Eigentlich sollte man meinen, dass die ziemlich umfangreiche Palette, die BSM im Bereich Booster vorhält, mittlerweile alle Vintage-Schaltungen der Spezies Treble-Booster abgearbeitet hat. Aber Bernd Meiser, ehemaliger Gitarre & Bass-Autor, Elektronik-Lehrmeister für Pedal-Nerds und Mastermind hinter BSM, findet immer noch etwas, das es zu kopieren und modifizieren gibt. Diesmal geht es um den recht kurzlebigen und seltenen VOX-Treble-Booster.
Schön, dass ich jetzt schon zum dritten Mal als Tester seiner Kreationen auserkoren wurde, denn angenehmer kann man nicht lernen. Die Arbeit von Bernd Meiser führt in der Regel in die Frühzeit der Gitarrenelektronik: Anfang der 60erJahre, als die verzerrten Gitarren laufen lernten, wurden die elektronischen Grundlagen für Klänge geschaffen, die bis heute als Standard gelten. An diesen Klangmustern orientieren sich auch alle digitalen Simulationen, Emulationen, oder wie immer man die elektronischen Nachahmer guter Sounds bezeichnen möchte. Mit seinen Kreationen regt Bernd immer wieder dazu an, sich mit diesen Grundlagen eingehender zu beschäftigen und dadurch das, was unseren geliebten Gitarrensound ausmacht, besser verstehen zu lernen.
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EIN KIND SEINER ZEIT
Also versetzen wir uns zurück in die erste Hälfte der 60er-Jahre: Beat-Musik ist angesagt und verdrängt den Rock’n’Roll als Musik der jungen Generation zunehmend. Rock und Hard-Rock stehen bereits in den Startlöchern, um die kommenden Jahrzehnte zu dominieren. In England werden die Gitarristen mit Röhrenverstärkern der Firmen Marshall, VOX, Watkins oder auch Selmer versorgt. Fender-Verstärker sind in Europa teuer und daher die Ausnahme. Doch selbst bei europäischen Produkten können sich die meisten Musiker die kräftigen und gut ausgestatteten Modelle nicht leisten.
Die günstigen, kleinen Modelle aber verzichten oft auf eine Klangregelung und werden bei hohen Lautstärken undurchsichtig und muffig. Sie verlieren an Durchsetzungskraft im Bandgefüge, weil die Bässe anfangen, das Klangbild zu dominieren. Abhilfe können kleine elektronische Helferlein mit der damals gerade neu aufkommenden Transistortechnik schaffen: die Treble-Booster. Die Firma VOX entwickelte 1964 mit dem V806 den ersten Treble-Booster, der nach dem Prinzip eines vorgeschalteten Hochpassfilters funktioniert.
Die simple Schaltung kam mit wenigen Bauteilen aus und passte samt Batterie in ein verchromtes kleines, flaches Kästchen mit angeflanschtem Klinkenstecker. Das Gerät sollte dann einfach in die Eingangsbuchse des Verstärkers gesteckt werden – eine ziemlich wackelige Konstruktion. Der Klang des Vorschaltgeräts war sehr höhenreich und passte prima zu der eher zahmen Beat-Musik. Auch Roger McGuinn von den Byrds fand Gefallen am Sound des V806 und zauberte mit einer 12-saitigen Rickenbacker und Fender-Verstärkern seinen Jingle-Jangle-Trademark-Sound. Für die alsbald aufkommende Rockmusik, die nach verzerrten Sounds gierte, war der VOX Treble-Booster aber nicht wirklich zu gebrauchen, sodass er bald wieder vom Markt verschwand.
DIE WIEDERGEBURT …
Der BSM V-TB huldigt dem VOX Treble-Booster, ohne ihn aber mit all seinen Unzulänglichkeiten zu kopieren. Gut so, denn solch ein wackeliges Vorschaltgerät würde man heute sicher nicht mehr akzeptieren. Der V-TB findet daher in einem robusten Alu-Druckgussgehäuse im typischen BSM-Design Platz. Sehr ordentliche Schalter und hochwertige Buchsen sind eine Selbstverständlichkeit. Im Inneren findet neben der Batterie auch das – wie üblich – komplett vergossene Elektronikmodul seinen Platz. Interessant, dass Bernd auch hier ein Geheimnis aus der Schaltung macht, wo doch der Schaltplan des V806 eigentlich kein Geheimnis ist. Jener wurde – wie damals durchaus üblich – dem V806 in der Bedienungsanleitung beigefügt.
Wichtig für den authentischen Klang dürfte aber die Auswahl der Bauteile sein. Außerdem schützt die Versiegelung auch die Elektronik vor Beschädigung. Und drittens hat Bernd ja auch noch eine Modifikation installiert. Der V-TB verfügt im Gegensatz zu seinem Vorbild noch über eine zweistufige Bassanhebung, die mit dem seitlichen Mini-Toggle-Switch geschaltet werden kann.
… EINES KLANGSPEZIALISTEN
Um es gleich vorwegzunehmen: Der V-TB macht seinen Job tadellos. Er entspricht klanglich dem Vorbild, indem er den Sound brillant und extrem höhenreich macht. Die damit einhergehende Lautstärkeanhebung ist gar nicht mal so groß, aber natürlich deutlich bemerkbar. Das bedeutet dann aber auch, dass der V-TB für Rockmusik ähnlich schwierig einzusetzen ist, wie sein Vorbild. Das Pedal eignet sich vor allem für kleine Vintage-Amps, die bei hohen Lautstärken betrieben werden. Für meinen eh schon höhenreichen, 100 Watt starken JCM 800 ist der VT-B zu stramm: der Sound wird dann schnell grell und schneidend. Meine moderneren Hi-Gain-Verstärker quittieren das Anschließen des VT-B mit unkontrollierten Übersteuerungen, wenn der Gain zu weit aufgedreht wird.
