Ja, die Geschichte der Rock-Musik hat viele Guitar-Ikonen hervorgebracht. Doch in jeder Dekade haben einige Charaktere die Entwicklung besonders eindrucksvoll beeinflusst. George Lynch, der mit Dokken in den 1980er-Jahren die Virtuosität im Hardrock massiv nach vorne gebracht hat, zählt definitiv dazu. Der Mann ist nach wie vor musikalisch fleißig und erfolgreich unterwegs. Wir stellen sein neues Tonetool vor. Ein Kanal, handwired, der Ansatz ist voll retro.
Ich empfehle sehr, der Homepage des Mr. Lynch einen Besuch abzustatten. Man findet reichlich interessante Informationen zu seinem Schaffen und wundert sich, was er alles im Gange hat. Unermüdlich der Mann, der mittlerweile 62 Jahre alt ist. Wirkt aber topfit, ist viel auf Tour, verfolgt ein Projekt nach dem anderen. Und pflegt natürlich kontinuierlich seine Band Lynch Mob. Zwischendurch hatte er eine sehr spezielle Band ins Leben gerufen, namens KXM, das war 2013 mit dem Frontmann von King X „Doug/dUg Pinnick“ und dem Korn-Trommler Ray Luzier. Ein vitaler Part im Berufsleben vieler professioneller US-Musiker (nicht nur) ist die Zusammenarbeit mit der Musikalien-Industrie.
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Endorsements und Werbeverträge, damit haben die Kollegen da drüben keine Berührungsängste. Ist ja in gewisser Weise auch von ganz essentieller Bedeutung: Die Profis helfen ja häufig mit ihrem Wissen bei der Entwicklung von neuen Produkten. Oder eben sogar besonderen Signature-Modellen. George Lynch war in der Hinsicht auch immer ziemlich aktiv. Was Gitarren angeht, ist er schon lange mit ESP verbandelt. Ähnlich ist es mit Randall. Wenn man bedenkt, dass sein letzter „Personal“-Amp, der LB103, ein recht aufwendiger Dreikanal-Verstärker war, irritiert es ein wenig, dass George nun einen puristischen Einkanaler unterstützt. Fühlt er sich mit so einem gradlinigen Amp letztlich doch wohler? Dazu gibt es keine offiziellen Angaben. Klar ist aber, dass sich sputen muss, wer einen dieser Amps sein eigen nennen möchte. Der Headhunter ist nämlich ein Signature-Modell, limitiert auf 45 Einheiten, passend zum 45-jährigen Firmenjubiläum von Randall.
Konstruktion
Wie Sie sehen, sehen Sie wenig. An der Front einen Input, an Potis Gain, Dreibandklangregelung und Presence, hinten nur fünf Lautsprecherausgänge (2× 4, 2× 8, 1× 16 Ohm) und einen regelbaren Line Out, der dort, also hinter dem Ausgangstrafo, sein Signal abgreift. In der Class-AB-Gegentaktendstufe erzeugen zwei Big-Bottle-6CA7 (US-Bezeichnung der EL34-Typen) von Electro-Harmonix maximal eine nominelle Leistung von 50 Watt. Der Preamp und die Phasentreiberstufe sind mit drei 12AX7 von Tung-Sol bestückt. Eine Hälfte/Triode der V1 bleibt allerdings unbenutzt (he, wird hier Gain verschenkt?!;-). Wie ich oben bereits verraten habe, ist die Elektronik im Inneren des schlicht schwarz lackierten Stahlblechchassis handverdrahtet, was impliziert, dass die Bauteile ohne Leiterbahnplatinen Kontakt finden. Sie sind absolut sorgfältig auf Glasfiber-Turretboards verlötet.
Wie der Aufbau auch insgesamt einen gediegenen Eindruck macht. Wer genauer hinsieht, kann zur Kühlung am Chassis verschraubt drei Halbleiter-Bauelemente entdecken, Spannungsstabilisatoren. Das an sich lässt nicht aufhorchen. Sie stehen allerdings in Verbindung mit einem Feature, das die Konzeption des Headhunter bei aller Schlichtheit doch zu etwas Besonderem macht. Variac heißt das Zauberwort. Das meint einen Regler für AC- oder DC-Spannungen. Was wahrscheinlich dem Gros der Gitarristen bekannt sein dürfte: Der Begriff bekam vor Jahren mystische Bedeutung, weil Eddie van Halen sagte, dass sein „Brownsound“ unter anderem dadurch entstanden sei, dass er die Netzspannung für seinen Marshall über einen Variac variiert habe.
