(Bild: Dieter Stork)
Mit den Van-Nuys-Gitarren aus der Diamond-Series gehen Schecter zurück zu ihren Anfängen, als die Firma noch ein kleiner Shop mitten in Van Nuys/Los Angeles war. Haben diese neuen Gitarren ausreichend „Mojo“? Finden wir es heraus!
Im Jahr 1976 von David Schecter in Van Nuys gegründet, war Schecter Guitar Research zunächst ein Anbieter für Einzelteile, mit einem rasant wachsenden Sortiment. Trotz eines Angebots von über 400 verschiedener Einzel- und Ersatzteile dauerte es bis 1979, dass Schecter auch vollständig zusammengebaute Gitarren anboten. Die Instrumente dieser Zeit und den darauf folgenden Jahren sind bis heute absolut legendär und erzielen auf dem Gebrauchtmarkt immer höhere Preise.
Ein Höhepunkt von Schecter war die Vorstellung von zwölf verschiedenen Gitarren und Bässen im Jahr 1984. Besonders im Vordergrund standen hier die Modelle „Mercury“ (basierend auf der Fender Stratocaster) und „Saturn“ (die damals übrigens von Pete Townsend gespielt wurde und eine Adaption von Fenders Telecaster war). Zum Test haben sich nun die neue Traditional Van Nuys sowie die PT Van Nuys bei mir eingefunden, die sich beide stark an den frühen Schecter-Tagen orientieren.
DIE GOLDENE ÄRA
Auch wenn beide Gitarren auf den ersten Blick sehr ähnlich erscheinen, gibt es doch den ein oder anderen Unterschied. Starten wir einfach mal mit der Traditional Van Nuys. Ja, im weitesten Sinne haben wir es hier mit einer Stratocaster zu tun – aber eben nur im weitesten Sinne. Der ganz aus Esche gefertigte Korpus ist mit einer transparent-hochglänzenden Lackierung in Bernsteinfarbe versehen, die die Maserung des Holzes toll zur Geltung bringt.
In den Korpus geschraubt ist ein Hals aus Roasted Maple, der dafür allerdings recht hell erscheint. Im Gegensatz zum Hochglanz-lackierten Korpus wurde dem Hals ein mattes Satin Finish zuteil, das eine sehr angenehme, glatte Haptik aufweist. Zwar sind die vier Schrauben zu Befestigung des Halses mit einer Halsplatte gekontert – trotzdem wurde der Übergang in den Body mit einem leichten Winkel versehen, sodass der Zugang zu den höchsten Bünden ein wenig geschmeidiger wird.
Das ebenfalls aus geröstetem Ahorn gefertigte Griffbrett ist aufgeleimt, sodass die liegenden Jahresringe auf der Halsrückseite nicht von einem Skunkstripe (der normalerweise bei Maple-Hälsen die Nut verschließt, über die man den Halsstab eingelegt hat) unterbrochen werden müssen. Die 22 in das Griffbreit eingelassenen Jumbo-Bundstäbe sind ebenso sauber abgerichtet wie der Graphtech-Tusq-XL-Sattel, der die Saiten zu den hauseigenen Locking-Mechaniken führt. Um den Halsstab einstellen zu können, gibt es auf der Kopfplatte ein entsprechender Zugang.
(Bild: Dieter Stork)
Direkt in das Holz des Bodys geschraubt, findet sich eine für die späten 70er-Jahre nicht untypische HSS-Tonabnehmer-Bestückung. Während auf der Hals- und Mittelposition jeweils ein Schecter-Monstertone-Singlecoil mit keramischen Magneten zum Einsatz kommt, wurde am Steg ein mit einer Metallkappe versehener SuperRock-Humbucker, ebenfalls mit Kermikmagnet, verbaut. Laut Schecter werden beide Pickup-Typen in den USA gefertigt und tatsächlich sind diese Tonabnehmer auch einzeln bzw. im Set erhältlich.
