Im Jahr 1968 verbreitete sich ein neuer Gitarrensound in damals rekordverdächtiger Geschwindigkeit von einigen Tagen rund um die Welt. Dieses Tempo war dem sensationellen Gitarren-Sound geschuldet, der wie aus dem Nichts auf dem Album ‚Dr. Byrds & Mr. Hyde’ von The Byrds aufgetaucht war.
Diese Band, die damals bereits als halbwegs abgehalfert galt, zelebrierte auf einmal brillanten Country-Rock und schob sich damit wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit, dank des frisch zur Band gestoßenen Bluegrass-Musikers Clarence White, dessen markante Bendings vor allem dadurch auffielen, dass sie den Sound und die Spielweise einer Pedal-Steel-Gitarre täuschend echt imitierten. Und die Gitarristen weltweit hörten plötzlich ganz genau hin …
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CLARENCE & GENE
Der Ursprung dieses revolutionären Sounds liegt in einer genialen Erfindung von Byrds-Drummer Gene Parsons. Er hatte einen Tele-Body auf den Rücken von Clarence Whites 1954er Tele montiert und darin einen sogenannten Stringbender installiert. Dieses ausgeklügelte System aus Hebeln und Federn ermöglichte es, die H-Saite über eine Zugbewegung des Gitarrengurts auf den beweglichen oberen Gurtpin, um bis zu einen Ganzton nach oben zu ziehen. Dadurch konnte Clarence White die charakteristischen Licks einer Pedal-Steel-Gitarre täuschend echt imitieren und schuf damit einen neuen E-Gitarren-Sound, dessen Faszination bis heute anhält.
Der anhaltende Reiz dieses Sounds zeigt sich nicht nur in zahlreichen String- und B-Bender-Versionen, die mittlerweile von verschiedenen Herstellern produziert werden, sondern auch darin, dass Gene Parsons, der geistige Vater dieses Systems, selbst im Alter von 80 Jahren immer noch aktiv ist. Nach wie vor baut er seinen legendären Stringbender in Gitarrenbodys ein, die ihm aus aller Welt nach Kalifornien geschickt werden.
Mit Gene habe ich seit einem Interview, das ich mit ihm vor vielen Jahren für Gitarre & Bass geführt hatte, einen lockeren Kontakt gehalten. Er ist ein liebenswerter Mensch, der voll und ganz in seiner Werkstatt aufgeht, BMW-Motorräder lieber mag als Harleys und dem seine Bender-Idee von damals auch heute noch gutes Business beschert. Neulich hatte er mir noch erzählt, dass sein Patent nun zwar ausgelaufen sei, er es aber nicht mehr verlängern will, weil er sowieso genug zu tun habe und – augenzwinkernd – sein eigener „long-stroke” Parsons/White-Stringbender sowieso der beste des Marktes wäre.
LONG STROKE VS. SHORT STROKE
Der originale Parsons/White-Stringbender war ursprünglich ein so genannter Short-stroke-Typ. „Stroke”, englisch für das deutsche „Hub”, steht für die Strecke, die der obere Gurtpin per Zug am Gurt zurücklegt, um die H-Saite tonal nach oben zu ziehen. Clarence White spielte also einen Short-stroke Bender, um auch schnelle Pedalsteel-Licks realisieren zu können. Die Weglänge eines Short-stroke Benders liegt zwischen 11 und 12,7 mm, abhängig von der Stärke der verwendeten H-Saite.
Gene Parsons verwendet heute als Standard jedoch die Long-stroke Option, bei der Weg des Gurtpins 22,25 bis 25,4 mm lang ist. Mit anderen Worten: Der Gurtpin legt einen rund 50% weiteren Weg zurück, um die H-Saite einen Ganzton zu benden. Dies sorgt laut Parsons für ein geschmeidigeres, gefühlvolleres Bending und einen glänzenderen, fetteren Sound. Eben wie der typische Sound einer Pedalsteel.
BERLIN BENDER
Zurück nach Berlin – denn hier wird seit einiger Zeit ebenfalls ein B-Bender gebaut. Und zwar nicht aus dem überall erhältlichen Bausatz des Parsons/Green Stringbenders, sondern ein von Grund auf selbst aufgebauter B-Bender. Anthony Schneider, als Gitarrenbauer seit vielen Jahren fester Bestandteil von LuK Guitars, hat in dieser Zeit neben den vielen Gitarrenservice-Arbeiten auch selbst Gitarren gebaut. Seine 99. LuK-Gitarre war die erste mit dem eigenen B-Bender gewesen, bestellt von einem Gitarristen ausgerechnet aus Nashville – also von dort, von wo aus dieser Sound in den Sechzigern um die ganze Welt gegangen war. Anthonys hundertste Gitarre steht nun direkt neben mir, damit ich über sie schreiben kann. Und diese schöne Jubiläumstorte glänzt mit einer ganz besonderen Kirsche – einem weiteren Berliner B-Bender!
