Röhrenlawine

Test: LeSuire Avalanche und LS210T

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(Bild: Dieter Stork)

Dienstag Abend. Bandprobe. Ich schultere meine Basstasche und schlendere mit einem 300-Watt-Vollröhren-Basstop an der Hand die paar hundert Meter zum Proberaum, ohne ein großartiges Ziehen im Arm zu verspüren. Du glaubst, diese Geschichte sei der Fantasie eines überspannten Testers entsprungen? Nein, sie ist wirklich so passiert!

Möglich ist das dank der ausgefuchsten Technik im Topteil des neuen Herstellers LeSuire Amps, dessen Avalanche Top nicht einmal elf Kilo auf die Waage bringt, so dass der lederne Riemengriff tatsächlich für entspannte Spaziergänge ausreicht.

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AUFBAU TOP

Mit seiner nach hinten abgeschrägten Bedienfront erinnert mich das Top ein wenig an alte Dynacord-MV-Powermischer der späten 50er oder frühen 60er Jahre, wozu auch das hübsche piktografische Design passt. „Oh, das sieht ja aus wie ein altes Radio!” war auch öfter zu hören und vor allem „ist der aber hübsch!”. Das sehe ich auch so.

Das Tolex in der Farbe „Levant Green” und die Front in „Vintage Gold” sind ausgesprochen schön und der Bezug sehr sauber verarbeitet. Auf Metallecken oder sonstige Schoner wird dabei verzichtet, daher ist beim Transport Vorsicht geboten. Nach der Klinkeneingangsbuchse und dem Gainregler zur Anpassung des Eingangspegels folgt die Klangregelung. Haben die meisten Röhrenbassamps passive Tonestacks, wie sie im Fender Bassman zu finden sind, oder Baxendall-EQs, wie sie von Ampeg favorisiert werden, findet sich hier ein weitaus ausgefuchsterer EQ.

Alle Klangregler rasten in der Mittelstellung ein, Bässe und Höhen arbeiten mit festen Frequenzen, die beiden Mittenbänder sind jeweils semiparametrisch. In welchem Bereich geregelt wird, legt jeweils ein Schieberegler, auch hier wieder mit charmanter Bebilderung, fest. Über einen Minischalter oder den mitgelieferten Fußschalter kann der gesamte EQ über Relais knackfrei ein- und ausgeschaltet werden.

Um eventuelle Lautstärkeunterschiede auszugleichen, gibt es einen zusätzlichen EQ-Volume-Regler, der auch als Boost/Cut genutzt werden kann. Nach dem Master-Regler folgen satt arbeitende Schalter für Standby und Power. Zwischenfazit bis hierher: ausgeklügelt, aufgeräumt und einfach zu bedienen! So retro der Amp von vorne aussieht, so modern ist er von hinten! Ich liebe stimmungsvolle Fotos von orange glimmenden Röhren in Verstärkern. Auf diesen Anblick muss ich beim LeSuire verzichten, die Rückwand ist bis auf zwei kleine Gitter und den ziemlich mittig platzierten, großen Lüfter komplett abgedeckt.

Die Lüftung ist auch „schuld” daran, dass es keine hübsch glühenden Glaskolben zu sehen gibt: In aufwändigen Simulationen hat sich dieser Luftweg in einem weitgehend geschlossenen Gehäuse als optimal erwiesen.

Ein so geringes Gewicht lässt schon auf ein Schaltnetzteil schließen, und so ist es auch: Ohne Umschalten können am Netzanschluss 85 – 265 Volt anliegen, intern wird die Spannung überwacht und auf einem konstanten Wert gehalten. Daneben finden sich zwei der Ausgangsleistung von 300 Watt entsprechende Neutrik Speakon/Klinken-Kombibuchsen. Zwischen beiden befindet sich die Anzeige des Speaker Fail Monitors.

