Very British mit Akzent

Test: Gladius 2204

Anzeige
(Bild: Dieter Stork)

Marshalls JCM800 2204 50-Watt-Topteile gibt es auf dem binneneuropäischen Second-Hand-Markt wie Sand am Meer. Warum sollte man sich dann also einen Gladius 2204 genauer anschauen? Weil der Gladius der bessere Verstärker ist? Wir werden sehen …

Schon aufgrund seiner hervorragenden Restaurations- und Servicearbeiten an Thomas Blugs geliebten Marshall-Amps, eilt Adrian Socnik ein Ruf voraus. Wir haben es hier mit einem Nerd zu tun und einem ausgesprochenen Liebhaber von klassischen britischen Amps der Sechziger- und Siebziger-Jahre. Socnik kopiert unter dem Markennamen Gladius (in altrömischer Schreibweise Gladivs) nicht einfach nur die populärsten Marshall-, Trainwreck- und Vox-Verstärkermodelle, sondern bringt bei seinen Produkten oftmals ein paar sehr behutsame Optimierungen dieser Schaltungen ein.

Anzeige

Im Falle unseres Testverstärkers sind etliche Unzulänglichkeiten des Original-Designs tatsächlich sehr einfach auszumerzen, aber Socnik will mehr als nur einen etwas besseren JCM800 anbieten. Es scheint eher, als wolle er diesen Amp geradezu perfektionieren. Der exklusive Händler dieser exklusiven Amps ist im Übrigen Ron Mehl bzw. Pro Guitar, der sich komplett dem High-End-Boutique-Builder-Amp-Segment verschrieben hat und sich bei der Produktentwicklung auch eng mit Adrian austauscht.

KONZEPT

Dass alte Marshall-Plexis und JMP-Amps extrem teuer sind, sofern sie sich noch halbwegs im Originalzustand befinden und in die Geburtenjahrgänge 1963 bis 1973 fallen, also ganz klassisch mit großen Bauteilen auf Lötleisten aufgebaut sind, ist kein Geheimnis.

Ein JCM800 2203 (100 Watt) und auch die 50-Watt-Variante 2204 wurden von Marshall allerdings nie in diesem Stil gebaut, und waren ausschließlich als Verstärker mit „printed circuit board“ – kurz PCB – erhältlich. So wurden hohe Stückzahlen produziert, was auch den recht günstigen Preis dieser Amps im gebrauchten Zustand erklärt.

Nun kann man sicherlich darüber streiten, ob Amps auf PCB-Basis besser oder schlechter klingen als gleichartige Amps, die im Point-to-Point-Verfahren oder auf Lötstützpunkten aufgebaut sind, aber bei eben jenen alten Marshalls scheint sich die Szene einig zu sein, dass die teure Variante auch „teuer“ klingt. Was wäre also, wenn man einen JCM800 auch so bauen würde? An genau diesem Punkt begann vermutlich der Denkansatz von Adrian Socnik bei der Konzeption des Gladius 2204.

(Bild: Dieter Stork)

Wir gucken dem Amp unter die Haube und sehen einen technisch klassisch auf originalgetreuem Paxolin-Board aufgebauten Preamp sowie eine entsprechende Endstufe. Das ist die beinahe identische Positionierung der Bauteilgruppen, wie man sie von späten Plexis kennt und vermutlich liegt hier auch schon der Hase im Pfeffer. Die Erfahrung mit dieser Art traditioneller Gitarrenverstärker zeigt immer wieder, dass nicht nur die Auswahl der Materialien, sondern auch deren räumliche Anordnung im Chassis sowie Masseführung und Signalverlauf, durchaus hörbare Einflüsse auf den Klang und vor allem auf das Nebengeräuschverhalten haben. So ganz auf PCB wurde nicht verzichtet, denn die alten Marshalls der Sechziger hatten keinen Einschleifweg und auch keinen eingebauten Variac.

