Test: Fender American Vintage II 1975 Telecaster Deluxe
von Michael Dommers, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Dieter Stork)
Mit der American-Vintage-II-Modellreihe setzt sich Fender nun schon zum dritten Mal mit seiner eigenen Historie auseinander. Als die Deluxe 1972 auf den Markt kam, war es Fenders erste Solidbody-Tele mit zwei Humbuckern und zugleich die Luxusversion dieses Modells.
Die Pickups mit Magneten aus der eher ungewöhnlichen Kupfer/Nickel/Eisen-Legierung waren Anfang der 70er von Seth Lover entwickelt worden, dem Erfinder der Gibson-Humbucker. Mit der großen Kopfplatte, dem Hardtail-Steg und dem Rippenspoiler auf der Korpusrückseite (Belly Cut) hatte man zudem einige Features von der Stratocaster übernommen.
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HISTORISCH KORREKT
Soweit es das halbtransparente Polyurethan-Finish erkennen lässt, besitzt unsere Protagonistin einen einteiligen Erlekorpus, dessen ergonomischer Belly Cut den Tragekomfort erhöht. Wie beim 1975er-Original bietet Fender drei Lackierungen an, und zwar Mocha (braun), Black und 3-Color-Sunburst. Mit dem traditionellen Buchsentopf hat man die Klinkenbuchse in die Zarge eingelassen, zwei vintage-style Strap Pins halten den Gurt.
Der einteilige Hals besteht aus dezent geflammtem Hardrock Maple und wurde mit drei Schrauben, Konterplatte und dem Micro-Tilt-Mechanismus montiert, über den der Halswinkel justiert werden kann. 21 sorgfältig abgerichtete und polierte Vintage-Tall-Bünde bevölkern das lackierte, highgloss polierte Griffbrett, auf dem schwarze Punkte und Side Dots die Lagen markieren. Entgegen der widersprüchlichen Angaben von einigen Händlern, misst der Griffbrettradius nicht 9,5″, sondern 7,25″.
Hinter dem perfekt gekerbten Knochensattel erreichen die Saiten präzise & smooth arbeitende, gekapselte Fender-Pure-Vintage-Tele-Deluxe-Mechaniken. Per Inbusschlüssel lässt sich die Halskrümmung über die unmittelbar zugängliche Bullet-Mutter komfortabel einstellen. Zwei Butterfly String Trees erhöhen den Druck der E1/H2- und G3/ D4-Saitenpaare auf den Sattel. Als Steg findet ein Strat-Hardtail mit sechs Einzelböckchen aus Edelstahl Verwendung, durch die die Saiten nach dem Strings-thru-body-Prinzip von der Korpusrückseite her durchgezogen werden.
Mit Ausnahme der Klinkenbuchse trägt das große Pickguard die komplette Elektrik. Jeder der beiden Humbucker kann mittels vier Gewindeschrauben hinsichtlich Höhe und Neigungswinkel justiert werden. Die Schaltung entspricht der klassischen HH-Konstellation: 3-Weg-Pickup-Schalter, zwei Volumeund zwei Tone-Regler.
KLARE KANTE
Selten hatte ich eine Telecaster in Händen, die schon rein akustisch dermaßen laut klingt, zwar nicht ganz so intensiv schwingt, dafür aber mit stabilem, gleichmäßig abklingendem Sustain beeindruckt. Das ausgewogene, luftig offene Klangbild der 75er Tele Deluxe zeigt straffe, klare Bässe, knackig perkussive Mitten, silbrig transparente Höhen und ein breites Obertonspektrum. Dank direkter, spontaner Ansprache und lebendiger Tonentfaltung glänzt sie auch mit besten Dynamikeigenschaften, die nicht nur ausdrucksstarkem, nuanciertem Spiel, sondern auch maßgeblich dem Spielkomfort zugute kommen.
Wenngleich die meisten Gitarrist:innen den 9,5″ Griffbrettradius Fenders bevorzugen, bilden hier die 7,25″, das C-Profil, dessen verrundete Kanten und die vorbildlich bearbeiteten Bünde eine überaus gelungene Mixtur. So lässt sich die Neuauflage der 1975 Telecaster Deluxe entspannt bespielen, nach Überwinden des (historisch korrekten) kantigen Halsübergangs auch bis in die höchsten Lagen. Die verschraubten, gerändelten Witch-Hat-Knöpfe gestatten problemloses Bedienen der leichtgängigen Potis mit nur einem Finger. Zudem nimmt der Pickup-Schalter m. E. eine ergonomisch günstigere Position ein als ein traditioneller Tele/Esquire Switch.
Maßgeblich beteiligt am vollen, glockigen Ton der Wide Range Humbucker mit ihren kräftigen knackigen Bässen und klaren Höhen sind nicht nur die Magnetschrauben aus der speziellen Kupfer-Nickel-Eisen-Legierung, sondern auch die großen Spulen, die erheblich größere Kappen und somit auch größere Korpusfräsungen erfordern als z. B. Standard-Humbucker. Die Produktion der CuNiFe-Magnete wurde Ende der 70er-Jahre eingestellt. Für die Wide-Range-Humbucker lässt Fender sie wieder herstellen. Die Pickups liefern mehr Output als herkömmliche PAF-Typen und deutlich transparentere und brillantere Sounds, satten Attack und präzise Saitentrennung. Ihr knackig prägnanter, klarer Ton verrät unverkennbar die Verwandtschaft mit Fender-Singlecoils.
Neben den Clean-Qualitäten überzeugen die Wide Ranges aber auch mit erdigen durchsetzungsstarken Crunch- und sogar fetten, sustain-reichen High-GainSounds. Auch diese dringen transparenter und differenzierter ans Ohr als die von handelsüblichen Humbuckern. Zwar besitzen die Fender-Pickups ein gewisses Maß an „hum bucking“, sind diesbezüglich jedoch nicht so effizient wie herkömmliche Konkurrenzprodukte. Während die Tone-Potis über ihren gesamten Regelbereich gleichmäßige Wirkung zeigen, erzeugen die Volume-Regler etwa ab Position 8 einen praxisorientierten „Schub“, der perfekt für Fill-Ins oder Soli genutzt werden kann.
(Bild: Dieter Stork)
RESÜMEE
Mit der American Vintage II 1975 Telecaster Deluxe ist Fender ein exzellentes und historisch korrektes Remake der beliebten Humbucker-Tele gelungen. Aufgrund ihrer klaren brillanten Clean- und fetten aber transparenten Crunch- und Leadsounds empfiehlt sie sich als Allrounder für alle möglichen Musikrichtungen, auch wenn die Brummunterdrückung der Wide-Range-Humbucker nicht ganz die Effizienz traditioneller Doppelspuler besitzt. Die 75er Telecaster Deluxe Reissue ist bis ins Detail historisch korrekt, wurde vorbildlich verarbeitet, besitzt beste Klangeigenschaften und lässt sich komfortabel und ausgesprochen dynamisch spielen. Tolle Made-in-USA-Gitarre des Traditionsherstellers mit ausgewogenem Verhältnis von Preis und Leistung.