Test: Marshall Studio-Serie: Studio Vintage SV20H, Studio Classic SC20H, SV/SC112, SV/SC212
von Ebo Wagner , Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Dieter Stork)
Ende Januar, Start der NAMM-Show. Aus heiterem Himmel schlägt der News-Blitz ein:
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Marshall landet mit der Vorstellung einer bis dahin geheimen neuen Produktserie einen Überraschungs-Coup. So setzt man Zeichen. Und kaum sind die Modelle auf dem Markt, hatten wir schon Gelegenheit, ihnen auf den Zahn zu fühlen.
Studio Serie lautet die Bezeichnung der Modellreihe. Sagt einem im ersten Moment nicht viel, das Design der Amps und Cabinets ist dafür umso aussagekräftiger.
Unübersehbar werden hier Anleihen in der firmeneigenen Historie gemacht. Die Optik zitiert die Plexi-Ära und die JCM800-Serie. Legenden reloaded, diesmal aber – die Modellbezeichnungen verraten es ja – mit ohrenschonenden 20 Watt Ausgangsleistung.
Zu diesen beiden Topteilen gesellt sich ein drittes, das schon seit Mitte 2016 eingeführte Silver Jubilee Mini-Modell. Es bleibt hier in diesem Artikel außen vor.
Kein Grund betrübt zu sein. In G&B-Ausgabe 10/2016 findet sich nämlich ein Test (Topteil und Combo). Stichwort Combo: Aktuell standen noch keine Kofferversionen zur Verfügung aber es werden definitiv sehr bald welche kommen.
Gezähmt
Ich habe die Katze oben schon aus dem Sack gelassen. Die gegenüber den Vorbildern reduzierte Leistung der Verstärker ist ein wesentliches Merkmal. Der technische Aufbau der Amps entspricht aber trotzdem im Prinzip den jeweiligen 50 Watt-Versionen, d. h. die Endstufen sind nicht mit den klassenüblichen EL84, sondern wie ehedem mit zwei EL34-Röhren bestückt.
Der SV20H zeigt sich deckungsgleich mit dem Modell 1987 – inklusive des Plexi-Panels an der Front. Es sind also zwei Eingangssektionen mit unterschiedlichem Grund-Sound vorhanden (markiert durch die zusätzliche Beschriftung „Normal“ und „High Treble“), die passive 3-Wege-Klangreglung und das klassische Presence-Poti. Ganz so spartanisch wie ehedem bei den „antiken“ Modellen geht es aber nicht zu.
Es wird vielmehr das aktuelle 1987X-Reissue zitiert. So wertet den SV20H ein serieller FX Weg auf, dessen Status an der Rückseite mit einem Druckschalter gewählt werden kann, und ein D.I.-Out. Außerdem sind am Standby-Schalter zwei Leistungsebenen anwählbar, Low und High; die Hochspannung an den EL34 wird damit wahlweise auf etwa die Hälfte heruntergesetzt (ca. 320/185VDC).
Das Erscheinen der Modelle 2204 und 2203 – zunächst noch in den 1970er Jahren unter der Überschrift MKII-Serie, erst ca. 1980 unter dem Titel JCM800 – brachte eine großen Fortschritt.
Marshall legte die beiden V1-ECC83-Trioden, die vorher beim 1959 und 1987 separat für die beiden Eingangssektionen zuständig waren (siehe oben), seriell hintereinander und sah nur zwei Inputs vor: High nahm beide Trioden in Betrieb, Low umging Triode #1. So hatte man zwei sehr unterschiedliche Gain-/Sound-Ebenen zur Verfügung, die durch das Hinzufügen eines Master-Volume-Potis (vor der Phasentreiberstufe) auch noch eleganter nutzbar waren.
Die JCM800-Technik greift der SC20H genauso präzise auf wie sein Plexi-Bruder. Und natürlich hat auch er den FX-Weg, den D.I.-Out sowie die Leistungsumschaltung zu bieten.
Im mechanischen und elektrischen Aufbau sind die beiden Verstärker Kinder der Moderne. Ein Vorteil dessen sind die diversen Feinsicherungen zum Schutze der Schaltung. Es regiert die Platinenbauweise.
Die Baugruppen sind untereinander mit hochwertigen Steckkontakten verbunden. Das sieht ähnlich aus und mutet genauso überzeugend und verlässlich an wie zum Beispiel das Innenleben eines JVM410/210. Verarbeitung und Substanz bewegen sich also auf hohem Niveau.