Der Gladius hat diese Features und daher befinden sich auch ein paar kleine, grüne Circuitboards im Chassis. Richtig klassisch ist das nicht, aber im Fachjargon würde man hier wohl von „period correct“ sprechen. Vor allem der Variac-Regler macht neugierig, denn dieses Feature ist eine der beiden eigentlichen Neuerungen im Design des Gladius 2204.

(Bild: Dieter Stork)

Ein Wort zu den drei ECC83- und den beiden EL34-Röhren, die im Gladius betrieben werden, muss noch verloren werden. Hier gibt sich der Hersteller wirklich Mühe und bestückt den Verstärker mit relativ hochpreisigen Mullard-Reissue-Röhren, die zumindest sehr ähnlich klingen, wie die alten Röhren, die in frühen Plexis verwendet wurden. Das ist zwar nicht die Peking-Röhre, die in den Achtzigern oftmals im JCM800 2204 ausgeliefert wurde, aber sicherlich eher eine bessere Wahl, als einfach irgendwelche in China hergestellten 12AX7 zu nehmen. An eben solchen Details erkennt man dann, dass Socnik es sehr ernst meint mit seinem Produkt.

BEDIENELEMENTE

(Bild: Dieter Stork)

Frontseitig findet man, neben den für einen JCM800 typischen Potis für Gain, Treble, Middle, Bass, Volume und Presence, einen zweiten Lautstärkeregler, der einen sogenannten Post-Phase-Inverter-Master-Volume kurz PPIMV regelt. Das ist neben dem Variac die zweite echte Neuerung im Vergleich zum alten JCM800. Im JCM wird die Lautstärke nämlich ausschließlich weiter vorne im Signalweg geregelt – man verliert hier beim Herunterregeln etwas von der typischen Klangfarbe der Phasendrehstufe. Somit klingt der Amp eher kühl, knallig und bei kleinen Lautstärken steril. Nicht so, wenn man nach der Phasendrehstufe abregelt, wie beim Gladius 2204.

Wie das Original, hat auch der Gladius zwei Eingangsklinkenbuchsen, die an unterschiedlichen Punkten in den Signalweg münden. Der „heiße“ Eingang bekommt hier durch eine Triode, also eine halbe Vorstufenröhre, mehr Gain geliefert, als der „kalte“ Eingang. Das ist typisch für diese Marshalls gewesen und darf natürlich nicht fehlen.

(Bild: Dieter Stork)

Die Rückseite des Gladius überrascht mit einer weiteren Neuerung. Hier gesellt sich zu den altbewährten Send- und Return-Buchsen des Einschleifwegs, der Kaltgerätebuchse und den beiden Lautsprecherausgängen mit Impedanzwahlschalter, ein Fußschalteranschluss. Das entsprechende Bedienelement schaltet den eigentlich traditionellen, ersten Lautstärkeregler des 2204 aus dem Signalweg, um einen Solo-Boost aktivieren zu können. Das ist ein sehr behutsamer und cleverer Eingriff in das Original-Layout des JCM.

SOUNDS

Sofern man den Gladius 2204 mit voll aufgedrehtem Variac und Post-Phase-Inverter-Master-Volume-Regler spielt, klingt der Amp tatsächlich sehr ähnlich wie ein alter 50 Watt JCM800 2204 der ersten Baureihe. Der Einschleifweg funktioniert besser als beim alten JCM, klingt nüchtern, bleibt dynamisch stabil und rauscht nicht merkbar. Auch der fußschaltbare Solo-Boost ist bei Aktivierung sehr nebengeräuscharm und ploppt nicht so unangenehm laut, wie bei manch einer Kanalumschaltung aus Petaluma.

