Ikone 2.0

Soldano X88-IR im Test

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Mit dem X88-IR erweckt Soldano seinen legendären Rack-Preamp X88R aus den späten Achtzigern zu neuem Leben und bringt die Ikone mit stark überarbeiteter Ausstattung ins Hier und Jetzt. Der prägende Soldano-Sound mit mehr Einflussmöglichkeiten sowie neue Features wie die DSP-basierte Endstufensimulation und die integrierte Impulse-Response-Technologie machen aus dem Vollröhren-Aggregat ein echtes Anwendungs-Powerhouse.

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Als ehemaliger Besitzer eines originalen X88R bin ich sehr gespannt, wie der X88-IR insbesondere für direkte Anwendungen abschneiden wird.

Die Geschichte von Soldano ist im Grunde die Verwirklichung des amerikanischen Traums. Zunächst baute Mike Soldano in seinem kleinen Garagenshop auf der Melrose Avenue in Los Angeles die ersten SLO-100-Topteile. Howard Leese, Steve Lukather, Michael Landau und Vivian Campbell waren die ersten Käufer und es entwickelte sich ein regelrechter Hype um diesen neuen Amp. Dabei definierte Soldano in der Tat mit seinem SLO-100 einen neuen Hi-Gain-Sound, der bis heute ein Trademark und auf unzähligen Alben zu hören ist.

Damals war die Zeit großer Racks. Steve Lukather hatte beispielsweise kühlschrankhohe Cases mit mehreren Topteilen an Lastwiderständen, die wiederum durch Effekte zu einer Stereo-Endstufe geführt wurden. Wunderbar vorgeführt zum Beispiel in den legendären „Star Licks”-Lernvideos von damals.

Schaut man sich Bilder der Rigs der Protagonisten aus der Zeit an, bekommt man schon vom Hinsehen Mitleid mit den Leuten, die das alles hin und her bewegen mussten. Und so war es Bob Bradshaw, der Mike Soldano fragte, ob er für Steve Lukather nicht einen dreikanaligen High-End-Vollröhren-Preamp bauen könnte, um die Topteile im Rack abzulösen.

Aus dieser Idee entstand 1987 der erste X88R-Prototyp, mit dem Luke die „geslavten” Topteile aus seinem Rack ablöste. Die Serienproduktion folgte 1988. Während der Prototyp noch grau war, wählte Mike Soldano für die Serie das berühmte „Purple” für das äußere Erscheinungsbild. Das war ein kluger Schachzug, denn damit hat Soldano einen kognitiven Anker erster Güte gesetzt. Und: „Purple is back”! Auch der neue X88-IR greift die Ästhetik des ursprünglichen X88R auf.

Soldano Custom Amplification gehört mitterweile zu Boutique Amps Distribution (B.A.D.). Das schafft Synergien im Vertrieb, bei der Produktion und bei der Produktentwicklung. Denn der X88-IR verfügt auf der einen Seite über das Soldano-Sounddesign und auf der anderen Seite über das digitale Baukastensystem von Synergy, bestehend aus Endstufensimulation, IR-Loader und dem im Vergleich zu den Friedman-IR-Pedalen noch um ein Hochpassfilter erweiterten Software-Editor. Mit den vorhandenen Features und Möglichkeiten ist der X88-IR also wahrlich voll ausgestattet.

AUFBAU

Der X88-IR verfügt wie der X88R über drei Kanäle. Der originale X88R wurde gelegentlich kritisiert. Der Clean-Kanal sei zu leise, zu eingeschränkt und der Crunch-Kanal nicht besonders tight. All diese Anregungen wurden beim Redesign des X88-IR berücksichtigt. Der Clean-Kanal verfügt nun über zwei Modi (“Normal”/”Altered”) und einen Drei-Wege-Bright-Switch. Damit wird das Spektrum der klaren Sounds deutlich erweitert.

In den Kanälen zwei und drei können jeweils entweder die Modi „Crunch” oder „Overdrive” individuell gewählt werden. Dabei stehen beiden Kanälen je ein Fat- und ein Bright-Switch zur Verfügung. In jedem Kanal arbeitet eine Dreibandklangregelung aus Bass, Middle und Treble, Potis für Preamp und Output regeln Verzerrung und Kanallautstärke. Die Kanalumschaltung erfolgt durch Betätigen der jeweiligen Kanalleuchte (oder per MIDI).

Neu ist der Master-Volume, mit dem man die Gesamtlautstärke (nur an den Main-Outs) regelt. An der Frontseite befinden sich zudem noch ein Kopfhöreranschluss per Stereoklinke, der Input sowie der Wahlschalter für sechs abrufbare Impulse Responses. Auch kann hier die IR-Sektion in den Bypass versetzt werden. Ich vermisse den Power-Schalter vorn. Der ist vermutlich aus Platzgründen nach hinten gewandert.