Zur Installation des B-Bender muss der Korpus rückseitig großräumig ausgefräst werden, damit das Hebelwerk ausreichend Platz findet. Der B-Bender selbst wiegt rund 320 g, und genau dieses Gewicht hat LuK zur Installation aus dem Body heraus gefräst, damit dieser durch das Gewicht des Benders nicht schwerer wird. Wer sich noch an das Parsons/Green-System erinnert, das Fender eine Zeitlang in eine Standard Telecaster eingebaut hat, der weiß diese Achtsamkeit auf das Gesamtgewicht der Gitarre sehr zu schätzen.
Schneider hat auf eine Abdeckung des B-Benders verzichtet und so hat man freien Blick auf dieses blitzsauber gebaute Wunderwerk der Technik.
An einer seitlichen Schraube lässt sich die gewünschte Tonhöhe der gezogenen H-Saite einstellen, bzw. ein Fine-Tuning vornehmen. Außerdem lässt sich bei Schneiders B-Bender die Feder-Vorspannung mittels einer Mutter einstellen. Warum ist das so wichtig? Spielst du live mit einer B-Bender-Gitarre und bist ein Typ, der sich gerne mal bewegt, dann kann es sein, dass die Feder ungewollt die H-Saite aus der Stimmung zieht. So erging es mir, als ich mir eine der oben erwähnten Fender Standard Telecaster mit Parsons/Green-Bender zugelegt hatte. Bei jeder Bewegung zog diese sackschwere Gitarre an der Feder und brachte die H-Saite aus ihrer Stimmung. Damals ersetzte ich die Feder durch eine andere, wesentlich straffere, musste aber lange suchen, bis ich eine passende gefunden hatte. Beim Schneider B-Bender könnte ich die Federspannung in einem gewissen Bereich nun einfach per Maulschlüssel passend einstellen. Schön!
Freigelegt: Das hauseigene B-Bender-System (Bild: Dieter Stork)
PURE MANIA
Der Body der LuK Pure – so der ursprüngliche Name einer T-style von LuK – ist aus Sumpfesche gefertigt, entspricht den traditionellen Maßen und ist zweifach in Nitro lackiert: Sherwood Green over Vintage Sunburst, und das in einer heavy reliced Ausführung. Ich persönlich finde diese Lackierung und auch das Aging schlicht großartig! Aber ja, Aging polarisiert immer noch! Und wie schön, dass man bei LuK ganz nach seinen eigenen Vorlieben seine Pure oder Nashville gestaltet bekommt. Sowohl das Pickguard als auch die Hardware sind ebenfalls schwer gealtert, lediglich die beiden Pickups haben sich ihr jungfräuliches Aussehen bewahrt.
Den Hals aus Beelitzer Ahorn – Beelitz ist eine Stadt im Umkreis Berlins – hat Schneider frei Hand geschnitzt, und dabei ist „ein Knüppel” (O-Ton Schneider) herausgekommen; mit fettem D-Profil, der trotz seiner Masse sehr gut in der Hand liegt. Die Form stimmt einfach, denn sie ist leicht asymmetrisch, sie flacht zur Treble-Seite leicht ab. Das Griffbrett ist als dünnes Slabboard ausgeführt und trägt Bünde im Vintage-Stil – beides Formate, die sehr gut zu diesem wirklich dicken Hals passen und ihn deshalb so gut spielbar gestalten.
Die Kopfplatte im typischen LuK-Design kann auf Saitenniederhalter verzichten, denn der Winkel der Saiten vom Knochensattel zu den Mechaniken ist steil genug, damit die Saiten mit genügend Druck durch die Sattelkerben laufen.
