Wie klingt ein Kernreaktor?

Test: Poly Effects Verbs

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(Bild: Dieter Stork)

Boutique-Pedalbauer gibt es viele. Und so einige davon werfen alle paar Monate ein weiteres Hallgerät auf den Markt. Da muss man sich schon etwas Besonderes einfallen lassen, um aus der Masse herauszustechen – so wie Poly Effects mit dem Verbs.

Vor kurzem schüttelten die Australier mit dem Josh Smith Flat V (Test in G&B 01/24) die Szene gehörig durch – ein Overdrive, dessen zahlreiche Einstellungsmöglichkeiten sich mit den Fingerspitzen auf einer Touch-Oberfläche steuern lassen, ganz ohne Potis. Nun legen sie mit dem Verbs nach und führen uns auf eine buchstäbliche Reise durch die Welt des Halls – erneut alles ohne Potis, nur mit den Fingerspitzen steuerbar!

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Das Herzstück – und für mich der eigentliche Clou des Gerätes – ist aber nicht die ungewöhnliche Bedienung, sondern es sind die einzigartigen Hall-Modi: Poly Effects-Mitarbeiter und viele Helfer haben tatsächlich den Hall der vielen Locations, die im Gerät emuliert werden, vor Ort eingefangen. Wer also schon immer mal den Hall eines schwedischen Kernreaktors auf seine Gitarre legen wollte – bitte sehr!

KONSTRUKTION

Das Verbs hat keinerlei Drehregler, sondern lediglich zwei Fußtaster. Darüber befindet sich eine berührungsempfindliche Fläche mit Symbolen, die dankenswerterweise deutlich beschriftet wurden. Wie beim Flat V zeigen Reihen von kleinen Lämpchen an, wo die „Regler“ stehen. Diese sind diesmal auch besser ablesbar als beim Flat V, selbst in von Sonnenlicht durchfluteter Umgebung.

Je nach Programm wechseln die Lämpchen ihre Farbe. Beim Einschalten (was etwas länger dauert, als man es von anderen Pedalen gewohnt ist) leuchten alle bunt durcheinander – richtig cool. Über den vertikalen Touch/Lampen-Reihen befinden sich Druckflächen, die zum Kernstück des Pedals führen: Den 6+1 Hall-Sammlungen, die Poly Effects uns hier anbietet. „6+1“ deshalb, weil der siebte Modus – „Adverbs“ – mit eigenen Presets belegt werden kann, aber auch schon einige mitbringt. Bei den anderen Modi handelt es sich ebenfalls um Preset-Sets, die zu thematisch passenden Sammlungen gruppiert wurden. Mehr dazu gleich bei der Beschreibung der Sounds.

(Bild: Dieter Stork)

Einstellbar sind die Reverbs mit den folgenden Parametern, die man mit einem leichten Druck der Fingerspitze auf die Touchoberfläche hochzieht oder runterfährt, wie auf einem Smartphone oder Tablet:

„Onset“ regelt das Pre-Delay der Hallfahne, also wie lange es dauert, bis diese hinter dem trockenen Sound einsetzt. „Mix“ regelt die Effektstärke von „subtil“ bis „ich ertrinke in Hall“ (je nach Effekt ist der Grundpegel unterschiedlich). „Low Cut“ dimmt den Reverb auf den Bassanteilen des Signals runter, dadurch wird nur auf die Höhen Effekt gelegt, der Sound wird deutlich kristalliner und weniger matschig – es handelt sich also um eine Tonblende. „Smoosh“ schließlich könnte man als Modulationsregler bezeichnen, hier zieht man mehr „Bewegung“ auf die Hallfahne – das kann je nach Modus ein stärkeres Echo, Chorus, Vibrato, Octave-Geschimmer etc. sein.

Was man nicht einstellen kann? Den Grundcharakter des jeweiligen Modus und vor allem: Die Abklinglänge der Hallfahne. Auf spielerische Weise muss man also mit dem spezifischen Hallraum arbeiten, der einem bei dem jeweiligen Modus angeboten wird. Es ist also nicht möglich, den „längsten Hall der Welt“ (Inchindown Oil Tanks) einfach mal „kurz“ einzustellen und den trockenen „Dong“ der Capricornia Caves lang zu machen.

Der Fußschalter links dient als „Crescendo“-Toggle: Hält man ihn gedrückt, verlängert man damit das Sustain des Halls und erhöht die Lautstärke. Der rechte Schalter ist ein On/Off-Schalter, mit dem man auch durch die Presets wechseln kann. Hinten an dem angenehm kleinen und leichten Pedal befinden sich stirnseitig der Ein- und Ausgang, MIDI-In- und Outputs sowie eine 9V-Strombuchse, die mit 500mA bespeist werden will – das liefert nicht jeder Powerbrick!

Das trockene Signal bleibt erhalten, es wird lediglich ein digitaler Effekt hinzugemischt. Für Stereo benötigt man entsprechende TRS-Kabel, eigene Buchsen gibt es nicht. Die Verarbeitung ist tadellos, das englische „Handbuch“ (es sind nur vier Seiten) beschreibt alles Nötige – die Presets sogar mit kleinen Bildern der Original-Locations! Über USB kann man eigene IR (Impulse Responses) in das Gerät laden, ja sogar Aufnahmen eigener Reverbs. Mehr Infos dazu finden sich im Handbuch und auf der Webseite, wo es auch schon ein Firmware-Update mit Bugfixes gibt.

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