Ein neuer Boss im Haus

Test: Boss GT-1000

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(Bild: Dieter Stork)

Um die ehemaligen Könige der Multieffekte ist es in den letzten Jahren etwas ruhig geworden. Das GT-100 erschien schon 2012. Es wird also Zeit für ein neues Spitzenmodell!

Was hat sich in den knapp sieben Jahren getan? Einiges, aber dann eben doch nicht die Welt. Nach wie vor haben wir es mit einem „Guitar Effects Processor“ zu tun, der Amps, Effekte, Cabs und Mikrofone modelliert. Das Gerät wurde allerdings von Grund auf neu designt und kommt mit der Boss-eigenen AIRD Technologie, den Effekten aus der beliebten Boss 500er Serie an Bodentretern und natürlich einem neuen DSP-Chip, welcher auch Delay-Trails beim Patchwechsel zulässt. Seit der dritten Software-Version sind auch Bass-Amps mit an Bord. Na, dann schauen wir doch mal was uns erwartet.

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(Bild: Dieter Stork)

ÄUSSERE WERTE

Den Japanern war sichtlich wichtig, hier ein wertiges Gerät abzuliefern. Das Gehäuse, die Buchsen, das Expression Pedal und auch die Fußschalter wirken hochwertig und dürften etliche Jahre harten Tour-Alltags gut wegstecken. Dafür sorgen nicht zuletzt Details wie die hervorgehobene obere Reihe der Fußschalter.

Hierdurch wird es noch unwahrscheinlicher, dass man versehentlich die vordere Reihe mitbedient und die Gefahr wird gemindert, die noch weiter oben liegenden Potis zu treffen. Letztere bieten eine direkte Bedienung der bis zu sechs Parameter, welche auf dem Display sichtbar sind. Hier muss man also nicht tief ins Menü absteigen, sondern kann vieles, wie bei Bodentretern üblich, direkt regeln.

Die Fußschalter sind – völlig Boss-untypisch – von der normalen Art, wie sie sich fast überall finden lassen. Hiermit erhält man einen cleaneren Look und die Möglichkeit, mehr Schalter unterzubringen (da kleiner), verliert jedoch auch ein Stück weit den Boss-Charme. Jeder der Schalter hat ein kleines LED-Feld über sich, welches in verschiedenen Farben aufleuchten kann und so den Status, beziehungsweise den hinterlegten Effekt anzeigt.

Das LC-Display mit 512 x 160 Punkten ist leider nur monochrom. Andere Geräte können das heutzutage schon besser, aus praktischer Sicht ergeben sich aber kaum Nachteile.

Die Stirnseite des Geräts ist üppig mit Anschlüssen gefüllt. Neben dem Input geht es weiter mit dem Dual-Mono-Output, dem Kopfhörer-Ausgang, so wie Send und Return 1 und 2. Sollte einem die Effektvielfalt im GT-1000 also nicht reichen, so kann man zwei weitere externe Effekte(- Ketten) einbinden. Ein Mischpult kann über die beiden XLR-Ausgänge angeschlossen werden.

Wem die 10 Fußschalter und das Expression- Pedal nicht reichen, der steckt einfach weitere Schalter/Pedale an die beiden dafür vorgesehenen Buchsen. Und über die Amp Control Buchse kann der Kanal des folgenden Verstärkers umgeschaltet werden. Möchte man die Firmware updaten, so ist dies über den USBAnschluss möglich. Und wer MIDI-Signale senden oder empfangen möchte, kann dies selbstverständlich über die entsprechenden Buchsen tun. Vorbildlicherweise hat Boss auch einen Ein-/Aus-Schalter verbaut, welcher gegen versehentliche Bedienung geschützt untergebracht wurde.

(Bild: Dieter Stork)

APPS FÜR DEN RECHNER UND DAS SMARTPHONE

Das GT-1000 kommt mit einer USB-Schnittstelle. Über diese können sowohl Patches, als auch Sounds übertragen werden. Soweit nichts Neues. Etwas innovativer ist noch immer die Bedienung per Mobile Device (klar, auch das gibt es bei anderen Herstellern seit Jahren, aber es ist noch nicht ubiquitär). Nachdem man am GT-1000 Bluetooth aktiviert hat, findet sich nach etwas Warten die Verbindung mit dem Gerät. In der App kann nun nicht nur zwischen Presets geschaltet und eine Änderung vorgenommen werden. Auch die „Tone Central“ ist direkt integriert, eine Sammlung von Presets, welche von Steve Lukather, Marty Friedman und anderen erstellt wurden.