Des Weiteren befinden sich rückseitig der universelle Netzanschluss, ein Ground-Lift-Schalter, USB-Anschluss, MIDI-In und MIDI-Thru sowie ein Anschluss zur Phantomspeisung für einen externen MIDI-Controller, wirksam an den MIDI-Pins 6 und 7. Es folgen zwei XLR-Ausgänge (links und rechts), bei denen der Pegel per Mini-Switch zwischen Mic- und Line-Level gewählt wird, wiederum ein Ground-Lift exklusiv für die XLR-Ausgänge, und schließlich die beiden Main-Outs zum Anschluss an eine Endstufe.

Achtung: Hier liegt nur das vollständig analoge Preamp-Signal an. Die digitale Endstufensimulation samt Impulse Responses bleibt ausschließlich den XLR-Ausgängen vorbehalten! Zu guter Letzt hat der X88-IR einen Effektloop, bestehend aus Mono-Send und Stereo-Return, spendiert bekommen. Dieser ist im Pegel zwischen Instrument- und Line-Level schaltbar, so dass sowohl Pedals als auch 19″-Peripherie problemlos eingeschliffen werden können.

Für komplexe Setups gibt es außerdem noch einen zweiten, rückseitigen Input. Falls zum Beispiel noch ein Pedal-Looper im Rack verbaut ist und man von dort rückseitig den Preamp ansteuern möchte.

INNEN

Nach dem Öffnen des Chassis-Deckels gelangt man ans Innenleben. In der Vorstufe arbeiten insgesamt fünf 12AX7-Vorstufenröhren von JJ Electronics auf der zentralen Platine für das eigentliche Preamp-Layout. Insgesamt ist der X88-IR mit drei Platinen bestückt. Eine sitzt an der Frontseite und beinhaltet die Klangregelung usw. Die dritte sitzt hinten und beherbergt im Wesentlichen das digitale Backend sowie die MIDI-Implementierung.

Lüftungsschlitze an den Seiten nahe des Ringkerntrafos, an den gegenüberliegenden Röhren und im oberen Chassis lassen die im Betrieb erwärmte Luft nach außen entweichen. Insgesamt ist die Verarbeitung absolut tadellos und hochwertig. Wichtig zu erwähnen ist, dass der X88-IR von B.A.D. in den USA gebaut wird.

SOFTWARE

Auf der Soldano-Webseite lädt man sich den Soldano-Editor (powered by Synergy) herunter. Der Aufbau ist vertraut und im Grunde mit dem für die Friedman-IR-Pedale oder den Soldano Astro 20 identisch. Was aber sofort auffällt: Neben Depth, Presence und Low-Pass steht beim X88-IR zudem ein High-Pass-Filter zur Verfügung. Jeder dieser Parameter kann in drei Stufen individualisiert werden.

Auf 128 MIDI-Programmplätzen können diese Auswahl sowie die Kanalwahl, die Kanalmodi „Crunch/Overdrive” und die Impulse-Response-Auswahl gespeichert und per MIDI-Controller entsprechend abgerufen werden. Der Speichervorgang gelingt entweder mit dem Editor oder durch längeres Drücken der Kanalwahlleuchte am X88-IR selbst. Stichwort Impulse Responses: Über den Editor werden die Impulse Responses den sechs Slots in der Hardware zugewiesen.

Insgesamt kommt der Editor mit zwölf Impulse Responses unterschiedlicher Couleur: Diverse Soldano- und „UK”-4×12″-Boxen (mutmaßlich Marshall) mit unterschiedlicher Speaker-Bestückung und Mikrofonierung sowie geschlossene 1×12″-Cabinets und eine offene Box wurden hier profiliert und bieten eine variable Auswahl für unterschiedliche Soundstile. Die Synergy-Software lässt auch im Soldano erwartungsgemäß die Nutzung eigener Impulse Responses zu. Die Vorgaben lauten: Wave-Format, 24-bit und 96 kHz Auflösung.

Übersichtlicher Editor: High- und Low-Pass-Filter, IR-Management und MIDI-Speicherplätze.

 

 

SOUND UND PRAXIS

In der ersten Runde des Tests wird der X88-IR per XLR an mein Studio-Interface angeschlossen. Folglich kann der Preamp in Verbindung mit dem digitalen Backend zeigen, was in ihm steckt. Los geht es im Clean-Kanal. Im „Normal”-Mode erhält man kristallklare Clean-Sounds, wie man sie vom X88R schon kannte. Die typischen LA-Studiosounds aus den Achtzigern ertönen aus dem Monitor. Perlend, klar und definiert. Das klingt klasse mit Strat oder Tele.

