Vintage muss man sich leisten können
Test: Rocktile Vinstage ST- und T-Style
von Christopher Kellner, Artikel aus dem Archiv
DRAHT UND LUFT
Beide Gitarren erfreuen mich zunächst mit einer sehr guten Werkseinstellung und erzeugen sofortige Spielfreude – das ist beileibe keine Selbstverständlichkeit in dieser Preisklasse. Bei der ST ist das Vibrato aufliegend eingestellt, die Federn sehr stramm – der tiefe „Wicked Game“-Dive will nicht so locker von der Hand gehen. Aber die Einstellung eines Strat-Vibratos ist ja auch Geschmackssache und muss jeder für sich selbst vornehmen.
(Bild: Dieter Stork)
Akustisch gespielt überzeugen beide Gitarren mit einer trockenen, holzigen Schwingungsfreude, wie man sie von Gitarren mit so dünnem „Vintage-Lack“ auch erwartet. Am Amp erweisen sie sich als sehr luftige und drahtige Gesellinnen, mit viel Brillanz und Perkussivität im Klang, was auch dem niedrigen Output der Pickups geschuldet ist. Und so eignen sich beide für viele Zwecke – nur für High Gain Distortion nicht unbedingt. Ich mag, wie die T-Style mit dem Hals-Pickup ihre feingliedrige Art bewahrt und nicht dumpf zumacht. So ist sie das ideale Rhythmus-Begleitinstrument mit fast schon Akustikgitarren-artiger Strumming-Qualität.
Der Bridge-Pickup beißt dagegen in Eierschneider-Manier zu und bietet genau den fiesen Twang, den viele an einer Tele lieben. Die ST-Style verhält sich, trotz anderen Korpusholzes, recht ähnlich – luftig, perkussiv, twangy. Irgendwie muss ich ständig alte Buddy-Holly-Licks und -Riffs mit ihr spielen, dazu inspiriert der Sound geradezu. Und ja, die Zwischenpositionen „knopflern“ adäquat, so muss das sein. Und erst „Le Freak“ … Nile Rodgers hätte seine helle Freude an dem Teil.
Ob man mit diesen Tonabnehmern glücklich wird, wenn man ‚Smoke on the Water‘ anstimmt oder mit viel Sustain den Gilmour machen will? Das muss jeder selbst entscheiden, ich bräuchte dafür etwas mehr „Fleisch“ – aber deshalb haben wir ja alle die Berechtigung, deutlich mehr als nur eine Gitarre in unserem Fuhrpark zu haben, jawoll!
FAZIT
Der künstlich gealterte Look der Vinstage-Serie ist natürlich das hauptsächliche Feature – was mich allerdings noch viel mehr begeistert, ist der Charme dieser sehr drahtigen und luftigen Pickups in Kombination mit dem dünnen Lack und der leichtfüßigen Attitüde der beiden Probandinnen. Da kommt man fast auf den Gedanken, sich die beiden als Studio-Rhythmus-Geheimwaffen ins Arsenal zu stellen. Kosten ja auch (fast) „nix“ – und ob nun die Hardware wirklich so toll und authentisch gealtert ist, wäre mir völlig egal. Also Daumen hoch für ein zwar nicht durchgängig „vintageorthodoxes“, aber sehr komfortables und im besten Wortsinne preiswertes Duo!
PLUS
● charmante Low-Output-Pickups
● gute Verarbeitung
● realistische und geschmackvolle Body-Alterung
● Knochen-Sattel
● Bespielbarkeit
● geringes Gewicht
● Preis/Leistung
MINUS
● Alterung der Hardware inkonsistent
(erschienen in Gitarre & Bass 03/2023)
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