Lauschangriff!

Retromodern: Marshall Origin20C

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Marshall Origins20C
(Bild: Dieter Stork)

Das Neueste von Marshall, Vollröhrenverstärkermodelle mit sinnigen Extras zu relativ kleinen Preisen. Die Technik orientiert sich an historischen Vorlagen, der Name „Origin“ deutet darauf hin. Die Ausstattung ist allerdings weit luxuriöser als anno dazumal und verspricht viel Flexibilität in der Anwendung.

Die Origin-Serie teilt sich in drei Modelle auf. Neben unserem 20 Watt starken Testkandidaten gibt es eine technisch sehr ähnliche 50-Watt-Version. Der stärkere Combo hat einen 12“-Speaker, der Origin20C einen in 10“-Bauweise. Alternativ sind beide als Topteil zu haben. Den dritten im Bunde, den Origin5C gibt es dagegen nur als (kompakten) Kofferverstärker.

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Fünf Röhren

Drei ECC83 in der Vorstufe, zwei EL34 in einer Class-AB-Gegentaktendstufe, mit dieser Rezeptur hat Marshall mehr als 25 Jahre lang, bis hinein in die JCM-900- Serie (dort allerdings kombiniert mit Halbleitern) 50-Watt-Amps designed. Irgendwas daran muss richtig sein, oder? Hier beim Ori20C, so lautet die Typenkennzeichnung, wird die Endstufe nicht ausgereizt, arbeitet bei relativ geringen Spannungen und hat einen eher kleinen Ausgangstrafo (im Gegensatz zum Ori50C).

Die Konzeption erinnert in den Grundzügen an das Modell 2204 aus der JCM800- Ära: Gain, Master-Volume Dreiband-Klangregelung plus Presence (Höhenregelung in der Gegenkoppelung der Endstufe). Der Ori20C ist allerdings wegen einiger Extras ungleich variabler. Er hat eine fußschaltbare Boost-Funktion zu bieten (Pull Gain), die die Vorverstärkung anhebt, respektive für mehr Röhrensättigung sorgt, und drei Leistungsstufen – High, Mid, Low –, die durch Ändern der Spannungen in der Endstufe realisiert werden (nennt sich „Powersteem“). In die Klangregelsektion integriert ist ein seinem Namen nach ungewöhnlicher Regler, „Tilt“. Er ermöglicht ein Ausbalancieren des Klangs, so als würde man an einem klassischen Marshall-Amp die Inputs Normal und High Treble Y-parallel gelegt benutzen und gegeneinander auspegeln (z. B. 1959SLP und JTM-45).

Hinten an der offenen Rückseite des Combos finden sich die Anschlüsse eines seriellen Einschleifwegs, die Footswitch- Buchse für das mitgelieferte Zweifachschaltpedal (FX-Status, Boost-Status, LEDs) und ein D.I.-Out mit Frequenzgangkompensation. Also alles drin und dran was man als Grundausstattung braucht (man könnte sich allerdings darüber streiten, ob Buchsen, die nach unten zeigen, geschickt sind). Die Schalter des Fußpedals funktionieren angenehm leichtgängig, das Pedal selbst ist aus Stahlblech und super solide, praktisch und gut. Das überaus störrische Anschlusskabel (Länge ca. 4,6 m) erfreut dagegen weniger.

Marshall Origin20C innen
(Bild: Dieter Stork/Tom Schäfer)

Die Herstellung von Röhren-Amps ist im Prinzip immer kostenintensiver als bei vergleichbarer Halbleitertechnik, weil erstens die Röhren selbst zu Buche schlagen und zweitens der Ausgangstrafo. D. h., ein Combo wie der Ori20C kann in dieser niedrigen Preisklasse zur Zeit nur auf den Markt gebracht werden, wenn er in Asien gefertigt wird. Hier ist es Vietnam. Man möchte meinen, dass aus Kostengründen dann auch die Machart nur bedingt luxuriös sein kann. Das trifft hier aber kaum zu. Das Erscheinungsbild ist im Großen und Ganzen doch recht edel und die Substanz inklusive der selektierten Röhren, des V-Type- 10″- Celestion-Speakers und des Platinenaufbaus qualitativ respektabel. Kleine Abzüge in der B-Note gibt es aber doch hinsichtlich der Verarbeitung. Zum einen hat sich an der oberen Rückwand an einer der Chassisschrauben das Tolex mitgedreht und wirft Falten. Es stehen außerdem die Knebel der beiden Toggle- Schalter deutlich über das Gehäuse über (der eine ist leicht verdreht angeschraubt).