Und nun ist dies im Headhunter eingebaut? In der Tat, der so bezeichnete Schalter an der Front erlaubt sechs Betriebsebenen, die reduzierte Ausgangsleistungen erzeugen: (50, 22, 12, 5, 1, 0,3 Watt). Klar hat mich das neugierig gemacht. Messgeräte raus, angucken. Alles klar, die Anodenspannungen der Endröhren werden immer weiter in etwa halbiert, während parallel dazu die statisch eingestellte Biasgitterspannung aus dem Minusbereich (ca. -42 Volt bei Pos. 45 Watt) gegen „0“ ansteigt. Aber auch alle anderen DC-Spannungen sind betroffen. Korrekt, genau das beschreibt die Funktion eines Variacs im praktischen Einsatz an Röhren-Amps. Aber wie setzt Randall das um?
Des Rätsels Lösung ist überaus simpel. Es werden seriell Widerstände mit den passenden Werten in die Leitungswege eingefügt. Der Vollständigkeit halber soll aber zuvor noch die mechanische Konstruktion beschrieben werden. Das solide, aber nicht besonders aufwendig gefertigte Chassis ruht in der gewohnten Weise, stehend mit Verschraubungen von unten fixiert, in einem konventionellen Holzgehäuse. Snakeskin-Tolex sorgt für eine zum Genre passende Optik. Eine schwarze Blechblende, die sich von der Front über die Oberseite nach hinten fortsetzt „verschärft“ das Styling. Die kryptischen Striche an der Oberseite? Das ist Georges Unterschrift (wie sie auch unter der PilotLamp zu sehen ist). Ein Metallgitter mit Lüftungsschlitzen verschließt die Rückseite.
Alles sauber gemacht, keine Einwände. Das trifft auch auf das Amp-Chassis zu. Gewundert habe ich mich nur darüber, dass zum Halt für die 6CA7 die wertigen Sockelklammern von Belton montiert sind, selbige aber nicht so nachgebogen waren, dass sie wirklich zupackten. Nicht wirklich schlimm. Erfreuen wir uns lieber (verwundert?) daran, dass die matt silbrig schimmernden Chickenhead-Potiknöpfe aus massivem Aluminium(!) hergestellt sind.
Praxis
Hard-Rock-Musik, George Lynch an der Gitarre und ein einkanaliger Amp, da ahnen wir schon, was auf uns zukommt. Richtig: Mit Cleansounds hat der Headhunter ganz, ganz wenig bis gar nichts im Sinn. Hier geht es um Overdrive bis Distortion, voll klassisch, traditionell in der Attitüde. Z. B. weil es kein Master-Volume gibt. Ton und Lautstärke bedingen sich daher gegenseitig. Und die Sound-Formung beweist einen eigenwilligen Charakter. Die oberen Mitten und die Höhen sind sehr überhöht vertreten. Breitbandiges Volumen bildet sich im Klangbild erst durch höhere Aussteuerungen des Gain-Potis aus, ab ca. der Position 14 Uhr, je nach Pickups. Die Klangregelung arbeitet defensiv, sprich hier sind nur geringe Feinabstimmungen möglich.
Das Anchecken wird so zu einer binären Erfahrung: Einpluggen, spielen … passt oder passt nicht? Passt!!! Werden jedenfalls Gitarristen sagen, die dem Purismus etwas abgewinnen können und herzhafte Töne mögen. Der Headhunter zeigt mustergültig, wie sich Röhrensättigung im klassischen Sinne entfalten sollte. Beim Erhöhen des Gain erlebt man zunächst nur, dass der Ton in den oberen Frequenzen zu komprimieren beginnt, dann verdichtet sich das Klangbild insgesamt, leichte Verzerrungen werden hörbar und wachsen nun bis zu moderater Distortion an. Aber ein High-Gain-Amp ist der Headhunter nicht.
