Lunchbox für jeden Anlass

Test: Engl E606SE Ironball Special Edition

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Engl Ironball Special Edition(Bild: Dieter Stork)

Den ENGL Ironball gibt es schon seit Jahren und nun bekommt der Kleine ein Geschwisterchen. Mit Delay, Impulsantworten am Kopfhörerausgang und DI Out und vielen kleinen Verbesserungen im Design, erstrahlt der neue Ironball Special Edition in silbergrau metallic.

Sobald ein einziges Produkt eigentlich alle essenziellen Features für den Gitarristen in sich vereint, werden viele von uns entweder stutzig und etwas vorsichtig, oder sind – ganz im Gegenteil – sehr interessiert. Bei digitalen Modelern oder bei Vollröhrenverstärkern mit digitalen Hall-Effekten (wie der Marshall-JVM-Serie oder den Fender-Bassbreaker-Produkten, oder eben auch beim Diezel VHX mit all seinen modernen und eben teilweise digitalen Features) scheiden sich die Geister. Ein Völlröhrenamp mit Digitalhall? Echt? Entweder man liebt diesen Pragmatismus oder man hasst ihn. Das ist so, wie mit dem FC Bayern München.

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KONZEPT

Digitale Effekte in einen traditionell gebauten Vollröhren-Amp zu integrieren, ist also weder neu noch ungewöhnlich. Dennoch ist es für Engl ein kleines Novum, denn Produkte in der konsequenten Bauweise des Ironball Special Edition gab es bisher nicht im Portfolio. Mit nur einem Amp und wahlweise einem der drei Engl Midiboards Z9, Z12 oder Z15, oder auch einem einfachen Z4-Doppelfußschalter, lässt sich der typische Classic-Rock- bis Metal-Gig bestreiten und das dank des eingebauten Powersoaks mit Loadbox-Funktion, sogar ohne ein echte Lautsprecherbox, falls notwendig.

BEDIENELEMENTE

Die Frontseite des Ironball SE sieht, abgesehen vom schönen, neuen, silbergrauen Look der Frontblende, dem altbekannten Ironball sehr ähnlich. Nach der Eingangsklinkenbuchse auf der linken Seite folgen von links nach rechts Clean Gain, Lead Gain, Bass, Middle, Treble, Lead Presence, Lead Volume und das Master Volume. Ganz rechts außen befinden sich der Standby- sowie der On/Off-Schalter.

Nur die Armada von acht kleinen Schaltern zwischen dem Master-Volume-Poti und dem Standby-Schalter weist auf die neuen Features des Special Edition hin. Hier können der Gain Boost, ein Master Volume Boost, Hall, Delay und FX Loop für beide Basiskanäle aktiviert oder deaktiviert werden, zwischen beiden Kanälen hin und her geschaltet, ein Noisegate für den Lead-Kanal aktiviert werden.

Zudem befindet sich hier auch die Store-Taste für den Betrieb des Special Edition mit einem der Engl-Midi-Boards. Die Programmierung ist denkbar einfach: Nachdem ein Speicherplatz auf dem Midi-Board angewählt wurde, betätigt man die entsprechenden Auswahlschalter durch kurzes Herunterdrücken, um den Schaltzustand der beiden Kanäle des Amps auszuwählen, den man abspeichern möchte. Danach einmal Store länger herunterdrücken, bis die LED am Taster drei Mal blinkt und schon merkt sich der Special Edition, welche Funktionen aktiviert sein sollen, wenn der spezifische Speicherplatz erneut aufgerufen wird.

Selbst die Preset-Spillover-Funktion der Delays und auch der Hallfahne, lässt sich durch langes Herunterdrücken der korrespondierenden Schalter aktivieren und ist ebenfalls via Midi speicherbar, genauso wie die Mix-Parameter für Hall und Delay, sowie auch Delay-Zeit und Wiederholungsrate der Echos.

Auf der Rückseite des Ironball SE befinden sich die Regler für Delay Mix, Delay Time, Delay Feedback, Reverb Mix und die Einsatzschwelle des Noisegates, die schon vom regulären Ironball bekannte Power Soak mit der Option, von 20 Watt auf 5-Watt- oder 1-Watt-Betrieb zu schalten, oder den Amp ganz ohne angeschlossenen Lautsprecher betreiben zu können. Im letzten Fall geht das Signal dann über den in der Lautstärke regelbaren Kopfhörerausgang oder den symmetrischen XLR DI Out mitsamt ihren Impulsantworten, die über einen Achtfach-Drehregler auswählbar sind. Über einen USB-Anschluss lassen sich hier die Speicherplätze vier bis acht mit eigenen Impulsantworten (48kHz bei einer Länge von bis zu einer Sekunde oder auch 96kHz bei maximal 500 ms) vom Rechner direkt befüllen, denn es sind ab Werk lediglich die ersten drei Speicherplätze mit Engl-Werkspresets belegt.

Engl Ironball Special Edition(Bild: Dieter Stork)

SOUNDS

Natürlich kann die klassische Engl-Vorstufe mit ihren beiden Kanälen samt Gain Boost und Volume Boost die ganze Palette an Neunzigerjahre-Standard-Sounds sowohl mit Humbuckern als auch mit Singlecoils abbilden. Der Ironball ist, wie man es von diesem Hersteller seit Jahrzehnten kennt, in der Lage, sowohl für Top-40-Gitarristen als auch für Metal-Heads und Hard-Rocker, die sich eher im klassischen Lager bewegen, als Universallösung für den Proberaum, die Bühne und für Studioaufnahmen zu dienen.

