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Minimalistischer Maximalist: Line 6 HX One

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(Bild: Dieter Stork)

BEDIENKOMFORT

Das HX One möchte gerne ein einzelnes Effektgerät sein. Und dementsprechend reduziert ist die Anzahl der Bedienelemente. Das Display zeigt, welcher Effekt aktiv ist, darunter sieht man die drei Parameter, welche nun durch die Potis verändert werden können. Bei einem Drive wären dies in der Regel Gain, Tone und Level. Jedoch bildet Line 6 die Optionen der Originale nach Möglichkeit nach. So findet man beim „Heir Apparent“, also dem „Thronfolger“ (ja, genau: ein Prince of Tone) Gain, Tone und Presence. Will man auf weitere Parameter zugreifen, drückt man ein Mal auf den Pfeil nach rechts und kann nun auch Clipping, Gain, Mod, Level und Voltage einstellen. Dazu kommen noch die Parameter für Flux (dazu später mehr). Wenn man genug mit seinem Drive gespielt hat und was anderes braucht, dreht man einfach so lange am Effect-Poti, bis man das passende gefunden hat. Ein- und ausschalten lässt sich der Effekt mit dem linken Fußschalter.

Wer ein, zwei Pedale mit dem HX One ersetzen möchte, kann hier fast schon aufhören zu lesen. Aber natürlich geht noch mehr. Selten will man durch alle (über 250) Effekte scrollen. Möchte man also vom Drive zum Delay wechseln, so kann man den Effektknopf auch drücken und drehen und die Kategorie auswählen (Distort, Dynamics, EQ, …). Das geht deutlich schneller, will man während eines Gigs aber immer noch nicht machen. Also gibt es auch einen Preset-Modus. Drückt man beide Fußschalter zugleich, kann man seine zuvor eingestellten Effekte in gespeicherter Reihenfolge aufrufen. Hält man die beiden Fußschalter etwas länger gedrückt, so gelangt man zum Stimmgerät.

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Da das Display nicht sonderlich groß ist, hilft es, dass die Farbe der LED die Effektkategorie anzeigt. Selbst wenn man das Display nur schwer lesen können sollte, weiß man immerhin, dass man gleich ein Reverb aktiviert, weil die Lampe gerade orange ist. Der rechte Fußschalter bringt nun eine weitere Funktion ins Spiel: Einerseits ist es ein Tap-Tempo-Taster, andererseits kontrolliert er „Flux“. So nennt Line 6 ein stufenloses Überblenden zwischen Effektparametern.

ALLES IM FLUX

Einstellungen von Effektgeräten sind ja in den meisten Fällen fest. Ich weiß, dass ich Gain bei 14 Uhr möchte. Fertig. Doch was macht man, wenn man zum Solo noch etwas mehr Schub braucht? Während man bei einem rein analogen Board einen extra Booster gebraucht hätte, oder live schnell an den Potis hätte drehen müssen, kann man hier mittels Flux-Funktion einen zweiten Satz Potistellungen wählen und diese auf Knopfdruck abrufen. In meinem Beispiel also vielleicht etwas mehr Gain und Lautstärke.

Das gibt es auch bei anderen Herstellern, allerdings oft bei Geräten, die wenige Effekte haben und dann schon so viel oder mehr kosten als das HX One. Zudem ist es hier sehr elegant integriert und man kann direkt in den Effektparametern einstellen, wie schnell und mit welcher Kurve die Änderung stattfindet. Somit befindet sich alles im Fluss, denn nichts anderes heißt Flux. Und Gain ist hier ja nur ein recht triviales Beispiel. Das Ändern der Pitch-Einstellungen kennt jeder vom Whammy. Ein weiterer Klassiker wäre das Ändern der Geschwindigkeit eines Rotary-Speakers.

Aber auch mit Tremolos, Hallräumen oder Parametern wie der „Condition“ beim Particle Verb zu spielen macht extrem viel Spaß und ergibt neue kreative Möglichkeiten. Klar, im Endeffekt ist es ein bisschen wie die Snapshots bei anderen Line-6-Pedalen, aber das stufenlose Überblenden hier verleiht dem Ganzen schon eine extra Portion Magie.

