Kalifornische Bleischleuder

Test: Fryette Amplification Deliverance 120 II

Anzeige
(Bild: Dieter Stork)

Die hochgradig spezialisierten Verstärkermodelle aus der Amp-Schmiede von Steven Fryette sind in Insiderkreisen für ihre ausgesprochen trockenen und tighten High-Gain-Sounds beliebt. Nicht nur im Studio sind diese Attribute von großem Wert, sondern auch auf der Bühne. Daher sah sich Fryette nun veranlasst, dem Deliverance 120, sowie dem kleineren Deliverance 60 ein paar Updates zu verpassen.

Schon im Januar 2005 stellte Steven Fryette, der damals noch unter dem Markennamen VHT Verstärker fertigte, den Vor­gänger unseres Testkandidaten auf der damaligen NAMM Show in Anaheim vor, und genau zehn Jahre später, nämlich schon im Jahr 2015, stand auf der NAMM ein Prototyp des Deliverance 120 II.

Anzeige

Tatsächlich hat es dann aber noch bis zum Herbst 2019 gedauert, bis der neue Amp vom Stapel laufen konnte. Zum Test standen uns nun in den letzten Wochen sowohl ein alter Deliverance 120, als auch ein neuer Deliverance 60 II, wie auch ein Deliverance 120 II zur Verfügung, und in diesem Bericht wird es nun hauptsächlich um letzteren gehen.

KONZEPT

Das technische Layout des Deliverance 120 II ist reichlich unge­wöhnlich. Eine TungSol 12AX7 highgrade, deren beide Trioden nicht wie üblich seriell, sondern parallel zueinander geschaltet sind, verrichtet im Eingang ihren Dienst. Gefolgt von drei Ruby Tubes 12AX7 für die Gain-Stufen, Kathodenfolger vor dem Equali­zer und die Signalbearbeitung nach dem Equalizer rund um den Einschleifweg und einer 12AT7 als Phasendrehstufe, die man so eigentlich fast nur in ganz klassischen Gitarrenverstärkern findet, nicht jedoch in einem High-Gain-Amp.

Die wirklich lauten und in den Bässen stets stabilen 120 Watt Nennleistung des Verstärkers erzeugt der D120 II, wie auch schon sein Vorgänger, mit vier KT88. Sicherlich sollte man hier nicht einfach von einem hochgezüchte­ten Marshall sprechen, das wird der Sache nicht wirklich gerecht. Steven Fryette hat sehr viele eigene Ideen und das zeigt sich auch im grundsätzlichen Klangbild des Deliverance 120 II, wie wir noch im späteren Verlauf des Testes sehen werden.

Das ursprüngliche Design der Vorgängerserie des D120 II sah ver­mutlich eine Anwendung des Verstärkers vor allem im Studio vor. Wollte man den Amp live spielen, musste man ohne einen zweiten Kanal, eine zweite, schaltbare Lautstärke für das Gitarrensolo und gänzlich ohne Einschleifweg auskommen. Derart puristisch waren nur wenige High-Gain-Verstärker aufgebaut. So wundert es nicht, dass die Fans der D120- und D60-Modelle Steven immer wieder um Modifikationen der eigenen Verstärker baten. In einigen weni­gen Fällen hat er den alten Modellen nachträglich einen zusätzli­chen Einschleifweg eingebaut, oder auch die ursprünglich nicht fußschaltbare Less/More-Gain-Funktion via Relay auf eine rücksei­tige Klinkenbuchse geroutet, um sie mit einem handelsüblichen Footswitch bedienbar zu machen.

Nun gibt es all dies und dazu noch ein paar kleine Neuerungen serienmäßig in den Deliverance II Modellen. Doch von vorne.

BEDIENELEMENTE

Der D120 II ist ein klassischer, einkanaliger High-Gain-Amp, der frontseitig mit wenigen, aber wirkungsvollen Bedienelementen ausgestattet ist.

