Optionen in Hülle und Fülle

Source Audio Atlas im Test: Das letzte Wort in Sachen Kompression?

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(Bild: Dieter Stork)

Wer schon immer mal davon geträumt hat, die Möglichkeiten der Dynamikbearbeitung aus der DAW auch auf dem Pedalboard nutzen zu können, sollte jetzt aufpassen. Denn genau das und mehr soll der Neuzuwachs im Hause Source Audio liefern.

Eigentlich ist die Firma aus Massachusetts für ihre hochgradig einstellbaren und teils abgedrehten Effekte bekannt. Zuletzt haben sie das mit dem Ultrawave-Pedal unter Beweis gestellt, einer aberwitzigen Kombination aus Dynamikeffekt, Multibandzerre und Modulationspedal (siehe Ausgabe 09/21 und 11/21). Dass man auch in der Lage ist, „normale“ Klangverbieger zu entwerfen, wurde bereits mit zwei EQ-Pedalen demonstriert. Nun gesellt sich zu diesen, auf den ersten Blick eher drögen, Geräten ein Kompressor, der auf den Namen Atlas getauft worden ist und unter dessen Haube sich deutlich mehr verbirgt, als es die vier Potis vermuten lassen.

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UNDERSTATEMENT

Optisch ist das Gerät, wie die meisten anderen Pedale aus der One-Series, eher schlicht gehalten. Ein simpler Schriftzug ziert das blaugrau eloxierte Gehäuse aus gebürstetem Aluminium. Wer bereits Kontakt mit der Firma hatte, wird mit diesem Format und seinen Bedienelementen vertraut sein. Vier Drehregler stellen die Hauptbedienelemente dar, wobei sich über einen stirnseitigen Taster noch jeweils eine Sekundärfunktion bedienen lässt, und so bereits ohne Editor-Software acht Variablen verändert werden können. Ein Kippschalter ermöglicht zusätzlich das schnelle Abrufen von drei gespeicherten Presets. Für weitere Einstellarbeiten kann über ein USB-Kabel oder das mitgelieferte Adapterkabel ein Computer bzw. Smartphone mit entsprechender App angeschlossen und so auf sämtliche Parameter zugegriffen werden. Und davon gibt es reichlich.

(Bild: Dieter Stork)

DIE INNEREN WERTE

Zunächst sollten wir uns aber einen Überblick über den Funktionsumfang des Gerätes verschaffen. Konkret handelt es sich beim Atlas um zwei voneinander unabhängige Kompressoren, einen grafischen sowie einen semiparametrischen 3-Band-EQ. Die beiden Kompressoren lassen sich sowohl parallel betreiben und im Mischungsverhältnis einstellen, als auch kaskadieren. Insbesondere (aber nicht nur) am Bass interessant, ist die weitere Band-Split-Option. Hierbei wird eine frei wählbare Grenzfrequenz eingestellt, an der das Signal aufgetrennt wird. So lassen sich Höhen und Tiefen separat voneinander bearbeiten.

Für richtig ausgefuchste Setups lässt sich der zweite Klinkeneingang nicht nur für Stereoanwendungen nutzen, sondern auch als Sidechain-Eingang. Vor allem für Live-Electronica-Projekte dürfte dies eine willkommene Funktion sein.

(Bild: Dieter Stork)

INFOS

Bei der Nutzung einer Sidechain wird der Kompressor nicht durch das Nutzsignal ausgelöst, sondern durch ein (extern) zugeführtes. Häufige Anwendung findet diese Technik z.B. um Synthesizer durch die Kickdrum ausgelöst leiser werden zu lassen. Dabei entsteht ein pulsierender Effekt.


Während Equalizer grundsätzlich ziemlich selbsterklärend sind, bieten die beiden Blöcke unabhängig voneinander ebenfalls noch drei sinnvolle Einstellmöglichkeiten. Zwei davon sind schnell erklärt: Sie können jeweils „pre“ oder „post“ geschaltet werden, also vor oder hinter die Kompressor-Stage.

Option Nummer drei findet man äußerst selten in der Welt der Effektpedale, denn hierbei handelt sich um dynamische EQs. Bei diesen werden die gewählten Frequenzen nicht einfach lauter oder leiser gedreht, sondern in Abhängigkeit der Signaldynamik verstärkt oder abgeschwächt. Man könnte sie auch als schmalbandige Multibandkompressoren betrachten. Beim Mischen in der DAW finden sie häufiger Anwendung, denn hiermit können beispielsweise störende Resonanzfrequenzen nur in besonders extremen Fällen abgeschwächt werden oder dem Sound nur während des Attacks etwas Bass hinzugefügt werden, um den Druck zu erhöhen. Aber auch kreative Einsatzmöglichkeiten bieten sich, wie die Nutzung als eine Art Envelope-Filter oder Auto-Wah. Da die EQ-Blöcke keine eigenen Regler für Attack und Release besitzen, werden die Einstellungen von Kompressor A hierfür übernommen.

Optionen, Sounds und Resümee auf Seite 2

(Bild: Dieter Stork)

OPTIONEN IN HÜLLE UND FÜLLE

Die Kompressoren selbst bieten alle Einstellmöglichkeiten, die man sich nur vorstellen kann. Neben den Basisvariablen Attack, Threshold, Release und Ratio finden sich noch Blend-Regler, Hoch- und Tiefpass für die interne Sidechain, Lautstärke und auch die Steilheit (Knee) sowie Lookahead sind mit von der Partie. Letztere verzögert das Signal um einen einstellbaren Wert zwischen 0,25 und 2ms, was dem Kompressor ermöglicht, selbst früheste Transienten zu erkennen und zu bearbeiten.

