Anders als der Rest

Test: Fender Noventa Telecaster PF 2CS

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(Bild: Dieter Stork)

Ja braucht diese Welt denn noch eine neue Telecaster? Gibt es denn wirklich eine bessere Tele als die, die Leo 1952 gebaut hat? Brauchen wir Gitarristen wirklich immer neues Futter? In dem Fall sage ich: Ja!

Wie wir alle wissen, hat Fender über die Jahrzehnte bunte Themenwelten rund um ihre ikonischen Modelle gebaut, in der weder eine Preisklasse noch eine noch so ungewöhnliche Idee ausgespart wird. Wer Tele will, bekommt beim Original-Hersteller einfach alles Erdenkliche geliefert. Das Tele-Portfolio des Herstellers umfasst Stand heute (Mai 2021) nicht weniger als 42 verschiedene Modelle in 101 Farbgebungen. Dazu noch acht verschiedene Squiers in 15 Farben. Was soll da noch fehlen? Ich kann es euch sagen: Genau diese Noventa Tele!

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GENAUER HINSCHAUEN

Als ich die Noventa Tele aus ihrem Deluxe Gigbag, das eher den Namen Standard verdient hat, befreit hatte, machte sich auf den ersten Blick Skepsis breit. Vergessener Schleifstaub vor dem Sattel, ein etwas grob geformter Kunststoffsattel, Schleifspuren im Griffbrett am 14. Bund, ein schief sitzender Saitenniederhalter … Da hatte wohl der Herr Inspector, der sich auf dem Hangtag der Gitarre mit seiner Unterschrift verewigt hat, nicht seinen besten Tag erwischt. Und dem Pao-Ferro-Griffbrett, das von Haus aus sowieso schon wie durstiges Palisander aussieht, hätte man für die lange Reise von Mexiko nach Norddeutschland durchaus etwas Öl gönnen können. Beim ersten Regeln an den Dome-Speed-Potiknöpfen fällt zudem deren unrunder Lauf auf; die sind wohl nicht exakt zentriert. Nicht wichtig, aber auch nicht schön.

Beim weiteren Check fällt auf, dass die Saiten Tele-unüblich trotz 0°-Halswinkel recht hoch über dem Body verlaufen. Im Bereich der Hals-/Korpusverbindung machen bekanntlich Bruchteile von Millimetern den Unterschied; und hier sind es mehr als Bruchteile, die den Unterschied z. B. zu meiner Vintage-style Tele ausmachen. So misst die Stärke der Halstasche 30 mm, während die Vintage-Tele nur auf 28,5 mm kommt. Das Griffbrett steht dadurch ca. 1 mm höher über der Decke als bei der Vintage-Tele. Das alles bewirkt, dass die Saitenreiter einen guten Millimeter höher auf der Stegplatte stehen. Dies ist recht ungewöhnlich für eine typische Telecaster, wirkt sich aber nicht auf die Spielbarkeit oder den Klang der Gitarre aus.

Recht hoch eingestellte Saitenreiter (Bild: Dieter Stork)

Ansonsten bekommt man mit der schön leichten Noventa Telecaster optisch und haptisch genau das geboten, was man bei diesen Vor- und Zunamen auch erwarten darf: Ein bunter, stimmiger Mix aus Vintage- und Moderne-Zutaten! Wie z. B. die Half-Bridge mit ihren kompensierten Messing-Reitern, eine Kontrollplatte, die an die eines 51er-Precision-Basses erinnert, ein schwungvoll geformtes Pickguard ähnlich dem einer Cabronita und ein Ahornhals mit einem schön griffigen 60s-C-Profil samt Pao-Ferro-Griffbrett, das einen 9.5″-Radius aufweist und ordentlich polierte Bünde im Medium-Jumbo Format trägt.