Neu hingegen ist der „Altered”-Modus: Hier wird dem Sound mehr „Schmutz” und Körper hinzugefügt. Bei höherem Gain (Preamp-Regler) erstrahlen herrliche Break-up-Sounds, die auch mit einer Les Paul oder anderen Humbucker-Gitarren wunderbar schmatzig und authentisch klingen. In beiden Soundmodi ist deutlich eine amerikanische Klangfärbung à la Fender zu hören, die aber im Gegensatz zum originalen X88R nicht nur auf das ultracleane Segment ausgerichtet ist, sondern das Spektrum von super clean bis zu leichtem Crunch abdeckt.

Hierfür stellte sich die Impulse Response der Soldano-1×12″-Open-Cab als mein Favorit heraus. Wahrlich beeindruckend, was da aus den Monitoren kommt. Auch der Crunch-Modus wurde überarbeitet. Dieser wurde im X88R einst etwas stiefmütterlich vernachlässigt. Ganz anders heute: Erstens reicht das Gain-Spektrum nun von leichtem SLO-Crunch bis hin zu High-Gain.

Bei höheren Einstellungen des Preamp-Reglers ist die Überschneidung mit dem Overdrive-Kanal fließend. Zweitens ist der Crunch nun wesentlich tighter konzipiert und präsentiert sich in einem angenehm definierten Bassbereich. Da matscht nichts. Mit aktiviertem Bright- und Fat-Schalter sowie moderat eingestelltem Preamp-Poti kann man sich im Crunch-Modus ganz ausgezeichnet beispielsweise in die Sound-Territorien eines Warren Haynes vorwagen. Dabei fühlt sich der X88-IR schlichtweg großartig an.

Nimmt man Fat wieder heraus und dreht Preamp auf, bei etwas angehobenem Bass, Middle und mit Treble ein wenig über zwölf Uhr, so erhält man ein saftiges Rhythmus-Brett für Riffs mit bester Soldano-Sound-Signatur. Zudem reagiert der X88-IR sensibel auf die Arbeit mit dem Volume-Poti an der Gitarre. Das macht einen Heidenspaß. Die verschiedenen Impulse Responses der 4×12″-Varianten klingen hier allesamt vorzüglich.

Übrigens: Die IR der Soldano-1×12″-Closed-Back stellt sich als Alternative zu den wuchtigen 4×12″-Klängen in diesem tonalen Kontext als sehr positiv und feinzeichnend dar. Ab geht es in den Overdrive-Modus. Für seinen Lead-Sound bekam der X88R mit der Zeit den Legenden-Stempel (wie der große Bruder SLO-100 auch). Im Overdrive-Modus des neuen X88-IR steckt nun auch genau dieser Sound.

Allerdings gibt es einen Unterschied: Der X88-IR kann auf Wunsch noch mehr Gain, wortwörtlich geht es jetzt wirklich bis „11″… Für meinen Geschmack reicht es schon mit dem Preamp-Regler vor der Mittelstellung. Die cremigen, druckvollen und obertonreichen Sounds fliegen einem aus den Monitoren nur so entgegen. Ja, das ist „der” Sound, den man mit Soldano assoziiert. In Kombination mit z.B. der Impulse Response der Soldano 4×12″ mit V30-Lautsprechern klingt es, als würde ein SLO-100 im Nebenraum per Mikrofon abgenommen.

Mit Bright, Fat und der effektiven Dreibandklangregelung lassen sich vielfältigste Nuancen einstellen – von den markanten Lead-Sounds aus den goldenen Jahren der Rack-Ära, über klassische Hair-Metal-Bretter bis hin zu ganz harten Gangarten. Spätestens jetzt kommen die zusätzlichen Möglichkeiten des Editors zum Tragen. Insbesondere Depth und Presence erlauben im Direktbetrieb über die XLR-Ausgänge zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten.

Freunde von tief gestimmten Gitarren können hier richtig Schub hinzufügen und auch eine gehörige Präsenz im oberen Frequenzspektrum betonen. Low- und Tiefpass-Filter bieten effektive Möglichkeiten zur Feinabstimmung, was sich bei den verschiedenen Impulse Responses auch anbietet. Da Gain-Reserven en masse vorhanden sind, fällt es dem X88-IR auch leicht, Palm-Mutes und härteste Riffs mit Definition und Wucht aus den Monitoren zu transportieren. Gleichwohl gilt: Es ist und bleibt ein Soldano.