Im Bereich der Kontrollleuchte und des Schalters hat sich die Frontplatte unter dem Druck der Verschraubung gesenkt. Beides, Knebel und Frontpanel- Dellen, sieht man genauso am Ori20CTopteil. Und beim Origin5C. Kurze Info zu ihm am Rande: Der Kleinste der Serie (2x ECC83, 1x EL84) muss auf die Output-Sektion (Master, Presence) und den D.I.-Out verzichten und hat nur zwei Leistungsstufen (High/Low). Den Speaker liefert auch hier Celestion. Es wird der Typ Celestion Eight-15 verbaut, 8″-Korb, 20 Watt, 16 Ohm.

Marshall Origin20C innen
(Bild: Dieter Stork/Tom Schäfer)

Klassisch

Es scheint, dass der Origin20C für cleane Sounds nicht gemacht ist. Er kann in der Hinsicht zwar ein absolut ansprechendes Klangbild erzeugen, ausgewogen, durchsichtig, im Bass schlank, aber die maximale Lautstärke bleibt gering, wie auch die klangliche Variabilität. Der Gain-Regler muss recht hoch eingestellt sein, damit der Schalldruck überhaupt reicht, um neben Bass, Schlagzeug und womöglich auch noch Keyboards u. a. bestehen zu können. Womit man automatisch im Overdrive-Bereich landet. Und da zeigt sich schon, wo die Stärken des Combos liegen. Er setzt die Röhrensättigungen fast vorbildlich in sehr organische Verzerrungen um, die sich sowohl erfreulich harmonisch zeigen, als auch feingliedrig in der Sensibilität, d. h. sie folgen dem Ausdruck des Spielers. Sehr schön wie der Origin20C die singende Dichte der Mitten variiert, wenn man mit dem Guitar-Volume die Zerrintensität steuert. Marshall hat dem Combo also feine Retro-Manieren beigebracht. Nicht von der richtig harten britischen Couleur, sondern weicher in Richtung Model 2061. Ganz und gar passend in diesem Kontext ist die Intensität des zuschaltbaren Boosts; das ist keine Kleinigkeit, sondern quasi genau die Schippe extra an Gain, die man fürs Solieren braucht; sorgt für Tragfähigkeit und Sustain. Am schönsten funktioniert diese klassische Sound-Ausrichtung im Modus „Output High“ und bei hohen Entstellungen von Gain und Master. Dann ist es gut laut, aber nicht zu laut. Gar nicht. Auf der Bühne wird mancher sogar den Monitor brauchen, denn der Ori20C krakeelt doch eher dezent, mit schwach belichteten Bässen.

Marshall Origin20C hinten
(Bild: Dieter Stork/Tom Schäfer)

Während Marshall im Web usw. ankündigt, die Powersteem-Leistungsumschaltung funktioniere ohne Verlust an Sound-Qualität, sieht die Realität nicht ganz so rosig aus. Bereits im Modus „Output Mid“ geht die Dichte der Verzerrungen etwas zurück, eine dezente Lautstärke ist längst noch nicht erreicht. Im „Low“-Modus magert das Sound-Bild deutlich ab und die Verzerrungen werden brüchiger/kratzender. Für Overdrive ist Vollaussteuerung notwendig, und ich kann mir kein Wohn-/Schlafzimmer vorstellen, in dem man in der dann herrschenden Lautstärke ungeschoren davon kommt. Powersteem ist also nur bedingt praxisdienlich.

Ganz im Gegensatz zu diesem Tilt-Regler. Coole Schaltung, der macht viel her. Je weiter man ihn aufdreht, desto mehr verschärfen sich die oberen Mitten und die Höhen treten in den Vordergrund. Bis man in einem Toncharakter ankommt, der sehr an Marshalls Plexi-50-Watt- Heads erinnert. Ein bisschen Glasigkeit des Vox AC30 steckt auch mit drin, sehr apart. Bei hoher Aussteuerung funktionieren auch die übrigen Klangregler effizient und lassen einige Flexibilität zu. Wirklich klangformend arbeiten sie allerdings nicht. Man kann vor allem im Bassbereich nicht viel nachlegen. „Untenrum schlank“ ist offenbar Wesenszug des Amps, denn auch über eine voluminöse Box gespielt, nimmt der Druck den tiefen Frequenzen nur wenig zu.