Satte Zerre kommt bei Akkorden, (hohe) Einzelnoten bleiben ziemlich zahm. Genau deswegen liefert Randall den Amp mit einem Booster-Pedal aus, dem MOR, das das Input-Signal linear, ohne dessen Klang zu kolorieren, verstärkt. Auf einen kurzen Nenner gebracht, besticht die Tonformung durch ihren super transparenten, ehrlichen Charakter, der im Höreindruck zwar Aggressivität vermittelt, aber im Grunde frei von unangenehmen, fies offensiven Frequenzanteilen ist. Eine Rolle spielt hierbei die Tatsache, dass sich die Verzerrung in allen Betriebssituationen betont harmonisch entwickeln. Im Gesamtkontext entsteht dadurch ein eigener spezieller Charme, der im Herzen den Marshall Plexi 1987 trägt, das Sound-Ideal aber filigraner, weiter austrainiert darreicht.
So reagiert der Headhunter auch wie aus dem Bilderbuch auf den Einsatz von Guitar-Volume und Details der Spielweise. Heißt vor allem, dass die Verzerrungsintensität dem sensibel, in homogen fließenden Übergängen folgt. Man bedenke allerdings: Wie fast immer bei solchen dynamischen Verstärkern, braucht auch der Headhunter einen entschlossen Gitarristen, einen, der technisch sauber hinlangt. Womit ich auf keinen Fall Berührungsängste schüren möchte. Die Erfahrung lehrt, dass man sich nur eine Weile auf solche Amps einlassen muss, also eine gewisse Anpassungsphase hinnehmen sollte, und dann oft feststellt, dass die Direktheit des Sounds ihren „Schrecken“ verliert und doch ein Wohlbefinden erzeugt. Spannend war natürlich die Frage welchen Nutzen der Variac birgt.
Ganz ehrlich? Am besten klingt der Amp bei voller Leistung, und dann am liebsten weit, sehr weit aufgedreht. Richtig, ist bitter laut, geht in kleinen Clubs gar nicht. Doch Rettung naht, die 22-Watt-Stufe ist deutlich dezenter, passt gut ins Band-Geschehen und man verliert wenig, sehr wenig Ton. Davon die Hälfte funktioniert auch noch gut, man merkt dann allerdings schon, dass die Sound-Formung ihre so schöne musikalische Dichte ein Stück weit verliert. In den übrigen drei Positionen gehen die Sättigungen noch erheblich weiter zurück, sodass der eigentliche Wesenszug des Headhunters nicht mehr zum Tragen kommt. Nun ja, beim Leisespielen muss man dann eben ein Distortion-Pedal an den Start bringen.
Btw, es ist aufgrund der Ausrichtung des Headhunter sehr empfehlenswert, statt eines linearen Boosters wie dem MOR eine Overdrive-Box o. ä. vor dem Input zu platzieren. Den Tube-Screamer z. B.? Na ja, der nimmt in den tiefen Frequenzen Energie raus und das harmoniert nicht unbedingt mit dem Headhunter.
Alternativen
Bei charakterstarken Verstärkern ist es stets schwierig, alternative Produkte zu nennen. Doch es kommen zwei durchaus in Frage: Da ist zum einen der AFD100, den Marshall für Slash gebaut hat, weil er ebenfalls so ein sehr brillantes Timbre entwickelt – Nachteil: Nur noch gebraucht zu bekommen. Zum anderen hat Engl mit dem Artist-Edition (50 oder 100 Watt) einen Amp im Programm, der, wenn auch eindeutig milder, doch grundsätzlich in dieselbe Kerbe schlägt.