Gerade bei der Verwendung als Limiter äußerst praktisch, denn so werden wirklich alle Signalspitzen erfolgreich abgefangen. Als letzte Einstelloption kann über ein Dropdown-Menü noch das Kompressionsverhalten verändert werden. Hier reicht die Auswahl von klassischen VCA-, FET- oder Opto-Kompressoren über für Pedale eher ungewöhnliche Vari-Mu- oder verschiedene Limiter-Varianten bis hin zu Gate und Expander. Allerdings beeinflusst diese Auswahl lediglich das Dynamikverhalten und nicht etwa die Färbung des Signals.

ÜBERRASCHUNG

Diese ist nämlich, sofern die Equalizer nicht bemüht werden, quasi gleich null. Dass in extremen Einstellungen Bässe oder Höhen mit gedämpft werden, liegt in der Natur der Sache aber eine Färbung durch die Signalbearbeitung an sich konnte ich nicht feststellen.

Vollkommen transparent und akkurat geht der Dynamikprozessor zu Werke. Eine etwaige gewollte, dezente Anhebung der Präsenz oder der Mitten, wie man es von einigen analogen Kompressoren kennt, muss erst über die Equalizer eingestellt werden und erfordert, sofern gewünscht, schon die eine oder andere Minute der Auseinandersetzung mit dem Editor. Wer sich beim Einstellen der Kompression nicht ausschließlich auf seine Ohren verlassen möchte, kann sowohl die Status-LED am Gerät als Indikator nutzen als auch die sehr präzise grafische Übersicht in der Editor-Software. Über die verschiedenen Kompressor-Modi ist von subtil über blitzschnell bis zu klebrig-zäh so ziemlich alles an Dynamikverhalten abrufbar.

Oberfläche der Editor-Software

Eine extrem kurze Attack-Zeit (von unter einer Millisekunde) sorgt abhängig von den verschiedenen Modi jedoch auch für Verzerrungen im Signal. Diese können über die Lookahead-Funktion gemindert oder beseitigt, jedoch auch als Stilmittel eingesetzt werden. Treibt man es auf die Spitze, sind sogar amtliche Verzerrer-Sounds möglich! In Kombination mit Dualband-Kompression lassen sich am Bass Sounds realisieren, die erschreckend gut als moderne Zerre verschiedenster Couleur funktionieren. Sowohl roher Overdrive als auch peitschende Djent-Sounds verstecken sich hinter der blau-grauen Fassade. Tatsächlich funktionieren moderne Bi-Amping-Sounds mit dem Atlas dank der zusätzlichen Kompression auf den Bässen sogar besser als mit dem auf Zerren spezialisierten, aber etwas in die Jahre gekommenen Aftershock. Ob Source Audio das beabsichtigt hatte? Ich weiß es nicht. Aber es funktioniert!

Natürlich funktionieren auch die ab Werk geladenen Presets bereits sehr gut, wobei zumindest der Threshold auf jeden Fall an das eigene Instrument angepasst werden muss. Über ein Menü im Editor lässt sich das Pedal vom Gitarren- auf den Bass-Modus umstellen. Das ändert grundsätzlich absolut nichts an der Signalverarbeitung, sorgt aber für eine andere Ausgangslage der voreingestellten Presets.

Wie für Source Audio üblich, sind weitere Presets über eine NutzerCloud abruf- und auch speicherbar. Kompression ist ein enorm individuelles Thema, daher sind die hier abrufbaren Patches selten ohne Anpassung direkt nutzbar, jedoch zeigen sie Möglichkeiten auf, auf die man selbst vielleicht nicht gekommen wäre. Ebenfalls für den Hersteller (leider) typisch ist die für eine Fernsteuerung notwendige Verbindung zum Neuro Hub, einer digitalen Schaltzentrale für Source-Audio-Geräte. Über diese wird eine Fernsteuerung von Parametern und Patches per Midi überhaupt erst möglich. Denn einen direkten Hardware-Midi-Anschluss gibt es leider nicht. Eine Alternative stellt ausschließlich der USB-Anschluss dar, der jedoch einen USB-Host voraussetzt. Eine Funktion, die so gut wie kein Midi-Controller unterstützt. Immerhin kann ein Expression-Pedal oder ein Taster zur Steuerung von Parametern direkt an das Gerät angeschlossen werden.

RESÜMEE

Wieder einmal stellt Source Audio auf beeindruckende Weise unter Beweis, welche Möglichkeiten sich mit digitaler Technologie und Sachverstand bieten. Dank zuweisbarer Regler ist das Gerät, einmal eingestellt, auch ohne Editor gut bedienbar, erfordert aber natürlich etwas Einarbeitung. Bei Kompressoren empfehle ich das aber so oder so, unabhängig vom Gerät. Ob präzises Werkzeug, Klangveredeler oder sogar Overdrive, der Atlas deckt ein sehr breites Spektrum ab, ohne dabei Abstriche in der Qualität zu machen.

PLUS

  • sehr flexibel
  • Signalqualität
  • Funktionsumfang

MINUS

  • Auseinandersetzung mit Editor erforderlich
  • Midi nur über zusätzliche Hardware


(erschienen in Gitarre & Bass 11/2022)

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