beleuchtung gibt es dann doch eine kleine Einschränkung. Möchte ich mit der Fernbedienung die Einstellungen der RGB-Beleuchtung checken, wird das Remote-Signal offenbar abgeschirmt. Erst als ich hinter den 2864-S trete, reagiert der Empfänger.
RESÜMEE
Mit dem 2864-S präsentiert Tube WorkShop ein puristisches Top mit 14 Watt Class-A/B Endstufe und interessantem, eigenem Schaltungskonzept. Der dreistufige Bass-Schalter bearbeitet die tiefen Frequenzen und kann damit auch zur Abstimmung auf die verwendete Lautsprecherbox herangezogen werden, die mit ihrem Celestion G12M Greenback als echter Allrounder überzeugt und trotz kompakter Maße erstaunlich voluminös aber dennoch sehr aufgeräumt klingt.
Treble und Master (WonderVol) arbeiten wirkungsvoll und interagieren bestens mit Preamp (Gain), sodass der Amp sogar bei Bedroom-Level mit Leadsounds überzeugt. Ansonsten fühlt sich der 2864-S im Clean- bis gezügelten Crunch-Betrieb am wohlsten, wo er mit Klarheit, Direktheit, Dynamik und sensationell geringen Nebengeräuschen glänzt. Gerade diese Eigenschaften machen ihn zur idealen Pedal-Plattform, die bestens mit Effekten aller Art kooperiert.
Ohne Frage rechtfertigen das Schaltungskonzept, die Qualität der Bauteile, die vorbildliche Handverarbeitung und nicht zuletzt die exzellenten Sounds die aufgerufenen Preise. Alternativ gibt es den 2864-S mit mattschwarzer Alufront und schwarzen Reglerknöpfen, die Box mit unterschiedlichen 12″-Bestückungen, wobei Lautsprecher-abhängig mit Aufpreisen zu rechnen ist.
PLUS
● Clean- und Crunch-Sounds
● Ansprechverhalten & Dynamik
● Durchsetzungsvermögen
● Bass- & WonderVol-Regelung
● Klang bei Bedroom-Pegeln
● nebengeräuscharm
● programmierbare indirekte RGB-LED-Beleuchtung
● Bedienung
● Klang, Maße und Gewicht der 1×12“-Box
● Handverarbeitung
MINUS
● LED-Beleuchtung nur von der Amp-Rückseite her einzustellen