Als vor gut fünf Jahren die ersten Express-Modelle in den Handel kamen, hat sie mancher vielleicht nicht für voll genommen. „Economy-Boogies, bestimmt karg im Futter … uninteressant …“ Solche vorschnellen Urteile konnten sich aber nicht lange halten, denn die Amps verblüfften mit ihrer Vielseitigkeit und souveränen Klangformung. Massiv überarbeitet buhlt jetzt die zweite Generation um die Gunst der Kundschaft.
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Zwei Verstärkermodelle, mit identischem Preamp aber Unterschieden in der Endstufe, bildeten von Beginn an das Rückgrat der Serie. Der stärkere Amp zieht seine Kraft aus zwei 6L6GC, die 25-Watt-Version bedient sich zweier EL84. Daran hat sich nichts geändert. Das technische Konzept wurde allerdings erheblich verfeinert. Beide Modelle sind als Topteil oder, wie hier vorgestellt, als 1×12-Combo erhältlich.
Konstruktion des Mesa/Boogie Express 5:50 Plus
Zwei separate Kanäle, je mit Dreibandklangregelung, ein serieller Einschleifweg und ein Federhall, der klassisch über Röhren angetrieben wird, aus dieser althergebrachten Basis formt Mesa mit seinen patentierten Spezial-Schaltungen einen modernen, vielseitig abstimmbaren Amp. In jedem Kanal sind, per Schalter anwählbar, zwei Gain-/Signalverstärkungsebenen integriert, die unterschiedliche Klangtimbres bereitstellen. Im Channel-1 sind sie mit Clean und Crunch tituliert, im Channel-2 heißen die Sound-Modes Blues und Burn. Um die Funktionalität noch weiter zu fächern, bot schon die erste Express-Generation das praktische Feature, zwischen zwei Endstufen-Betriebsarten wählen zu können; volle Leistung im Class-AB-Gegentaktbetrieb, drastisch reduzierte Power mit fünf Watt, indem nur eine 6L6GC im Eintaktbetrieb mit Kathodenbias arbeitet(e). Die neuen Express-Amps sind an dieser Stelle so aufgerüstet, dass sie Mesas Flagschiffen, dem Roadking II, Mark V oder Lonestar Special gleichkommen, also die gleiche sogenannte Multi- Watt-Schaltung besitzen. Es ist damit ein dritter Power-Modus hinzugekommen, offiziell bezeichnet als Class-A-Gegentaktbetrieb (beide Röhren aktiv, in anderen Spannungsbereichen), nominale Leistung ca. 25 Watt.
Der Express rückt seinen großen Brüdern mit einem weiteren exklusiven Detail auf die Pelle: Der Fünfband-Graphic-Equalizer (Graphic steht für grafisch ablesbar) war bislang dem Mark V vorbehalten und kommt nun auch hier mit der typischen mehrfach variablen Schaltlogik zum Einsatz. Abgesehen davon, dass der On-/Off-Status je Kanal als Preset automatisch wechseln, oder per Fußschalter bestimmt werden kann, bietet der EQ je Kanal zwei Funktionsarten. Im Modus „Sliders“ ist die Position der Schieberegler relevant, im Modus „Preset“ ist die Signalbearbeitung von der Stellung der Potis Preset-Depth (-1/-2) abhängig. Diese funktionieren im übertragenen Sinne so, als würden hiermit alle fünf Fader auf einmal bewegt, und zwar so, dass sie zunehmend in die Anordnung eines „V“ übergehen. Eine Einstellung, die sich bald nach dem ersten Erscheinen von Mesa-Amps mit EQ als besonders beliebt und praxisdienlich erwiesen hat (die Preset-Depth-Funktion hatte das Vorgängermodell in schlichterer Ausführung auch schon zu bieten, mit einem sogenannten Contour-Regler je Kanal).
Die Handhabung des Express-Amps gewinnt des Weiteren durch die Solo-Funktion. Dahinter verbirgt sich natürlich – Nomen est Omen – eine regelbare Lautstärkeanhebung, die für exponierte Spielpassagen den passenden Schub bereitstellen kann.