Neben dem Instrumenteneingang befinden sich die Gain-I- und Gain-II-Regler, zwei Master-Volume-Regler, ein typischer, passiver dreibandiger Equalizer, sowie Regler für Presence und Depth. Zu den Potis gesellen sich zwei kleine Dreifachschalter für die Funktionen Bright/Solo, More/Solo und natürlich ein Standby-sowie ein On/Off-Schalter. Zunächst einmal wirkt das sehr übersichtlich, aber dieses Layout hat es in sich.

Dem ersten Gain-Poti hat Steven – wie auch schon beim Vorgänger­modell – eine Doppelfunktion spendiert. Hier regelt man nicht nur die Lautstärke der zweiten Gain-Stufe, sondern macht das Signal der Gitarre wahlweise „crisp“ oder bei Einstellungen jenseits der Zwölf-Uhr-Stellung „thick“ und beeinflusst somit das grundsätzli­che Klangbild, das dann durch den nachfolgenden Gain-II-Regler, der die Lautstärke der dritten Gain Stufe regelt, verzerrt wird.

Mit dem ersten der beiden kleinen Schalter kann das Signal ent­weder wie beim alten Deliverance immer bissiger oder klassisch eingestellt werden oder aber in der dritten, unteren Schalterstel­lung bei Aktivierung des ersten Tasters des optionalen Fußschal­ters von dem runderen, klassischen Rhythmus-Sound auf einen bissigeren, moderneren Lead-Sound des Deliverance 120 II geschaltet werden.

Der zweite kleine Schalter ist ähnlich konzipiert. In der oberen Stellung „More“ hat man generell ein Vier-Trioden-Gain, in der Mittelstellung generell ein Drei-Trioden-Gain und in der unteren Schalterstellung wechselt man zwischen Drei-Trioden-Gain im Rhythmus auf Vier-Trioden-Gain im Solo.

Dieses Konzept wird dann durch die beiden ebenfalls per Fuß­schalter umschaltbaren Master-Volume- und Solo-Volume-Regler sinnvoll ergänzt. Der klassische Equalizer gefolgt vom Presence-Regler für die negative Gegenkopplung in der Endstufe und einem Depth-Poti, das die Bedämpfung der Bassfrequenzen regelt, runden die Frontseite ab.

(Bild: Dieter Stork)

Rückseitig befinden sich beim neuen Deliverance 120 II der Anschluss für das Kaltgerätekabel nebst Sicherungshalterung, drei Lautsprecherausgänge – einer mit 16 Ohm und zwei parallele Ausgänge, die zwischen 8 und 4 Ohm per Schiebeschalter umge­schaltet werden können.

Neu sind die Klinkenbuchse für den optionalen Doppelfußschalter, mit dem man dann auf dem ersten Taster die eben frontseitig ein­gestellten Sounds für Rhythmus und Solo schalten kann und auf dem zweiten Taster den Einschleifweg aktivieren kann, der sich mit Send- und Return-Buchse direkt daneben befindet.

(Bild: Dieter Stork)

Sollte man jedoch nur mit einem einfachen Fußschalter arbeiten wollen, so kann man den Einschleifweg auch einfach mit einem kleinen runden Drucktaster links neben der Send-Buchse aktivieren oder eben aus dem Signalweg nehmen

 

Bei aktiviertem Einschleifweg kann man noch mit einem weiteren Drucktaster zwischen den Pegel-Optionen „low“ mit einer Absenkung um minus zehn Dezibel oder „high“ ohne Absenkung der Send- und Return-Level des Einschleifweges wählen.

SOUNDS

Typisch für moderne Fryette-Amps ist, dass die extrem hochgezüchteten Overdrive-Kanäle von Stevens Verstärkern fast schon übermäßig sensibel auf die an der Gitarre eingestellte Lautstärke und die Spieldynamik reagieren, und so erklärt es sich auch, warum er dem Deliverance 120 II keinen autarken Clean-Kanal spendiert hat.

