Nachhaltig beeindruckend und beeindruckend nachhaltig?

Test: STS Tomo Double Cut

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(Bild: Dieter Stork)

Was passiert, wenn sich ein Ingenieur mit Liebe zu Holz und Nachhaltigkeit nach dem Ausstieg aus der Automobilindustrie seiner Berufung hingibt?

Eine E-Gitarre, die auf einer der meistkopierten kalifornischen Double-Cutaway-Form basiert, ist an sich seit den Achtzigern nichts neues mehr. Oder? Denkste! „Sound through Sustainability“ also „Klang durch Nachhaltigkeit“ ist hier Name und Programm zugleich. Einheimische Hölzer, einheimische Hardware und Pickups – ein Gesamtkunstwerk made in Germany, nicht aus Patriotismus, sondern vor allem aus Liebe zur (Um-)Welt. Was ein bodenständiger Pfälzer, die Automobilindustrie und Dragon-Ball-Comics mit einer Gitarre zu tun haben, soll hier etwas ausführlicher erzählt werden. …

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ALTBEKANNT UND DOCH SEHR ANDERS

Die sechssaitige Gitarre hört auf den japanischen Namen „Tomo“, was man sowohl als „Freund“ als auch als „Weißheit“ übersetzen kann. Da ich selbst grundsätzlich Strat-Bauweisen als mein Steckenpferd bezeichnen würde, ist der erste Eindruck nach dem Anspielen auch ein sehr vertrauter – fast als hätte man sich wieder mit einem alten Freund verabredet. Nichts stört, und man hat sofort das Gefühl, dass man mit dieser Gitarre auch am Abend noch auf der Bühne stehen könnte.

Jonas Mehne von STS Guitars setzt bei allen Komponenten, bei denen es möglich ist, auf nachhaltige und regionale Herkunft. Einheimische Hölzer wie Erle oder Esche und Obstbäume wie Apfel, Birne und Pflaume kommen bei STS zum Einsatz. Das meiste Holz bezieht Jonas sogar aus der Nachbarschaft in seiner pfälzischen Heimat. Auf die populären, und mittlerweile zu großen Teilen bedrohten Tropenhölzer wird hier ganz bewusst verzichtet. Denn während spanische und amerikanische Hersteller bei Akustikgitarren „deutsche Fichte“ seit Jahrzehnten als besonderes Qualitätsmerkmal verarbeiten, importieren die deutschen E-Gitarrenbauer tonnenweise Erle und Esche aus Amerika.

Aber hatte nicht der Erfinder der Stratocaster in den 50er-Jahren nur angefangen diese Hölzer zu verwenden, weil sie gerade kostengünstig und verfügbar waren? Ja, aber es hat sich zufällig auch bewährt. Und gerade Erle und Esche gibt es auch diesseits des großen Teiches in hervorragender Qualität – mit ein paar Unterschieden zur Verwandtschaft aus Übersee.

Die europäische Esche, die für den dreiteiligen Korpus der Tomo verwendet wurde, ist da ganz typisch, mit ihren engeren Jahresringen, als man es sonst bei nordamerikanischer Weißesche kennt. Der Baum ist durch das hiesige Klima langsamer gewachsen und somit dichter und härter. Dies merkt man bei den ersten Akkorden schon in der direkten Projektion der oberen Mitten, lange bevor man einen Verstärker zum Vorglühen eingeschaltet hat.

Das Testinstrument bringt trotz des dichter gewachsenen Holzes kein außerordentlich hohes Gewicht auf die Waage. Mit einer Korpusstärke von 37 mm und einem Gewicht von knapp 3,3 kg liegt die Tomo beim Sitzen gut verteilt auf dem Schoß und hängt sehr ausgewogen am Gurt.

Ahornhals mit Griffbrett aus Birne (Bild: Dieter Stork)

Der gleichmäßig fein geriegelte, einteilige Ahornhals ist mit einem Griffbrett aus gedämpftem Birnenholz versehen. Durch den Dämpfungsprozess erlangt die Birne eine wunderbar dunkle Färbung und wird in sich spannungsfreier und sozusagen künstlich gealtert. Dieser Prozess hat übrigens nichts mit den „roasted“- oder „baked“-Behandlungen anderer Hersteller zu tun, auch wenn das Holz bei der thermischen Behandlung ebenfalls dunkler wird. Das Griffbrett beherbergt 24 penibel verrundete Edelstahlbünde, die Mensur beträgt 650 mm. Die außermittigen Griffbrettmarkierungen sind dezent in Sechskant-Form aus echtem Perlmutt neuinterpretiert.