Schwungvolle Pickguard-Form (Bild: Dieter Stork)

Der Zugang zum Halsstab befindet sich am Halsfuß – sehr unpraktisch, weil man zur Einstellung den Hals abmontieren muss oder aber in Gefahr läuft, den Lack an der Stelle zu beschädigen, aber dafür sympathisch, weil zum einen eben vintage und zum anderen konstruktionell besser als die Position hinter dem Sattel. Der dreiteilige Erle-Body ist in einem tollen 2-Color-Sunburst lackiert. Weitere Farbvarianten sind Fiesta Red und Vintage Blonde, die dann aber mit One-Piece-Maple-Neck, aber trotzdem einem 60s-Profil, kommen.

Noventa Singlecoil (Bild: Dieter Stork)

Seele des Ganzen, Blickfänger und Häuptling Fremde Feder ist natürlich der Noventa Singlecoil MP90. Der hat muskelbepackt seine Position am Steg eingenommen und blickt ziemlich verwegen in diese Welt. Keine Nebenbuhler neben sich wissend, verkündet er lautstark: Seht her, ihr habt doch schon lange auf mich gewartet … da bin ich! Sein Selbstbewusstsein ist dabei so stark, dass es ihm egal ist, dass die Saiten nicht genau über die Polepieces verlaufen. Denn er kommt ja aus einem anderen Land, wo ihm in der Regel ein Saitenabstand von ca. 50 mm geboten wird. Hier im Fender-Land sieht er sich jedoch 54 mm ausgesetzt. Aber auch hier bleibt er gelassen; solch ein Mismatch ist zwar optisch nicht optimal, klanglich aber eher unkritisch bei einer Bauweise mit unten liegendem Barrenmagneten.

SONIC YOUTH

Ein P90-Pickup ist ebenso ein Archetyp wie die Telecaster. Puristisch, geradeaus, anspruchsvoll und für den Spieler stets fordernd. Beide setzen voraus, dass du es dir als Spieler nicht in deiner Komfortzone bequem machst, sondern neue musikalische Herausforderungen suchst und immer in Bewegung bleibst. Hier entscheidet sich, ob du gut bist oder nicht, genau hier musst du dich beweisen – vor dir selbst und vor der Welt. Kommst du hier klar, dann kann dir gitarristisch nicht mehr viel passieren.

Ob diese beiden Alphatiere aber auch miteinander harmonieren? Frühere Versuche mit P90-Typen in Teles sind meiner Ansicht nach oft gescheitert, denn hier musste sich der P90 in den meisten Fällen in der Halsposition beweisen, was ihm nie so wirklich gelang. Zu viel Bass, zu wenig Glocke, und insgesamt ein eher blasser Charakter hinterließen einen eher faden Beigeschmack.

Am Steg macht dieser Noventa-Singlecoil aber eine richtig glückliche Figur, hier fühlt er sich sichtbar wohl! Ihm wird es in diesem Fall allerdings auch leicht gemacht, denn schon akustisch entwickelt diese Tele aufgrund ihrer hellen Strahlkraft, Ausgewogenheit und des ungewöhnlich langen Sustains den besten Nährboden für eine erfolgreiche elektrische Abnahme. Und die erledigt der einsame Held am Steg auf beste Art und Weise. Nie verleugnet er dabei seine eigentliche Herkunft, die Ostküste Amerikas. Sein ausgeprägter Mittenbereich, der stramm in Richtung Honky-Tonk zielt, lässt keine Zweifel daran, dass er einen typischen P90-Charakter hat. Und einen Steg-Sound liefert, der gar nicht erst twangen will!

