Multiintuitiv

Test: Boss ME-90B

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(Bild: Dieter Stork)

Wenn es von Boss das GX-100 gibt, ein Gerät mit reichlich Effekten, die in bis zu 15 Blöcken frei positionierbar sind, das parallele Effektkettenbietet, ein Touch-Farbdisplay hat, und und und … warum gibt es dann jetzt das ME-90B, das all das nicht hat?

Zum Beispiel, weil das ME-90B statt sechs Reglern für alles auf stolze dreißig kommt. Man ahnt schon: Das Bedienprinzip ist ein völlig anderes, analoges Knöpfchendrehen statt digitalem Wischen auf dem Touchscreen ist angesagt.

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AUFBAU

Zuerst einmal möchte ich mich bei der Firma Boss bedanken. Auch für das Testgerät, vor allem aber dafür, dass wir Bassist:innen endlich wieder mit bedacht werden. Nach dem vor über 15 Jahren vorgestellten ME-50B mit ähnlichem Bedienkonzept, das immer noch auf vielen Bühnen seinen Dienst tut (zum Beispiel bei Ian Hill von Judas Priest), gab es für die Gitarren-Fraktion mit dem ME-70 und ME-80 zwei Updates, zu denen es keine Bassentsprechung gab.

Jetzt dürfen wir endlich wieder mitspielen. Mit schickem blauen Metallgehäuse präsentiert sich der Neuzugang, mit knapp drei Kilo bringt es entsprechend Gewicht auf die Waage. Alle Anschlüsse sitzen stirnseitig, den Anfang macht links der XLR-Ausgang, der ein symmetrisches Signal ans Pult oder Interface gibt und per Ground-Lift erdfrei geschaltet werden kann. Neben dem Mono-Input sitzt der Ausgang, entweder mono mit einer, oder stereo mit zwei Klinken.

Ein kleiner Schalter gibt den Pegel vor, für den Betrieb vor einem Amp oder in einen Line-Eingang. Eine kleine Klinke ist für den Kopfhörer vorgesehen, daneben sitzen Send und Return. Eine USB-C-Buchse für die Nutzung als Interface und der Netzanschluss komplettieren die Rückseite. Zwei Dinge sind dabei anzumerken: Ein Netzteil muss zugekauft werden, das ist nicht dabei.

Und zum Kopfhörerausgang würde ich zum Üben zu Songs und Playbacks einen Aux-In erwarten, den es aber nicht gibt … Dafür gibt es einen Steckplatz für den optionalen Bluetooth-Adapter. Mit dem ist   dann Streaming möglich und der Zugriff auf die Editor-App. Eine Aufzählung aller Knöpfe spare ich mir, ihr wollt ja einen Test lesen und nicht die umformulierte Bedienungsanleitung, bei einem so komplexen (aber nicht komplizierten) Gerät muss naturgemäß einiges außen vor bleiben.

Mit einem Drehschalter kann bei Compressor/FX1, Filter/FX2, Drive/Synth und Delay/Reverb der Effekttyp gewählt werden, an drei Potis kann der Effekt dann geregelt werden. Was regelbar ist, steht über oder unter den Reglern, die Parameter in den Kästchen korrespondieren mit den Effekten, die mit einem Kästchen abgesetzt sind.

Die Preamp/EQ-Einheit hat mit fünf Reglern die meisten Einstellmöglichkeiten, mit denen ver-schiedene Grundsounds inklusive einiger Verstärkermodelle, oder eben ein EQ mit semiparametrischen Mitten verfeinert werden können. Die unter „Mod“ zusammen- gefassten Effekte, zu denen neben Chorus und Flanger auch Tremolo, Slicer, Delay oder Kompressor gehören, haben ebenfalls drei Regler, plus ein Type-Poti, an dem bis zu drei Effekttypen oder 20 Slicer-Patterns abrufbar sind – ganz schön was unter der Haube!

Mit einem einzigen Knopf muss Blend auskommen, hier wird global ein Clean-Signal zugemischt. Das Pedal ganz rechts funktioniert wie erwartet als Volume und Wah, kann aber auch bestimmte Parameter fußsteuerbar machen, Pitch-Effekte à la Whammy zaubern, oder einen Ton oder Akkord per Freeze endlos stehen lassen. Die weitere Fußsteuerung übernehmen Doppelpedale, eine immer noch geniale Idee, wie ich finde. Auf kleinem Raum sind so acht Schalter untergebracht.

PLUG AND PLAY

So, nun aber mal ein erster Soundcheck. Im Memory-Mode geht es mit Bank Up/Down durch neun Bänke mit je vier Presets, die mit den vorderen Schaltern angewählt werden. Die Werkspresets gefallen mir tatsächlich gut. Der überwiegende Teil ist wahrscheinlich zu freakig für den sofortigen Bandeinsatz, zeigt aber schön, wozu das ME90B in der Lage ist und lädt im Idealfall dazu ein, mal experimentell abzudriften.

Alle Presets lassen sich aber auch entschärfen und auf einem der User-Sounds ablegen, die wiederum in neun Bänken zu je vier Plätzen organisiert sind. Ein gesunder Anteil ist aber auch „Brot und Butter“-Sounds gewidmet, die sich direkt gut in den Bandsound einfügen. Spannend ist der Control-Fußschalter, der innerhalb eines Presets mehrere Effekte gleichzeitig an- und ausschalten kann oder den Wert eines Effektparameters umschalten, was pro Preset gespeichert werden kann.