Apropos Interpretation: Der Korpus greift elegant alle bewährten Grundpfeiler des klassischen Strat-Designs auf, ist aber sowohl optisch als auch im Spielgefühl hervorragend modernisiert. So findet man ein tieferes Cutaway für die Erreichbarkeit aller 24 Bünde vor, und der verschraubte Halsansatz ist ergonomisch rund bis in die obersten Lagen. Auf eine althergebrachte Neckplate wurde hier genauso verzichtet wie auf ein Pickguard. Eine solche Plastikplatte zur Montage der Pickups und Bedienelemente hätte die aufwändige Decke mit Asanoha-Muster auch nicht ausreichend gewürdigt.

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ASA-NO-HA?

Wieso plötzlich japanische Elemente nach all der regionalen Zuwendung? Jonas Mehne ist, wie ich, als Teil der Generation der „Millennials“ in einer Welt aufgewachsen, in der die Medienlandschaft zunehmend bunter wurde. Was mir aus meiner Kindheit nach Abenden vor Nintendo-Konsolen, den ersten Folgen Pokémon im TV und anderen japanischen Zeichentrickserien geblieben ist, kann ich auch immer noch auf der „Ocarina of Time“ spielen. Und so ist es nach Jonas’ eigener Aussage wohl unter anderem die Serie Dragonball, die sein Interesse an der japanischen Kultur geweckt und ihn nachhaltig inspiriert hat.

Japan hat neben seiner bei uns relativ jungen Popularität in der Medienlandschaft aber vor allem auch Jahrhunderte an Tradition in der Handwerkskunst zu bieten, und so kommt es zum Ursprung der optisch außergewöhnlichen Ahorn-Gitarrendecke: Durch geschickt gesägte Winkel entsteht ein aus Dreiecken zusammengesetztes Mosaik, genannt „Asa no Ha“; was übrigens übersetzt Hanfblatt heißt. In der japanischen Kultur steht dieses Muster für Wachstum und lange Lebensdauer – irgendwie auch ein passender Querverweis.

Ausnahmsweise nicht aus Deutschland: das japanische Asanoha-Muster (Bild: Dieter Stork)

Mich persönlich faszinierte vor der Recherche der Herkunft schon die Geometrie des Musters. Je nach vom Blick fixiertem Punkt entdecke ich auch einen sechszackigen Stern oder einen räumlichen auf der Spitze stehenden Würfel. Sechseckige Formen finden sich neben den Inlays und der Decke aber auch an weiteren Elementen der Gitarre wieder. Die „Schnecke“ am Ende des 2-zu-4 bestückten Reverse-Headstocks ist genauso hexagonal wie die Sechskantschlüssel-Aufnahmen fast aller auffindbaren Schrauben am Instrument. Vorbei scheinen hier die Zeiten, als Kreuzschlitz-Linsensenkkopfschrauben mit Blechgewinde ins Holz getrieben wurden.

Fast alle Verschraubungen, inkl. der fundamentalen Halsschrauben, sind mit metrischen Einsatzgewinden und modernen Inbus-Schrauben ausgeführt – ein Faible, der wohl aus Jonas Mehnes Zeit als Ingenieur für die Automobilindustrie geblieben ist. Nur die Gurtpin-Schrauben sind hier (noch) eine Ausnahme.

Inbusschrauben, wohin das Auge sieht. (Bild: Dieter Stork)

Als Brücke kommt auf dieser Gitarre eine feste Schaller-3D zum Einsatz. Mit ihren Saitenreitern, die in drei Dimensionen verstellbar sind – also Saitenlage, Intonation und sogar String Spacing – ist sie schon ziemlich lange ein Klassiker des deutschen Hardware-Herstellers. Die massive Brücke sorgt mit ihrer großen Auflagefläche für eine gesunde Übertragung der Schwingungen in den Korpus; auch hier ist die Befestigung von STS mit Einsatzgewinden und Gewindeschrauben nochmal deutlich optimiert worden.

Die Mechaniken, ebenfalls von Schaller, sind M6 mit eleganter Pin-Arretierung und Saitenklemm-Funktion für ultimativen Saitenwechselkomfort und Stimmstabilität. STS verbauen auf Kundenwunsch übrigens alle deutschen Hardwarehersteller, und so wären auch ABM, KMS oder ETS Alternativen. Die Pickups kommen von Harry Häussel. Als „Direct Mount“ sitzt in den rahmenlosen Fräsungen der Decke ein Vin+ B mit Keramikmagnet in der Stegposition und ein P90 Hot im Humbucker-Format in der Halsposition.