Der Ironball Special Edition fühlt sich mit seinem sehr glatten, komprimierten Zerrcharakter, der eher durch einen ausgeprägten Mid-Scoop als durch sehr trockenes bis fransiges Attack an Definition gewinnt, an Boxen mit Vintage-30- sowie Greenback-Lautsprechertypen genauso pudelwohl, wie schon die Savage 60 und 120 Amps aus Tittmoning.

Schon der reguläre Ironball fiel durch sein trockenes und tightes Klangbild etwas aus der Reihe. Er war kein ganz typischer Engl, sondern ist mit seinem direkten Attack und den knappen Bässen, grundsätzlich eher im Delta zwischen PRS MT15, Peavey 6505MH und Fortin Sigil anzuordnen. Der E606SE Ironball Special Edition reiht sich aufgrund der Endstufenbeschaltung mit zwei EL84 im Zusammenspiel mit dem sehr kleinen Ausgangsübertrager ebenfalls in diese Nische ein, bewahrt sich aber durch die Klangabstimmung seiner Vorstufe den typischen Engl-Savage-Klangcharakter der 90er-Jahre.

Apropos kleiner Ausgangsübertrager – um mit dem Ironball Special Edition im Proberaum mit dem Schlagzeuger mithalten zu können, empfiehlt es sich, mindestens zwei Vintage 30, besser noch eine 4x12er-Box mit Vintage 30 oder Greenbacks zu spielen. Von Toto bis Black Metal ist dann mit einer passenden Gitarre alles möglich, lediglich super tiefe Tunings mit Bariton-, 7- oder 8-saitigen Gitarren bedient der Ironball Special Edition aufgrund seiner schüchternen Tiefbässe nicht mehr so souverän. Das Signal wirkt – wie auch schon beim regulären Ironball – bei Stimmungen unterhalb von Cis schnell inkomplett und „zu dünn“.

Andere Engl-Verstärker, die sich in der Powerball- oder Fireball-Ahnenreihe befinden, haben hier eindeutig ausgeprägtere Kernkompetenzen, aber eben diese Verstärker schaffen es mit ihrem Voicing nicht, so klassisch, stilistisch fast universell nutzbar und irgendwie zeitlos zu klingen, wie es der Ironball Special Edition trotz seines kleinen Ausgangsübertragers und der für Engl eher ungewöhnlichen EL84 Endstufenröhrenbestückung kann.

Die Erweiterung des Special Edition um dezent-unauffällige aber hervorragend klingende Hall- und Delay-Effektblöcke, ist in Kombination mit dem neuen IR Loader beim kreativen Homerecording oder einfach für das Spielen mit Kopfhörer, sehr gelungen. Wenn ein charakterstarkes, sehr spezielles Delay, eine Post-Rock-Notre-Dame oder „Hall bis Meppen“-Klangfarbe gewünscht wird, können derartige Effektgeräte selbstverständlich in den tadellos funktionierenden, seriellen Einschleifweg des Ironball Special Edition eingespeist werden. Auch das integrierte Noisegate funktioniert so, wie man es von Engl kennt und erwartet und rundet das Rundum-Glücklich-Paket ab.

Engl Ironball Special Edition
Vier 12AX7 für die Vorstufe plus zwei EL84-Endstufenröhren (Bild: Dieter Stork)

ALTERNATIVEN

Ein vergleichbares Konzept wie beim Engl Ironball SE finden wir beim Suhr-PT15-I.R.-Pete-Thorn-Signature-Verstärker, der mit seinen zwei 6V6-Endstufenröhren eine Nennleistung von gut 15 Watt erbringen und noch etwas klassischer nach Marshall klingen. Beim PT15 I.R. spart sich der Hersteller Hall, Delay, Noisegate, Powersoak und Midi-Funktionalität, integriert dafür aber gleich drei Kanäle mit Bright Switch, einem Drei-Band-EQ für Crunch und Lead-Kanal und einen Zwei-Band-EQ eigens für den Clean-Kanal. Mit einem Preisschild jenseits der dreitausend Euro, schlägt das USA Produkt allerdings ein mächtiges Finanzloch in die Spielgeldkasse.

Aus dem Hause Engl drängt sich als moderner klingende Alternative zum Ironball SE und zum klassischen, vergleichsweise sehr tighten Ironball, der E633 Fireball 25 auf. Hier ergibt sich durch die Verwendung von zwei 6L6-Endstufenröhren tatsächlich ein ganz anderes Mittenbild und eine etwas komplettere Tiefbassabbildung als bei den Ironball-Produkten.

Engl Ironball Special Edition
Alles da, alles drin trotz des kleinen Lunchbox-Formats (Bild: Dieter Stork)

RESÜMEE

Das Update der Ironball-Produktlinie ist mehr als gelungen. Im Vergleich zur alten, regulären Version glänzt die Special Edition mit einem kosmetischen Facelift, der Erweiterung um Delay und Impulsantwort-Loader am Kopfhörerausgang und der symmetrischen DI-Out-Buchse und hat zudem die typischen Engl-Savage-Sounds der Neunziger an Bord. Für einen Preisrahmen von knapp 1200 Euro sind derzeit kaum nennenswerte, zeitgemäße Alternativen am Markt zu finden. Volltreffer!

PLUS

● Heavy Rhythm & Lead Sounds
● IR Loader
● Qualität der integrierten Effekte
● Powersoak mit Loadbox
● extrem handlich

(erschienen in Gitarre & Bass 10/2021)

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