(Bild: Dieter Stork)
Man kann und muss etwas Geniales nicht ständig neu erfinden. Diese Erkenntnis scheint der Vintera-Serie zugrunde zu liegen…
Deshalb werden in der neuen Mexiko-Serie klassische Modelle der 50er-, 60er und 70er-Jahre mit den originalen Specs und Farben präsentiert. Kann ja nicht alles schlecht gewesen sein – und wer moderne Features sucht, wird bei anderen Produktlinien des Herstellers fündig.
Leichter Korpus
Die Telecaster Thinline wurde erstmals 1969 präsentiert. Das Genie im Hintergrund war kein Geringerer als der deutsche Gitarrenbaumeister Roger Rossmeisl. Die hier vorliegende Version erschien ursprünglich im Jahr 1972, und eine Fender E-Gitarre mit Hohlraum und Humbucker-Pickups – das war schon etwas Besonderes.
Das Testmodell kommt – getreu dem Vorbild – mit einem Korpus aus Esche, der knackig-hochglänzend mit einem Seethru-Blonde-Finish versiegelt ist. Es gibt das Modell auch noch in Candy-Apple-Red und dem wohl am meisten verbreiteten Natural-Finish. Die Decke bietet viele Gründe zum Hinschauen: Da ist natürlich zunächst mal das f-Loch im oberen Bereich, dann aber auch das 4 schichtige Aged-White-Perloid-Schlagbrett, das für mich mit seiner Formgebung zu den schönsten Pickguards überhaupt im E-Gitarren-Sektor zählt.
Und dann sind da natürlich die beiden Pickups – Wide Range Humbucker – die in Sachen Format, Design und Klang wirklich eigenständig sind und sich von P.A.F.-artigen Tonabnehmern bewusst klar absetzen. Sie werden über einen 3-Wege-Toggle angewählt und mittels jeweils eines gemeinsamen Volume- und Tone-Knobs geregelt (soweit ganz Tele-like).
Die Saiten werden durch den Body eingefädelt und laufen über eine Bridge mit sechs einzeln justierbaren Saitenreitern, wie man das auch von einer Hard-Tail-Strat kennt. Die Tele-typische Diskussion bezüglich Intonations-Kompromissen kann somit entfallen.
Die Mensur beträgt völlig überraschenderweise 648 mm – Spaß beiseite, das ist bei Fender nun mal das gesetzte Maß der Dinge seit 1950. Auch beim Hals ist man treu dem Vorbild gefolgt: Ahorn, Klarlack-versiegelt, hinten der Skunkstripe wo der Stellstab eingelegt wurde, oben – direkt im Ahorn – 21 Vintage Bünde und schwarze Dot-Inlays, der Griffbrettradius liegt bei historisch korrekten, aber etwas aus der Mode gekommenen 7,25″.
(Bild: Dieter Stork)
Der Neck sitzt sehr passgenau in der Halstasche (war auch nicht immer so) und ist 70s-like mit drei Schrauben fixiert. Auch die immer etwas in der Diskussion stehende Micro-Tilt-Funktion ist an Bord. Durch eine kleine Öffnung in der Neckplate erreicht man per Inbus eine Stellschraube, die es erlaubt, ohne die Saiten entfernen, oder den Hals demontieren zu müssen, den Halswinkel zu justieren. Eine typisch pragmatische Leo-Fender-Erfindung, die viele Skeptiker (Sustain-Killer?) auf den Plan rief und ruft.
Oben, hinter dem Sattel, tritt der Halsstellstab ans Tageslicht, was einen in die Lage versetzt, auch die Halskrümmung ganz einfach einzustellen. Die kleine Tele-Kopfplatte beherbergt die sechs gekapselten Tuner mit „F“-Prägung sowie zwei Saitenniederhalter, die für guten Saitendruck auf den sauber gefeilten Sattel aus synthetischem Knochen sorgen.
fetter sound
Ich hatte schon länger keinen Hals mit dem Oldschool-Griffbrettradius 7,25″ in der Hand und ich muss sagen: Fühlt sich irgendwie richtig an … wie die linke Hand das von früher kennt. Bequeme Barré-Griffe, und das Saitenziehen klappt auch anstandslos – kein Schnarren oder Aufsetzten von Saiten. Die Werkseinstellung der Vintera-Telly ist einfach gut. Das Schöne bei einer Semi-Hollow ist natürlich, dass man auch unverstärkt schon gut was zu hören bekommt. Perfekt für Couch-Noodling und Bedroom-Rock’n’- Roll.