Marshall Origin20C vorne
Üppige Ausstattung, viel Ton und Funktion fürs Geld (Bild: Dieter Stork/Tom Schäfer)

Nicht einfach bei so einem Verstärkerkonzept (wegen der hohen Spannungen) einen funktional gesunden FX-Weg zu realisieren. Marshall ist das beim Ori50C (bzw. dem baugleichen Topteil) sehr gut gelungen. Doch merke: Ohne Fußschalter kein FX-Weg, er kann nur über die FS-Buchse überhaupt aktiviert werden. Klangqualität und Signalpegel bewegen sich selbst bei Vollaussteuerung im grünen Bereich, immer vorausgesetzt, man benutzt adäquate FX-Geräte, und z. B. nicht (zu) niederpegelige Pedale. Auch der D.I.-Ausgang kann in der Sound-Qualität überzeugen: leichte Überhöhung in den oberen Mitten, das Hörerlebnis dem Ton des Speakers ähnlich. Die schönen glanzvollen Höhen fehlen etwas, aber mit diesem D.I.-Signal kann man doch vernünftig arbeiten. Allerdings lässt sich der interne Speaker nicht stummstellen. Wer das will, muss sich einen passenden Lastwiderstand beschaffen.

Alternativen

Vollröhren-Amps/Combos ab ca. 15 Watt kommen in Betracht. Man möchte meinen, die Auswahl ist groß. Im Prinzip ja, lautet die Antwort, aber nicht in diesem niedrigen Preissegment, das inzwischen massiv von Modelern und Hybriden belagert wird. Klare Gegenkandidaten sind die Gigmaster-Modelle 15 (1?10″) und 30 (1?12″) von Engl. Unter Berücksichtigung von Ausstattung und Toncharakter wird die Luft dann schon dünn.

Resümee

Das Wesentliche an einem Amp/Combo ist? Klar, der Ton! In Bezug darauf hat der Origin20C viel zu bieten. Zwar schlank im Gesamtbild, aber charakterstark, für die Preisklasse mit viel Format, eifert er den Tugenden klassischer Röhrenverstärker nach, liefert homogenen Overdrive, harmonisch im Klang und reaktiv in der Ansprache. Der Boost betätigt sich dabei als idealer Solo-Nachbrenner. Die üppige Ausstattung erhöht den Gebrauchswert – sehr zweckdienlich ist der Tilt-Regler. Die Powersteem-Leistungsumschaltung überzeugt allerdings nicht vollends. Gewisse Schwächen in der Verarbeitung bzw. Substanz schlagen ebenfalls negativ zu Buche. Unterm Strich stehen Preis- und Leistung trotzdem in einem plausiblen Verhältnis.

Plus

  • Sound, charakterstark
  • Zerrverhalten harmonisch
  • Darstellung d. Instrumentendetails
  • gute Ausstattung
  • Verarbeitung, Qualität der Bauteile (eingeschränkt, siehe Minus)

Minus

  • Verarbeitung/Substanz: leichte Schwächen
  • Powersteem funktional nur bedingt hilfreich


Hinweise zu den Soundfiles:

Für die Aufnahmen kamen zwei Kondensatormikrofone mit Großflächen-membran zum Einsatz, Typ C414 von AKG.

Die Clips wurden pur, ohne Kompressor und EQ-Bearbeitung über das Audio-Interface Pro-24DSP von Focusrite in Logic Pro eingespielt und abgemischt. Das Plug-In „Platinum-Reverb“ steuert die Raumsimulationen bei.

Die Instrumente sind eine Fender-CS-Relic-Strat-1956 (m. JB-Humbucker v. Seymour Duncan am Steg) und eine Steinberger GL4T.

Ich wünsche viel Vergnügen, und…,  wenn möglich, bitte laut anhören, über Boxen, nicht Kopfhörer! ;-).

Fragen, Anregungen  und  ja, auch Kritik sind wie stets willkommen. Nachrichten bitte an frag.ebo@gitarrebass.de. Es klappt nicht immer, aber ich werde mich bemühen möglichst kurzfristig zu antworten.

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(Aus Gitarre & Bass 06/2018)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Ich hatte unlängst die Gelegenheit,den Marshall Origin 50Watt Combo zu testen,und war letztendlich doch sehr enttäuscht über die miserable Verarbeitung.Auffällige Dellen und Werkzeugspuren der Montage direkt auf dem neuen Chassis,rote Plastik-Überwurfmuttern,die ja mittlerweile bei den Billig Marshall Amps leider zum Standart gehören,und leicht knarzende Poti’s,die man ebenfalls seit Beginn der Marshall Aera (Marshall Guv´nor!) zur Genüge kennt.Klangspektrum ist mager,Verarbeitung eher dürftig,und ansonsten bestimmt nicht der „Überflieger“,den man von einem Marshall aus Vietnam erwartet hätte.“Billig“ trifft hier wohl eher zu.Schade.

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