Auch hier verbirgt sich ausgeklügelte Technik: Röhren sind teuer, und der Amp schützt und schont die kostbaren Glühkolben, indem die Endröhren automatisch gebiast und zudem permanent überwacht werden. Mit drei Abgriffen am Lundahl-Übertrager kann per Schiebeschalter gewählt werden, ob acht, vier oder zwei Ohm am Verstärker hängen, so dass man sowohl mit einer einzelnen, entsprechend belastbaren 8-Ohm-Box arbeiten kann, als auch Boxenwände mit beispielsweise vier 8-Ohm-Boxen aufbauen kann.

Beim korrekten Setting hilft eine umfangreiche, sehr praktische Tabelle auf der Rückwand. Auch hier findet eine Überwachung statt, um bei Fehlfunktionen der Box(en) einzuspringen. Neben der Buchse für den Fußschalteranschluss finden sich drei Druckschalter für den DI-Ausgang. Die XLR-Buchse kann mit oder ohne Ground-Lift betrieben werden, für zarte Mischpulte im Pegel abgesenkt werden, und vor allem: direkt hinter dem Eingang, aber Pre-EQ gelegt werden, oder Post-Poweramp für die Röhren-Vollbedienung.

Parallel dazu kann das Signal mit den gleichen Einstellungen noch unsymmetrisch am Klinken-Line-Out abgegriffen werden. Hinter der Abdeckung geht es auf dem blankpolierten Chassis aufgeräumt und geradezu klinisch-nüchtern zu, die dicken Trafos gängiger Bauart sucht man vergebens. Röhren gibt es aber natürlich: In zwei Gruppen tummeln sich hier sechs KT88, zur Front hin stehen in einer Reihe drei 12AX7 und eine 12AU7 für die Eingangsverstärkung sowie die aufwändige aktive Röhrenklangregelung und eine 12AU7 als Treiberröhre.

(Bild: Dieter Stork)

DIE BOX

Ähnlich tragbar und natürlich im gleichen Styling wie das Topteil präsentiert sich die Box. In einem aus 15 mm Pappel-Multiplex gebauten und intern stabil verstrebten Gehäuse im Hochformat sind zwei Zehnzöller und ein Hochtöner eingesetzt. Reichlich Dämmung reduziert Resonanzen, während eine Bassreflexöffnung vorne die Wiedergabe der Tiefen nach unten erweitert.

Das Anschlussfeld auf der Rückseite sorgt für einen geschützten Abgang der Lautsprecherkabel nach schräg unten, die Buchsen sind Neutrik-Speakon/Klinken-Kombibuchsen. Darunter liegt der Sechsfach-Schalter für das Horn, das mit einer fett aufgebauten Weiche getrennt wird. Einziger, wirklich kleiner Wermutstropfen: Sind beide Buchsen mit Speakon-Steckern belegt, ist der Drehschalter nur noch mit spitzen Fingern zu erreichen.

Auch die Box verzichtet auf Kanten- und Eckenschoner, wer mit dieser Anlage unterwegs ist, wird sich beim Transport und Auf- und Abbau wohl liebevoll um die grundsätzlich robusten Komponenten kümmern. Gepolsterte Hüllen werden immerhin mitgeliefert, aus elastischem Material, das sich auch dem Topteil elegant anpasst.

MODERNSTES RETRO

Mit den etwas staksigen Gummifüßen, die höher als üblich sind und in einem anderen Leben als industrielle Gummidämpfer ihren Dienst tun, steht das Avalanche-Top souverän über dem – völlig ausreichenden – Riemengriff der LS210T, gleichzeitig mindern sie die Schwingungsübertragung. Los geht’s: Strom einschalten und warten, bis die Röhren warm sind, dann Standby ausschalten – normales Prozedere.

Auch hier hat LeSuire wieder eine Absicherung eingebaut: Sollte man vergessen haben, Standby korrekt zu schalten, sorgt eine Soft-Start-Funktion für geräuschloses und sicheres Hochfahren. Geräuschlos ist ein gutes Stichwort: Der Amp ist angenehm leise, vom Lüfter hört man erst einmal gar nichts, und später nur sehr wenig. Dafür gibt es Ton! Ton! Ton!