Mit den Werksröhren klingt der Gladius 2204 etwas runder, mittiger und musikalischer als sein Vorbild, denn die Mullard-Reissue12AX7 bieten eine etwas stärker komprimierte Basis als typische China-Röhren. Somit hängt der Gladius etwas gemütlicher am Gas und bietet sich für Bluesrock und etwas härtere Spielarten an. Für modernen Metal und technisch virtuose Gitarristen empfiehlt es sich jedoch, die Mullard-Reissue-Vorstufenröhren gegen normale JJs oder TAD-Röhren zu tauschen und zu überprüfen, ob der Zugewinn an Tightness gefällt. Mit TAD-RT010-Highgrade-12AX7- Vorstufenröhren zum Beispiel, tönt der Amp eher nach dem Klischee von Eighties-Heavy-Rock, wirkt noch eine Spur moderner in den Mitten, aggressiver in den Höhen, und genau das gefiel mir subjektiv ebenfalls sehr gut.

Die wirklich interessante Option, den Amp zunächst mit dem zweiten Master-Volume-Regler leiser zu stellen und die Gesamtlautstärke am ersten Lautstärkeregler aufzuholen, setzt nochmals Kompression und somit gefühltes Gain frei. Hier muss man allerdings aufpassen, denn die Dosis macht das Gift. Ein PPIMV-Lautstärkeregler neigt im Gegensatz zum ordinären Volumepoti dazu, den Amp etwas fransig und bröselig klingen zu lassen. Das kann, je nach Einstellung des Verstärkers, ein bisschen nach Vox AC30 klingen und den typischen JCM800-Charakter einweichen.

Nochmals intensivieren lässt sich das durch den Variac-Regler. Auch dieses Feature findet sich nicht im Original-JCM, ergibt aber dennoch Sinn. Hier regelt man genüsslich die Spannung in der Vor- und Endstufe herunter, ohne dass sich der Heizstrom der Röhren hiervon negativ beeinflussen ließe. Das Variac macht somit all das, was wir an einer Gleichrichterröhre in einem JTM45 gut finden, oder was auch Eddie an dem externen Variac mit seinem alten Plexi schon für gut befunden hat. Es funktioniert somit als kontrollierbarer Lautstärke-, Matsch- und Kompressionsregler.

Das Zusammenspiel aus Variac, PPIMV-Master-Volume und regulärem Lautstärkeregler macht beim Gladius 2204 den eigenständigen Klangcharakter des Verstärkers aus. Hier darf nach Herzenslust eine perfekte Mischung aus JCM800, JMP, JTM50 und 1987-Super-Lead-Plexi mit einer Prise JTM45 eingestellt werden. Tatsächlich kann der Gladius 2204 mit Tele, Les Paul oder einer Charvel-Superstrat, an einer 4x12er-Box mit Vintage-30-, G12Moder G12H-Lautsprechern, mehr als nur plausible Ergebnisse liefern und bietet sich somit auch für Studiobetreiber als Werkzeug zur individualistischen Klanggestaltung auf höchstem Niveau an.

ALTERNATIVEN

Für typische Marshall-2204-Sounds kann man sich sicherlich einen gebrauchten 2204 oder 2203 kaufen und mit den Unzulänglichkeiten des Originals leben. Zudem bietet Marshall mit der aktuellen JVM-Serie gut klingende Alternativen an, die in der Rockgitarren-Rhythmus-Sound-Disziplin durchaus gute Resultate liefern. Sofern man jedoch das kleine Quäntchen Freundlichkeit in der Klangästhetik und vor allem eine Verarbeitungsqualität sucht, die eher typisch für ein Premiumprodukt Made in Germany ist, so ist der Gladius 2204 derzeit alternativlos.

(Bild: Dieter Stork)

RESÜMEE

Auch nach einem mehrwöchigen Langzeittest und im direkten Vergleich zu diversen echten, alten JCM800 stellt sich heraus, dass der Gladius 2204 als britischer Rock-Rhythmus-Verstärker immer leicht die Nase vorne hat, sofern man die eher klassische Einfärbung des 2204-Sounds in Richtung eines JMP, JTM oder Plexi sucht. Wenn Geld eine untergeordnete Rolle spielt und man den definitiven JCM800 erstehen möchte, ist dieser Gladius ein heißer Kandidat auf den Titel.

PLUS

  • sehr musikalischer Sound
  • geringes Gewicht
  • hohe Lautstärkenreserven
  • Variac und PPIMV

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2020)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.