PRAXIS UND SOUNDS

Je länger das HX One bei mir ist, desto klarer wird, dass das nicht nur ein weniger gut ausgestatteter Gag für viel Geld ist. Es beinhaltet quasi alle relevanten Gitarreneffekte von „kennt und braucht jeder“ bis hin zu „ziemlich exotisch, das wäre es mir vermutlich nicht wert“. Ich als großer Red-Hot-Chili-Peppers-Fan könnte mir also überlegen, ob ich mir für den Sound von „Throw Away Your Television“ noch ein altes Line 6 FM-4 für den Obi-Wah-Sound organisiere. Aber hier habe ich das ja im viel kleineren Gehäuse. Und dazu auch noch viele weitere Effekte, so auch den „70s Chorus“, eine Boss-CE-1-Entsprechung. Und da werden die Originale immer teurer.

Insbesondere gibt es etliche neue Algorithmen und optimierte Sounds. So erwähnte ich ja schon kurz den Particle Verb. Dieser reicht von großen Ambient-Klängen bis hin zu glitchigen Background-Sounds und lässt sich tatsächlich nur mit sehr wenigen Konkurrenzprodukten erzielen. Insgesamt ist die Soundqualität des HX One sehr hoch. Der Minotaur Drive muss den Vergleich zu meinem Klon KTR nicht scheuen, das Ratatouille Dist klingt verdammt nach meiner ProCo Rat und auch die anderen Effekte sind allesamt mehr als nur nutzbar. Bei den Reverbs gefallen mir die Entsprechungen im Axe-Fx III noch ein wenig besser, aber hier reden wir über Details, die mir zuhause im stillen Kämmerlein auffallen und nichts über das ich mir im Live-Bandsound Gedanken machen würde.

Besonders gefällt mir, dass Line 6 auch Dinge wie den „3 Note Generator“ mitbringt. So kann man in kürzester Zeit ein düsteres Nine-Inch-Nails-Flair erzeugen.

KONKURRENZ

Ganz ehrlich: Hier gibt es ziemlich viel Konkurrenz, wenn man alle kleineren Multieffekte in Betracht zieht. Diese bieten sogar oft noch Amp-Simulationen und mehr (Zoom gefällt mir da ganz gut), aber die Soundqualität des HX One erreichen sie eben doch nicht. Und so sehe ich tatsächlich die alte Line 6 M-Serie, insbesondere das M5 als deutlichste Konkurrenz. Das ist zwar nicht so modern und bietet kein Flux, klingt aber auch heute noch gut, kostet neu die Hälfte und ist gebraucht natürlich oft noch günstiger zu finden. Wer größere Teile seines Boards oder gleich alle Einzeleffekte ersetzen will, greift zum Line 6 HX Effects, welches mir auch extrem gut gefällt, aber eben doppelt so teuer ist.

RESÜMEE

Hier bekommt man über 250 Effekte zum Preis von einem Boutique-Pedal. Und auch solche sind hier ja modelliert. So muss man also nicht für diesen einen Sound in einem Solo ein dickes Pedal kaufen und mit sich rumschleppen. Im nächsten Song macht das Line 6 halt was anderes. Dabei ist die Bedienung sehr intuitiv. Es fühlt sich durch die Potis fast wie ein analoges Pedal an und vermittelt so auch den haptischen Spaß beim Ändern der Parameter. Zudem nimmt es wenig Platz ein, sieht gut aus und ist durch die etwas höher platzierten Fußschalter davor gefeit, dass man es kaputt tritt. Lediglich das Display hätte ich mir ein Stück größer gewünscht, sodass man live das Stimmgerät und die Preset-Namen besser lesen kann. Insgesamt aber eine klare Kaufempfehlung. Dieses Pedal wird einen immer wieder damit überraschen, wofür man es noch einsetzen könnte.

PLUS

  • Sounds
  • Bedienung
  • Flux-Funktion

MINUS

  • Display dürfte größer sein


(erschienen in Gitarre & Bass 05/2024)

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