Nur Gain und Master reichen vorerst, ich fühle mich in den Arm genommen, in eine warme Decke gewickelt und mit Kakao versorgt. Mein Fender Am. Elite Jazz Bass V fühlt sich genauso wohl. Egal ob passiv oder aktiv, der Ton wird organisch angewärmt, behält seinen Charakter, wird aber um eine musikalische Komponente erweitert, die den Sound wie dreidimensional in den Raum stellt. Und das – da macht LeSuire bei der Box keine leeren Versprechungen – überraschend wuchtig bis zum tiefen H runter, souverän und ohne Kompromisse.

Mit dem Gain-Regler lässt sich fein steuern, ob der Sound sonst clean bleibt oder über eine zarte, natürliche Kompression langsam anfängt in einen knurrenden Overdrive aufzubrechen. Das allein wäre bereits eine gute Klangpalette, Variationen eines sehr, sehr guten Röhrentons. Aber manchmal möchte man doch in den Ton eingreifen, und dafür gibt es ja den ausgefeilten EQ. Der macht sich beim Anschalten mit einer extrem hellen LED bemerkbar, die die Beschriftung schier überstrahlt – an dieser Stelle wäre für mich weniger mehr …

Über die Klangregelung an sich gibt es nur Positives zu berichten. Die Frequenzbereiche sind gut gewählt, der Ton behält seine organischen, musikalischen Qualitäten. Noch mehr Bass, den die Box bis in hohe Lautstärken souverän umsetzt? Noch mehr Höhen, die der voll aufgedrehte Hochtöner völlig frei von Nervfrequenzen perlend wiedergibt? Das alles geht! Und zwar genauso gut wie die Gestaltung des den Basssound so prägenden Mittenbereichs.

Die Festlegung der Frequenzen über Schieberegler ist überaus charmant und gut ablesbar, der EQ-Volume-Regler kann sowohl extreme EQ-Einstellungen in der Lautstärke an den „neutralen” Sound angleichen, als auch einen fußschaltbaren Boost/Cut bieten, auch zur Anpassung eines zweiten Basses.

Die erreichbare Lautstärke ist exakt das, was ich von einem Vollröhrentop dieser Leistungsklasse erwarte, an meiner alten 8×10″ liefert der LeSuire-Amp entspannt eine hosenflatternde Ganzkörpermassage. Die bei Röhren unweigerlich auftretende Wärme hält sich dank des effektiven und laufruhigen Lüfters in normalen Grenzen, auch ohne große Lüftungsgitter oder eine durchlässige Front. Durchdacht, wie alles an dieser Anlage!

(Bild: Dieter Stork)

RESÜMEE

Etwas wehmütig ziehe ich dem Avalanche-Topteil und der LS210T-Box wieder ihre elastischen, gepolsterten Cover über und verpacke sie für den Rückversand. Die Anlage hätte gerne noch bleiben dürfen … Klar sind 6000 Euro für die Kombination eine echte Ansage, aber LeSuire liefert auch echten Gegenwert.

Der gute Ton spricht schon ganz ohne EQ für sich, die Klangregelung greift bei einfacher Bedienung musikalisch ins Geschehen ein. Alle Anschlüsse entsprechen dem, was ich bei einem modernen Basstop (egal welcher Bauart) erwarte, während ausgefuchste Schutzschaltungen für ein langes Röhren- und überhaupt Amp-Leben sorgen.

Was die LeSuire-Anlage vollends vom Rest absetzt, ist die gute Transportfähigkeit des Topteils. Hier wurden keine Kosten und Mühen gescheut, um kompromisslose Vollröhrenleistung bei weniger als einem Drittel des Gewichts eines klassischen SVT zu erreichen. Da alle Anlagen auf Master-Built-Custom-Shop-Niveau gefertigt werden, kann dabei das Styling noch aus einer Vielzahl von Optionen personalisiert werden. Unterm Strich also ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, ein noch besseres Gewichts-Leistungs-Verhältnis, und eine klare Antestempfehlung!

Plus

● Sound
● Röhren-Klangregelung
● EQ-Volume
● Leistung
● Optik
● Gewicht!
● Auto-Bias
● Schutzschaltungen

(erschienen in Gitarre & Bass 02/2025)

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