Die vielleicht ungewöhnlichste und einzigartigste Gitarre des derzeitigen Marktes?
Powers to the people: Powers Electric A-Type im Test
von Heinz Rebellius, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Powers Electric)
STIMMIGE VIBRATIONS
Auch wenn das Powers Vibratosystem auf den ersten Blick wie ein optisch leicht verändertes Bigsby aussieht, offenbart ein näheres Hinschauen ganz neue Dimensionen in diesem Metier. Das aus Alu gegossene System heißt nicht ohne Grund CamTail, abgeleitet von camshaft, was nichts anderes als Nockenwelle bedeutet. Powers sagt: „Ich habe eine Art Nockenwellen-Saitenhalter mit individuellen Rampen für die Saiten entwickelt, die die unterschiedlichen Spannungen und Stärken der Saiten kompensieren, so dass sich die Saiten in der Tonhöhe relativ gleichmäßig zueinander bewegen.“
Das bedeutet, dass die Saiten mit verschiedenen Übersetzungen bewegt werden und so auch Mehrklänge bis hin zu ganzen Akkorden in tune tremoliert werden können. Powers sagt, dass ein zu 100% verstimmungsfreies Tremolieren nicht erreicht werden kann, aber die Vibratobewegungen deutlich mehr in tune sind als bei herkömmlichen Vibratosystemen. Dass solch eine Funktion auf einem Bigsby-ähnlichen System angewendet wird, darf durchaus als eine kleine Sensation gewertet werden, die das Tremolieren deutlich sinnvoller macht und das spielerische Spektrum um einen spannenden Aspekt erweitert.
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Über eine dezente Madenschraube an der Seite des Gehäuses kann zudem die „Nockenwelle“ an ihrem Nullpunkt fixiert werden. So ist nur noch ein Tremolieren nach unten möglich, sodass z. B. Double-Stops mit Bending möglich sind, ohne dass die Stimmung außer Rand und Band gerät.
Das CamTail-System, das ja einem hohen Saitenzug ausgesetzt ist, kann sich ohne Gefahr auf der Decke auf dem hohlen Korpus halten, weil seine Befestigungsschrauben direkt in die Beleistung der Decke greifen und dort sicheren Halt finden. Gleichzeitig dient dieses clevere Detail auch der Einheit des Systems und damit dem Ton, seiner Festigkeit und Direktheit.
Fehlt nur noch die Brücke. Die besteht aus einer Metall-Baseplate und einer an den Steg einer Akustikgitarre erinnernde Auflage aus Ebenholz, deren Saitenauflage kompensiert ist. Die Einstellungsmöglichkeiten dieser Brücke sind ausschließlich globaler Natur – die Höhe der Brücke und die horizontale Position der Ebenholz-Auflage werden an jeweils zwei Schrauben links und rechts eingestellt.
Das mag dem ein oder anderen etwas wenig erscheinen, wenn es um die Oktavreinheit geht, aber Powers war es aus klanglichen Gründen wichtig, dass der Bereich, auf dem die Saiten aufliegen, aus einem Stück besteht. Bei der Testgitarre war die Einstellung der Oktavreinheit perfekt, aber es dürfte klar sein, dass ungewöhnliche Saitenkonfigurationen wie z. B. ein Satz mit einer umwickelten G-Saite etwas problematischer einzustellen sind. Für den Wechsel auf eine andere als die .010er-Werksbesaitung würde, wenn überhaupt, ein leichtes Verschieben der Ebenholz-Auflage allemal reichen, sagt Powers.
ALLES KNOPFSACHE
Die Poti-, Schalter und Trem-Arm-Knöpfe sind absolute Eyecatcher, sind sie doch aus bunten Harzresten hergestellt, die beim Beschichten von Surfbrettern anfallen. Die Knöpfe jeder Gitarre haben dabei unterschiedliche, mitunter sehr farbenfrohe Muster und sie sind auf ihre Art einzigartig.
Apropos bunt: Die A-Type gibt es zurzeit in nicht weniger als 108 (!) Farben, darunter 24 verschiedene Schwarz, 19 verschiedene Blau, 12 verschiedene Grün, 10 verschiedene Orange, 3 verschiedene Pink etc. Neben all diesen Farben haben wir zudem die Qual der Wahl bzgl. der Ausführung: man nehme entweder ein klarlackiertes geflammtes Ahorn, eine deckende oder aber eine Metallic-Lackierung. Die Farbe unserer Testgitarre konnte ich in diesem Farben-Eldorado gar nicht so genau lokalisieren: Entweder nennt sich ihr schmuckes Kleid Sweet Tea Orange oder aber Wild Honey Burst. Wie auch immer – poetische Namen haben diese Finishes aber alle …
BUTTER BY THE FISH
Doch lange Rede, kurzer Sinn: Wie ist sie denn nun? Stellen wir uns doch einfach mal dumm und löschen all das, was wir bis jetzt über die A-Type wissen und spielen sie einfach einmal jungfräulich unwissend. Leicht, handlich, griffig, wie selbstverständlich, wie angewachsen – so fühlt sie sich auf Anhieb an. So, als ob sie schon immer da gewesen wäre. Erstaunen an allen Orten. Features wie das unsymmetrisch gerundete Griffbrett spürt man natürlich nicht bewusst, sondern wundert sich nur über die bequeme Greifhaltung bei gleichzeitig ungebremster, leichter Spielbarkeit auf allen Saiten und in allen Lagen. Dabei hat man im Bereich des Daumensattel-Gelenks ein durchaus sattes Greifgefühl in der Art wie bei Vintage-Radien, während die Finger sehr leicht über das gesamte Griffbrett wandern können.
