Digitale Verstärker der Mittelklasse gibt es seit gut einem Jahrzehnt wie Sand am Meer. An die Oberklasse trauen sich nur noch wenige Hersteller heran, scheint es doch wenig Kaufinteresse zu geben. Fender versucht es dennoch mit frischen Ideen und Prozessoren, sowie hochwertigen Lautsprechern und Gehäusen.
Die Tone-Master-Serie ist Fenders jüngster Versuch, nun endlich digitale Verstärker mit ganz traditionellen Bedienelementen, fast traditionellem Look und vor allem sehr geringem Gewicht, in einem etwas höheren Preissegment anzubieten.
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Die Idee ist eigentlich nicht neu, aber in dieser Konsequenz ist mir kein weiteres Produkt bekannt. Hier arbeitet ein Prozessor, der mit all seiner Rechenleistung einen einzigen Röhrenverstärker simulieren soll – zwar durchaus mit Hall, Tremolo und einem DI-Ausgang mit Boxensimulation auf Basis einer Impulsantwort – aber eben nicht mehr. Wir haben es bei den Tone-Master-Amps also nicht mit eierlegenden Wollmilchsäuen zu tun, sondern mit hochgradig spezialisierten Digitalverstärkern.
BEDIENELEMENTE
Fender setzt bei den Tone-Master-Verstärkern auf einen traditionellen Look. Beide Amps sehen fast haargenau aus wie ihre Vorbilder, die aktuellen Wiederauflagen des 65er-Deluxe- und eben des 65er-Twin-Reverb-Amps. Beide Amps haben frontseitig exakt die typischen Bedienelemente und unterscheiden sich von den Originalen nur durch ein Tone-Master-Schild auf der Frontbespannung und zudem dadurch, dass beim Einschalten die Kontrolllampe zuerst gelb, und erst nachdem die Software hochgefahren ist, rot leuchtet. Das dauert allerdings nur drei Sekunden, dann ist der Verstärker startklar. Auf der Rückseite finden wir dann doch ein paar verräterische, moderne Elemente.
(Bild: Dieter Stork)
Ein Sechsfach-Drehschalter zur Leistungsreduzierung stellt beim Deluxe die Nennleistung des Verstärkers zwischen 0,2 und 22 Watt ein; beim Twin sind es hingegen 0,5 bis 85 Watt. Ebenfalls neumodisch ist der XLR-Ausgang des Balanced-Line-Out mit dazugehörigem Volume-Regler und Ground-Lift-Taster, sowie einem kleinen Schieberegler, der zwischen zwei unterschiedlichen Impulsantworten hin- und herwechseln lässt.
Der wirklich relevante Unterschied zwischen Tone-Master-Serie und Vollröhren-Original ist aber das Gewicht. Die Tone Master wiegen nur ungefähr die Hälfte.
SOUND – VERGLEICH & BLINDTEST
Da mir zum Zeitpunkt des Tests tatsächlich drei echte 65er-Deluxe-Reverb aus aktuellen Baureihen, ein älterer 1980er-Deluxe-Reverb, ein neuer 64er-Deluxe-Hand-Wired-Reissue, ein 68er-Custom-Deluxe-Reverb, drei unterschiedlich alte Twin Reverbs und eben beide Tone-Master-Amps gleichzeitig zur Verfügung stehen, drängt sich selbstverständlich ein umfangreicher Direktvergleich auf.
In der Tat klingt der Tone Master Deluxe fast genauso wie die drei „echten“ 65er-Deluxe-Reverb-Amps. Im direkten Vergleich unterscheiden sich die drei Vollröhren-Amps bei exakt gleicher Einstellung der Regler deutlich hörbar untereinander, aufgrund von Bauteil- und Röhrenstreuung. Der Tone Master Deluxe liegt mit der gleichen Reglereinstellung tatsächlich sehr genau im Mittelfeld zwischen den Vollröhren-Deluxe-Reverb-Amps.
Diese vier Verstärker kann man aber, mit etwas Geduld beim Einstellen der Volume-Regler und Equalizer, dann doch so ähnlich klingen lassen, dass ich einen Kollegen bitte, die Gitarre hinter meinem Rücken zu verkabeln.
Der Testkandidat ist im Blindtest kaum herauszufinden – lediglich ein leicht verändertes Spielgefühl, eine marginal andere Ansprache im Bass und ein Hauch von Wolldecke in den Hochmitten, verraten mir nach mehrmaligem Vergleich, welchen Amp ich da gerade spiele. Ich bin erst mal baff, denn ein so knappes Ergebnis hatte ich tatsächlich nicht erwartet.
Nachdem ich die drei Röhrenverstärker ausgeschaltet habe, stellt sich schlagartig eine bemerkenswerte Ruhe im Raum ein, denn der noch immer aktivierte Tone Master Deluxe ist im Leerlauf nahezu nebengeräuschfrei. Der Amp könnte somit die Lösung für so manchen leidgeplagten Theatermusiker sein.