Mechaniken und Brücke kommen vom deutschen Hersteller Kluson, die Saitenreiter sind VSC-Typen der Berliner Firma ABM. VSC steht für „vintage compensated saddles” und bezeichnet Messing-Saitenreiter, die zwar traditionell paarweise die Saiten führen, aber sogenannte V-Kerben aufweisen, die so angeordnet sind, dass eine korrekte Einstellung der Oktavreinheit kein Problem ist. ABM hat sich für die ungewöhnliche V-Form der Kerben entschlossen, „da so der ‚Sitar-Effekt’ durch eine falsche Auflage der Saite ausgeschlossen ist. Bei einer V-Kerbe liegen die Saiten stets auf den beiden Flanken des V an und können nicht schnarren. Sicherlich ist eine Hohlkehle (ein runder Saiten-Ausschnitt) die beste Art, eine Saite über den Reiter zu führen, aber dabei muss der Durchmesser der Hohlkehle perfekt an Saite angepasst sein.” (O-Ton ABM)
Sorgen für einen lässigen und stimmigen Twang: Amber Country Steg-Pickup und ABM VSC-Reiter auf einer Kluson-Brücke (Bild: Dieter Stork)
LuK Guitars und Amber Pickups – das ist eine Kombination, die im LuK-Portfolio oft erscheint. So auch in diesem Fall. Partner in crime ist in dieser speziellen Nashville-Angelegenheit das Amber Country Set, zwei auf Alnico-V-Magneten aufgebaute Singlecoil-Pickups, die antreten, um klassische Tele-Sounds zu zelebrieren, nicht mehr, nicht weniger.
Praxistest und Resümee auf Seite 2 …
(Bild: Dieter Stork)
LET’S GO
Auch ohne B-Bender ist diese Berliner Version einer Telecaster eine wirklich Country-lastige Angelegenheit. Ihr fetter Hals liefert im Zusammenwirken mit den Pickups und dem Rest der Konstruktion typisch-klassische Tele-Sounds, und das in allerhöchster Güte. Am Hals tönt dieser Amber-Silberling so frisch wie ein Vogel im Frühling, zeigt überhaupt keine Spur von Matt- und Schlappheit, sondern glänzt mit großer Souveränität und einer breit gefächerten Brust. Er lässt sich zudem schön spritzig-dynamisch spielen, kann im Attack charakterstark schmatzen und liefert in gleichem Atemzug einen wunderbaren Schmelz in den Höhen. Rhythmus? Lead? Perlig? Glockig? Jazz? Ja, alles kein Thema …
Stegseitig erwartet uns eine „eigenwillige Kreation mit enormen Dynamik-Reserven, handgewickelt, brillant und kräftig … ” (O-Ton Amber). Und diesen Marketing-Sprech darf man hier durchaus wörtlich nehmen – denn der Amber Country ertönt zum einen sehr trocken und guttural-mittig, zum anderen mit einer Mittennase, die tiefer angesiedelt ist als z. B. der Broadcaster-Pickup meiner eigenen Tele. Dadurch bekommt er mehr Muskeln, ohne aber unangenehm gewöhnlich zu wirken. Dementsprechend wirkt die Kombinationsstellung beider Pickups mehr vom Hals- als vom Steg-Pickup geprägt und tönt insgesamt voller und satter als z. B. bei meiner Vintage-Tele.
Der klangliche Charakter der LuK Nashville ist natürlich nicht auf cleane Country-Sounds beschränkt, sondern setzt sich in allen Bereichen entsprechend durch. Je mehr Verzerrung im Spiel, desto mehr wird man den Steg-Pickup ins Spiel bringen, aber das liegt ja in der Natur der Sache; da verhält sich die LuK vorbildlich wie jede andere sehr gute Telecaster und zeigt sich als beispielhaft vielseitige Team-Playerin.
Wer b-benden will, bewegt per Zug am Gurt den Gurtpin in einem „long stroke” und zieht damit die H-Saite tonal nach oben. (Bild: Dieter Stork)
Der Berliner B-Bender macht genau das, was er soll – drückt man die Gitarre am Hals nach unten, setzt der Gurt samt oberem Gurtpin das Hebelwerk in Bewegung und zieht, wenn der Gurtpin den Anschlag erreicht hat, die H-Saite einen Ganzton nach oben. Die eingebaute Feder sorgt dann dafür, dass sich das System wieder zusammenzieht und die H-Saite auf ihren Grundton zurückführt. Alles funktioniert, wie es soll, und dank des „long stroke” dieses B-Benders lässt es sich wirklich sehr geschmeidig und klanglich bestens benden.