Der mechanische Aufbau des Combos entspricht den üblichen Standards. Auffällig ist, wie immer bei Mesa-Produkten, die ausnehmend gediegene Verarbeitung. Was auch und vor allem für die Elektronik gilt, die nebenbei bemerkt die vielfältigen Schaltoptionen mithilfe von nicht weniger als 13 Relais und diversen FET-Transistoren zur Steuerung derselben bzw. zum Dämpfen von Nebengeräuschen bewerkstelligt. Dass allerdings ein nur einpoliger Netzschalter verwendet wird, sorgt für Stirnrunzeln. Eigentlich sollten beide spannungsführenden Leitungen geschaltet werden, Nullleiter und Phase. Oder sgaen wir mal so: Es ist bei Fachleuten lieber gesehen, weil je nachdem wie der Netzstecker in der Dose sitzt, könnten, trotz Power-Off, 230 Volt am Netztrafo anliegen. Eine offizielle Vorschrift gibt es hier allerdings nicht und es ist auch für den Nutzer nicht sicherheitsrelevant.
Das hochstabile Amp-Chassis ist hängend montiert, das Gehäuse hinten offen, die Endröhren sind geschützt durch einen leicht abnehmbaren (vier Clips) Blechkäfig. Der speziell von Celestion für Mesa gefertigte MC-90-Speaker wird von hinten montiert. Praktisch: Dank der Tatsache, dass die Front-Bespannung auf einem separaten, angeschraubten Rahmen sitzt, kann der Lautsprecher auch sehr nahe mikrofoniert werden. Neben dem einen 8-Ohm-Ausgang, an dem der MC-90 ab Werk angeschlossen ist, gibt es noch zwei parallel liegende 4-Ohm-Outputs. Diese werden z. B. dann nützlich, wenn man ein zusätzliches 8-Ohm-Cabinet nutzt.
Der Combo ist in den Abmessungen kompakt, bringt aber knapp unter 25 Kilogramm auf die Waage. Schade, muss man unter diesem Umständen sagen, dass Mesa dem Express 5:50 Plus keine Rollen spendiert.
Schalten mit dem Mesa/Boogie Express 5:50 Plus
Jede Menge Mini-Schalter, das ist inzwischen ja schon typisch für die mehrkanaligen Mesa-Amps. Natürlich ist nur ein kleiner Teil davon fernsteuerbar, nämlich der Kanalwechsel und der On/Off-Status des Graphic-EQs. Dazu gesellen sich zwei weitere Schaltfunktionen, Solo- und Reverb-On/Off. Vier sind es also insgesamt. An der Amp-Rückseite sind dementsprechend vier Klinkenbuchsen vorgesehen, über die man einzeln auf die Funktionen Zugriff hat (sicher angenehmer, als an Stereobuchsen mit Y-Splitadaptern/-kabeln zu hantieren). Grundsätzlich braucht man diese aber gar nicht. Zum Lieferumfang gehört nämlich bereits ein Vierfach-Schaltpedal mit (nicht allzu hellen) LED-Anzeigen, netterweise komplettiert durch eine gepolsterte Tasche; so bleibt es heile beim Transport hinten im Combo. Der Anschluss erfolgt am Amp und am Schalt-Board über achtpolige DIN-Stecker. Ein passendes Kabel liegt natürlich auch bei, erfreulich hochwertig in der Qualität, weil sehr trittfest und praxisfreundliche 7,5 Meter lang; danke, genau so wollen wir das haben! Schließlich möchte man Leitungen nicht als Fallstrippen verlegen, sondern doch eher in einem weiten Bogen außerhalb des eigenen Aktionsradius.
Der Mesa/Boogie Express 5:50 Plus in der Praxis
Auf der niedrigsten Gain-Ebene, im Clean-Kanal, empfängt der Express den Spieler gleich mit einem radikalen Erlebnis: Warm und glockig klar, maximal kultiviert, Hi-Fi-mäßig im positivsten Sinne liefert er eine sehr gereifte Interpretation des amerikanischen Vintage-Tons ab, Dream-Clean-Deluxe. Nun, das überrascht kaum noch, denn Mesa-Boogie hat seine Historie ja genau damit begründet, das, was Fender gesät hat, zu hegen und zu Hochleistungen zu züchten. Bemerkenswert ist aber doch, dass der Express 5:50 Plus schon ohne den EQ hohes Volumen in den Bassfrequenzen freimacht. Was unter 1×12″-Combos beileibe keine Selbstverständlichkeit ist. Die interaktive und hocheffiziente Klangregelung bietet ein Optimum an Variabilität, wobei der Nutzer beachten sollte, dass der Mittenbereich sehr flexibel und weitreichend arbeitet. Dreht man ihn weit auf, erhellt er das Klangbild fast wie das Treble-Poti, das in diesem Falle durchaus weit zurückgeregelt sein darf, ohne dass die Transparenz leidet.