Ein anschließender Vergleich des Tone Master Deluxe mit dem 1980er-Deluxe-Reverb, dem 68er-Custom-Reverb und der luxuriösen Hand-Wired-Variante des 64er-Deluxe, ist nicht sonderlich aussagekräftig. Der Tone Master klingt eben zu gefühlten 98 Prozent wie ein 65er-Deluxe und ist kein Sound-Chamäleon. Im Rahmen dieser zweiten Testrunde stellt sich lediglich heraus, dass der Tone Master nicht wirklich spürbar schlechter klingt als jene wesentlich teureren Röhrenverstärker.
Im Studio wären die leicht belegten oberen Mitten des Digitalverstärkers, die den Tone Master unter Umständen entlarven, sicherlich von pragmatischer Relevanz und genau hier würde ich tatsächlich den wirklich phänomenal musikalisch klingenden Hand-Wired-64er-Deluxe bevorzugen, aber im Proberaum und auf der Bühne eben nicht zwangsläufig.
Einen Blindtest der Twin-Reverb-Varianten spare ich mir – das Ergebnis wäre vermutlich ähnlich ausgegangen, denn auch der Tone Master Twin ist genau das, was Fender verspricht. Er klingt wie ein guter 65er-Twin-Reverb und rückt den beiden echten Twins, die ich zum Vergleich herbeigenommen habe, ebenfalls extrem nahe.
Bei beiden Tone-Master-Verstärkern klingen sowohl Hall als auch Tremolo sehr authentisch und man kann hier sogar ohne angeschlossenen Fußschalter, nur durch das Aufdrehen der Regler, das Tremolo aktivieren. Das ist angenehm pragmatisch gelöst. Die schaltbare Leistungsbremse auf der Rückseite der Tone-Master-Amps verrichtet ihren Dienst vorbildlich und somit sind sogar Crunch-Sounds bei Zimmerlautstärke problemlos machbar. Der auf Impulsantworten basierende Balanced-Line-Out ersetzt durchaus ein echtes Mikrofon und klingt weniger banal als befürchtet. Hier stehen zwei klanglich gut ausbalancierte Sounds zur Auswahl.
Das einzige Manko, das ich in umfangreichen Tests bei den beiden Digitalverstärkern feststellen konnte, soll an dieser Stelle selbstverständlich nicht verschwiegen werden: Die Tone Master interagieren nicht ganz authentisch mit Overdrive- und Fuzz-Pedalen. Vermutlich unterscheiden sie sich hier in der Eingangsimpedanz und Empfindlichkeit von ihren Vorbildern.
Somit würde ich dazu raten, gezielt nach passenden Fuzz-Pedalen, Boostern und Overdrives zu suchen. Unter Umständen funktioniert der geliebte Tube Screamer der Marke X nicht mehr wie gewünscht und ein ähnliches Pedal aus anderem Hause liefert dann bessere Ergebnisse. Besser als die meisten auf Halbleitern basierenden Pedale, funktionierten im Test tatsächlich Röhren-Overdrive-Pedale. Diese kleinen Abstimmungsprobleme hätte man aber eben auch, würde man sich einen komplett anderen Röhrenverstärker kaufen.
Grundsätzlich überwiegen bei Fenders neuen Digitalverstärkern die Vorteile und ich wage mal zu behaupten, dass der Zuhörer in einer Live-Situation gar keine Chance hätte, die beiden Tone Master zu entlarven und vermutlich kann man auch die eigenen Bandmitglieder ganz genüsslich aufs Glatteis führen, wenn man nicht erzählt, was man da gerade spielt.
ALTERNATIVEN
Neben einem echten Deluxe Reverb oder Twin Reverb ist die derzeit einzige naheliegende Alternative die Roland-Blues-Cube-Serie, die technisch vergleichbare Varianten von Digitalverstärkern bietet. Die Blues-Cube-Modelle klingen aber selbstverständlich nicht nach Fender Twin oder Deluxe Amp, sondern lediglich ähnlich.
RESÜMEE
Fender überrascht positiv mit den neuen Tone-Master-Verstärkern und überzeugt fast auf ganzer Linie mit den hauseigenen Kopien des 65er-Deluxe-Reverb- und des 65er-Twin-Reverb-Amps. Tatsächlich gibt es ab jetzt kaum noch pragmatische Gründe, mit den schweren Originalen auf die Club-Bühne zu gehen. Nur das eigene Pedalboard sollte neu auf die Tone-Master-Serie abgestimmt werden, sofern man mit Fuzz- und Overdrive-Pedalen arbeitet. Ansonsten gilt: Absolute Kaufempfehlung!
PLUS
● sehr authentischer Klang
● flexible Lautstärke
● Tremolo auch ohne Footswitch aktivierbar
● Nebengeräuschverhalten
● sehr geringes Gewicht
MINUS
● Wechselwirkung mit Overdrive-Pedalen nicht optimal