Der typische Signature-Sound bleibt erhalten und transportiert stets die so typischen Mitten, die den Soldano-Sound so legendär gemacht haben. Als Zwischenfazit lässt sich zusammenfassen: Der X88-IR bietet absolut authentische Sounds, selbst bei der Direct-Anwendung. Die Möglichkeiten, sich Sounds nach seinem Geschmack so zu individualisieren, dass man sofort aufnehmen kann oder bühnenfertig ist, sind immens und hocheffektiv.

Die Variabilität des Editors, diese Sounds in Bezug auf Presence, Depth, Hi- und Lo-Pass Filter sowie die Auswahl der Impulse Response auf 128 Speicherplätzen arrangieren zu können, macht den X88-IR zu einem flexiblen und einfach zu bedienenden Soundwerkzeug. Zudem klingt der X88-IR im Direktbetrieb wie ein großer, mächtiger Amp. Absolut überzeugend.

Auf in Runde zwei: Der X88-IR ist ja in aller erster Linie ein Vollröhren-Preamp. Geht man aus den Main-Outputs heraus, wird das Signal vor dem digitalen Backend abgegriffen. „Rack is back” formuliert es Soldano ganz selbstbewusst. Ob es hier tatsächlich einen Trend zurück zu kühlschrankhohen Rack-Monstern geben wird, mag ich bezweifeln. Aber der X88-IR kann beispielsweise in den Return eines Effektweges eines anderen Amps eingespeist werden.

Oder man nutzt eine externe Röhrenendstufe. In Kombination mit einem Multieffektgerät oder auch Pedals wie Hall, Delay oder Chorus/Flanger usw. erhält man ein immer noch kompaktes Setup. Da der Pegel des Effektweges im X88-IR schaltbar ist, lässt sich hier jede etwaige Effektperipherie perfekt einfügen. Um den X88-IR auf dem traditionellen, analogen Weg zu hören, schließe ich ihn an eine Röhrenendstufe und schicke ihn über verschiedene 4×12″-Boxen.

Und auch hier liefert er ab: Die oben bereits beschriebene Finesse im Sound flattert aus meiner Box. Das ist zu keiner Zeit ein Kompromiss, sondern druckvoller und wundervoller Soldano-Sound in allen Nuancen. Dynamisch, auf das Spiel reagierend und eben der Ton, den die Soldano-Aficionados erwarten dürfen. Insgesamt fühlt sich der X88-IR vielleicht etwas moderner an, insbesondere bezogen auf den Bassbereich wirkt er im Vergleich zum originalen X88R etwas straffer und tighter.

Das ist offenbar auch ganz im Sinne des Herstellers, denn Soldano hat seinen Vorverstärker im Vergleich zu 1988 unter anderem in diesen Punkten weiterentwickelt. In einem Live-Setup kann der Amp mit all diesen Möglichkeiten also sowohl mit einer Endstufe und Box auf der Bühne und gleichzeitig parallel über die XLR-Ausgänge direkt ins FOH gefüttert werden. Für beide Anwendungsbereiche erfüllt der X88-IR die Erwartungen voll und ganz.

RESÜMEE

36 Jahre ist es her, da begründete Mike Soldano mit dem X88R die Ära der Rack-Preamps. Nun ist der in vielerlei Hinsicht überarbeitete Nachfolger zu haben. Der Soldano X88-IR ist nicht nur ein außerordentlich flexibler und wohlklingender Dreikanal-Röhrenvorverstärker, sondern ein voll ausgestattetes Kraftpaket, das sich als High-End-Lösung insbesondere für Direktanwendungen präsentiert.

Für direkte Aufnahmen oder die Belieferung des FOH liefert der X88-IR lupenreine Soldano-Signature-Sounds allerhöchster Güte. Die klanglichen Überarbeitungen betreffen vor allem den erweiterten Clean-Kanal und den Crunch-Modus, die allesamt gewonnen haben. Das Spektrum ist breiter und lässt keine Wünsche offen. Die umfangreiche Ausstattung macht den X88-IR zu einem hochprofessionellen Frontend für Gitarrenaufnahmen.

Die Verarbeitung ist top und es macht einfach enormen Spaß, als Gitarrist mit dem X88-IR zu interagieren. Das Spielgefühl erzeugt einen gewissen Suchtfaktor. Bei einem Straßenpreis von rund 2800 Euro ist das allerdings kein billiges Vergnügen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis zu beurteilen fällt da nicht leicht. Ja, das Teil ist teuer. Aber gleichzeitig wird man neben den vielen Anwendungslösungen, die der X88-IR bietet, auf der emotionalen Seite mit dem Spielgefühl und absolut erstklassigem Ton belohnt – wenn man den typischen Soldano-Sound mag.

Plus

● Erstklassige Soundqualität
● Umfangreiche Ausstattung
● Bedienbarkeit

Minus

● Power-Schalter auf der Rückseite

(erschienen in Gitarre & Bass 02/2025)

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