Meine kleine Serie über seltene Gitarrenverstärker entwickelt sich allmählich zu einem Wettbewerb, der mich jeden Monat herausfordert, einen noch selteneren „Vogel“ als im Vormonat aufzutreiben. Und dieses Mal ist mir das vermutlich gelungen, denn der 1963er Fender Vibroverb ist zumindest in diesem Zustand wirklich eine unglaubliche Seltenheit.
In den 25 Jahren, in denen ich meine kleine Werkstatt betreibe, habe ich erst einen bei einem Sammler entdeckt. Das Gerät war in einem ähnlich guten Zustand und bedurfte auch klanglich keinerlei Auffrischung, sodass es bei einem kleinen Soundcheck blieb, der mich schon damals beeindruckte. Nur der Vorgänger, noch in braunem Tolex und mit 2×10-Bestückung, ist wahrscheinlich noch seltener. Man kann diesen Amp in zahlreichen YouTube-Videos von Gregor Hilden bewundern, der das Glück hatte, ein wunderschönes Exemplar zu ergattern.
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Der braune Vibroverb mit der 6G16-Schaltung war der erste Fender-Amp mit dem berühmten Federhall an Board. Dieses Feature ist für die meisten Liebhaber dieser Kombos extrem wichtig, was sich auch in den Gebrauchtpreisen deutlich niederschlägt. Somit ist der Brown Vibroverb sicher auch einer der teuersten Vintage-Verstärker auf dem Markt. Im Herbst 1963 entschied man sich bei Fender bekanntlich für eine komplette Überarbeitung sämtlicher Verstärker-Modelle. Das braune Front-Panel und die cremefarbenen oder braunen Poti-Knöpfe wurden fortan durch eine schwarze Front ersetzt, was diesen Amps, die bis 1967 gebaut wurden, den Spitznamen „Blackface“ bescherte. Die Verstärker sollten noch klarer und prägnanter tönen.
Daher veränderte man die Treiberstufe, in der jetzt ein 22k- oder 27k-Tailresistor sowie eine 12AT7 für weniger Verstärkung sorgten. Diese Amps hatten weniger Mitten und Gain als ihre Vorgänger, was einen offeneren und stabileren Clean-Ton zur Folge hatte. Damals wie heute sind die Blackface-Combos erste Wahl für unzählige Profis und Amateure, die auf diesen klaren Sound schwören. B.B.King, Mike Bloomfield, Eric Clapton, The Grateful Dead oder die Allman Brothers sind nur einige Namen, die man mit diesen Sounds verbindet.
Ende der Siebziger testete ein junger Gitarrist aus Texas einige Blackface-Modelle, um seinen berühmten Signature-Sound zu formen. So entdeckte kein anderer als Stevie Ray Vaughan seine Vorliebe für Vibroverbs, von denen er zwei Stück erstand und fortan live und im Studio einsetzte. Seither wird dieser Amp stets mit dem SRV-Ton in Verbindung gebracht, obwohl er freilich auch zahlreiche andere Amps während seiner Laufbahn einsetzte (z.B. Deluxe Reverb, Super Reverb, Twin Reverb, Marshall oder Dumble).
Der Vibroverb unterscheidet sich im Vergleich zu seinen engen Verwandten Pro Reverb oder Vibrolux Reverb eigentlich nur durch die Lautsprecher-Bestückung. Statt 2×12 oder 2×10 hatte dieser einen einzelnen 15-Zoll-Lautsprecher. In der Regel wurde er mit einem Jensen C15N oder einem CTS-Speaker ausgeliefert. Gegen Aufpreis wurde er mit einem edlen JBL D130-Alncio-Lautsprecher bestückt.
Durch seinen höheren Wirkungsgrad und die immense Klarheit dieses Lautsprechers ist diese Ausführung unter Klang-Gourmets und Sammlern natürlich besonders begehrt.
Einzig der Netztrafo war beim Vibroverb etwas größer und leistungsstärker als beim Pro Reverb oder beim Vibrolux Reverb. Statt der üblichen 420 Volt lieferte der Vibroverb-Trafo meist 450 bis 460 Volt und zog damit mit dem noch etwas größeren Bruder Super Reverb gleich. Dagegen entschieden sich die Entwickler beim Vibroverb für den angesichts der hohen Spannungen recht kleinen Schumacher 125 A7A-Ausgangsübertrager mit 8 Ohm, der mit circa 30 Watt Belastbarkeit im Vibroverb stets am Limit arbeiten musste.
Stevie Ray Vaughans Amps bekamen von seinem Amp-Techniker Cesar Diaz daher größere Übertrager aus einem Twin Reverb, wodurch der Headroom deutlich erweitert werden konnte. Zusätzlich hatten seine Amps Dioden-Gleichrichtung, was die B+-Spannung nochmals um ein paar Volt nach oben trieb. Loud and clean! Sogar der JBL D130 war seinen Ansprüchen bald nicht mehr gewachsen und wurde durch einen 200-Watt-Electrovoice-Speaker ersetzt.