Bei der Elektronik wurde im Vergleich zur klassischen Stratocaster etwas abgespeckt: Neben dem 5-Fach-Blade-Schalter bleiben nur ein Master-Toneund ein Master-Volume-Poti zur Steuerung der Pickups. Na gut, ein kleines Extra gibt es doch: Zieht man den Tone-Regler nach oben, wird der Humbucker gesplittet. Die Klinkenbuchse wurde zu Gunsten einer etwas aufgeräumteren Optik auf die Zarge verlegt.
Eine etwas zeitgemäßere Neuerung wurde beim Vibrato-Sytsem vorgenommen: Hier findet das Diamond-Vintage-Tremolo von Schecter Verwendung, bei dem es sich aber um ein gar nicht so vintagemäßiges System mit 2-Punkt-Lagerung handelt. Ist die PT Van Nuys nun einfach die gleiche Gitarre in Telecaster-Form? Jein! Alle grundsätzlichen Konstruktionsmerkmale der beiden Gitarren sind identisch – der Teufel steckt aber im Detail.
(Bild: Dieter Stork)
Den größten optischen Unterschied macht der Hals: Bei unseren Testgitarren ist der Hals der PT deutlich dunkel gebacken, der Farbton erinnert schon fast ein wenig an Rosewood. Der bei der PT knapp 3 mm dickere Korpus ist im Gegensatz zur Traditional Van Nuys mit einer breiten, weißen Einfassung auf der Zarge versehen, die einen schönen Kontrast zu der Lackierung bietet. Auch wurde beim Hals-Korpus-Übergang auf die Konterplatte verzichtet und das Shaping noch ein wenig sportlicher gestaltet.
(Bild: Dieter Stork)
Ein weiterer, wesentlicher Unterschied sind die verbauten Pickups. Anstatt eines HSS-Sets wurde hier eine Bestückung mit zwei SuperRock-Humbuckern (beide mit Chromkappen) verbaut – ganz nach dem Vorbild der PT-Reihe der frühen 80er-Jahre. Die Elektronik ist identisch mit der Traditional Van Nuys, lediglich die Coil-Split-Option wurde eingespart. Auf die damalige, an die klassische Telecaster angelehnte Brückenkonstruktion wurde verzichtet und es kommt ebenfalls das Diamond Vintage Tremolo zum Einsatz.
MUCHOS MOJO!
Natürlich halten beide Testgitarren in Bezug auf Handling und Spielbarkeit jetzt keine großen Überraschungen bereit. Will ja auch niemand! Die Traditional Van Nuys fühlt sich erst einmal an, wie eine richtig gute, moderne Strat. Entsprechend ausgewogen hängt das Instrument am Gurt und der Hals weiß mit seinem ThinC-Profil auf Anhieb zu gefallen – hier werden weder kleine noch große Hände ein Problem haben.
Akustisch gespielt wartet die Gitarre mit einer schönen Mischung aus Twang und Tieftonfundament auf: Die klangliche Mischung ist einerseits agil in den Höhen, hat aber trotzdem eine schöne Tragkraft, sodass alle Noten auf dem Griffbrett kerngesund und ausgewogen klingen. Am clean eingestellten Verstärker fügen die beiden Monstertone-Singlecoils einen kräftigen Schuss Mitten hinzu, ohne aber zu stark den typischen Charakter eines klassischen Singlecoils einzubüßen. Man merkt jedoch, dass hier nicht die ganz alten Fender-Tonabnehmer pate standen, sondern die Pickups der 70er-Jahre mit ein wenig mehr Leistung.
Der SuperRock-Humbucker am Steg reiht sich hier nahtlos in das Bild ein: Der durchaus kräftige Tonabnehmer lässt die Mitten abermals einen Schritt nach vorne treten und ist im beste Sinne als klassischer Hot-Rod-PAF zu verstehen. Im Gegensatz zu vielen Vertretern dieser durchaus belieb-ten Humbucker-Kategorie bringt der Schecter-Tonabnehmer eine fein abgestimmte Nachgiebigkeit in den Bässen mit, die beispielsweise Freunden von Eddie Van Halens „Brown Sound“ durchaus gefallen könnte. Dementsprechend macht die Traditional Van Nuys auch verzerrt eine tolle Figur.