Über den Editor lassen sich am PC oder per App besonders bequem Signalketten erstellen, aber auch „versteckte“ Sounds abrufen.
Der Control-Fußschalter lässt sich individuell konfigurieren, um mehrere Effekte gleichzeitig an- und auszuschalten, oder den Wert eines Effektparameters zu ändern.

Die Effekte an sich sind dabei – wen wundert es – von bekannter Boss-Qualität und teilweise direkt den Pedalen entnommen. Besonders die abgefahreneren Geschichten wie Tera Echo, Overtone, und Slicer sind alleine den Preis des ME-90B schon wert. Neben den Effekten ist den meisten sicherlich die Preamp-Abteilung am wichtigsten.

Auch wenn der überwiegende Teil der Sounds an bekannte (Pre-)Amps angelehnte Modelings sein sollen, kann man nicht erwarten, dass sich zum Beispiel das Verhalten der Klangregelung passend zum Vorbild ändert. Mir gefallen die Sounds trotzdem, neben Markbass, GK, Orange und Darkglass, ist Natural mit seinem ungefärbten, cleanen Ton ein Favorit.

Während am GX-100 Effektketten frei aufzubauen sind, kann beim ME-90B nur Send und Return vor oder hinter Preamp/EQ platziert werden, je nach eingeschliffenem Effekt. Wenn es per USB an den Rechner geht, oder per App über Bluetooth, hat das ME90B aber nicht nur mehr zu bieten, es zeigt sich auch, dass der Signalfluss intelligent angepasst wird.

Alle Blöcke außer Blend haben zusätzlich zu den am Gerät zugänglichen Effekten den Zusatz “Selectable” – hier können bis zu sieben weitere Typen abgerufen und pro Preset eingebaut werden, und jeweils auf dem letzten Platz des Wahlschalters abgelegt werden. So findet sich unter Filter/FX2 ein weiterer Kompressor, womit der eigentliche Kompressor-Block für einen Octaver genutzt werden kann, oder auch ein dem Phase 90 nachempfundener Phaser, der mir besser gefällt, als die zahmere Boss-Variante.

Auch ein zusätzlicher EQ im „Mod“-Block kommt mir sehr gelegen! Interessant ist es, am Computer zu beobachten, wie die Blöcke je nach Effekt verschoben werden, um immer an der optimalen Stelle zu sitzen. Zwar nicht frei beeinflussbar, aber gut mitgedacht!

Die Bedienung bleibt auch hier recht bieder, es gibt keine versteckten Zusatzregler, es arbeitet sich aber gut damit, und man muss sich nicht mal registrieren, solange keine Sounds in „Tone Exchange“ hochgeladen werden sollen – der Preset-Download geht auch ohne. Immerhin drei eigene IRs können über den Rechner auf dem Pedal abgelegt werden und je Preset mit einem Preamp komboniert werden, was ebenfalls nochmal große Sound- veränderungen bringen kann.

Während die Presets im Editor mit Namen versehen sind, sieht man am Pedal selbst nur die Nummer des Speicherplatzes, da muss man sich merken, was man wo abgelegt hat … Hilfe beim Einordnen der Effekte liefern immerhin die LEDs, die zehn verschiedene Farben können, um zum Beispiel Preamps mit Drive von cleanen abzusetzen.

Apropos Drive: Die Zerrfraktion ist gut bestückt, inspirierend und profitiert ungemein vom Blend-Knopf, den ich richtig lieben gelernt habe. Buchstäblich im Handumdrehen bekommt ein Fuzz ein cleanes Fundament, oder auch ein (wie ich finde, guter) Synthie-Ton eine klare Definition. Da darf der Effekt selbst dann ruhig extremer eingestellt werden.

RESÜMEE

Robust und mit einer Fülle von Effekten ausgestattet, gibt es mit dem ME-90B endlich wieder eine Bass-Version der einfach und intuitiv zu bedienenden Multieffekte von Boss. Der Fokus liegt dabei auf klarer Einstellbarkeit mit reichlich Knöpfen statt zig Untermenüs. Verzichten muss man auf frei zu gestaltende Effektketten oder ein aussagekräftigeres Display, aber zumindest für meinen Geschmack nicht auf gut und lebendig klingende Effekte.

Die Auswahl ist groß, von bodenständig bis spacig. Einige der für mich besten sind nur über den Editor zugänglich, was auch im Zusammenspiel mit der Nutzung eigener IRs den Sound des Multis krass erweitern und bereichern kann. Das einzige, was mir wirklich fehlt, ist ein Aux-In, was nur mit dem optionalen Bluetooth-Adapter  gelöst werden kann, oder bei Nutzung als Interface am Rechner.

Um die Eingangsfrage zu beantworten: Es gibt Bassistinnen und Bassisten, die lieber einen Multieffekt nach Art eines Pedalboards hätten, mit analoger, intuitiver Bedienbarkeit. Falls du dich dazu zählst, sei dir das ME-90B zum persönlichen Antesten empfohlen (gerade Effekte sind ja nun immer Geschmackssache). Dabei unbedingt den Editor mitnutzen und die „versteckten“ Sounds abrufen, es lohnt sich! ●

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