Unser Test-Proband kommt mit einem noch selteneren Export-Trafo mit schaltbaren Spannungen von 110 bis 240 Volt. Ein großes Plus vor allem für europäische Liebhaber dieses Amps.
Auf dem Komponenten-Board finden wir hier noch sämtliche Original-Bauteile: Kohle-Press-Widerstände von Allen Bradley, Blue-Molded Koppel-Kondensatoren, Stackpole-Potentiometer, Carling-Schalter und Astron-Elkos. In der Summe bieten diese Bauteile den typisch warmen, aber extrem offenen Blackface-Ton. In der Endstufe finden wir zwei Vintage General Electric 6L6, die noch tadellos arbeiten und in der Vorstufe fast ausschließlich noch die ursprüngliche RCA BlackplateAusstattung. Mehr geht nicht.
Abgesehen von der Seltenheit dieser Amps, findet man kaum noch ein Exemplar, das nicht schon überarbeitet oder restauriert wurde. Während der gut einjährigen Produktionsphase zwischen Herbst 1963 und Herbst 1964 wurden nur etwa 1500 Stück gebaut. Umso erstaunlicher, dass man auf YouTube oder bei amerikanischen Vintage-Händlern zahlreiche Angebote findet. Es gibt eben Produkte, die weniger bei Musikern begehrt scheinen, sondern lediglich bei Sammlern Interesse wecken.
Der Vibroverb klingt im Grunde wie ein Blackface Pro Reverb oder ein Vibrolux Reverb mit anderer Speaker-Bestückung. Selbst ein späterer Silverface Bandmaster oder Pro Reverb kann da klanglich recht gut mithalten. Spieler, die sich diesem Sound verpflichtet fühlen, rüsten daher ihre immer noch recht preisgünstigen Bandmaster-Reverb-Tops einschließlich 8- Ohm-Trafo zu einem passablen Vibroverb um, ohne die enormen Sammlerpreise hinblättern zu müssen.
Im Test lieferte der abgebildete Amp sicher aufgrund seiner Unberührtheit dennoch sagenhafte Klänge mit einer 1963er-Stratocaster. Die Bässe sind mächtig, konturiert, aber recht smooth, was den Sound der Gitarre schon deutlich in SRV-Regionen rückt. Die Mitten kommen mit dem 15er etwas tiefer und wuchtiger als beispielsweise bei einem Vibrolux Reverb, und der Hochton zeichnet diesen typisch zirrenden Bell-Tone in den Raum. Das ist schon einmalig!
Das Gain-Spektrum ist dank der recht schwach verstärkenden RCA-Vorstufenröhren so reduziert, dass der Amp mit der Stratocaster bis Lautstärke 9 (!) noch beinahe absolut clean bleibt. Erst bei voll aufgedrehtem Volume kommen etwas Crunch und das verführerische Aufspalten der Diskant-Saiten hinzu. Es entsteht ein schmatziger Ton, der an SRV, Chris Duarte oder Kenny Wayne Shepherd erinnert.
Mit einer Gibson ES335 bietet der Amp B.B.King- oder Freddie-King-Sounds vom Feinsten. Mit den deutlich stärkeren Humbuckern entfaltet er einen singenden Blues-Ton bereits ab Lautstärke 6 oder 7. Dies ist aber weit weg vom typisch britischen Overdrive-Register, sondern sehr viel offener, fast flötig und mit sehr wenig Mitten ausgestattet. Das verleiht dem Ton eine gewisse Schärfe, die man mit einer Humbucker-Gitarre auch benötigt.
In letzter Zeit habe ich das bei einem Live-Musiker kaum besser gehört als bei JD Simo, der zwar einen Super Reverb spielt, aber genau diesen Ton mit seiner 62er-GibsonES-335 produziert. In dieser Kombination klingt eine Gibson manchmal so offen und frei, wie sonst nur eine Singlecoil-Gitarre. Bei Klängen dieser Güte benötigt man, wie JD Simo es vormacht, eigentlich nur noch eine Gitarre, ein bisschen Hall und hier und da einen Hauch Tremolo, was dieser Amp natürlich auch an Board hat. Schon so öffnen sich traumhafte Klangtexturen allein durch die Tonformung des Musikers selbst. Es ist schwer vorstellbar, dass selbst weniger geübte Saitenkünstler über so ein Setup schlecht klingen könnten.
Und ich muss zugeben, dass mich die 15er-Bestückung seit dem Test nicht mehr losgelassen hat. Nie tönte ein Blackface-Amp offener und glockiger, aber auch nie weiter entfernt von etwa einem Marshall mit 4×12-Box. In diesem Sinne… Bis zum nächsten Mal.