Mit einem kleinen Schönheitsfehler: die großen Knebelschalter Standby und Mains sind ohne Zahnscheiben montiert und finden so nicht optimal sicheren Halt.
An anderer Stelle wiederum tut Marshall für die Klasse positiv Ungewöhnliches, indem die Rückwände der Gehäuse anstelle von schnöden Holzschrauben von M-Schrauben gehalten werden, die in Einschlaggewinde fassen.
Im Übrigen zeigt der Blick ins Innenleben, dass an zwei Stellen ICs die Signalbearbeitung unterstützen. Das eine liegt offenbar im deaktivierbaren FX-Weg, die Funktion des anderen konnte ich ohne Schaltplan leider nicht eruieren.
(Bild: Dieter Stork)
1×12 / 2×12
Über die hinten etwa zu einem Drittel offene 1×12-Box brauchen wir keine großen Worte zu verlieren (Modelle: SV112, SC112). Bekannt, erprobt, diese kompakte Open-Back-Bauweise gibt es seit ewigen Zeiten. Das Schichtholzgehäuse ist mit einem Celestion-V-Type (70Watt/RMS) bestückt, montiert von hinten, an der Rückseite der Schallwand. Bei dem JCM800-Modell die typischen Plastikecken, das SV112 kommt ohne, wegen des Vintage-Designs, ein großer Koffergriff an der Oberseite, die Anschlussbuchse versenkt im Plastiktrichter zugänglich, authentisch, schlicht, klassisch.
Das 2×12-Cabinet sieht aus wie ein halbierter Slant-4×12-Würfel, misst in der Breite aber doch ein paar Zentimeter mehr. Die Ausstattung folgt im Prinzip dem schlichten Bild der 1×12-Boxen. Es sind allerdings an den Seiten große Schalengriffe montiert und Kunststofffüße mit Gewindeaufnahmen für optionale Transportrollen. Auch in den immerhin ca. 23 Kilogramm schweren 2×12-Cabs, Typenbezeichnung SV212 und SC212, kommt der V-Type zum Einsatz. Das irritiert, oder? Es fragt sich doch, warum nicht zumindest diese Boxen mit den archetypischen Speakern bestückt werden, z. B. Greenbacks in der SV212 und der G12-65 in der SC212.
tradition verplichtet
Der Zufall will es, dass Vertreter beider Produkt-Epochen bestens gepflegt und somit stets arbeitswillig meinen Studio-Arbeitsraum schmücken; 1959, 1987 und ein 2204, Originale von anno dazumal. Jau, dann können wir ja wunderbar vergleichen. Okay, aber man muss dabei das eine oder andere bedenken.
Grundsätzlich: Wenn Röhrenschaltungen und/oder ihre Komponenten verändert werden, sind immer Veränderungen im Klang zu erwarten. Davon abgesehen, kennt man die Klassiker primär so, wie sie im Team mit 4×12-Cabs arbeiten. Womöglich setzt man als Messlatte zusätzlich, dass die damals typischen Speaker zum Sound im Ganzen gehören, Greenbacks und Verwandte zu Plexi-Zeiten, dann der G12T-75 und ab der JCM800-Phase auch der G12- 65. Soll sagen, es kann hier wegen der systemischen Unterschiede gar nicht um die Frage gehen, ob sich präzise Deckungsgleichheit im Sound-Erleben einstellt, sondern um die Qualität der Annäherung.
(Bild: Dieter Stork)
Natürlich erzeugt die geringere Ausgangsleistung der MKII-Studio-Topteile gewisse Abweichungen in der subjektiven Wahrnehmung der tonalen Eigenschaften. Relevant ist vor allem, das mag der Spieler selbst akustisch im Raum als Nachteil erleben, die deutlich gezügelte Bassdynamik – kennen wir ja nicht anders, weniger Schalldruck verbucht das Gehör sofort als Verschlanken des Sounds. Absolut gesehen sind die Bassanteile gar nicht entscheidend geringer, was spätestens im Moment der Mikrofonierung bzw. des „indirekten“ Hörens deutlich wird.