So ganz ohne Tücken ist die App zwar nicht, so springt beispielsweise das Interface manchmal etwas hin- und her, aber generell ist sie gut zu bedienen. Lediglich die Wartezeiten bei der Verbindung und dem Umschalten zwischen verschiedenen Funktionen könnten etwas minimiert werden. Wer auf ein realitätsnahes Interface à la Positive Grid Wert legt, wird leider enttäuscht ? der User-Interface-Designer hat wohl eher nach der Maxime „einfach und funktional“ gearbeitet. Bei der Bedienung fällt schnell auf, dass Boss eine andere Philosophie bezüglich Modeling verfolgt als die meisten anderen Firmen …

BEDIENUNG UND FUNKTIONEN

Die allermeisten Firmen modellieren ja berühmte Verstärker-Vorbilder und werben damit, so authentisch und vielseitig wie nur möglich zu sein. Boss entschied sich bewusst dagegen und hat bevorzugt eigene digitale Amps designt. Der große Vorteil: Ich werde aus meiner Filterblase gerissen und muss tatsächlich mal meine Ohren nutzen um zu erkunden, welcher Sound mir gerade am besten gefällt, am besten in den Song passt, oder genau die eine Lücke im Band-Mix füllt.

Zur Verfügung stehen einem Amps mit den wohlklingenden Namen Transparent, Natural, Boutique, Supreme, Maximum, Juggernaut und Natural Bass. Abgeleitet von der MDP-Technologie der Pedale der Boss X-Serie (beispielsweise dem DS-1X) gibt es des Weiteren die Amps X-Crunch, X-Hi Gain, X-Modded und X-Drive Bass.

Der Nachteil der hauseigenen Amps: Wenn ich ziemlich genau weiß, dass ich für meinen gesuchten Sound einen Fender, Marshall oder Mesa brauche, so habe ich diese hier nicht direkt zur Verfügung. Auch daran hat Boss natürlich gedacht und so kommt das GT-1000 nicht gänzlich ohne Klassiker daher. So gibt es auch den JC-120, Twin Combo, Deluxe Combo, Tweed Combo, Diamond Amp, Brit Stack und das Recti Stack.

Eigentlich fast noch spannender sind in diesem Gerät wohl die Effekte, ist Boss doch genau dafür bekannt. Und gerade die 500er-Serie ist zurecht sehr beliebt – ganz zu schweigen von den Millionen anderer Boss-Pedale, die täglich auf der Welt zum Einsatz kommen. Sei es nun das RV-500 für Reverbs, das DD-500 für Delays, oder das MD-500 für Modulationseffekte – allesamt genießen sie einen guten Ruf und sind gemeinsam schon teurer als das GT-1000. Und während die alten Boss Einzeleffekte teils sehr günstig zu haben sind, so kostet ein DS- 1X auch schon knapp € 150.

Hier erhält man all das, plus die Amps und Boxen. Ein ordentliches Paket also. Neben der praktischen Bedienung per Smartphone und PC ist natürlich auch das Editieren direkt am Gerät möglich. Hier wird einem das übliche Signalflussdiagramm geboten. Für ein Bodengerät – welches typbedingt oft mehr Abstand zu den Augen hat als beispielsweise ein Rack – könnten die Symbole hier gerne größer sein. Das Editieren selber geht dann aber leicht von der Hand. Einfach den gewünschten Effekt anwählen, die Art und die Parameter direkt mit den Potis unter dem Display regeln und fertig. Wer tiefer ins Geschehen abtauchen will, kann das natürlich auch tun und teils wilde Signalabzweigungen definieren.

So einfach das bisher klang, so seltsam sind manche Entscheidungen der Japaner: Um die verwendete Boxensimulation zu ändern gibt es keinen eigenen Slot, auch im Amp-Block ist nichts zu finden. Stattdessen muss man zunächst den Output auf „Recording“ stellen und kann nun in diesem Block ein anderes Cab wählen. Auch das Laden von externen IRs ist hier möglich.