Gut passt er aber z. B. vor meinen Laney AOR 30. Der ziemlich bassstarke 22-Watt-Zwerg wirkt mit dem VT-B bei höheren Lautstärken deutlich definierter und ist durchsetzungsstärker. Die Bassanhebung, die Bernd dem V-TB noch spendiert hat, ist eine deutliche Bereicherung. In der Mittelstellung des Schalters tönt der Original-Sound des V806 doch etwas dünn. Gut, dass man mit dem zweistufigen Bass-Boost dann noch etwas Substanz nachlegen kann.
Inspiriert durch den Byrds-Jingle-Jangle-Sound habe ich den VT-B natürlich auch für Clean-Sounds ausprobiert. Das Ergebnis ist auch hier eindeutig: Der Treble-Boost schiebt das Signal deutlich nach vorne und macht es, je nach Einstellung von Verstärker und Gitarre, brillant oder schneidend. Da der V-TB keinen Level-Poti mitbringt, ist hier die Lautstärke- und Klangregelung der Gitarre gefragt, um Gain- und Treble-Zuwachs im Zaum zu halten. Das funktioniert auch ganz prima – man muss sich halt nur daran erinnern, warum an unseren Gitarren Volume- und Tone-Regler dran sind.
Dennoch hätte ich ein Volume-Poti am V-TB gut gefunden, weil dann die Fußschalterfunktion besser nutzbar wäre. Mit einem sorgfältig einstellbaren Ausgangspegel wäre der V-TB auch als Solo-Booster gut nutzbar. Vielleicht ist das ja eine Anregung für eine MKII-Version? Ohne Lautstärkeregelung bleibt dem V-TB nur der Job als „Always-On“-Pedal, das für Ordnung in den Frequenzen sorgt. So war das ja beim V806 schon gedacht.
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(Bild: Dieter Stork)
RESÜMEE
Diesmal überzeugt BSM mit einem Spezialisten. Der V-TB ist weniger universell einsetzbar, sondern vielmehr ein besonderes Pedal für besondere Aufgaben. Ein Spezialwerkzeug ist in vielen Fällen die bessere Lösung als ein Schweizer Messer. Mit dem V-TB bietet BSM eine Lösung für kleine, leistungsschwächere Verstärker, die bei hohen Lautstärken undifferenziert und schwammig klingen. Der Treble-Booster bringt den Zwergen wieder Klangdefinition und Durchsetzungsfähigkeit im Bandgefüge bei. Angesichts der Tatsache, dass gerade die kleinen Verstärker in den letzten Jahren wieder beliebt sind, hat Bernd Meiser mit seinem Blick in die Vergangenheit vielleicht wieder das richtige Werkzeug zur richtigen Zeit im Angebot. Abschließend noch ein Wort zum Preis. Ja, Spezialwerkzeuge haben ihren Preis. Aber wer den Markt beobachtet, weiß, dass die BSM-Produkte wertig und wertstabil sind. Das relativiert die etwas größere Investition.
Der Vox Treble-Booster V806 ist im Prinzip ein aktiver Hochpassfilter. Das heißt, er lässt die Höhen nahezu ungehindert durch und beschneidet den Bass- und Mittenbereich. Technisch erreicht man das durch ein kleines Netzwerk aus Kondensator und Widerstand. Mit den Werten von Kondensator und Widerstand wird dann die Grenzfrequenz in Hertz (Hz) definiert. Oberhalb der Grenzfrequenz passieren die Frequenzen ungehindert. Unterhalb werden die Frequenzen gedämpft. Über eine Verstärkungsstufe wird der Lautstärkeverlust ausgeglichen bzw. die Lautstärke auch deutlich angehoben.
Für den V806, der im September 1964 auf dem Markt erschien, wurde ein damals brandneuer Silizium-Transistor verwendet, dem eine Batterie als Spannungsquelle genügte. Geistiger Vater des Hochpassfilters war Dick Denney, der technische Kopf in Tom Jennings Firma VOX. 1961 entwickelte er für den VOX AC30 einen Hochpassfilter vor der Endstufe, der dann als Brillant-Channel bezeichnet wurde. Erst zwei Jahre später bekam der AC30 dann mit der Top-Boost-Schaltung auch eine Klangregelung. Als Werte für den Hochpassfilter wählte Denny C=500 pF gefolgt vom Volume-Poti mit 500 kOhm. Später wurden die Werte auf den normierten Standard 470 pF und 470 kOhm geändert. Das ergab eine Grenzfrequenz von 720 Hz.
Als Mitte der 60er-Jahre die niederohmige Transistortechnik Einzug in die Musikelektronik hielt, wurden die bewährten Werte der hochohmigen Röhrentechnik gerne mit dem Faktor 100 umgerechnet. Die kleinen Kondensatoren wurden mit dem Faktor 100 multipliziert, die großen Widerstände durch den Faktor 100 geteilt. Die Grenzfrequenz blieb dabei erhalten. Dick Denneys Hochpass für den AC30 wurde also für die Transistortechnik auf 47 nF und 4,7 kOhm geändert um die 720 Hz-Trennfrequenz zu erzielen. Dieser Wert schien ideal zu sein. Zumindest hat man bei dem weltweit beliebtesten Verzerrer, dem TS-808 und seinen Nachfolgern, genau diese Werte als Hochpassfilter gewählt. Danke an Bernd Meiser für die interessanten Hintergrundinformationen!