Gleichzeitig reicht der Mid-Regler weit in die tiefen Frequenzen hinein und unterstützt quasi das Bass-Poti. Schon eine Klasse für sich, was diese Tone-Sektion alles aus einem einzigen Instrument herausholt. Man muss aber eines stets bedenken: Beim Umschalten auf den anderen Sound-Modus wird man Korrekturen an der Einstellung vornehmen müssen, denn die Grundfarben sind zu unterschiedlich, als dass man einfach durch Hin- und Herschalten in beiden immer die besten Ergebnisse vorfinden könnte. Womit, um Missverständnissen vorzubeugen, klar sein sollte, dass der Express 5:50 Plus live nicht, oder nur bedingt, als eine Art Vierkanaler funktioniert. So fordert der Crunch-Modus mit seiner gedeckteren Brillanz und den kräftigeren Mitten zumindest einen Abgleich der Höhen. Und der Lautstärkesprung muss wie die Gain-Intensität ja auch angepasst werden.
Der Crunch-Modus geht mit einer resoluten, einigermaßen aggressiven Attitüde zu Werke. Was sich darin äußert, das sich die Verzerrungen in den Höhen kräftig niederschlagen. Die Wiedergabe ist kraftvoll, korpulent in den unteren Mitten, angenehm tragfähig, Crunch komprimiert aber wenig, ist dafür dynamisch reaktiv. Obwohl die Gain-Reserven hoch liegen. D. h., mit kräftigeren Pickups ist bereits richtige Distortion in Reichweite. Insofern ist dieser expressive Sound-Modus für Retro-Rock und Electric- Blues gut geeignet. Und auf jeden Fall solistisch einsetzbar, um z. B. John Mayer oder Robben Ford usw. nachzueifern.
Blues im Channel-2 hat etwas weniger Gain, benimmt sich zahmer und reiht sich so zwischen Clean und Crunch ein. Eine starke Betonung der Mitten in einem höheren Bereich lässt den Blues-Modus gleichzeitig schlank und feingliedrig singend wirken. Er lässt sich sogar soweit zähmen, dass er als zweite Clean-Ebene fungieren kann. Mit dem Vorteil, dass er sich ausgesprochen feinfühlig an der Grenze zum Overdrive bewegt. Zweifellos eine absolute Stärke des Kanals, ausdrucksstark, musikalisch, quasi der bessere Clean-Modus fürs Solieren. Mit mehr Gain und weiterhin sehr fein ziseliertem Overdrive trägt er sowieso, und besticht dank schöner Harmonie in den Verzerrungen auch bei angezerrter Akkord-Begleitung.
Wenn es richtig hart zur Sache gehen soll, ist natürlich Burn angesagt. Damit liefert der Express 5:50 Plus ein piekfeines Distortion-Brett. Hohe Gain-Intensitäten paaren sich mit ausdrucksstarkem Ton. So dicht und massiv das Klangbild ist, behält es doch die Fähigkeit spielerische Details und klangliche Nuancen des Instruments präzise herauszustellen. Die Sounds sind Sustain-reich, komprimieren aber wiederum nur vergleichsweise moderat. Obwohl eine markante Präsenz in den Höhen den Klangcharakter würzt, ist die Wiedergabe nicht wirklich aggressiv. Knallharter Rock ist daher seine Sache nicht, Burn fühlt sich viel wohler wenn er z. B. Santanas Melodien singen darf. Die Klangregelung des Channel-2 steht der seines Nachbarn in nichts nach; Auch hier wird optimale Flexibilität geboten.
Als Zwischenergebnis verbuchen wir daher, dass der Express 5:50 Plus vier klanglich eigenständige Sound-Sektionen bereithält, die in sich besonders variabel sind und expressiv agieren.
Wenn man hierzu ins Kalkül zieht, dass mit den drei Leistungsstufen der Multi-Watt-Endstufe weitere Feinheiten in der Klangformung zur Verfügung stehen, indem sich andere Nuancen im Grund-Sound ergeben und die Möglichkeit vielfältig Endröhren-Sättigungen zu provozieren, wird sonnenklar, dass der Express 5:50 Plus ein exzellentes Werkzeug für die Studioarbeit ist. Im Live-Einsatz kann der äußerst leistungsfähige Equalizer dafür sorgen, dass man eben doch mehr als zwei markante Sounds abrufbereit hat. Mancher wird sich in dem Kontext schwer tun zu entscheiden, wie er denn das Potential der vier Sound-Modes am besten nutzt. Grundsätzlich bieten sich zwei Szenarien an. Klassisch: Channel-1 erzeugt Clean, Channel-2 ist für Lead zuständig.