Beide Pickups übertragen die Substanz der Gitarre stimmig zum Verstärker. Der Steg-Pickup bietet viel Biss und Auflösung mit einer zarten Süße in den Obertönen. Er macht die Tomo für alles von Rock, über Metal bis zu Drop-Tuning-Eskapaden zur passenden Axt. Der P90 Hot am Hals komplementiert den Vin+ B und bietet mit seiner drahtigen, und bluesigeren Note eine enorme Erweiterung der klanglichen Bandbreite.

Mit einem 500-kOhm-Linear-Taper-Volume-Poti und Drei-Weg-Schalter steht dem Spieler die Grundausrüstung für die Tonkontrolle zur Verfügung. Der Volume-Regler ist mit einem Treble Bleed versehen, was die Gitarre ohne Höhenverlust beim Herunterdrehen angenehm aufklaren lässt. Ein letztes Wort noch zum Spielgefühl: Die gesamte Gitarre bietet ein angenehm samtiges und holziges Gefühl an der Oberfläche. Tatsächlich wurde bei der Oberflächenbehandlung komplett auf natürliche Rohstoffe gesetzt und man findet hier zeitaufwendig aufgetragene Schichten aus Ölen und Wachsen, die Gitarre ist somit alltagstauglich versiegelt.

 

RESÜMEE

Die Tomo von STS Guitars ist ein wunderschönes Beispiel dafür, was lokaler und individueller Gitarrebau unter der Verwendung ausschließlich regionaler Zutaten möglich macht. Hier wurden keine Mühen gescheut, um eine Gitarre zu bauen, die sich definitiv nicht hinter der Konkurrenz verstecken muss, was die Tomo mit ihrer wirklich besonderen Optik aber auch gar nicht will. Und allein die kurzen Transportwege aller Komponenten ermöglichen hier einen CO2- Footprint der seinesgleichen sucht.

PLUS

● Bespielbarkeit
● Verarbeitung
● Philosophie des Herstellers

MINUS

● Wachs/Öl-Oberflächen sind naturgemäß etwas empfindlicher als Lackierungen
● kein Koffer/Tasche standardmäßig inklusive

(erschienen in Gitarre & Bass 07/2023)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Besondere Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind ja heute global ein aktuelles Thema. Kurze Transportwege,Transparenz der verwendeten einheimischen Hölzer und langlebige Hardwareteile sind der Garant für den Klimaschutz und der Nachhaltigkeit.

    Schade nur,daß Gitarren aus regionaler Fertigung stets mit so hohen Verkaufspreisen aufwarten,daß sich leider nur sehr wenige Gitarristen solch eine spezielles Saiteninstrument aus Germany finanziell leisten können,denn bei einem satten Preis von rund 3.600,-€ ohne Gitarrenkoffer bleibt der Anreiz hier auf der Strecke liegen!

    Die „Kritik“,daß laut Zitat: „Wachs/-Öloberflächen naturgemäß etwas empfindlicher als Lackierungen sind“,lasse ich mal dahingestellt.
    Die besonderen (völlig berechtigten!) Vorzüge eines gewachsten,-bzw. geölten Gitarrenhals/-Body gegenüber eines lackierten Halses bestätigen mittlerweile unzählige User. Manche Gitarristen schleifen bekanntlich sogar den Lackauftrag von ihrer E.-Solidbody Gitarre ab,und haben somit ein natürlicheres Spielgefühl,was ich selbst sehr gerne bestätigen möchte.

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  2. Absolut mit deinem Kommentar einverstanden. Leider ist so eine Gitarre “made in Germany ” für mich finanziell zu weit entfernt. Im Vergleich sind Mexico und China im Nahbereich.

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  3. Sorry, grausliches Design…

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  4. Für Gitarristen, die sie in die Hand nehmen, spielen und sagen: Das isses! Die bleibt für immer bei mir! Der Preis der Gitarre geht in Richtung Fender Custom Strat. Bei der hat man in Hinsicht auf einen eventuellen Wiederverkauf bessere Karten und man weiß auch, daß man, falls mal doch was passiert, die immer relativ kostengünstig reparieren lassen kann.

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