Vielmehr sieht er schön fett aus, glänzt mit einer klasse Dynamik und punktet mit mehr Fleisch und weniger beißenden Höhen als ein typischer Tele-Steg-Pickup. Die Bassanteile seines durch und durch kraftvollen Sounds werden durch die Stegposition nivelliert, und in Kombination mit einem äußerst souveränen Höhenverhalten entsteht ein Klangverhalten, das mich wirklich begeistert. Das ist kein typischer Fender-, aber auch kein bekannter Gibson-Sound. Vielleicht ist es ja mein Sound? Oder deiner? Ich bin elektrisiert …

Erst mit ein bisschen Zeit habe ich verinnerlicht, dass mir ja gar kein Hals-Pickup zur Verfügung steht, und unterlasse fortan das instinktive Suchen nach dem Schalter, um auch mal die Glocke am Hals ertönen zu lassen. Hier gibt es keine Glocke, hier gibt es nur diesen einen Sound bitteschön, und nun komm‘ damit klar! Wenn diese eine Quelle von solch guter Qualität wie in diesem Fall ist, dann braucht es eben nicht mehr als eben diesen einen Pickup, um sich auszudrücken. Ganz unwillkürlich werden Volume- und Tone-Regler als klangformende Faktoren heran gezogen, und man kann sich voll und ganz der direkten Interaktion zwischen Mensch, Gitarre und Amp hingeben. Ein super Gefühl!

RESÜMEE

Die Noventa Telecaster ist Teil einer neuen, limitierten Serie. Was diese Limitierung genau bedeutet (Stückzahl, Erscheinungszeitraum?), darüber lässt uns die Firma auch auf Nachfrage leider im Dunklen stehen. Egal! Dieses 42. Fender Telecaster-Modell wird jedenfalls die Erwartungen vieler Tele-Spieler übertreffen, sofern diese nicht den ultimativen Twang-Sound einfordern und sich voll und ganz auf eine Ein-Pickup-Gitarre einlassen können. Diese Tele ist nicht nur klanglich und spielerisch sehr gut, sondern sie ist auch anders als der Rest – und genau das ist ihre Daseinsberechtigung. Wer fette, nie schwammige P90-Sounds spielen will, die trotzdem einen gewissen Fender-Flair nicht verleugnen (Stichwort: Offenheit), für den ist diese Tele wie gemacht.

Und was hat diese Tele mich noch gelehrt? Z. B., dass .009er-Saiten wie die Werksbestückung tatsächlich auch ihre klangliche Berechtigung haben. Denn die später von mir aufgezogenen .010er-Saiten kamen dem gelieferten Klangbild dieser Noventa nicht so optimal entgegen wie die dünneren Saiten. Hier war alles offener, mit mehr Rrrring und Dynamik gesegnet.

Zuletzt nochmal herzliche Grüße an den Herrn Inspector in Mexiko. Möge dieser eine Tag, an dem diese Noventa Tele durch seine Hände ging, eine Ausnahme gewesen sein.

PLUS

  • Dynamik
  • Offenheit
  • druckvolle, fette Sounds
  • Charakter
  • Spielkomfort

MINUS

  • laxe Endkontrolle

 

(erschienen in Gitarre & Bass 07/2021)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Sattelbreite 61 mm ? Laxe Endkontrolle !

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    1. Danke für den Hinweis! Da hat sich der Fehlerteufel eingeschlichen 😉 Ist schon behoben!

      Grüße aus der Redaktion!

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  2. Naja, ob man diese Art Purismus braucht? Mir gefällt bei jeder Gitarre die Zwischenposition und der bluesige Sound am Hals. Letztendlich waren das früher günstige ,,Student-Guitars” mit nur einem Pickup, die oft zusammen mit kleinen Amps im Set verkauft wurden. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, einen 2- 2 1/2 Stunden Gig auf nur einem Pickup zu absolvieren.

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  3. Vieles ist ja persönliche Geschmacksache, aber für mich gehen der anachronistische 9,5″-Radius sowie die Position der Halseinstellnummer gar nicht.
    Zitat: “konstruktionell besser als die Position hinter dem Sattel”
    Wird hier behauptet, aber leider nicht begründet.
    Sehe ich nicht so.
    Und € 760,- für eine One-PU Tele wäre mir (als Tele-Fan) auch zuviel.
    Aber -wie gesagt- evtl. gibt es für dieses Modell doch Liebhaber.
    Gruss
    PH

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  4. Gibt es auch eine Lefthand version????????

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