Vieles am Godin Dorchester hat man irgendwie in den 60ern schon mal gesehen, aber nie so. Ein Hauch Rickenbacker-381-Gitarre, verkleidet als 4005-Bass in der Variante mit einem Binding nur an der Unterkante, eine ordentliche Schippe Mosrite mit dem verzogenen Korpus und dem schrägen Hals-Pickup …
Die Decke verfügt über den sogenannten „German Carve“, den Mosrite-Gründer Semie Moseley von Roger Rossmeisl gelernt hat, der ihn wiederum bei Rickenbacker eingeführt hatte … Die Pickups sehen denen von Mosrite ähnlich, aber in einer P-90-Bauform, wie sie Gibson bei ihren Bässen nie nutzte. Die Kombination Steg/Saitenhalter könnte dagegen direkt vom 64er-Thunderbird kommen.
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KANADISCHE HALBAKUSTIK
Der Shortscale-Bass ist als Semiakustik gebaut, mit Tonkammern im Lindenbody. Wer ein Leichtgewicht à la Höfner Beatle Bass erwartet, wird sich wundern – der Dorchester bringt normale 4 kg auf die Waage. Der Korpus ist ganz schön ausladend, gute 5 cm dick, und der größere Teil ist immer noch massiv. Wie schon erwähnt, hat die Rückseite ein Binding, die Ahorndecke auf der Vorderseite eine „German Carve“ genannte Hohlkehle, weitere Shapings gibt es nicht.
Der ebenfalls aus Ahorn geschnitzte Hals mit dem leicht schrägen Abschluss ist aufgeschraubt, vier Schrauben mit zwei gebogenen Metallplatten halten ihn an Ort und Stelle. Palisander ist das Griffbrettholz der Wahl, zum Glück hat sich für den Endverbraucher CITES ja wieder erledigt, und man muss beim Kauf dieses Basses im Laden nicht mehr seine Adresse angeben … 21 Bünde gibt es hier, plus einen Nullbund.
Die Saitenführung übernimmt ein Sattel von GraphTech, gestimmt wird mit offenen Mechaniken, die einen vernünftigen Eindruck machen und dank der abgewinkelten Kopfplatte genug Druck auf den Sattel respektive Nullbund produzieren. Am anderen Ende werden die Saiten einfach eingehängt. Aufgezogen sind D‘Addario EXL160M, also Mediumscale-Saiten 50 auf 100, die von der Länge her genau auf den Shortscale passen. Allerdings ist der Messingsaitenhalter so gekerbt, dass A bis G locker in die Kerben passen, die dicke E-Saite nicht. Die hängt zwar sicher am Ballend, läuft aber nicht schön zum Steg … Besagter Steg ist die Bassversion der von Les-Paul-Gitarren bekannten Tuneomatic, die gesamte Saitenlage kann an zwei Schrauben per Hand oder mit einem Schlitzschraubendreher justiert werden. Die Saitenreiter sind für die korrekte Oktave zu verstellen, das geht recht fluffig von der Halsseite.
Wie schon erwähnt, sind die Pickups Bass-Versionen von Godins Kingpin-P90-Abnehmern, die mit den Schrauben in den Dogears in der Höhe verstellt werden können und mit je vier Alnico-Magneten mit fast einem Zentimeter Durchmesser protzen. Die Platzierung der beiden weckt wieder Mosrite-Erinnerungen: weiter auseinander als meist üblich und am Hals ziemlich schräg. Verwaltet werden sie von einem Dreiweg-Schalter und Volume- und Tone-Regler, die sich beim Blick unters Pickguard als moderne, gekapselte Minitypen erweisen. Die Ausgangsbuchse sitzt in einem Buchsentopf, wie man ihn in Teles schrauben kann. Last but not least hat der Dorchester Security-Lock-kompatible Gurtknöpfe zu bieten.
RETRO, ABER NICHT VON GESTERN
Die Gegenstücke gehören leider nicht zum Lieferumfang, aber man kann ja auch einen normalen Gurt nehmen. Mit dem sich Überraschendes ergibt … Eigentlich hatte ich bei einem Shortscale-Bass, der zudem noch einen recht schweren Korpus hat, keine Probleme mit Kopflastigkeit erwartet. Genau die gibt’s aber. Die Kopfplatte möchte mir ständig zeigen, wo der Erdmittelpunkt ist. Ein aufgerauter Gurt hilft etwas, ansonsten muss entweder der rechte Unterarm aufliegen oder die Greifhand den Hals hochhalten. Dabei liegt der sonst gut in der Hand, die Nullbund-Breite hat J-Bass-Format mit eher schlanker C-Form und einer dünnen Mattlackierung. Dank der raffinierten Montage mit den versenkten Metallplättchen und dem bis unter den Hals-Pickup verlängerten Halsfuß sind auch die oberen Bünde leicht erreichbar.
Die Bundierung ist sauber abgerichtet, nachdem ich den Stahlstab von der Kopfplatte aus noch leicht angezogen habe und die Brücke etwas gesenkt (ich mag es wirklich flach … ), geht der Dorchester ab wie Schmitz schnarrfreie Katze. Die weit auseinanderliegenden Pickups sorgen für etwas ungewohnte Auflagepunkte für den rechten Daumen, und auch am Amp machen sie sich klanglich eigen bemerkbar. In Mittelstellung des Dreiweg-Schalters bekommt der Ton eine hohle Note, die wie out of phase klingt, aber nicht ist.
Sehr eigentümlich-honkig und sehr vintage. Dafür aber komplett brummfrei, während die Einzel-Pickups als typische Einzelspuler nicht gegen Einstreuungen gefeit sind. Der Halsabnehmer hat wenig überraschend ordentlich Wumms, aber trotzdem mit viel Klarheit. Klingt sehr schön retro, wer beatet mehr? Der Kollege am Steg kann locker mithalten und drückt fettes Fundament aus dem Verstärker. Wenn ich dann noch die Höhen an der feinfühlig arbeitenden Höhenblende zurücknehme, gibt das ein fantastisches Mittenbrett!
(Bild: Dieter Stork)
RESÜMEE
Kein Bass wie jeder andere, und das ist gut so! Der Dorchester reiht sich cool ein in die überschaubare Riege der halbakustischen Bässe und sticht dort mit seinem Retro-Styling voller geschickter Zitate raus. Klanglich ein Charakterdarsteller, in der Verarbeitung ohne Fehl und Tadel – wenn nur die Kopflastigkeit nicht wäre. Die ist beherrschbar, nötigt einem aber bestimmte Spielhaltungen auf. Im Sitzen ist alles toll, aber der Dorchester will auf die Bühne …
Da wird man dann mit toller Optik und guten Sounds belohnt, wobei mir persönlich die Einzel-Pickups (vor allem mit deftig zugedrehter Höhenblende) besser gefallen als die Kombination. Flats würden dem Godin sicher auch gut stehen – the beat goes on!