Zum Thema Sympathetic Harmonics (wir erinnern uns: dieses Thema war für die Konstruktion der Kopfplatte wichtig): Beim Spielen legte ich intuitiv den Handballen auf die Saiten zwischen Brücke und CamTail-System, was einen leicht gedämpften, in den Obertönen ausgedünnten Klang zur Folge hatte. Es ist also durchaus richtig und wichtig, sich dem Thema der passiven Saitenanteile zu widmen und – wie Powers – seine praktischen Schlüsse daraus zu ziehen. Bei dem A-Type-Schwestermodell mit Stop-Tailpiece sind z. B. in das Tailpiece Kunststoff-Einsätze verbaut, die die passiv mitschwingenden Saiten leicht abdämpfen.
Richtig Spaß kann dieses CamTail-System machen! Denn hat man erst einmal verinnerlicht, dass man auch Mehrstimmiges in tune verschieben kann, setzt man dieses Stilmittel auch gerne ein. Auch wenn ganze Akkorde nicht perfekt gestimmt erklingen, ist das Vibrato-Erlebnis deutlich harmonischer und musikalischer, als wir dies von herkömmlichen Systemen kennen.
Dass bei der Konzeption dieser Gitarre eine Menge Acoustic Guitar Engineering angewendet wurde, macht sich in einem interessanten Ton Luft. Gerade bei cleanen Sounds erlebt man ein sehr schnelles Attack, gefolgt von einem strahlenden, sehr obertonreichen Klang mit langem, reichem Sustain. Fügt man diesem ausdrucksvollen Klang seine eigenen Ausdrucksmittel hinzu, entsteht ein perfect match. Ich bin beeindruckt. Irgendwie scheint die A-Type meine Ideen und meinen Sound besser zu erkennen und umzusetzen als meine eigenen Gitarren. Was für ihre Dynamik und für die Sensibilität ihres gesamten Systems spricht.
Auffällig ist, dass ich mich schwertue, allgemein gültige Vergleiche heranzuziehen, um die Performance der A-Type zu beschreiben. Ja, da ist vielleicht ein bisschen ES im Spiel, aber mit etwas mehr Hollowbody-Ton. Ein leichter Gretsch-Charakter, was die Offenheit angeht, aber insgesamt dunkler. Dann aber auch auffällig schmatzende, cleane Singlecoil-Sounds am Hals, die in dieser Form nirgendwo anders geboten werden. Und diese prägnanten, selbstbewussten Steg-Sounds, die nichts mit dem bekannt-mittigen, drückend-näselnden Klangbild vieler anderer Gitarren gemein haben. Knusprige Höhen werden von beiden Pickups und gerne auch in der Kombination beider geboten, gerade bei cleanen Sounds.
Ich darf meine Eindrücke vielleicht so zusammenfassen: Die Eigenschaften, die mir beim Spielen der Powers Electric A-Type am intensivsten hängen geblieben sind, sind die Flüssigkeit des Spiels der linken Hand, der ausdrucksstarke und sehr vokal klingende Anschlagssound, die übergroße Transparenz, der crispe Obertonreichtum und das kreative Spiel mit dem CamTail-Vibratosystem. Ich kenne keine andere Gitarre, die diese Features in solch herausragender Form in Kombination bietet.
(Bild: Dieter Stork)
RESÜMEE
Wenn es einen Inbegriff von Dynamik, Leichtigkeit und Beschwingtheit beim Thema E-Gitarren gibt, dann vertritt die Powers Electric A-Type ihn auf überzeugende Weise. „Ich war auf der Suche nach einem Sound und einem Spielgefühl, das ich bis dato nicht hatte“, wird Powers zitiert. Dazu musste Powers in der Entwicklungsphase einige Elemente, die bei anderen Gitarren schon jahrzehntelang funktionieren, infrage stellen und eine neue Richtung einschlagen. Und Andy Powers ist dabei auch vor intensiver Detailarbeit wie z. B. der Entwicklung des CamTail-Vibratosystems nicht zurückgeschreckt. Oder man bedenke die beiden Pickup-Typen, mit denen ebenfalls neue Wege auf der Basis alter Errungenschaften beschritten werden.
(Bild: Dieter Stork)
Powers-Electric-Gitarren werden bei denen, die sie antesten, überraschte Gesichter provozieren, da bin ich mir sicher. Die, die einen Nerv für feinfühlige Gitarren haben und sich selbst eine gewisse Offenheit für bedingungslose Sound-Qualitäten zugestehen, werden ihre Sozialisation im E-Gitarrenland vermutlich infrage stellen und ins Grübeln kommen. Ist diese Gitarre tatsächlich die vielleicht ungewöhnlichste und einzigartigste des derzeitigen Marktes? Ich möchte behaupten: Ja!