UND NUN ZUM SOUND

Ich gebe zu: Das erste was ich getestet habe ist, ob das GT-1000 wirklich echtes Spillover liefert (das ist nämlich gar nicht so einfach). Die Antwort: Ja, das tut es. Und es klingt auch richtig gut. Keine Frage, Effekte können die Japaner.

Und so ist es auch kein Wunder, dass viele der Presets von Haus aus reichlich mit Effekten aller Art belegt sind. Oft zu viel für einen realistischen Einsatz, aber ganz gut geeignet zur Demo im Laden oder zu Hause um einen ersten Eindruck zu bekommen.

Beim ersten Durchscrollen durch die Werks-Presets bleibe ich so vor allem an zweien hängen: „05-1 Tremolo Reverb“, eine tolle Hommage an alte Fender-Verstärker mit ihrem eingebauten Tremolo und Hall. Der Sound wirkt tatsächlich organisch und dreidimensional. Nachdem ich in der Ampsim etwas mehr Gain hinzugegeben habe, würde ich den Sound genauso lassen und spielen. Der zweite wäre „10-4 Mono Synth Lead“. Dies erinnert mich stark an den Flash-Gordon-Soundtrack und das Tracking klappt erstaunlich gut. Klar, dies ist ein reiner Effektsound, aber genau an sowas hört man ja auch, welche Prozessorleistung hier zur Verfügung steht.

Generell gefallen mir die Effekte sehr gut. Auch ein Whammy wird authentisch nachgebildet. So hört man auch in der Heel- Down-Position eine deutliche Beeinflussung des Sounds, welche hier durchaus gewollt sein kann und zur kreativen Nutzung einlädt.

Insgesamt finden sich auch einige etwas ausgefallenere Effekte wie ein (Boss) Slow Gear, den es ja schon lange nicht mehr neu zu kaufen gibt.

Die Amp-Modelle lassen sich im Gain nicht nur bis 11, sondern sogar bis 120 regeln. „It’s 110 more!“ sozusagen. Dennoch habe ich manchmal das Gefühl, dass noch etwas mehr Gain drin sein müsste. Aber das kann man durch Stompboxen die ja zu Hauf zur Verfügung stehen gut kompensieren.

Dort wo reale Amps Vorbilder waren, erkennt man die Verwandtschaft deutlich, wenngleich andere Modeler hier noch die Nase vorne haben. Die eigens geschaffenen Amp-Modelle klingen sowohl für Gitarre, als auch für Bass gut und sind flexibel nutzbar. Insbesondere wenn man eigene IRs in das Gerät lädt, erweitern sich die soundtechnischen Möglichkeiten hier enorm. Hier sind leider nur vier Slots vorgesehen – heutzutage etwas wenig, aber für vieles ausreichend.

ALTERNATIVEN

Ein heiß umkämpfter Markt! Für weniger Geld (unter € 600) gibt es das Headrush Gigboard, ein Helix LT ist mit € 888 ziemlich gleich auf und das HX Stomp kostet sogar nur knapp € 500. Geht es einem rein um die Effekte ist ein Line6 HX Effects für € 500 ein super Angebot und macht einem das Leben mit den verbauten Scribble Strips deutlich einfacher.

RESÜMEE

Endlich etwas Neues, Großes von Boss. Und hier haben die Japaner vieles anders gemacht: Neues Layout, neue Bedienung, neue Amp-Simulationen, neue Effekte. Im Grunde bleibt aber natürlich auch vieles gleich und das merkt man ein Stück weit. Während die Effekte toll sind und man sich statt zwei Pedalen der Boss 500er Serie schon fast gleich ein GT-1000 kaufen kann, so klingen die Amp-Modelings im Vergleich zu Kemper, Fractal Audio oder Line 6 nicht mehr ganz zeitgemäß. Allerdings wissen die eigenen Amp-Designs sowohl für Gitarre als auch für Bass zu punkten – insbesondere, wenn man sie mit eigenen IRs anreichert – und so wird das Boss GT-1000 seinen Platz am Markt völlig zu Recht finden.

PLUS

  • Effekt-Sounds & Auswahl
  • einfache Bedienung
  • Konstruktion
  • Apps für Smartphone und PC

MINUS

  • nur vier IR-Slots


(erschienen in Gitarre & Bass 09/2019)

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