Jetzt addieren wir mal Kabel, Zerrer und Amp dazu: Ich bin ja so drauf, dass ich mir bei voll aufgedrehter Gitarre einen schönen Solo-Sound zurechtmache, und den Rest am Gitarren-Volume regle. Und das klappt bei der Thinline auch ganz vorzüglich, ich kann nämlich ganz gleichmäßig und ohne nennenswerten Höhenverlust die Lautstärke und den Verzerrungsgrad reduzieren, bis ich bei einem mehr oder weniger cleanen Rhythmus-Sound angekommen bin.
Der Output der Pickups ist gar nicht mal sonderlich groß – irgendwo zwischen Singlecoil und PAF – aber die Tonabnehmer übertragen schon deutlich fetter und runder als z. B. die Einspuler meiner Standard-Tele. Aber wiederum nicht so laut und aggro wie die Humbucker in meiner SG. Der Vergleich dieser drei Gitarren macht eigentlich Sinn. Die Thinline ist quasi eine Tele mit Cojones, oder andersherum: einen SG mit Twang. Best of both worlds, sozusagen.
Der Hals-Pickup kommt bluesig-fett, oder – je nach Amp-Einstellung – jazzig-trocken aus dem Speaker. Der Steg-PU bildet mit knochig-dichtem Klangbild den Gegenpol und empfiehlt sich für Keef-Riffs oder australisches Rock-Brett. In Mittelstellung des Toggle (beide PUs) wird es dann nochmal richtig interessant. Cleane warme Rhythmus-Sounds mit Plektrum am Halsende, nöckelige Country-Twang-Lines mit hartem Anschlag direkt am Steg, crunchige Cheryl-Crow-Riffs oder auch leicht quengeliger Oldschool-BluesTon à la T-Bone Walker – da ist eine Menge drin, und dafür muss ich nicht 15 überteuerte Tretminen betanzen. Das steckt da alles drin.
(Bild: Dieter Stork)
resümee
Diese Gitarre ist leicht, echt hübsch, hat einen kraftvollen Output und ist sehr vielseitig. Überdies ist die Bespielbarkeit dank erstklassiger Werkseinstellung tadellos. Die Vintera ist eine ehrliche Haut – man steht drauf, oder nicht. Gigbag und Werkzeug sind auch dabei … für mich ein überzeugendes Paket. Jetzt höre ich mir ‚Night Train‘ von Tab Benoit an – und zwar laut!
PLUS
• detailgetreues Remake
• Verarbeitung, Finish
• Werkseinstellung
• schön leicht, ohne Kopflastigkeit
• klanglich kraftvoll und vielseitig
Thinline Player
Es fallen einem auf Anhieb nicht allzu viele Nutzer einer solchen 72er Thinline ein, aber es gibt einen, der seit 30 Jahren konsequent und wirklich ausschließlich dieses Modell spielt: Der großartige Swamp-Blues-Zydeco-Gitarrist und -Sänger Tab Benoit. Der Mann ist Jahrgang 1967, kommt aus Louisiana, hat einen herrlichen Südstaaten-Humor und braucht für seinen Sound einen Amp (vorzugsweise seinen Signature-Amp von Category 5) ein Kabel und eben seine völlig abgerockte ehemals Sunburst lackierte 72er Thinline Tele.
Auf seinem Album ‚Fever For The Bayou‘ von 2005, welches er im Trio eingespielt hat, kann man sich ausgiebig die rauen, bluesigen, souligen manchmal funky Sounds anhören, die mit dieser Gitarre möglich sind. Ein wahres Vergnügen ist auch Benoits Rig Rundown von Premier Guitar auf YouTube!