Wie auch immer, es wird beim Erproben der MKII-Studio-Topteile sicher jedem schnell deutlich, dass die arttypische Nutzung der Amps in ungleich angenehmerer Lautstärke letztlich der viel bedeutendere Vorteil ist. Das macht echt den Spaß aus, dass man die erst hinter dem Preamp entstehenden Sättigungsverzerrungen nun in defensiver Lautstärke genießen kann. Brauchbar bis in die Vollaussteuerung, die Verdichtung feinfühlig regelbar, mit vielen Nuancen. Schon ein Genuss.
Für den SV20H ist diese Qualität essentiell. Der Sound eines Plexi (und der baugleichen Nachfolger) lebt davon, weil er nur so überhaupt Overdrive/Distortion generiert. Harmonisch, aber eben auf seine eigentümliche Art angriffslustig. Dem SV20H gelingt es überzeugend, die erwarteten Sound-Merkmale darzustellen: Der Normal-Kanal vollfeist im Grundsound, aber bei Bedarf auch schon ziemlich durchsichtig in den oberen Frequenzen, und der Treble-Kanal überaus „heiß“ in den Höhen und unten herum schlank. Beide Kanäle nach Altvätersitte per Klinkenkabel an den Inputs zu koppeln hat auch hier seinen besonderen Reiz, zumal dadurch die Zerrintensität erhöht werden kann (man nehme z. B. Normal als Basis und regle High-Treble dazu).
Der SV20H ist wie erwartet ehrlich in der Wiedergabe, eher stramm und unnachgiebig als gnädig im Attack , er macht es dem Spieler damit nicht gerade leicht. Klangliche Details der Instrumente kommen sehr deutlich zum Vorschein – das kann man allein schon anhand der TA-Positionen einer Vintage-Strat erleben. Gleichermaßen unterstützt der Amp damit recht gut die Ausdrucksstärke des Spielers.
(Bild: Dieter Stork)
In der Transparenz des Klangbildes, seiner Tiefe, bleibt der Studio 1959 mit seiner leicht gepressten Attitüde ein wenig hinter seinen großen Brüdern zurück. Ansonsten wirkt der SV20H so, als hätte er etwas höhere Verzerrungsreserven. Was vielleicht nur daran liegt, dass die maximale Sättigung so befreit nutzbar ist.
Beim SC20H stellt sich der gleiche Eindruck ein. Davon abgesehen hat er ja ohnehin mehr Gain-Reserven. In punkto Verzerrungsintensität ist er auch ganz klar variabler. Logisch, denn Preamp-Verzerrungen und Endstufensättigungen (inklusive Phasentreiberstufe) können beim 2204/2203-Design gegeneinander ausbalanciert werden.
Der Toncharakter des SC20H ist geprägt von den typischen kratzigen Zerranteilen in den Höhen. Auch im allgemeinen Benehmen, der Wirkungsweise der Klangregelung und der Sound-Aura liegt er klar auf JCM800-Kurs, ich möchte sogar sagen, auch wieder mit einem leichten Plus an Verzerrungsintensität. Nutzt man den Low-Input, sind natürlich cleane Sounds möglich. Und dies sogar mit beachtlichem Lautstärke-Headroom. Dem SV20H geht es in der Hinsicht nicht anders.
Beim Umschalten auf die Low-Leistung (ca. 5 Watt) bleibt der Sound bei beiden Topteil im Grunde erhalten. Der Bassbereich wird aber etwas schlanker. Was kaum eine Rolle spielen dürfte. Der FX-Weg arbeitet unauffällig und klangneutral. Die Frequenzgangkorrektur der D.I.-Ausgänge ist überzeugend gelungen. Tiefe Töne schlank, ansonsten ausgewogen. Mikrofonieren erledigt sich so vielleicht komplett für manchen Anwender.
Womit wir zu den Cabinets kommen. Angesichts der kompakten Abmessungen und der Bauart, ist das Volumen und die Ausgewogenheit der 1×12-Konstruktion beachtlich, bei natürlich ziemlich defensiven Bässen. Die Mitten werden nicht nasal betont, die Box agiert tendenziell höhenreich, den Charakter der Verstärker stellt sie sehr ordentlich heraus. Insoweit macht sie ihre Sache gut, trotzdem würde ich zu ihr nur raten, wenn unausweichlich kompakte Abmessungen gefordert sind.
Die 2×12-Box wird den Fähigkeiten der Amps wesentlich besser gerecht bzw. sie stützt die Tonalität und rundet sie ab. Voluminös, in sich gut ausbalanciert, mit gesundem Bassdruck, eher etwas zurückhaltend in der Transparenz und den Mitten, nicht zu aufdringlich, nicht überscharf in den Höhen. Wenngleich im Charakter etwas kühl, in sich stimmig. Passt nicht nur zu den SV-/SC-Heads, sondern ist auch für sich genommen ein empfehlenswertes 2×12- Cabinet.