Der normal eingestellte Basiskanal des D120 II ohne die zusätzliche, vierte Gain-Stage des More-Schalters ist tatsächlich sowohl mit modernen Humbuckern als auch mit klassisch gewickelten Singlecoils in der Lage, sehr außergewöhnliche, aber stets musikalische Clean-Sounds mit bemerkenswert sauberem Attack zu liefern.

Möchte man diesen unverzerrten Klang bei voll aufgedrehtem Lautstärkeregler an der Gitarre realisieren, sollten die beiden Gain-Regler jedoch defensiv eingestellt werden, denn schon ab etwa elf Uhr auf dem Gain-II-Regler lassen sich selbst mit einer Strat oder Tele prima Classic-Rock-Sounds mit AC/DC-Zerrgrad erzeugen, sofern man mit einer kraftvollen Plektrumspieltechnik arbeitet.

Ganz besonders musikalisch lässt sich mit dem D120 II jedoch eine andere Strategie umsetzen: Der Amp darf und will sehr gerne mit zurückgedrehtem Lautstärkeregler am Instrument gespielt werden und cleant dann ganz wunderbar auf. Das funktioniert bei vielen mittelklassigen Rock- und Metal-Verstärkern sicherlich lange nicht so gut und wird vom typischen Kuttenträger daher selten so gemacht. Wer sich aber mit dem Fryette wirklich auseinandersetzt, der wird diese klassische Strategie der Gitarrenhelden der 50er und 60er mit dem Amp lieben lernen.

(Bild: Dieter Stork)

Dann lassen wir es jetzt mal richtig krachen, denn selbstverständlich liegt die eigentliche Stärke des D120 II in härteren Gangarten und hierzu sei erwähnt, dass ich daher im Langzeittest des Fryette Deliverance 120 II sowohl auf Tour als auch im Studio, stets 4x12er-Boxen mit Vintage-30-Lautsprechern bemüht habe, denn eben dieser Lautsprecher ist quasi die Referenzklasse für moderne Rock- und Metalsounds.

Fryette selber hingegen möchte seine hauseigenen 4x12er-Boxen lieber mit den hierzulande recht unbekannten Fane-F70G- oder Eminence-P50E-Lautsprechern anbieten. Hier könnte es zu dramatisch anderen Ergebnissen kommen, denn diese Speaker klingen erheblich tiefmittiger und belegter als die Celestion Vintage 30. Einen Fehler, den man meiner Erfahrung nach mit dem D120 II nicht machen sollte, ist es, ihn in der typischen „alles auf zwölf Uhr“-Reglerstellung zu bewerten, denn dem Equalizer wird mit einer der beiden Trioden der vierten 12AX7 eine letzte Gain-Stage nachgeschaltet und so ergibt es sich, dass bei offensiven Einstellungen aller Gain- und EQ-Regler oberhalb von 15 Uhr, selbst ohne den Bright-Switch und den „More“-Schalter zu aktivieren, schon das Tor zur siebten Hölle geöffnet ist und die Luft brennt.

Mit einer PRS Custom 24, einer Gibson Les Paul oder einer mit modernen Humbuckern bestückten Gitarre ist das ein amtliches HeavyRock-Brett und Riffs im Stile von Bands wie Alter Bridge, Volbeat oder Metallica gehen leicht von der Hand.

Schaltet man nun entweder per Fußschalter oder einfach am Frontpanel die Bright- und auch die More-Option dazu, so legt der D120 II nochmals eine gewaltige Schippe Verzerrung obendrauf, und wir befinden uns in direkter Schlagweite zum Red Channel des Mesa/Boogie Rectifiers, dem Peavey 6505 und dem Engl Powerball. Mehr Gain als der D120 II hier liefert, braucht man relativ sicher nicht und falls doch, so sei hier erwähnt, dass der Amp sich ganz wunderbar mit Boostern oder Overdrive-Pedalen kombinieren lässt.