Resümee
In der Riege der Marshall-orientierten Puristen-Amps nimmt der Headhunter zweifellos einen der ersten Plätze ein. Beeindruckend, wie kultiviert sein Ton und die Dynamik sind. Maximale Ausdrucksstärke garantiert. Rundum empfehlenswert. Zumal sich der Variac-Schalter in der Praxis bewährt und ideal ins Konzept einfügt. Das ist die schöne Seite der Medaille. Die andere schockt. Aus € 4445 in der unverbindlichen Preisempfehlung wird im Laden zwar deutlich weniger, ca. € 3400, das ist angesichts der nicht gerade oberedlen Substanz aber noch immer viel. Nun ja, die Kleinserie mit Fertigung in England und Endmontage in USA fordern eben ihren Tribut. Und dann muss man ja auch noch etwas für den Exoten-/VIP-Bonus oben draufrechnen: Ergibt ‘ne Punktlandung im Boutique-Bezirk. Wenn man es so sieht, wirkt der Preis doch wieder gut verdaubar.
Plus
Sound, Charakter
Dynamik, Ansprache, Klangvolumen
sehr harmonische Verzerrungen
Variac-Schalter
geringe Nebengeräusche
Verarbeitung/Qualität der Bauteile
Hinweise zu den Soundfiles.
Für die Aufnahmen kamen zwei Mikrofone mit Großflächenmembran zum Einsatz, ein AM11 mit von Groove-Tubes/Alesis und ein C414 von AKG, platziert vor einem Celestion-Vintage 30 im klassischen 4×12-Cab.
Die Clips wurden pur, ohne Kompressor o. jegliche EQ-Bearbeitung über das Audio-Interface Pro-24DSP von Focusrite in Logic Pro eingespielt. Die Raumsimulationen steuert das Plug-In „Platinum-Reverb“ bei.
Den Ton liefert eine Fender-CS-Relic-Strat-1956 am Steg auf-/umgerüstet mit einem JB-Humbucker im SC-Format.
Bedeutung der Buchstabenkürzel:
CR: Crunchsound, etwas mehr Gain als bei Overdrive Dist: intensive Verzerrungen, hohe Gain-Ebene. OD: Overdrive, geringe Anzerrungen. GitVol: Im Clip wird das Guitar-Volume-Poti benutzt, um die Verzerrungsintensitäten zu ändern.
Clip #1 und #2: Wir beginnen mit zahmen Tönen. Der Amp ist kein purer Hard-Rocker. Weil er schön harmonisch in die Sättigung geht, kann er auch im Blues überzeugen.
In den Clips #3 bis #6 erleben wir den Headhunter bei ca. 80% Vollaussteuerung. Das ist „damn loud“!!! Na, ich danke für den Variac. Die Clips habe in der ersten Variac-Stufe/22 Watt eingespielt. Das kann man sehr gut aushalten und es gibt quasi keine Sound-Einbußen (sonst hätte ich keinesfalls in dem Modus aufgenommen). Wie man hört, mag der Headhunter Obertöne und Flageoletts :-))).
Clip #7 demonstriert exemplarisch wie sich die Sound-Strukturen bei ansteigenden Gain verändern. Das Prinzip hier: das Vol.-Poti steht zu Beginn bei ca. 60%, wird dann ganz aufgedreht, als drittes kommt das MOR-Pedal hinzu, ein Clean-Booster, der bereits zum Lieferumfang gehört. Ohne so ein „Hilfsmittel“ bekommt man aus dem Headhunter keinen satten Leadsound. Und selbst dann verlangt der Amp vom Spieler eine entschlossene, „kämpferische“ Attitüde. Ich wage die Vermutung, dass George Lynch seinen Leadsound noch anders anschiebt als nur mit einem Clean-Booster. Bei so einem ehrlichen Amp wie dem Headhunter läuft man ja auch nicht Gefahr Ton zu verlieren.
Clip #08 präsentiert mein Referenz-Riff“ (RefRiff), das ich mit jedem Test-Amp/-Distortion-Pedal einspiele, damit man den Charakter (die Verzerrungen selbst sind hier gemeint) der von uns getesteten Produkte quasi auf einer neutralen Ebene vergleichen kann.
Ich wünsche viel Vergnügen, und…, wenn möglich, bitte laut anhören, über Boxen, nicht Kopfhörer! ;-).
Fragen, Anregungen und ja, auch Kritik sind wie stets willkommen. Nachrichten bitte an frag.ebo@gitarrebass.de. Es klappt nicht immer, aber ich werde mich bemühen möglichst kurzfristig zu antworten.