(Bild: Dieter Stork)
alternativen
Schon schwierig, Substitute für Amp-Ikonen zu nennen. Ein Produkt käme dennoch in Frage: Der LA30BL von Laney ähnelt dem SV20H/Plexi, muss allerdings ohne FX-Weg und D.I.-Out auskommen. Beim 1×12-Cab ist die Fragestellung unkritisch, Produkte mit ähnlichen Fähigkeiten gibt es reichlich in dieser Preislage, und sogar darunter. Die SV-/SC212 findet direkte Gegenspieler in den Modellen V212- VG und V212-VC von Victory – ähnliche Abmessungen, bestückt mit Celestions Vintage 30 bzw. dem G12-65 Creamback.
resümee
Der SV20H als Erbe der Plexis, der SC20H Enkel der JCM800-Serie, die Verstärker der MKII-Studio-Serie sind würdige Kompaktvarianten der betreffenden großen (Reissue-) Modelle. Sound-Charakter und Dynamik folgen den Vorbildern mit hoher Authentizität. Die verringerte und umschaltbare Ausgangsleistung erlaubt die archetypische Nutzung der Vintage-Konzepte mit höherer Flexibilität. Vermutlich setzt Marshall damit das richtige Zeichen zur rechten Zeit. Denn für viele Gitarristen dürften die Kompakt-Amps besser passen als die großen Heads. Angenehmer Nebeneffekt: Obwohl „Made in England“, kosten der SV20H und der SC20H mehrere € 100 weniger. Preis und Leistung stehen insofern definitiv in einem gesunden Verhältnis.
Die beiden 1×12-Cab agieren im Grunde durchschnittlich und können sich so von der Konkurrenz kaum abheben. Der Preis liegt im Vergleich im gehobenen Mittelfeld und kann daher nur als akzeptabel eingestuft werden. Anders, günstiger liegt die Sachlage bei der 2×12-Konstruktion. Sie ist nicht häufig auf dem Markt anzutreffen, hat in Hinsicht auf das Volumen viel zu bieten bzw. steht klanglich auf hohem Niveau. Woraus folgt: Prädikat „empfehlenswert“, zweifelsfrei korrekt im Preis.
PLUS
• Sound, Authentizität
• harmonisches u. sensibles Zerrverhalten
• Dynamik
• Vintage-Mehrwert: FXWeg und D.I.-Out
• Leistungsumschaltung
• 1×12-Cabs: unspektakuläre aber solide Wiedergabe
• 2×12-Cabs: hohe Sound-Qualität, breitbandiges Volumen, achtbare Alternative zu 4×12-Boxen
• Verarbeitung/Qualität der Bauteile
Hinweise zu den Soundfiles:
Für die Aufnahmen kamen zwei Kondensatormikrofone mit Großflächen-Membran zum Einsatz, ein AM11 von Groove-Tubes/Alesis und ein C414 von AKG, beide nahe platziert vor dem oberen Speaker der 2×12-Box.
Die Clips wurden pur, ohne Kompressor und EQ-Bearbeitung über das Audio-Interface Pro-24DSP von Focusrite in Logic Pro eingespielt und abgemischt. Das Plug-In „Platinum-Reverb“ steuert die Raumsimulationen bei. Die Instrumente sind eine Fender-CS-Relic-Strat-1956 (m. JB-Humbucker v. Seymour Duncan am Steg) und eine Steinberger GL4T (EMG-aktiv, aber m. passivem Humbucker v. Seymour Duncan am Steg).
Ein genereller Hinweis: Wie höhenreich die einzelnen Aufnahmen klingen sollte nicht als bestimmendes Merkmal im Sound (miss-) verstanden werden. Lässt sich in der Regel mit einem kleinen Dreh an der Klangregelung variieren/ändern.
Ich wünsche viel Vergnügen, und…, wenn möglich, bitte laut anhören, über Boxen, nicht Kopfhörer! 😉
Fragen, Anregungen und ja, auch Kritik sind wie immer stets willkommen. Nachrichten bitte an frag.ebo@gitarrebass.de. Es klappt nicht immer, aber ich werde mich bemühen möglichst kurzfristig zu antworten.