Es empfiehlt sich, für solch ein B-Bender-System einen etwas breiteren Gurt mit rutschfester Innenseite zu verwenden. Dann ist der Kontakt zur Bending-Bewegung direkter und unmittelbarer, sodass sich die H-Saite zielsicher auf Wunsch auch nur um einen Halb- oder gar Viertelton nach oben ziehen lässt. Ein Wink mit dem Zaunpfahl der hauseigenen Front Porch an die, die denken, man könne nur Country-Musik mit einem B-Bender spielen: fragt mal nach bei Jimmy Page, Pete Townshend, James Hetfield oder Richie Sambora …
Positiv hervorzuheben ist auch die Elektronik der Nashville. Wobei diese kein Hexenwerk darstellt, folgt sie doch einem klassischen Aufbau. Doch gerade das zeigt einmal mehr, dass eine bewährte Schaltung ihren klassischen Status nicht ohne Grund innehat. LuK verwendet zwei 250-kOhm Potis von CTS. Am Tone-Poti sitzt ein 0.022uF-Kondensator des Typs Orange Drop vom Hersteller SBE. Mein Elektronik-Berater meint dazu: „Dieser Orange Drop kommt aus der 715P-Serie (Polypropylene-Folie), wie man sie in nahezu auch jedem Amp findet. Hier wurde allerdings intelligent die 220V-Version gewählt, die im Vergleich zu den Cs für die Amps (630V) mehr als 50% kleiner ist und nicht zu viel Platz wegnimmt – speziell in einer Tele, wo es im E-Fach eh immer eng zugeht.” Dieser Kondensator-Wert ist absolut passend, denn er ermöglicht nicht nur einen passenden Regelweg und -bereich, sondern auch die beliebten Wooaah-Swells mit dem Tone-Poti. Am Volume-Poti findet man einen 330pF-Kondensator, der ein einfaches TrebleBleed-Netzwerk darstellt. Hier wieder der Elektronik-Berater: „Vielleicht für den Betrieb mit Singlecoils etwas unterbelichtet, aber besser als Nichts! Die Ausführung als Keramik-C passt nicht ganz zur restlichen Qualität der Gitarre, ich würde ihn gegen einen Silver Mica ersetzen.” Dies als kleiner Tipp für eine eventuelle Custom-Order bei LuK.
Potiknöpfe in geschmackvollem Design, auf einer künstlich gealterten Controlplate (Bild: Dieter Stork)
ALTERNATIVEN
Das wird, dank des B-Benders, schwer oder teuer. Die Fender Telecaster mit eingebautem B-Bender gibt es nicht mehr – das gilt sowohl für die Standart Tele als auch für die Clarence White Signature aus dem Custom Shop. Nach wie vor kann man seine Tele zu Gene Parsons nach Kalifornien schippern. Ein Short-stroke Bender macht dich um rund 2000 $ ärmer, die Long-stroke Version verlangt einen Tausender mehr, zzgl. der Transportkosten, versteht sich. Immerhin baut Gene Parsons in alle möglichen Instrumente seine Bender ein, auch in Les Pauls, Akustikgitarren, Mandolinen, 12-Strings …
Der von Allparts angebotene Parsons/Green Stringbender-Bausatz scheint nicht mehr erhältlich zu sein – und sonst gibt es nur noch Spezialisten, die vor allem in den USA zuhause sind, wie z. B. Joe Glaser in Nashville. Und die sind in ähnlichen Preisbereichen wie Gene Parsons unterwegs.
Wie gut, dass LuK nun seinen eigenen B-Bender auch zum Einbau in angelieferte Teles anbietet. Und das zu einem B-Bender-freundlichen Preis von € 1290.
RESÜMEE
Anthony Schneiders hundertste Gitarre für LuK Guitars ist eine LuK Pure namens Nashville geworden, die all das mitbringt, was man von solch einer Gitarre auch in diesem Preissegment erwarten darf. Sie bietet trotz fetten Halses eine superbe Spielbarkeit, eine auffällige Optik, eine richtig gute Verarbeitung, erstklassige Tonwandler und – als Kirsche auf der Jubiläums-Torte – den LuK-eigene B-Bender, mit dem sich nach Herzenslust all diese Bendings zelebrieren lassen, die mit einer normalen Gitarre eben nicht möglich sind. Das System funktioniert hervorragend und fügt sich ganz natürlich in diese tolle Berliner T-style-Komposition ein, die ihrem Namen Nashville alle Ehre macht. Wir sagen: Herzlichen Glückwunsch an Anthony Schneider und LuK Guitars für dieses Jubiläum – aber auch an den zukünftigen Besitzer dieser feinen Gitarre.