Reziprok: Blues im Channel-2 stellt die Clean-Basis, der intensive Crunch-Sound des Channel-1 mimt den Lead-Kanal. Dazu mit dem EQ die Wiedergabe wahlweise anfetten oder ausdünnen, dann hat man auf der Bühne eine schöne Vielfalt am Start. Erfreulich, dies zu hören. Aber was lernen wir noch daraus? Dass man sich mit dem Express 5:50 Plus erst einmal eine Weile beschäftigen muss, bevor man seine Fähigkeiten überhaupt annähernd erlebt hat, geschweige denn sie gezielt nutzen kann. Also bitte mit der nötigen Geduld an das Austesten herangehen. Übrigens, falls es beim Checken nicht sofort auffällt: Auch Gitarren ohne Höhen-Bypass-Kondensator am Volume- Poti verlieren beim Herunterregeln wenn überhaupt nur wenig von ihrer Brillanz, was eine Folge dessen ist, dass der Amp im Eingang ziemlich hochohmig ist. Weiteres Lob ist für den unproblematisch arbeitenden FX-Weg fällig, und ganz besonders für den oberedel hallenden Röhren-Reverb. Dass bald eine deutsche Version des sehr informativen Manuals zum Download bereit stehen wird, ist natürlich auch erfreulich.
Alternativen zum Mesa/Boogie Express 5:50 Plus
Schon mit Blick auf die Ausstattung wird klar, dass der Express 5:50 Plus kaum wahre Nebenbuhler hat. So viele technische Finessen, ein so hohes Leistungspotential hat zumindest in dieser Preisklasse kein Produkt eines anderen Herstellers zu bieten. Auch im Klangcharakter steht der Combo quasi unanfechtbar da. Sprich eine alternative Empfehlung kann man im Grunde nicht aussprechen.
Resümee
Mit der gewachsenen Ausstattung rückt der Express 5:50 Plus sehr nahe an Mesas Topmodelle heran. Die Variabilität erweitert sich damit erheblich. Folglich macht der vorher schon tonal weit austrainierte Amp noch einmal einen großen Schritt nach vorne. Und distanziert somit umsomehr etwaige Mitbewerber. Ein Tausendsassa mit Boutique-Manieren, ein Einer-für-alles-Combo, der nur eines nicht zu liefern vermag, extremere High-Gain-Leadsounds. Es sei ihm verziehen, für dieses Spezialgebiet ist sein Konzept einfach nicht gemacht. Nie war er so wertvoll wie heute, könnte man also sagen. Kann mehr, kostet weniger: Der Express 5:50 Plus ist mit dem aufgerüsteten Konzept nominal glatt 50 Euro niedriger angesetzt als sein Vorläufer. Unterm Strich kann das Fazit trotz kleiner Irritationen nur positiv ausfallen: Preis und Leistung stehen in einem gesunden Verhältnis.
Übersicht
Fabrikat: Mesa/Boogie
Modell: Express 5:50 Plus
Gerätetyp: E-Gitarrenkofferverstärker, zwei Kanäle
Herkunftsland: USA
Technik: Vollröhrenbauweise (Halbleiter im FX-Weg), Siliziumgleichrichtung
Röhrenbestückung: Multiwatt-Endstufe m. 2 ¥ 6L6GC in drei Betriebsmodi: Class-AB-Gegentakt (50 Watt), Class-A-Gegentakt (25 Watt), Class-A-Eintakt (5 Watt); Vorstufe 5x12AX7
Leistung: max. ca. 50 Watt
Lautsprecher: 1x12″, Typ MC-90 by Celestion, ca. 90 Watt, 8 Ohm, v. hinten montiert
Gehäuse: Birkensperrholz (Herstellerang. , ca. 22 mm), hinten teiloffen, Vinyl-Bezug, Schutzkappen an allen Ecken, Gummifüße, Tragegriff a. d. Oberseite, Stofffrontbespannung abnehmbar
Chassis: Stahlblech (ca. 2,2 mm), hängend montiert, Röhren mit Blechhülsen u. Federklammern gesichert, Schutzgitter a. d. 6L6GC