Test: Marshall Studio Vintage SV20C & Classic SC20C
von Michael Dommers,
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(Bild: Dieter Stork)
Nachdem wir die beiden Vintage- und Classic-Topteile, zwei 1×12″- und zwei 2×12″-Lautsprecherboxen der neuen Studio-Reihe bereits vorgestellt haben, bringt Marshall nun auch die entsprechenden Combos an den Start.
Erwartungsgemäß sind die Verstärkerteile der Combos mit denen der Heads ebenso baugleich wie die Holzgehäuse mit denen der 1×12″-Boxen. Halt, nicht ganz, denn die Lautsprechergehäuse sind 20 mm höher. Umso mehr verwundert es, dass Marshall den Studio-Combos, anders als den Boxen, 10″-Lautsprecher spendiert, denn Platzprobleme sehe ich eigentlich nicht.
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Klassisch
Wie bereits die Topteile und Boxen der Studio-Linie kommen auch die Combos im Plexi- bzw. JCM-800-Design. Die Zahlen in den Modellbezeichnungen geben Auskunft über die nominale High-Power-Leistung von 20 Watt RMS, im Low-Power-Betrieb bringen es die beiden immerhin noch auf nachbarschaftsfreundlichere 5 Watt. Während der SC20C standesgemäß mit Preamp- und Master-Volume ausgestattet ist, bietet der SV20C die traditionellen Normal- und High-Treble-Inputs, jeweils mit Hi- und Low-Eingängen. Gerne werden die Normal- und High-Treble-Sektionen mit einem Patchkabel kaskadiert, um die Eingangskanäle zu mischen und damit den Amp klanglich flexibler zu machen.
(Bild: Dieter Stork)
Dagegen sind die passiven 3-Band-Klangreglungen beider Combos mit Treble, Middle und Bass und das Presence-Poti der Endstufe ebenso identisch wie die komplette rückseitige Anschlussperipherie mit fünf rot markierten Lautsprecheranschlüssen, Speaker-emulierendem D.I.-Out, serieller FX Loop mit On/Off-Schalter und Netzbuchse mit integriertem Fach für Netz- und Ersatzsicherungen. Durch die vertikale Montage des Verstärkerchassis an der Rückwand sind die Anschlüsse des Plexi-Combos nur von unten zu erreichen. Umständlich, aber bei baugleichen Chassis nicht anders machbar.
Da das Stahlblechchassis des SC20C unter der Gehäusedecke hängt, sorgt ein Alublech für Abschirmung nach oben hin. So dürfen dort sorglos elektronische Geräte abgestellt werden ohne Einstreuungen befürchten zu müssen. Beide Amps basieren auf Platinenbauweise, hochwertige Steckkontakte verbinden die einzelnen Baugruppen miteinander, und mehrere Feinsicherungen schützen die Schaltung. Das alles macht einen gleichermaßen zuverlässigen wie soliden Eindruck.
Die Gehäuse stehen dem in nichts nach. Beide Combos kommen im klassischen Look ihrer Ahnen. Während die Rahmen aus 16 mm Sperrholz gefertigt wurden, findet für die Rückwände 16 bzw. 10 mm MDF Verwendung, alles sorgfältig mit Vinyl bezogen, die Ecken des SC20C mit Kunststoffkappen versehen. Gummifüße, ein solider Griff und straffe Frontbespannung vervollständigen das jeweilige Exterieur. Auf der Oberseite des kleinen Plexi sorgt ein großes goldenes Gitter für ausreichende Luftzirkulation, beim 800er übernimmt dies ein rückseitiges Lochblech, das gleichzeitig vor etwaiger Kontaktaufnahme mit den (heißen) Röhren schützt. Die Celestion-10-Zöller hat man von hinten mit je vier Gewindeschrauben und Einschlagmuttern montiert, die Kabel Speaker-seitig gesteckt.
Am Strom
Bei den Meisten dürfte wegen der Kompaktheit der beiden Marshall Studio-Combos in Verbindung mit dem 10″- Lautsprecher eine gewisse Skepsis bezüglich der Übertragung des klanglichen Fundaments aufkommen. Seit Jahren toure ich mit kleinen 15-Watt-1×10″-Röhren-Combos und habe meine anfänglichen Bedenken schon nach dem ersten Gig über Bord geworfen. Selbst wenn man solche Amps nicht direkt auf hölzerne Bühnenböden platzieren kann um diese quasi als Resonanzverstärker zu nutzen, nehmen sie doch im Band-Gefüge – erst Recht wenn Keyboards im Spiel sind – genau den Platz im Spektrum ein, wo sie sich wunderbar durchsetzen. Zugegeben, bei einem klassischen Blues-Rock-Trio fehlt es dann doch oftmals ein wenig an Fundament.