Im Gegensatz zu oben genannten Metal-Verstärkern ist der D120 II in der Lage, sehr breitbandig und offen durch alle Lagen hinweg zu klingen. Er will einfach nicht eng werden im Klangbild und das ist für die Arbeit im Studio ein echter Segen.

Ich möchte hier so weit gehen und behaupten, dass kein anderer mir bekannter High-Gain-Amp so einfach so gute Ergebnisse für Heavy-Rhythmus-Gitarren liefert, wie der Deliverance 120 II. Das ist einerseits fett, glatt und artikuliert mit stabilen Tiefmitten und Bässen bei höchstem Gain, aber auf der anderen Seite auch extrem offen und dynamisch. Der sehr wirkungsvolle Equalizer ermöglicht es hierbei, immer ganz genau in den Mix hineinzupassen, so wie ich es bisher noch nicht bei anderen Produkten erlebt habe. Genau dieser breitbandige Charakter kann aber in einer Live-Situation schon problematisch sein, denn hier fällt auf, dass der D120 II nicht so einfach bei kleinen Lautstärken in den Mix passen möchte, wie ein typischer Marshall oder ein Diezel.

Der mir ebenfalls zum Langzeittest vorliegende D60 II mit etwas kleinerer Endstufe scheint mir in dieser Disziplin die Nase vorn zu haben. Er ist bei gleicher Lautstärke etwas bissiger in den oberen Mitten als sein großer Bruder und zwängt sich so etwas passender in den Live-Mix.

Beide Amps lassen sich übrigens auch mit einem handelsüblichen Equalizer-Pedal im hervorragend funktionierenden Einschleifweg behutsam an den gefragten Live-Sound anpassen. Hier hat Steven beim Design der zweiten Baureihe – im Vergleich zum Vorgänger mit nachräglich eingebautem Einschleifweg – scheinbar noch ein kleines Quäntchen mehr Spielraum in puncto Dynamik schaffen können.

ALTERNATIVEN

Für Heavy-Rhythmus-Gitarren im Studio ist sicherlich der Bogner Ubershall die ähnlichste Alternative. Der Bogner ist raubeiniger und etwas weniger komprimiert in den Mitten. Ganz so elegant wie der Fryette ist das leider nicht. In Sachen Gain-Reserven bieten der Peavey 6505 oder etliche moderne Engl-Verstärker, wie beispielsweise der Savage 120 II, eine ähnliche Ausbeute, bleiben aber allesamt nicht so trocken in ihrem grundsätzlichen Klangcharakter. Auch ein Mesa/Boogie Triple Rectifier wirkt im Mix mit anderen Signalen zunächst einmal nicht unähnlich, nimmt sich aber nicht so viel Raum wie der Fryette.

Echte Alternativen gibt es daher tatsächlich nicht, außer dem Vorgängermodell, denn schon der ursprüngliche Deliverance 120 war in seiner Klasse sehr einzigartig und befindet sich somit schon lange und mit Fug und Recht in den Portfolios vieler moderner Studios.

(Bild: Dieter Stork)

RESÜMEE

Ein wirklich günstiges Produkt ist der Fryette Deliverance 120 II auf den ersten Blick nicht, je mehr Zeit man allerdings mit dem Verstärker verbringt, desto klarer wird auch, dass man es hier mit einer absoluten Ausnahmeerscheinung unter den modern abgestimmten High-Gain-Amps zu tun hat. Für hochgradig verzerrte Rhythmus-Gitarren-Sounds im Studio scheint der D120 II unschlagbar zu sein und mit den neuen Features werden wir den Amp jetzt hoffentlich auch vermehrt auf der Bühne sehen, sobald es da wieder etwas zu sehen gibt.

PLUS

  • sehr druckvolle Sounds
  • die Geheimwaffe im Studio
  • hohe Lautstärkereserven
  • extrem wirkungsvoller Equalizer

MINUS

  • Gewicht

(erschienen in Gitarre & Bass 09/2020)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.