Andere Materialien – eigene Sounds
Modern Telly from Brazil: Carrozza Custom Guitars Viper-T HH im Test
von Franz Holtmann, Artikel aus dem Archiv
(Bild: Dieter Stork)
GIMME GUMMI
Der Zuschnitt des Bodys mit starken Abflachungen vorn wie hinten im Anlagebereich verringert dort die Brettstärke von 4,5 cm auf bis zu 1,4 cm hinten oben. Diese ausgeprägten Konturen optimieren einerseits den Spielkomfort, sorgen aber darüber hinaus durch die veränderte Ausrichtung der Gitarre auch für eine verbesserte Griffbrettaufsicht. Der zu einem gefällig verrundeten Soft-C profilierte Hals fällt bei einer Sattelbreite von 43,6 mm mit höchst angenehmem Griff in die Hand. Die tadellos verarbeiteten Edelstahlbünde sind bis an den Griffbrettrand vorgezogen und recht winkelig abgefast. Vorteil ist die maximale Auflagefläche der hohen E-Saite ohne Abrutschgefahr – Nachteil, zumindest für manche Handhaltung, ist das unter Umständen etwas eckige Greifgefühl. Kein Minuspunkt, aber nur individuell zu entscheiden. Bendings laufen auf diesem Hals erwartungsgemäß wie auf Schienen und auch sonst finden wir dank tief gelegter Saiten optimale Spielbedingungen mit perfekt freigestelltem und locker bespielbarem hohem Halsbereich.
Das von ihren Hölzern geprägte Klangambiente der Viper-T ist weniger warm, eher drahtig transparent und ausgesprochen präsent. Das sorgt für saubere Saitentrennung im Akkord und präzise Definition im Linienspiel. Der akustische Ton ist nicht von der fleischigen Art, dafür aber schnell, stringent und zupackend. Bemerkenswert ist auch das sehr gleichmäßig über das Griffbrett hinweg, ja selbst oberhalb des 12. Bundes zu erzielende Sustain. So weit so gut, aber „entscheidend is‘ auf‘m Platz“ und der ist bei uns bekanntlich elektrisch: Die Ausstattung der Viper mit Humbuckern weist schon den Weg zu etwas anderen Sounds, Sounds die mit dem Vorbildmodell nur noch wenig gemein haben mögen, was ja so falsch nicht sein kann. Möglich wäre, ja ist natürlich auch eine Ausstattung mit High-Gain-Pickups als Custom Option, aber in diesem Fall kamen maßvoll gewickelte Doppelspuler zum Einsatz.
Der Hals-Pickup eröffnet das Spiel im Bereich Clean mit breit gezogenen, höchst transparent aufgelösten Akkorden von leicht glasigem Ausdruck. Die leicht kühlen Sounds sind speziell, haben mit ihrer fast schon analytisch anmutenden harmonischen Ausleuchtung aber absolut was für sich. Die akustisch schon bemerkte klare Definition bestimmt auch das solistische Spiel, das mit markant herausgestellter Ansprache und gestochen scharfen Linien punkten kann.
Auf den Steg-Pickup geschaltet ziehen wir heiße Luft ein, die Wangen hohl, die Lippen spitz – mit den solchermaßen komprimierten und nadelspitzen Atemstößen pikieren wir dann das Trommelfell, wie ein Tätowierer die Haut. Meint: Man muss etwas leiden, um in den Genuss guter Ergebnisse zu kommen. Frisch und frech haut es mit unverhohlenem Rasiermessercharme raus, direkt und kompromisslos. Mit derart perkussivem Aufriss und scharfem Biss lässt sich locker durch jeden noch so festen Pudding schneiden – nennen wir es mal Ultra-Twang.
Bleibt noch die Kombi beider Pickups und in der Zusammenschaltung vertieft sich die Hohlkehle nochmals. Glasig, wenig Mitten, klingt das wie ein Spagat mit Eispickel – Albert Collins hätte seine Freude dran. Dieser Sound ergänzt das spezielle Klangbild der Viper absolut schlüssig.
(Bild: Dieter Stork)
RESÜMEE
Auch in Brasilien werden funktionsstarke Gitarren gebaut, das wundert uns nicht. Und dass diese Designs nicht unbedingt nordamerikanisch klingen wollen, ist ebenfalls wenig überraschend. Spielen lässt sich die Viper-T HH von Carrozza Custom Guitars mit ihrem gefälligen Soft-C-Halsprofil ganz hervorragend. Zu bemerken sind lediglich die weit an den Griffbrettrand vorgezogenen Bünde für größtmöglich Auflagefläche, aber das kann im Custom-Bereich ja jeder so haben wie er will. Das Klangambiente dieser Viper-Version ist eher hell und spritzig angelegt. Von den Humbuckern bleibt wenig an zuvor vermuteter Wärme, eher profitieren wir von der Brummfreiheit ihrer Konstruktion, als dass heimeliges Vintage Feel aufkommt. Die Bissigkeit und Präsenz ist da schon eher in Verwandtschaft einer heißen Tele zu verorten, denn dieses Messer ist in allen Positionen scharf.
Wer etwa auf Sounds von Iceman Collins steht, der hätte mit der Viper-T HH eine gute Gelegenheit der Annäherung. Anderen musikalischen Auslegungen stellt sich die brasilianische Lady natürlich auch nicht in den Weg. Wie schön, mit der Carrozza Viper-T HH eine Alternative zu den herkömmlichen Sounds zu finden, aber was den Samba angeht – nun ja, die Hardcore-Variante vielleicht. Guter Einstieg allemal – auf weitere Modelle des Herstellers darf man gespannt sein!
PLUS
- Design
- Holzkombination
- Klangausstattung
- Humbucker mit Biss
- transparente Sounds
- Spieleigenschaften
- Verarbeitung
MINUS
- kantig abgefaste Bundränder (optional anders möglich)
(erschienen in Gitarre & Bass 08/2024)
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