So gesehen erstaunt mich das Basspotenzial unserer beiden Protagonisten, auch wenn sich das natürlich nicht mit 2×12- oder gar 4×12-Boxen vergleichen lässt. Wäre auch nicht fair. Ebenso darf man von den 20-Watt-Zwergen keine Bassdynamik erwarten, wie sie beispielsweise 50- oder 100-Watt-Tops liefern. Der entscheidende Vorteil der Studio-Combos ist jedoch, dass sie bei „artgerechter“ Nutzung schon bei relativ geringer Lautstärke die erst hinter der Vorstufe entstehende Röhrensättigung erreichen. Diese kommt nicht nur der Dynamik zugute, sondern auch der Arbeit mit den Gitarren-Potis.
So liefert der SV20C am Normal Input fette, druckvolle Basis-Sounds mit angenehm transparenten oberen Mitten und Höhen, die sich mit den passiven Klangreglern fein abstimmen lassen. Etwa ab Normal Volume 7 ist (bei beeindruckendem Pegel) erstes Sättigungszerren und dezente Kompression zu erkennen. Dagegen macht der High-Treble-Kanal mit extremer Höhendominanz seinem Namen alle Ehre.
Klanglich deutlich schlanker, bringt selbst komplettes Herunterdrehen von Treble und Presence keinen echten Wohlklang. Dessen Praxiswert zeigt sich im Grunde erst beim (alt)bewährten Koppeln beider Eingangssektionen per Klinkenkabel (z. B. Input 1 Low raus, Input 2 High rein). Dadurch lässt sich der Treble-Kanal zumischen und zugleich auch die Zerrintensität erhöhen. Die ehrliche Wiedergabe und das straffe Attack des SV20C bildet nicht nur klangliche Details der angeschlossenen Gitarre präzise ab, sondern unterstützt auch Dynamik und Ausdrucksstärke des Spielers/der Spielerin. Nachteil: Technische und spielerische Defizite des-/derselben werden gnadenlos offengelegt.
Die Vorzüge des Classic 20C liegen primär in seinen höheren Gain-Reserven und dem daraus resultierenden breiteren Zerrspektrum. Mittels Preamp- und Master-Volume lassen sich die Zerrintensität der Vorstufe und Sättigung der Endröhren fein ausbalancieren, um die gewünschte Mischung aus Verzerrungsgrad und Dynamik zu erzielen. Sogar Schlafzimmerpegel (viel Gain, ganz wenig Master) klingen noch recht passabel und laden zum „stillen“ Shredden ein, wenn auch auf Kosten der Dynamik. Logisch.
Durch seine typischen leicht kratzigen Zerranteile in den Höhen, die Wirkungsweise der passiven Klangreglung und seinen insgesamt etwas aggressiveren Klangcharakter fährt der SC20C eindeutig die JCM-800-Schiene. Nutz man den Low-Input, zählen auch cleane Sounds zu seinem Klangangebot, und die, wie auch beim SV20C, mit erstaunlichem Pegel-Headroom. Kommt der Low Mode (5 Watt) zum Einsatz, bleiben die Grundsounds beider Studio-Combos nahezu erhalten, verlieren allerdings ein wenig an Fundament. Die serielle FX Loop funktioniert klangneutral, der On/Off-Schalter generiert True Bypass, wobei das Signal die Loop komplett umgeht. Mit dem D.I.-Ausgang spendiert Marshall beiden Combos einen Monoklinkenausgang, dessen Speaker Emulation vorzüglich gelungen ist. Je nach Geschmack, müssten am Mischpult allenfalls ein paar Höhen abgesenkt und eventuell die Bässe etwas angehoben werden.
(Bild: Dieter Stork)
Resümee
Mit den Studio-Modellen SV20C und SC20C präsentiert Marshall nicht nur die Combo-Versionen der entsprechenden Topteile, sondern auch praxisorientiert modernisierte, kompakte Nachfahren von Plexi und JCM 800, deren typische Sound-Charaktere weitestgehend transferiert werden konnten. Durch die reduzierbare Ausgangsleistung von 20 auf 5 Watt, die abschaltbare serielle FX Loop und den gelungenen Speaker-emulierenden D.I.-Ausgang erweisen sich die beiden als wesentlich flexibler als ihre Urahnen. Die verwendeten Celestion-VT-Jr.-10-Zöller sind in der Lage, auch die Bässe zufriedenstellend zu übertragen und sichern so die Durchsetzungsfähigkeit im Band-Kontext. Beide Studio-Combos wurden unter Verwendung hochwertiger Bauteile solide gefertigt und tadellos verarbeitet. Trotz „Made in England“ bleibt der Preis moderat.