Während vor allem der Singlecoil auf der Halsposition mit einem kraftvoll singenden Leadsound überzeugen kann, liefert der Humbucker wunderbar laut bellende Riffrock-Klänge, die über das gesamte Griffbrett hinweg eine beachtliche Tragkraft haben und auch in den hohen Lagen nicht unangenehm harsch klingen. Nach unten gestimmt, sind der Traditional Van Nuys gewisse Grenzen gesetzt – eine Drop-D-Stimmung jedoch hat eine beeindruckende Wucht und ist auch in den Bässen immer noch klar umrissen. Einziges Manko ist der gesplittete Stegtonabnehmer, der nicht ganz mit den beiden anderen Singlecoils mithalten kann und im direkten Vergleich ein wenig blass erscheint.
Die PT Van Nuys klingt über weite Strecken sehr ähnlich wie ihr Schwestermodel, kann jedoch mit einem etwas strafferen Bassbereich und einem deutlich kräftiger ausgeprägtem Hochmittenspektrum punkten, was dem Instrument gut zu Gesicht steht. Anders als bei der Strat ist in der PT ein SuperRock-Humbucker auf der Halsposition verbaut, der auch hier gut funktioniert. Hier sind es vor allem leicht zerrende bis ordentlich gesättigte Overdrive-Sounds, welche die Gitarre auf dieser Tonabnehmer-Position glänzen lassen.
(Bild: Dieter Stork)
Eine Coil-Split-Option gibt es bei der PT nicht, was natürlich kein Drama ist, aber gerade bei dem Halstonabnehmer schön gewesen wäre. So oder so können beide Gitarren im Praxistest voll und ganz überzeugen. Genug „Mojo“? Auf jeden Fall! Reine Vintage-Style-Gitarren? Auf keinen Fall. Schecter bleiben der Tradition ihrer frühen Modelle treu, liefern aber Updates, die in der Praxis absolut positiv auffallen. Vor allem das hauseigene Vibrato ist richtig klasse: Nicht nur hat das System einen sehr weichen Lauf – im Gegensatz zu einem richtigen Vintage-Vibrato ist hier nichts, was sich beim Auflegen des Handballens unangenehm anfühlt. Klasse gemacht!
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ALTERNATIVEN
Klarer Fall: HSS-Strats und Telecaster-Variationen mit Humbucker-Bestückung gibt es wie Sand am Meer. Fenders Player Serie etwa hält eine tolle Auswahl an vergleichbaren Gitarren bereit, die preislich sogar noch ein klein wenig unter den Van-Nuys-Gitarren angesiedelt sind. Aber geht es darum, den Mojo der ganz frühen Schecter-Gitarren einzufangen, sind die beiden Testinstrumente schon alleine aufgrund der verwendeten Tonabnehmer derzeit ohne eine wirkliche Alternative auf dem Markt.
(Bild: Dieter Stork)
RESÜMEE
Um es kurz zu machen: Ist man scharf auf eine richtige Vintage-Schecter-Gitarre, aber nicht Willens (oder in der Lage), ein solch massives Budget für ein altes Model aus den frühen 80er-Jahren aufzubringen, so ist die Van-Nuys-Reihe eine fantastische Alternative!
Hier bekommt man Instrumente, die sich nicht nur optisch an den alten Schätzchen orientieren – auch das Feeling dieser alten Hot-Rod-Strats wurde gut eingefangen, ohne aber krampfhaft ein Vintage-Instrument nachzubauen. Sinnvolle technische Features wie das 2-Punkt-Vibrato, ein Roasted-Maple-Hals, der GraphTech-Sattel oder die Locking-Mechaniken holen den Look der Ur-Schecter-Gitarren in das 21. Jahrhundert und sorgen dafür, dass man eine absolut zeitgemäße Gitarre mit einem hohen Qualitätsstandard bekommt.
Bedenkt man den Preis dieser Gitarren, möchte ich die Schecter-Van-Nuys-Modelle uneingeschränkt zum persönlichen Test empfehlen!
PLUS
● Verarbeitung
● authentische Retro-Optik
● Spielbarkeit
● US-Custom-Shop-Tonabnehmer
● Roasted-Maple-Hals
● Preis/Leistung
(erschienen in Gitarre & Bass 08/2022)